L 4 KR 196/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 1825/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 196/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Krankengeld ab dem 2. November 2009.

Der 1965 geborene Kläger war Mitglied bei der beklagten Krankenkasse. Am 16. September 2009 beantragte er die Gewährung von Krankengeld, da er seit dem 3. September 2009 krankgeschrieben sei und die Agentur für Arbeit ihn an die Beklagte verwiesen habe. Er legte ein Kündigungsschreiben der P. - Personal Leasing und System Service - GmbH vom 3. September 2009 vor, mit dem sein Arbeitsverhältnis zum 5. September 2009 beendet wurde und später ein weiteres vom 21. September 2009 mit einer Kündigung zum 29. September 2009. Ein Telefonat mit der behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-B. am 28. Oktober 2009 ergab, dass der Kläger bei ihr am 22. und 27. Oktober 2009 in Behandlung gewesen sei, die Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenbeschwerden und offenem rechten Vorderfuß bestehe, er aber gut laufen und Zug fahren könne. Er trage seit 1997 einen speziellen Schuh und könne als Krankenpfleger die Verbandversorgung selbst durchführen. Bei gutem Verlauf sei er in 14 Tagen arbeitsfähig, bei schlechtem könne es sechs bis acht Wochen dauern. Als Krankenpfleger könne er derzeit nicht arbeiten.

Der Kläger legte folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor: der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-B. vom 15. Oktober 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis zum 1. November 2009, eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis zum 14. Oktober 2009, von Dr. S. aus A. vom 2. November 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. November 2009 (Erstbescheinigung) und vom 9. November 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis zum 22. November 2009, zwei weitere Erstbescheinigungen von Dres. S.-So. u. a. aus K. vom 18. November 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 1. Dezember 2009 und von Dr. A. vom 27. November 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 4. Dezember 2009, von Dr. L. in F. vom 5. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis zum 7. Dezember 2009 und eine weitere von Dr. A. vom 7. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 11. Dezember 2009 und vom 11. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 18. Dezember 2009 sowie von Dr. Sc. aus F. vom 17. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 23. Dezember 2009 (Erstbescheinigung). Arbeitsunfähigkeiten vom 3. bis 20. September 2009 und vom 1. bis 5. Oktober 2009 sind bei der Beklagten vermerkt, ohne dass entsprechende Bescheinigungen in den Akten vorliegen.

Dipl.-Med. B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK), befand in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 29. Oktober 2009, dass eine Arbeitsunfähigkeit ab 2. November 2009 nicht medizinisch begründbar sei. Die Behandlung des offenen Fußes, der seit 1997 mit einem speziellen Schuh versorgt sei, sollte dann abgeschlossen sein. Eine von verschiedenen Ärzten für teilweise gleiche Zeiträume bescheinigte Arbeitsunfähigkeit sei nicht plausibel.

Mit Bescheid vom 4. November 2009 erklärte sich die Beklagte bereit, dem Kläger Krankengeld bis zum 1. November 2009 zu zahlen, nicht jedoch für die Zeit danach, weil mit diesem Tag die Arbeitsunfähigkeit ende. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage erklärte sie sich bereit, Krankengeld vom 4. bis 18. September 2009 und vom 30. September bis 1. November 2009 zu zahlen, da der Arbeitgeber vom 19. bis 29. September 2009 Lohnfortzahlung leiste. Am 9. Dezember 2009 zahlte sie an den Kläger insgesamt EUR 1.459,97 (täglicher Leistungssatz EUR 31,02).

Der Kläger erhob am 9. November 2009 Widerspruch. Er sei immer noch krank und habe bislang nichts bekommen. Er gab an, er habe gegen die Kündigung zum 29. September 2009 Klage zum Arbeitsgericht Kiel erhoben. Dr. S. teilte der Beklagten auf Anfrage mit, der Kläger wechsele ständig den Arzt zwischen Stuttgart und Kiel, könne laufen und versorge die Wunde selbst. Die Beklagte bestätigte unter dem 12. November 2009 den Eingang des Widerspruchs und verblieb dabei, eine Zahlung von Krankengeld über den 2. November 2009 hinaus sei nicht möglich. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 15. November 2009 wiederum Widerspruch. Die Beklagte teilte dem Kläger mit E-Mail vom 14. Dezember 2009 mit, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit ab 2. November 2009 außerhalb der Mitgliedschaft eingetreten sei, ein nachgehender Leistungsanspruch von einem Monat zu prüfen sei, wozu ein Fragebogen ausgefüllt werden müsse. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 forderte sie den Kläger erneut zur Hereingabe des ausgefüllten Fragebogens zwecks Prüfung eines Krankengeldanspruchs ab dem 2. November 2009 auf. Da dem Widerspruch vom 15. November 2009 abgeholfen worden sei, werde auch die Eigenbeteiligung des Klägers für den im Widerspruchsverfahren tätig gewordenen VdK übernommen. Weiter teilte die Beklagte mit Schreiben vom 4. Januar 2010 mit, mit dem 1. November 2009 sei die Mitgliedschaft beendet, so dass ein Anspruch durch die neue Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vom 2. November 2009 nicht entstanden sei. Mangels Angaben des Klägers sei das Versicherungsverhältnis ab dem 2. November 2009 ungeklärt. Bei Vorliegen der Angaben werde über den nachgehenden Leistungsanspruch für einen Monat entschieden. Sollte bis zum 2. Dezember 2009 kein neues Versicherungsverhältnis begründet worden sein, trete rückwirkend die Versicherungspflicht für Nichtversicherte ohne Anspruch auf Krankengeld ein. Der Kläger erhob auch Widerspruch gegen die Schreiben vom 22. Dezember 2009 und 4. Januar 2010.

Der Kläger erhob am 11. Dezember 2009 unter Angabe einer Anschrift in Kiel Klage vor dem Sozialgericht (SG) Kiel. Die Klage wurde unter dem Aktenzeichen S 19 KR 384/09 geführt. Die Beklagte wies in ihrer Klageerwiderung darauf hin, dass ein Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen sei. Die Abhilfe des Widerspruchs vom 15. November 2009 betreffe nur die Nichtanerkennung der weiteren Arbeitsunfähigkeit mit "Bescheid" vom 12. November 2009, der Krankengeldanspruch sei anhand vom Kläger vorzulegender Unterlagen noch zu prüfen. Der Kläger sei vom 23. Januar bis 17. Februar 2010 in F. und vom 17. Februar bis 11. März 2010 in Stuttgart versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Während des Klageverfahrens legte der Kläger der Beklagten weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Dres. S.-So. u.a. vom 21. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 31. Dezember 2009, von Dr. S. vom 23. Dezember 2009 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 10. Januar 2010 und von Dr. Sc. vom 11. Januar 2010 mit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bis 17. Januar 2010 vor.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch "vom 9. November 2009 gegen den Bescheid vom 4. November 2009" mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2010 zurück. Nach der von Dr. K.-B. attestierten Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 1. November 2009 habe er sich nicht rechtzeitig wieder beim Arzt vorgestellt, sondern erst am 2. November 2009 bei Dr. S., so dass eine Feststellungslücke mit der Folge der Beendigung der nach § 192 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) aufrechterhaltenen Mitgliedschaft vorliege. Aufgrund des Bezugs von Krankengeld habe bis zum 1. November 2009 die Mitgliedschaft als Arbeitnehmer fortbestanden. Ein neues Versicherungsverhältnis sei danach nicht begründet worden. Daher bestehe seit dem 2. November 2009 eine Versicherung als Nichtversicherter gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V i. V. m. § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V ohne Anspruch auf Krankengeld. Für die am 2. November 2009 festgestellte Arbeitsunfähigkeit bestehe daher kein Anspruch auf Krankengeld.

Am 22. März 2010 erhob der Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid vor dem in der Rechtsbehelfsbelehrung angegebenen SG Stuttgart unter Angabe einer Anschrift in Stuttgart. Die Beklagte wies in ihrer Klageerwiderung auf das bereits seit Dezember 2009 anhängige Klageverfahren in Kiel hin. Nach Beiziehung der Akte vom SG Kiel wies das SG Stuttgart den Kläger auf die Unzulässigkeit der späteren Klage hin und kündigte für den Fall, dass die Klage nicht zurückgenommen werde, den Erlass eines Gerichtsbescheides an.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2010 wies das SG Stuttgart die Klage ab, da sie unzulässig sei, denn der identische Streitgegenstand (die mit Bescheid vom 4. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2010 durch die Beklagte erfolgte Ablehnung der Gewährung von Krankengeld ab 2. November 2009) sei immer noch vor dem SG Kiel anhängig.

Das SG Kiel verwies den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligen mit Beschluss vom 1. März 2011 an das SG Stuttgart. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 16 KR 1452/11 anhängig.

Gegen den ihm am 24. Dezember 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. Januar 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, er habe das von der Beklagten angeforderte Formular zweimal ausgefüllt und der Beklagten mit seinen Krankschreibungen übersandt. Er sei nach wie vor krank, wenn auch nicht immer krankgeschrieben. Er wolle endlich wissen, wer zuständig sei.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Dezember 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld ab dem 2. November 2009 bis 22. Januar 2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das SG Stuttgart habe in dem mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, dass die Klage unzulässig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die Gerichtsakten des SG Stuttgart zu Aktenzeichen S 16 KR 1825/10 und S 16 KR 1452/11 und den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von EUR 750,00 ist überschritten. Der Kläger begehrt Krankengeld ab dem 2. November 2009, unklar ist aber, bis zu welchem Enddatum. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger Krankengeld bis zum 22. Januar 2010 begehrt, da er am 23. Januar 2010 wieder beschäftigt war, mithin für 82 Tage. Angesichts des täglichen Leistungssatzes von EUR 31,02 EUR ergäbe sich ein Betrag von EUR 2.543,64.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die am 22. März zum SG Stuttgart erhobene Klage war aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Rechtshängigkeit beim SG Kiel unzulässig, da beide denselben Streitgegenstand betrafen. Gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann die Sache während der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Die Rechtshängigkeit umfasst den Streitgegenstand. Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstandes ist der geltend gemachte prozessuale Anspruch, d.h. Klageantrag und Klagegrund im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt. Hiervon ausgehend wird der Streitgegenstand vorliegend durch den objektiven Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide bestimmt (z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Juni 2012 - B 3 KS 2/11 R - in juris). In der Klageschrift vom 7. Dezember 2010, eingegangen am 11. Dezember 2010, zum SG Kiel beantragte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des ihm zustehenden Krankengeldes ab 2. November 2009 nebst Auslagen und 12,5 % Zinsen unter Beifügung des Bescheids der Beklagten vom 4. November 2009 über den Krankengeldanspruch ab dem 4. September 2009. In der am 22. März 2010 beim SG Stuttgart eingegangenen, auf den 23. März 2010 datierten Klageschrift forderte der Kläger das "gesamte Krankengeld", das ihm verweigert werde, und bezog sich auf den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid vom 15. März 2010. Mit beiden Klagen machte der Kläger mithin den Anspruch auf Krankengeld aus der am 3. September 2009 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit ab 2. November 2009 geltend. Abgelehnt hat die Beklagte diesen Anspruch auf Krankengeld ab 2. November 2009 mit dem Bescheid vom 4. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2010. Der Widerspruchsbescheid vom 15. März 2010 ist Gegenstand des beim SG Kiel anhängig gemachten, nunmehr an das SG Stuttgart verwiesenen Verfahrens geworden.

Da der Streitgegenstand nach dem Begehren des Klägers zu bestimmen ist, der jeweils ausdrücklich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld beantragt hatte, kann dahinstehen, ob die Identität des Streitgegenstandes anders zu beurteilen wäre, wenn eine Klage ausdrücklich als Untätigkeitsklage auf den Erlass eines Widerspruchsbescheides gerichtet gewesen wäre.

Der Unzulässigkeit wegen doppelter Rechtshängigkeit steht nicht die - allerdings erst nach Erlass des Gerichtsbescheides vom 22. Dezember 2010 erfolgte - Verweisung an das SG Stuttgart mit Beschluss vom 1. März 2011 entgegen. Anderweitige Rechtshängigkeit liegt nicht nur bei Rechtshängigkeit vor einem anderen Gericht, sondern auch bei doppelter Rechtshängigkeit vor demselben Gericht vor (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Januar 2010 L 12 SO 33/09 - in juris). Die Klage ist beim SG Stuttgart unter Aktenzeichen S 16 KR 1452/11 noch anhängig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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