L 8 AL 42/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 4462/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 42/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig sind Mobilitätshilfen, konkret in Gestalt einer Reisekostenbeihilfe und einer Trennungskostenbeihilfe.

Der Kläger ist 1956 geboren worden. Am 28. September 2007 nahm die Beklagte einen Antrag des arbeitsuchend gemeldeten Klägers auf Gewährung einer Reisekostenbeihilfe und von einer Trennungskostenbeihilfe auf und händigte ihm zwei Antragsformulare aus. Vom 16. Oktober 2007 bis zum 31. Dezember 2008 war der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Vollzeit bei der Universität des S beschäftigt.

Die Antragsformulare reichte der Kläger am 2. Juli 2009 bei der Beklagten zusammen mit einem Schreiben der Familie E, H (S) vom 13. Oktober 2007, dem mit der Universität des S geschlossenen Dienstvertrag vom 15. Oktober 2007 und einer Dienstzeitbescheinigung der Universität des S vom 24. Juni 2009 zurück.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2009 lehnte die Beklagte die "Gewährung einer Förderung aus dem Vermittlungsbudget" ab. Da der Kläger den Leistungsantrag zwei Jahre nach Arbeitsaufnahme vorgelegt habe, könne davon ausgegangen werden, dass er leistungsfähig sei.

Seinen Widerspruch gegen den Bescheid begründete der Kläger damit, dass ihm die Gewährung der Leistungen bei dem Gespräch mit der Sachbearbeiterin mündlich zugesagt worden sei. Bedingung sei lediglich gewesen, dass er die erforderlichen Nachweise vorlege. Von einer Frist sei nicht die Rede gewesen. Bei einem Telefonat am 16. Oktober 2007 sei ihm versichert worden, dass er Zeit zur Einreichung der Anträge habe. Umzugskostenbeihilfe könne er noch zwei Jahre nach Arbeitsaufnahme beantragen. Fehlende Eigenleistungsfähigkeit sei von ihm nicht verlangt worden. Er erfülle die Voraussetzungen, die im Merkheft 3 der Beklagten genannt würden. Die Anträge habe er deshalb so spät eingereicht, weil ihm der Mietvertrag zeitweise abhanden gekommen sei. Die Arbeitsaufnahme im Saarland sei für ihn mit erheblichen Mehrkosten verbunden gewesen. Die Zusage über die Förderung "nach § 45 SGB III" sei für ihn damals ein wichtiges Argument für die Arbeitsaufnahme gewesen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für die beantragten Mobilitätshilfen lägen nicht vor. Die Leistungen könnten gewährt werden, soweit dies zur Aufnahme einer Beschäftigung notwendig sei. Ihr Sinn sei es, finanzielle Hindernisse zur Beendigung von Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Da der Kläger die Anträge erst eingereicht habe, nachdem mehr als eineinhalb Jahre seit der Arbeitsaufnahme vergangen gewesen seien und die Beschäftigung bereits wieder beendet gewesen sei, sei davon auszugehen, dass die beantragten Leistungen nicht für die Arbeitsaufnahme im Oktober 2007 notwendig gewesen seien.

Mit der Klage hat der Kläger sein Anliegen weiterverfolgt. Zur Begründung hat er über seine Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren hinaus vorgetragen, dass er bis Jahresende 2006 langjährig und danach ab 15. April 2007 nur im Rahmen einer kurz befristeten Beschäftigung an der C gearbeitet habe. Deshalb sei er seit Januar 2007 durchgehend arbeitsuchend gemeldet gewesen. Im Sommer 2007 habe er die Zusage für die Stelle an der Universität des S bekommen, für die er Leistungen geltend mache. Sie habe den Vorteil einer längeren Vertragslaufzeit gehabt, sei aber mit finanziellen Einbußen und den Kosten für die Einrichtung eines zweiten Wohnsitzes und regelmäßigen Heimfahrten nach B verbunden gewesen. Er hat ein Schreiben der Beklagten vom 28. September 2007 mit zwei Anlagen (Gesetzestexte und "Checkliste für Mobilitätshilfen") vorgelegt.

Durch Urteil vom 7. Dezember 2011 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der geltend gemachten Mobilitätshilfen lägen nicht vor. Sie seien nicht notwendig gewesen (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. März 2009 - B 11 AL 50/07 R, in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-4300 § 53 Nr. 2). Die zeitliche Abfolge zeige, dass der Kläger die Arbeit offensichtlich mit eigenen Mitteln erfolgreich habe aufnehmen können.

Mit der Berufung vertritt der Kläger weiter die Auffassung, dass ihm die geltend gemachten Mobilitätshilfen zustünden. Über seinen bisherigen Vortrag hinaus macht er geltend, dass es er die Kosten zwangsläufig habe verauslagen müssen. Denn erst nach der Arbeitsaufnahme sei es ihm möglich gewesen, die von der Beklagten geforderten Unterlagen einzureichen. Er beantrage die Vernehmung der Sachbearbeiterin P, die ihm 2007 am 28. September die Antragsformulare ausgehändigt und am 16. Oktober 2007 die telefonische Auskunft erteilt habe.

Der Kläger beantragt der Sache nach,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Mobilitätshilfen in Gestalt einer Reisekostenbeihilfe und einer Trennungskostenbeihilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung und ihren Bescheid für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte durch Beschluss über die Berufung entscheiden. Er hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung angesichts der nicht weiter aufklärungsbedürftigen Sachlage und der keine Schwierigkeiten aufweisenden Rechtslage nicht für erforderlich (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Voraussetzungen für die vom Kläger geltend gemachten Leistungen liegen nicht vor. Der Senat ist dabei davon ausgegangen, dass der Kläger auch das Klageziel verfolgt, die Leistung unmittelbar zugesprochen zu erhalten und nicht - wie vom Sozialgericht angenommen - nur das (geringere) auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung.

Das Sozialgericht und die Beklagte in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid sind zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Leistungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen noch nach dem Recht richten, das im Zeitpunkt der Antragstellung im September 2007 galt (§ 422 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]).

Nach dem somit anwendbaren § 53 SGB III in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954; im folgenden ohne Zusatz zitiert) können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist (Absatz 1).

Die Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung umfassen (Absatz 2)

1. Leistungen für den Lebensunterhalt bis zur ersten Arbeitsentgeltzahlung (Übergangsbeihilfe),
2. Leistungen für Arbeitskleidung und Arbeitsgerät (Ausrüstungsbeihilfe),
3. bei auswärtiger Arbeitsaufnahme die Übernahme der Kosten für
a) die Fahrt zum Antritt einer Arbeitsstelle (Reisekostenbeihilfe),
b) tägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Fahrkostenbeihilfe),
c) eine getrennte Haushaltsführung (Trennungskostenbeihilfe),
d) einen Umzug (Umzugskostenbeihilfe).

Mit der Klage werden die Leistungen aufgrund des Antrags vom 28. September 2007, dementsprechend diejenigen nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a) und c) SGB III geltend gemacht. Bereits deshalb hat keine Bedeutung, ob und wenn ja welche Auskünfte der Kläger am 16. Oktober 2007 zur Umzugskostenbeihilfe (= Leistung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 d) SGB III) erhalten hat. Für die vom Kläger beantragte Vernehmung der Mitarbeiterin P der Beklagten gab es angesichts dessen keinen Grund.

Das Sozialgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die beiden streitigen Arten von Mobilitätshilfen nicht zur Aufnahme der Beschäftigung des Klägers bei der Universität des Saarlandes notwendig waren. Was "notwendig" ist, erschließt sich aus dem Zweck der Leistung. Dieser bestand (nur) darin, finanzielle Hindernisse zu beseitigen, die den potentiell förderungsberechtigten Personen den Wiedereintritt in das Berufsleben erschweren und die Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung für eine erfolgreiche Vermittlung allgemein zu verbessern. Keine Bedeutung hat, ob die Leistung für die Aufrechterhaltung der Beschäftigung oder eine dauerhafte Eingliederung des Arbeitslosen notwendig ist. Sie unterstützt mit anderen Worten nicht die Beschäftigung selbst. Als Folge davon sind die Leistungen Sinne im einer "strengen Kausalität" nur dann notwendig, wenn sie zur Aufnahme einer Beschäftigung unverzichtbar sind. Ihre Bewilligung muss maßgebend für die Aufnahme der Beschäftigung sein. Nicht notwendig sind Mobilitätshilfen demnach immer schon dann, wenn die Aufnahme der Beschäftigung auch ohne diese Leistungen erfolgen würde beziehungsweise erfolgt wäre (s. das vom Sozialgericht zitierte Urteil des BSG und ebenso BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 26/07 R, SozR 4-4300 § 53 Nr. 3).

Maßgeblich für die Feststellung dieser Voraussetzung ist der Zeitpunkt, in dem die Beklagte die Verwaltungsentscheidung über den Leistungsantrag trifft. Es kann offen bleiben, ob die Mitarbeiterin P der Beklagten dem Kläger mündlich in Aussicht gestellt hat, dass ihm eine Reisekostenbeihilfe und eine Trennungskostenbeihilfe gewährt wird, wenn er die geforderten Nachweise erbringt; auch insoweit gab es deshalb keinen Grund, sie als Zeugin zu vernehmen. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Mitarbeiterin eine solche Äußerung getätigt hat und wenn weiter davon ausgegangen wird, dass eine mündliche Äußerung die Beklagte überhaupt rechtlich binden kann, so kann diese Äußerung für sich genommen nicht zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung führen. Die Bindungswirkung einer mündlichen Äußerung kann nicht weiter gehen als die einer förmlichen schriftlichen Zusicherung im Sinne des § 34 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 34 Abs. 3 SGB X ist die Behörde an eine schriftliche Zusicherung aber nicht mehr gebunden, wenn sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart ändert, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen.

Die Beklagte wäre an die vom Kläger beschriebene Äußerung ihrer Mitarbeiterin im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht mehr gebunden gewesen. Die Mitarbeiterin konnte bei einer etwaigen Äußerung nur von den Angaben ausgehen, die der Kläger ihr mündlich gemacht hat. Wie sich gerade daran zeigt, dass die Mitarbeiterin ihm die "Checkliste" ausgehändigt hat, stand die Gewährung der Leistungen deshalb in jedem Fall unter dem Vorbehalt, dass der Kläger die darin geforderten Unterlagen beibringt. Schon dies ist - bis heute - nicht vollständig geschehen (es fehlen jedenfalls die Bestätigung des Arbeitgebers, dass den Reisekosten vergleichbare Kosten nicht übernommen werden, der Mietvertrag der Berliner Wohnung und die Anmeldebescheinigungen für beide Wohnorte). Unabhängig davon konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass die Aussage der Mitarbeiterin selbst dann noch Geltung haben könnte, wenn das fragliche Arbeitsverhältnis bereits länger dauerte oder sogar schon beendet war. Dem von ihm selbst vorgelegten "Merkheft 3" konnte er entnehmen, dass die Mobilitätshilfen finanzielle Unterstützung in der Anfangszeit einer Beschäftigung bieten sollen. In dem von ihm vorgelegten Schreiben der Beklagten vom 28. September 2007 wird er von daher folgerichtig ausdrücklich dazu aufgefordert, die ausgefüllten Formulare "baldmöglichst" zurückzureichen. Aus einer etwaigen Äußerung der Mitarbeiterin zur Umzugskostenbeihilfe am 16. Oktober 2007 konnte der Kläger nicht darauf schließen, dass er die Unterlagen zu den beantragten Leistungen "irgendwann" einreichen konnte, ohne einen Rechtsverlust zu erleiden. Die Auskunft vom 16. Oktober 2007 bezog sich schon nach dem Vortrag des Klägers ausdrücklich auf die Leistungsart "Umzugskostenbeihilfe", die der Kläger am 28. September 2007 ersichtlich nicht beantragt hatte. Auch insoweit gab es deshalb keinen Grund, die Mitarbeiterin P der Beklagten als Zeugin zu vernehmen.

Mit Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die zeitliche Abfolge gegen die - somit gerichtlich voll zu prüfende - Notwendigkeit der Mobilitätshilfen spreche. Bereits vor der Antragstellung hatte der Kläger nach seinem eigenen Bekunden eine Zusage für die Stelle bei der Universität des S erhalten. Ein alternatives Stellenangebot ist nicht ersichtlich, im besonderen kam ein weiteres Beschäftigungsverhältnis bei der C augenscheinlich nicht mehr in Betracht. Mögen vor diesem Hintergrund trotzdem Mobilitätshilfen noch grundsätzlich geeignet sein, den bereits beschriebenen Anreiz zu bieten, finanzielle Hürden zu überwinden, so wird dieser "erste Anschein" jedenfalls dann widerlegt, wenn der Arbeitnehmer Nachweise für die geltend gemachten Leistungen in einem großen zeitlichen Abstand zu dem Zeitraum einreicht, für den die Leistung gewährt werden kann (Reisekostenbeihilfe: einmaliger Zuschuss für die Fahrt zum Antritt der Arbeitsstelle; Trennungskostenbeihilfe: monatlicher Zuschuss für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses). Dann ist vielmehr die Annahme gerechtfertigt, dass finanzielle Hürden für die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses nicht von wesentlicher Bedeutung waren. Erst recht gilt dies, wenn der Kläger sogar nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, für dessen Aufnahme er Leistungen geltend macht - und somit unter wieder veränderten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - noch geraume Zeit verstreichen lässt, bevor er das Antragsverfahren weiter betreibt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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