Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 115/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer ambulanten Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff (HBO) vom 23.01. bis 18.02.2012 in Höhe von 3.885,80 EUR.
Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einem diabetischem Fußsyndrom (Stadium Wagner III-IV). Am 19.01.2012 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer ambulanten HBO-Behandlung. Sie legte hierzu einen Kostenvoranschlag des HBO-Zentrums Euregio Aachen vom 13.01.2012 vor, in dem die Kosten für 25 Behandlungen mit insgesamt 4.369,52 EUR veranschlagt worden waren.
Ausweislich eines in der Verwaltungsakte der Beklagten auf dem Antragsschreiben vom 16.01.2012 aufgebrachten handschriftlichen Vermerks lehnte die Beklagte den Antrag mündlich am 19.01.2012, dem Tag des Eingangs, ab. Sodann lehnte sie die Kostenübernahme auch durch schriftlichen Bescheid vom 27.01.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, die HBO-Behandlung sei mangels ausreichender medizinisch-wissenschaftlicher Aussagefähigkeit bzw. Wirksamkeitsbelege vom zuständigen Ausschuss nicht anerkannt und damit als Kassenleistung ausgeschlossen.
Dagegen erhob die Klägerin am 02.02.2012 Widerspruch. Sie hielt die Ablehnungsbegründung für nicht richtig; der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte und Krankenkassen habe mit Beschluss vom 13.03.2008 die HBO-Therapie bei der Indikation "diabetischer Fuß Wagner III" aufgrund der vorliegenden Studien und des wissenschaftlich nachprüfbaren Behandlungserfolges empfohlen.
Vom 23.01. bis 18.02.2012 erhielt die Klägerin in vier Behandlungsabschnitten 20 ambulante HBO-Behandlungen im HBO-Zentrum Euregio Aachen. Die Behandlungen wurden durch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte erbracht. Das HBO-Zentrum stellte der Klägerin mit (privatärztlicher) Rechnung vom 24.02.2012 einen Pauschalpreis von 3.885,80 EUR in Rechnung. Die Klägerin beglich die Rechnung am 08.03.2012.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28.03.2012 zurück mit der Begründung, die (alleinige) HBO-Behandlung sei als ambulante Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch die geltenden Richtlinien des G-BA (Anlage II der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) ausgeschlossen.
Dagegen hat die Klägerin am 25.04.2012 Klage erhoben. Sie räumt ein, der Gesundheitszustand vor der HBO-Behandlung sei zwar schwerwiegend gewesen, habe jedoch keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit begründet. Auch wenn der G-BA die HBO-Therapie in der ambulanten Versorgung als Leistung der GKV allgemein ausgeschlossen habe, sei sie doch durch Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 bei der Indikation des diabetischen Fußsyndroms im Stadium Wagner III und IV als GKV-Leistung anerkannt. Die Klägerin meint, diese Feststellung müsse sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich gelten. Desweiteren ist sie der Auffassung, dass der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der – ggf. fehlenden – Anerkennung der HBO-Therapie durch den G-BA auch deshalb bestehe, weil eine fehlende Anerkennung auf einen Mangel im gesetzlichen Leistungssystem zurückzuführen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.01.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2012 zu verurteilen, ihr die Kosten für die ambulante hyperbare Sauerstoff-Therapie im HBO-Zentrum Euregio Aachen in der Zeit vom 23.01. bis 18.02.2012 in Höhe von 3.885,80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozi¬algerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die von ihr selbst beschafften hyperbaren Sauerstofftherapien.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten bzw. für die Freistellung von entsprechen¬den Kostenforderungen für die in der Zeit vom 23.01. bis 18.02.2012 durchgeführten 20 HBO-Behandlungen ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozi-algesetzbuch (SGB V). Der in Betracht kommende Kostenerstattungs-/Kostenfreistel-lungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, wel-che die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen ha¬ben (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 11/03 R = SozR 4-2500 § 27a Nr. 1; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Diese Voraus-setzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Be-handlung bei der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch unter¬liegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkun¬gen. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie hier - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Kran¬kenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsme¬thoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Me¬thode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsme¬thoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).
Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie handelt es sich um eine neue Behandlungsmetho¬de i.S.v. §§ 92 Abs. 1, 135 SGB V, die ambulant nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen gewesen wäre, wenn bereits zum Zeitpunkt der Be¬handlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorgelegen hätte. Hieran fehlt es hier. Aufgrund der "Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersu¬chungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung" gehört die hyperb¬are Sauerstofftherapie vielmehr zu den Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistun¬gen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen (Anlage II Nr. 16). Die hyperba¬re Sauerstofftherapie kann mithin grundsätzlich nicht als ambulante ärztliche Leis¬tung der gesetzlichen Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Unabhängig von diesem Richtlinienausschluss der Leistung steht dem Anspruch der Klägerin entgegen, dass die HBO-Behandlung von nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten er¬bracht worden ist.
Ein Kostenerstattungs-/Kostenfreistellungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des sog. Systemversagens. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzu¬führen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Über¬prüfung notwendi¬gen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitge¬recht durchgeführt wurde. Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist nicht ersicht¬lich, dass das einschlägige Prüf- und Bewertungsverfahren von den Krankenkassen oder dem Bundesausschuss in zurechenbarer Weise unzulässig verzögert oder verhindert wor¬den ist. Der G-BA hat sich seit (mindestens) 2001 wiederholt und die eigenen Beschlüsse überprüfend mit der HBO befasst. Bis 2008 war diese Behandlungsmethode nicht nur für den ambulanten, sondern weitgehend auch für den stationären Bereich (vgl. die "Richtli¬nie des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus" , § 4 Ziffer 2.1 bis 2.5 (bei Myokardinfarkt, Erstmanifestation eines Neuroblastoms im Stadium IV, Weitwinkelglaukom, Morbus Perthes und Schädelhirntrauma) als Leistung der GKV ausgeschlossen. Durch den Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 wurde unter Ziffer 2.6 auch die HBO beim diabetischen Fußsyndrom als alleinige Therapie oder in Kombination von der Versorgung der GKV ausgeschlossen; lediglich die adjuvante Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium Wag¬ner ab III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie blieb von diesem Ausschluss unberührt. In der Begründung des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008 heißt es im Abschnitt 2: "Die ... Entscheidung zu der Frage, ob die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) für eine ausreichende, zweck¬mäßige und wirtschaftliche Ver¬sorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Rahmen einer Krankenh¬ausbehandlung erforderlich ist, beruht im Rahmen der durchgeführten Gesamtabwägung insbesondere auf folgenden Aspekten:
Zu den unerwünschten Folgen des Diabetes mellitus zählen u. a. pathologische Veränderungen an der unteren Extremität, hier insbesondere das diabetische Fuß-syndrom. Die Prävalenz des diabetischen Fußulkus beträgt in der diabetischen Be-völkerung in verschiedenen Ländern zwischen 2 bis 10 %. Eine entsprechende jährliche Inzidenz von 2,2 bis 5,9 % wurde berichtet. In Deutschland werden ca. 70 % aller Amputationen bei Diabetikern durchgeführt.
Die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms besteht in einem multimodalen Therapiekonzept mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Gewebeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druck-entlastung, Infektionsbehandlung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die vollständige Wundheilung mit Vermeidung einer Amputation.
Bei Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich um eine ergänzende therapeuti¬sche Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimodalen Therapie. HBO wird definiert als Atmung von 100 % Sauerstoff bei erhöhtem Umgebungsdruck. Bisher wird die HBO von spezialisierten Zentren zur Behandlung von Patien¬ten mit DFS angewandt, wenn diese auf konventionelle Maßnahmen therapiere¬fraktär sind oder durch die Schwere der Erkrankung (ab Wagner-Grad III) eine Be¬drohung der Extremität besteht. Die HBO wird bei Vorliegen bestimmter Randbe¬dingungen als adjuvante Maßnahme bei Fortführung der Basistherapie angewen¬det. Ziel der HBO ist dann bei auf sonstige Maßnahmen therapierefraktären Wun¬den eine Besserung bis Abheilung, ggf. die Verhinderung einer Amputation oder zu¬mindest Verschiebung der Amputationsebene nach distal. Nebenwirkungen der HBO-Therapie werden selten berichtet.
Zur Bewertung des Nutzens der adjuvanten HBO-Therapie bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms wurden insgesamt 8 Primärstudien herangezogen, da¬von 4 kontrollierte randomisierte Vergleichsstudien (RCTs). Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle Studienergebnisse gleichgerichtet sind und positive Effekte der HBO darstellen. Der aussagekräftigste patientenrelevante Endpunkt ist in der Reduktion der Major-Amputationsrate durch die HBO-Therapie zu sehen. Für die¬sen Endpunkt liegt die höchste Ergebnissicherheit aus der metaanalytischen Aus¬wertung zu Gunsten der HBO-Therapie vor. Diese Auswertung aller relevanten Vergleichstudien mit Daten zur Major-Amputationsrate lässt eine relative Risikoredukti¬on von 36 % (95 % KI 22-59 %) durch die adjuvante HBO-Therapie annehmen, ohne Hinweise auf Heterogenität. Eine beschleunigte Wundheilung ist unter Be¬rücksichtigung der oben angeführten erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqua¬lität von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom ebenfalls als patientenrelevanter Endpunkt zu werten. Auch diesbezüglich sind die Ergebnisse der HBO positiv, je¬doch von geringerer Validität, da in den Studien nicht immer die vollständige Wundheilung als Endpunkt gewählt wurde.
Mit Blick auf die oben getroffenen Ausführungen, die hohe Relevanz der Erkran¬kung und das vermutliche Versorgungsdefizit bzgl. der Amputationsrate ist eine me¬dizinische Notwendigkeit dieser Therapieform unter bestimmten Umstän¬den anzun¬ehmen. Angesichts der dramatischen Konsequenzen einer Major-Ampu¬tation für die Patienten sollte die HBO-Therapie als eine mögliche zusätzliche therapeutis¬che Option gewertet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehr¬zahl der in den Studien behandelten Patienten entweder höhere Wundschweregra¬de (Wagner-Grad ) I) oder komplizierte Heilungsverläufe (Infektionszeichen, feh¬lende Heilungstendenz innerhalb von 30 Tagen) aufwiesen. Die Behandlung in der als aussage¬kräftigste identifizierten Studie von Faglia et al. 1996 erfolgte zudem nach einem in¬terdisziplinären Behandlungskonzept unter Einschluss konservativer und invasiver Diagnose- und Therapieverfahren. Die in dieser Studie festgestellte Senkung der Amputationsrate wurde ausschließlich in der Gruppe der Patienten mit Wagner Grad IV erzielt. Angesichts des erheblichen Aufwandes einer Druckkam¬mertherapie und der damit einhergehenden möglichen Belastungssituation für die Patienten er¬scheint diese Therapieform daher nur für das diabetische Fußsyndrom medizinisch notwendig, welches auf andere therapeutische Maßnahmen nicht aus-reichend an¬spricht und bei dem die Extremität gefährdet ist. In Anbetracht der Schwere dieser klinischen Verläufe erfolgt die Behandlung in der Regel im Rahmen eines statio-nären Aufenthalts.
Die Bewertung des Stellenwerts der HBO bei der Indikation diabetischer Fuß ist im deutschen Versorgungskontext komplex. So hat diese Bewertung den Schweregrad der Erkrankung ausreichend zu berücksichtigen. Die gegenwärtige Evidenz an großen Patientenzahlen belegt die Wirksamkeit hinsichtlich signifikanter Senkung der Major-Amputationsrate von Screening- und Frühbehandlungskonzepten in dia¬betischen Fußambulanzen in den niedrigen Krankheitsstadien Wagner I und II (Mc¬Cabe et al., 1998), wie sie inzwischen in Disease Management Programmen in Deutschland umgesetzt werden. Die Hinweise zur Wirksamkeit der HBO in diesen niedrigen Wagner-Stadien entstammen hingegen aus Studien mit sehr kleinen Fall¬zahlen, zu denen bisher keine neuen bestätigenden Studien mit ausreichender Fall¬zahl publiziert wurden. Angesichts der Häufigkeit dieses Krankheitsbildes, die Fol¬gestudien mit ausreichend hohen Patientenzahlen und von hoher Qualität grund¬sätzlich ermöglicht, bleibt die Notwendigkeit der HBO in diesen Krankheitsstadien des diabetischen Fußes nicht nur unbewiesen. Vielmehr ist zu befürchten, dass Pa¬tienten mit niedrigen Wagner-Stadien wirksame Screening- und Frühbehandlungskonzepte in der Hoffnung auf die Wirksamkeit der HBO vorenthalten bleiben. Des¬halb ist die Behandlung von Wagner-Graden I und II des diabetischen Fußsyn¬droms durch die HBO von der Erstattung durch die GKV auszuschließen.
Die Entscheidung des G-BA erfolgte nach insgesamt schwierigen und eingehenden Bera-tungen. Die oben aufgeführten Aspekte erfuhren dabei im Einzelnen eine durchaus unter-schiedliche Bewertung durch die Beteiligten im G-BA. Auch die ursprünglich eingebrach-ten Beschlussvorschläge sind als Ausdruck dieser Kontroverse anzusehen. Zentraler Punkt war letztlich die Frage, ab welchem Wagner-Stadium eine Anwendung der HBO im Rahmen der Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV angemessen ist. Unstrittig und damit Grundlage für den getroffenen Beschluss war, dass als Voraussetzung für die adju-vante HBO-Anwendung ein Erkrankungszustand, der eine stationäre Behandlung erfor¬dert, vorliegen müsse, insbesondere chirurgische Revaskularisationsmaßnahmen ausge-schöpft sind und keine weiteren Heilungstendenzen erkennbar sind. Diese Kriterien wer-den in der Regel von Patienten mit DFS Wagner-Stadium ) II erfüllt. Weiterhin war von Bedeutung, dass in der für den deutschen Versorgungskontext bedeutenden Leitlinie der DDG zum diabetischen Fußsyndrom für die HBO keine expliziten Empfehlungen abgege-ben werden, die HBO in der Leitlinien-Kurzfassung ("Praxisleitlinie") nicht aufgeführt ist und der G-BA die etablierten Verfahren für die Versorgung von DFS im Stadium Wagner II in diesem Zusammenhang als ausreichend ansieht. Zusammenfassend ist daher aus Sicht des G-BA eine Erforderlichkeit der HBO-Therapie im Sinne des § 137c SGB V bezo-gen auf die Stadien Wagner &8804; II nicht gegeben. Ergänzend ist anzumerken, dass der G-BA sich mit dieser Entscheidung im Rahmen vergleichbarer Entscheidungen in anderen Gesundheitssystemen bewegt. So hat beispielsweise auch das Center for Medicare & Me-dicaid Services (CMS) in den USA entschieden, die Kosten für die Behandlung des diabet-ischen Fußsyndroms mit HBO erst ab Wagner-Stadium III (ebenfalls geknüpft an Krite¬rien) zu tragen."
All dies belegt, dass sich der G-BA intensiv mit der Thematik der HBO befasst und seine Ent¬scheidung für einen begrenzten Nichtausschluss - das beinhaltet keine positive Zulas¬sung - dieser Behandlungsmethode für den statio¬nären Bereich nach Abwägen des Für und Wider ausführlich begründet hat. Der G-BA hat sich auch nach dem Beschluss vom 13.03.2008 wieder mit der HBO befasst. Durch Be¬schlüsse vom 17.09.2009 hat er die HBO für zwei weitere Krankheitsbil¬der von der Versor¬gung der GKV im Rahmen von Kran¬kenhausbehandlung ausgeschlos¬sen. Ein Systemver¬sagen in Bezug auf die (Nicht-)Aner¬kennung der HBO in der vertragsärztlichen - ambulan¬ten und stationären - Versorgung liegt nicht vor.
Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Krankheitssituation unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtli¬chen Rechtsprechung. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard ent¬sprechende Behand¬lung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärzt¬lich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwir¬kung auf den Krank-heitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rah¬men der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt ober sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. &61485; Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. &61485; Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der HBO-Behandlungen nicht erfüllt. Es lag bei ihr keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Aller¬dings drohte die Amputation eines Fußes. Auch wenn eine Amputation eine die Le-bensqualität erheblich einschränkende Maßnahme gewesen wäre, ist dies jedoch noch nicht mit dem Ausnahmekriterium einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich ver-laufenden Erkrankung gleichzusetzen.
Unabhängig davon fehlt es aber auch an der zweiten vom BVerfG geforderten Vorausset¬zung. Denn es besteht zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms eine Standardthe¬rapie in Form eines multimodalen Therapiekonzep¬tes mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Ge¬webeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druckentlastung, Infektionsbehand¬lung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die voll¬ständige Wundheilung mit Vermei¬dung einer Amputation. Beim Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich (nur) um eine ergänzende therapeuti¬sche Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimo¬dalen Therapie (vgl. hierzu die tragenden Gründe des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008).
In diesem Sinne hat die Kammer bereits durch Urteil vom 29.09.2009 (S 13 KR 125/09) in einem vergleichbaren Fall entschieden. Das LSG NRW hat diese Entscheidung durch Urteil vom 06.10.2011 (L 1 [16] KR 207/09) bestätigt. Die Revision dagegen ist bei BSG unter dem Aktenzeichen B 1 KR 44/12 anhängig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 GG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer ambulanten Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff (HBO) vom 23.01. bis 18.02.2012 in Höhe von 3.885,80 EUR.
Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einem diabetischem Fußsyndrom (Stadium Wagner III-IV). Am 19.01.2012 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer ambulanten HBO-Behandlung. Sie legte hierzu einen Kostenvoranschlag des HBO-Zentrums Euregio Aachen vom 13.01.2012 vor, in dem die Kosten für 25 Behandlungen mit insgesamt 4.369,52 EUR veranschlagt worden waren.
Ausweislich eines in der Verwaltungsakte der Beklagten auf dem Antragsschreiben vom 16.01.2012 aufgebrachten handschriftlichen Vermerks lehnte die Beklagte den Antrag mündlich am 19.01.2012, dem Tag des Eingangs, ab. Sodann lehnte sie die Kostenübernahme auch durch schriftlichen Bescheid vom 27.01.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, die HBO-Behandlung sei mangels ausreichender medizinisch-wissenschaftlicher Aussagefähigkeit bzw. Wirksamkeitsbelege vom zuständigen Ausschuss nicht anerkannt und damit als Kassenleistung ausgeschlossen.
Dagegen erhob die Klägerin am 02.02.2012 Widerspruch. Sie hielt die Ablehnungsbegründung für nicht richtig; der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte und Krankenkassen habe mit Beschluss vom 13.03.2008 die HBO-Therapie bei der Indikation "diabetischer Fuß Wagner III" aufgrund der vorliegenden Studien und des wissenschaftlich nachprüfbaren Behandlungserfolges empfohlen.
Vom 23.01. bis 18.02.2012 erhielt die Klägerin in vier Behandlungsabschnitten 20 ambulante HBO-Behandlungen im HBO-Zentrum Euregio Aachen. Die Behandlungen wurden durch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte erbracht. Das HBO-Zentrum stellte der Klägerin mit (privatärztlicher) Rechnung vom 24.02.2012 einen Pauschalpreis von 3.885,80 EUR in Rechnung. Die Klägerin beglich die Rechnung am 08.03.2012.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28.03.2012 zurück mit der Begründung, die (alleinige) HBO-Behandlung sei als ambulante Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch die geltenden Richtlinien des G-BA (Anlage II der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) ausgeschlossen.
Dagegen hat die Klägerin am 25.04.2012 Klage erhoben. Sie räumt ein, der Gesundheitszustand vor der HBO-Behandlung sei zwar schwerwiegend gewesen, habe jedoch keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit begründet. Auch wenn der G-BA die HBO-Therapie in der ambulanten Versorgung als Leistung der GKV allgemein ausgeschlossen habe, sei sie doch durch Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 bei der Indikation des diabetischen Fußsyndroms im Stadium Wagner III und IV als GKV-Leistung anerkannt. Die Klägerin meint, diese Feststellung müsse sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich gelten. Desweiteren ist sie der Auffassung, dass der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der – ggf. fehlenden – Anerkennung der HBO-Therapie durch den G-BA auch deshalb bestehe, weil eine fehlende Anerkennung auf einen Mangel im gesetzlichen Leistungssystem zurückzuführen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.01.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2012 zu verurteilen, ihr die Kosten für die ambulante hyperbare Sauerstoff-Therapie im HBO-Zentrum Euregio Aachen in der Zeit vom 23.01. bis 18.02.2012 in Höhe von 3.885,80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozi¬algerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die von ihr selbst beschafften hyperbaren Sauerstofftherapien.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten bzw. für die Freistellung von entsprechen¬den Kostenforderungen für die in der Zeit vom 23.01. bis 18.02.2012 durchgeführten 20 HBO-Behandlungen ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozi-algesetzbuch (SGB V). Der in Betracht kommende Kostenerstattungs-/Kostenfreistel-lungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, wel-che die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen ha¬ben (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 11/03 R = SozR 4-2500 § 27a Nr. 1; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Diese Voraus-setzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Be-handlung bei der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch unter¬liegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkun¬gen. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie hier - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Kran¬kenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsme¬thoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Me¬thode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsme¬thoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).
Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie handelt es sich um eine neue Behandlungsmetho¬de i.S.v. §§ 92 Abs. 1, 135 SGB V, die ambulant nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen gewesen wäre, wenn bereits zum Zeitpunkt der Be¬handlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorgelegen hätte. Hieran fehlt es hier. Aufgrund der "Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersu¬chungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung" gehört die hyperb¬are Sauerstofftherapie vielmehr zu den Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistun¬gen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen (Anlage II Nr. 16). Die hyperba¬re Sauerstofftherapie kann mithin grundsätzlich nicht als ambulante ärztliche Leis¬tung der gesetzlichen Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Unabhängig von diesem Richtlinienausschluss der Leistung steht dem Anspruch der Klägerin entgegen, dass die HBO-Behandlung von nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten er¬bracht worden ist.
Ein Kostenerstattungs-/Kostenfreistellungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des sog. Systemversagens. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzu¬führen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Über¬prüfung notwendi¬gen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitge¬recht durchgeführt wurde. Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist nicht ersicht¬lich, dass das einschlägige Prüf- und Bewertungsverfahren von den Krankenkassen oder dem Bundesausschuss in zurechenbarer Weise unzulässig verzögert oder verhindert wor¬den ist. Der G-BA hat sich seit (mindestens) 2001 wiederholt und die eigenen Beschlüsse überprüfend mit der HBO befasst. Bis 2008 war diese Behandlungsmethode nicht nur für den ambulanten, sondern weitgehend auch für den stationären Bereich (vgl. die "Richtli¬nie des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus" , § 4 Ziffer 2.1 bis 2.5 (bei Myokardinfarkt, Erstmanifestation eines Neuroblastoms im Stadium IV, Weitwinkelglaukom, Morbus Perthes und Schädelhirntrauma) als Leistung der GKV ausgeschlossen. Durch den Beschluss des G-BA vom 13.03.2008 wurde unter Ziffer 2.6 auch die HBO beim diabetischen Fußsyndrom als alleinige Therapie oder in Kombination von der Versorgung der GKV ausgeschlossen; lediglich die adjuvante Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium Wag¬ner ab III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie blieb von diesem Ausschluss unberührt. In der Begründung des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008 heißt es im Abschnitt 2: "Die ... Entscheidung zu der Frage, ob die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) für eine ausreichende, zweck¬mäßige und wirtschaftliche Ver¬sorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Rahmen einer Krankenh¬ausbehandlung erforderlich ist, beruht im Rahmen der durchgeführten Gesamtabwägung insbesondere auf folgenden Aspekten:
Zu den unerwünschten Folgen des Diabetes mellitus zählen u. a. pathologische Veränderungen an der unteren Extremität, hier insbesondere das diabetische Fuß-syndrom. Die Prävalenz des diabetischen Fußulkus beträgt in der diabetischen Be-völkerung in verschiedenen Ländern zwischen 2 bis 10 %. Eine entsprechende jährliche Inzidenz von 2,2 bis 5,9 % wurde berichtet. In Deutschland werden ca. 70 % aller Amputationen bei Diabetikern durchgeführt.
Die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms besteht in einem multimodalen Therapiekonzept mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Gewebeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druck-entlastung, Infektionsbehandlung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die vollständige Wundheilung mit Vermeidung einer Amputation.
Bei Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich um eine ergänzende therapeuti¬sche Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimodalen Therapie. HBO wird definiert als Atmung von 100 % Sauerstoff bei erhöhtem Umgebungsdruck. Bisher wird die HBO von spezialisierten Zentren zur Behandlung von Patien¬ten mit DFS angewandt, wenn diese auf konventionelle Maßnahmen therapiere¬fraktär sind oder durch die Schwere der Erkrankung (ab Wagner-Grad III) eine Be¬drohung der Extremität besteht. Die HBO wird bei Vorliegen bestimmter Randbe¬dingungen als adjuvante Maßnahme bei Fortführung der Basistherapie angewen¬det. Ziel der HBO ist dann bei auf sonstige Maßnahmen therapierefraktären Wun¬den eine Besserung bis Abheilung, ggf. die Verhinderung einer Amputation oder zu¬mindest Verschiebung der Amputationsebene nach distal. Nebenwirkungen der HBO-Therapie werden selten berichtet.
Zur Bewertung des Nutzens der adjuvanten HBO-Therapie bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms wurden insgesamt 8 Primärstudien herangezogen, da¬von 4 kontrollierte randomisierte Vergleichsstudien (RCTs). Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle Studienergebnisse gleichgerichtet sind und positive Effekte der HBO darstellen. Der aussagekräftigste patientenrelevante Endpunkt ist in der Reduktion der Major-Amputationsrate durch die HBO-Therapie zu sehen. Für die¬sen Endpunkt liegt die höchste Ergebnissicherheit aus der metaanalytischen Aus¬wertung zu Gunsten der HBO-Therapie vor. Diese Auswertung aller relevanten Vergleichstudien mit Daten zur Major-Amputationsrate lässt eine relative Risikoredukti¬on von 36 % (95 % KI 22-59 %) durch die adjuvante HBO-Therapie annehmen, ohne Hinweise auf Heterogenität. Eine beschleunigte Wundheilung ist unter Be¬rücksichtigung der oben angeführten erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqua¬lität von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom ebenfalls als patientenrelevanter Endpunkt zu werten. Auch diesbezüglich sind die Ergebnisse der HBO positiv, je¬doch von geringerer Validität, da in den Studien nicht immer die vollständige Wundheilung als Endpunkt gewählt wurde.
Mit Blick auf die oben getroffenen Ausführungen, die hohe Relevanz der Erkran¬kung und das vermutliche Versorgungsdefizit bzgl. der Amputationsrate ist eine me¬dizinische Notwendigkeit dieser Therapieform unter bestimmten Umstän¬den anzun¬ehmen. Angesichts der dramatischen Konsequenzen einer Major-Ampu¬tation für die Patienten sollte die HBO-Therapie als eine mögliche zusätzliche therapeutis¬che Option gewertet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehr¬zahl der in den Studien behandelten Patienten entweder höhere Wundschweregra¬de (Wagner-Grad ) I) oder komplizierte Heilungsverläufe (Infektionszeichen, feh¬lende Heilungstendenz innerhalb von 30 Tagen) aufwiesen. Die Behandlung in der als aussage¬kräftigste identifizierten Studie von Faglia et al. 1996 erfolgte zudem nach einem in¬terdisziplinären Behandlungskonzept unter Einschluss konservativer und invasiver Diagnose- und Therapieverfahren. Die in dieser Studie festgestellte Senkung der Amputationsrate wurde ausschließlich in der Gruppe der Patienten mit Wagner Grad IV erzielt. Angesichts des erheblichen Aufwandes einer Druckkam¬mertherapie und der damit einhergehenden möglichen Belastungssituation für die Patienten er¬scheint diese Therapieform daher nur für das diabetische Fußsyndrom medizinisch notwendig, welches auf andere therapeutische Maßnahmen nicht aus-reichend an¬spricht und bei dem die Extremität gefährdet ist. In Anbetracht der Schwere dieser klinischen Verläufe erfolgt die Behandlung in der Regel im Rahmen eines statio-nären Aufenthalts.
Die Bewertung des Stellenwerts der HBO bei der Indikation diabetischer Fuß ist im deutschen Versorgungskontext komplex. So hat diese Bewertung den Schweregrad der Erkrankung ausreichend zu berücksichtigen. Die gegenwärtige Evidenz an großen Patientenzahlen belegt die Wirksamkeit hinsichtlich signifikanter Senkung der Major-Amputationsrate von Screening- und Frühbehandlungskonzepten in dia¬betischen Fußambulanzen in den niedrigen Krankheitsstadien Wagner I und II (Mc¬Cabe et al., 1998), wie sie inzwischen in Disease Management Programmen in Deutschland umgesetzt werden. Die Hinweise zur Wirksamkeit der HBO in diesen niedrigen Wagner-Stadien entstammen hingegen aus Studien mit sehr kleinen Fall¬zahlen, zu denen bisher keine neuen bestätigenden Studien mit ausreichender Fall¬zahl publiziert wurden. Angesichts der Häufigkeit dieses Krankheitsbildes, die Fol¬gestudien mit ausreichend hohen Patientenzahlen und von hoher Qualität grund¬sätzlich ermöglicht, bleibt die Notwendigkeit der HBO in diesen Krankheitsstadien des diabetischen Fußes nicht nur unbewiesen. Vielmehr ist zu befürchten, dass Pa¬tienten mit niedrigen Wagner-Stadien wirksame Screening- und Frühbehandlungskonzepte in der Hoffnung auf die Wirksamkeit der HBO vorenthalten bleiben. Des¬halb ist die Behandlung von Wagner-Graden I und II des diabetischen Fußsyn¬droms durch die HBO von der Erstattung durch die GKV auszuschließen.
Die Entscheidung des G-BA erfolgte nach insgesamt schwierigen und eingehenden Bera-tungen. Die oben aufgeführten Aspekte erfuhren dabei im Einzelnen eine durchaus unter-schiedliche Bewertung durch die Beteiligten im G-BA. Auch die ursprünglich eingebrach-ten Beschlussvorschläge sind als Ausdruck dieser Kontroverse anzusehen. Zentraler Punkt war letztlich die Frage, ab welchem Wagner-Stadium eine Anwendung der HBO im Rahmen der Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV angemessen ist. Unstrittig und damit Grundlage für den getroffenen Beschluss war, dass als Voraussetzung für die adju-vante HBO-Anwendung ein Erkrankungszustand, der eine stationäre Behandlung erfor¬dert, vorliegen müsse, insbesondere chirurgische Revaskularisationsmaßnahmen ausge-schöpft sind und keine weiteren Heilungstendenzen erkennbar sind. Diese Kriterien wer-den in der Regel von Patienten mit DFS Wagner-Stadium ) II erfüllt. Weiterhin war von Bedeutung, dass in der für den deutschen Versorgungskontext bedeutenden Leitlinie der DDG zum diabetischen Fußsyndrom für die HBO keine expliziten Empfehlungen abgege-ben werden, die HBO in der Leitlinien-Kurzfassung ("Praxisleitlinie") nicht aufgeführt ist und der G-BA die etablierten Verfahren für die Versorgung von DFS im Stadium Wagner II in diesem Zusammenhang als ausreichend ansieht. Zusammenfassend ist daher aus Sicht des G-BA eine Erforderlichkeit der HBO-Therapie im Sinne des § 137c SGB V bezo-gen auf die Stadien Wagner &8804; II nicht gegeben. Ergänzend ist anzumerken, dass der G-BA sich mit dieser Entscheidung im Rahmen vergleichbarer Entscheidungen in anderen Gesundheitssystemen bewegt. So hat beispielsweise auch das Center for Medicare & Me-dicaid Services (CMS) in den USA entschieden, die Kosten für die Behandlung des diabet-ischen Fußsyndroms mit HBO erst ab Wagner-Stadium III (ebenfalls geknüpft an Krite¬rien) zu tragen."
All dies belegt, dass sich der G-BA intensiv mit der Thematik der HBO befasst und seine Ent¬scheidung für einen begrenzten Nichtausschluss - das beinhaltet keine positive Zulas¬sung - dieser Behandlungsmethode für den statio¬nären Bereich nach Abwägen des Für und Wider ausführlich begründet hat. Der G-BA hat sich auch nach dem Beschluss vom 13.03.2008 wieder mit der HBO befasst. Durch Be¬schlüsse vom 17.09.2009 hat er die HBO für zwei weitere Krankheitsbil¬der von der Versor¬gung der GKV im Rahmen von Kran¬kenhausbehandlung ausgeschlos¬sen. Ein Systemver¬sagen in Bezug auf die (Nicht-)Aner¬kennung der HBO in der vertragsärztlichen - ambulan¬ten und stationären - Versorgung liegt nicht vor.
Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Krankheitssituation unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtli¬chen Rechtsprechung. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard ent¬sprechende Behand¬lung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärzt¬lich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwir¬kung auf den Krank-heitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rah¬men der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt ober sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. &61485; Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. &61485; Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der HBO-Behandlungen nicht erfüllt. Es lag bei ihr keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Aller¬dings drohte die Amputation eines Fußes. Auch wenn eine Amputation eine die Le-bensqualität erheblich einschränkende Maßnahme gewesen wäre, ist dies jedoch noch nicht mit dem Ausnahmekriterium einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich ver-laufenden Erkrankung gleichzusetzen.
Unabhängig davon fehlt es aber auch an der zweiten vom BVerfG geforderten Vorausset¬zung. Denn es besteht zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms eine Standardthe¬rapie in Form eines multimodalen Therapiekonzep¬tes mit den Komponenten Optimierung der Stoffwechseleinstellung, Debridement avitaler Ge¬webeanteile, ggf. (Teil-)Resektion von Fußknochen, Druckentlastung, Infektionsbehand¬lung, lokale Wundbehandlung und ggf. Revaskularisation. Ziel der Behandlung ist die voll¬ständige Wundheilung mit Vermei¬dung einer Amputation. Beim Einsatz der HBO handelt es sich grundsätzlich (nur) um eine ergänzende therapeuti¬sche Option (adjuvante Behandlung) zu der dargestellten multimo¬dalen Therapie (vgl. hierzu die tragenden Gründe des Beschlusses des G-BA vom 13.03.2008).
In diesem Sinne hat die Kammer bereits durch Urteil vom 29.09.2009 (S 13 KR 125/09) in einem vergleichbaren Fall entschieden. Das LSG NRW hat diese Entscheidung durch Urteil vom 06.10.2011 (L 1 [16] KR 207/09) bestätigt. Die Revision dagegen ist bei BSG unter dem Aktenzeichen B 1 KR 44/12 anhängig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 GG.
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