L 6 RA 6/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 RA 5444/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente.

Die im August 1923 geborene Klägerin heiratete im Februar 1946 den Versicherten P ... Beide Eheleute wanderten nach Kanada aus und erwarben die kanadische Staatsangehörigkeit. Mit Beschluss vom 26. September 1972 wurde der Klägerin durch den Provincial Court (Family Division) Province of Ontario eine monatliche Zahlung von 30 $ gegen den Versicherten zugesprochen. Am 19. August 1976 wurde die Ehe vom Suprime Court of Ontario rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsverfahren schlossen die Eheleute am 13. April 1976 eine Vereinbarung, in der die Klägerin auf Unterhalt (Ziffer 2 der Vereinbarung) und auf die Forderung von monatlichen Zahlungen in Höhe von 30 $ aus dem gerichtlichen Beschluss vom 26. September 1972 verzichtete (Ziffer 3). Als vollen Ausgleich für jegliche Forderung, Rechte, Zinsen und für die beiden Grundstücke zahlte die Klägerin an den Versicherten 5000 $. Eine neue Ehe gingen die Eheleute nicht ein.

Nach dem Tode des Versicherten im September 1994 in Kanada beantragte die in Kanada lebende Klägerin im Oktober 1994 bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Hierbei gab sie u.a. an, der Versicherte sei ihr nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen und habe im letzten Jahre vor dem Tode auch keinen Unterhalt gezahlt. Sie habe ausdrücklich nicht auf Unterhalt verzichtet und das Urteil habe keinen Schuldausspruch enthalten. Der Versicherte sei mit seinen Zahlungen immer im Rückstand gewesen. Für den gemeinsamen Sohn, der damals13 Jahre alt gewesen sei, habe er überhaupt nichts gezahlt, obwohl er vom Richter darauf hingewiesen worden sei. Der Versicherte sei Alkoholiker gewesen und die gemeinsamen Häuser seien wegen der Schulden verkauft worden. Vorhanden sei noch ein Haus sowie ein Farmgelände. Bei der Scheidungsverhandlung hätten sie sich darauf geeinigt, die beiden verbliebenen Grundstücke auf sie zu überschreiben und dem Versicherten dafür 5000 $ zu zahlen. In dem ihr verbliebenen Haus habe sie 10 Zimmer möbliert und vermietet. Von diesen Einnahmen habe sie gelebt.

Mit Bescheid vom 21. März 1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Sie führte hierzu aus: Zwar sei der Versicherte nach den vorliegenden Unterlagen grundsätzlich zur Unterhaltszahlung verpflichtet gewesen. Aufgrund der am 13. April 1976 getroffenen Vereinbarung habe die Klägerin jedoch auf sämtliche Unterhaltszahlungen verzichtet. Bei einem Unterhaltsverzicht bestehe kein Rentenanspruch. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, sie habe absolut nicht freiwillig auf monatliche Zahlungen verzichtet, sondern gezwungenermaßen deshalb, weil er vorher sehr mangelhaft an sie und an den Sohn gar nichts gezahlt habe. Der Widerspruch wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten mit Bescheid vom 9. Oktober 1996 zurückgewiesen. Aufgrund des Unterhaltsverzichts besteht grundsätzlich kein Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI). Ein Unterhaltsverzicht sei nur dann unschädlich, wenn nachgewiesen sei dass der Unterhaltsverzicht keine materiell-rechtliche Bedeutung erlangt und sich letztlich als “leere Hülse” erwiesen habe. Hiervon könne jedoch nicht ausgegangen werden, da die Klägerin aufgrund des Unterhaltsverzichts als materiellen Ausgleich zwei Grundstücke erhalten habe.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin erneut vorgetragen, sie habe nicht freiwillig auf monatliche Zahlungen verzichtet. Vor ihrer Scheidung hätte ihr der Versicherte an sie monatliche Raten als Unterhalt zahlen müssen, diese habe sie oft beim Familiengericht einklagen müssen, da die Zahlungen sehr unregelmäßig gekommen seien. Für den Sohn habe er nie gezahlt. Die zwei verschuldeten Grundstücke hätten damals schon zur Hälfte ihr gehört und seien nunmehr bei der Scheidung auf ihren Namen eingetragen worden.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19. Mai 1999 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen früheren Ehemannes zu, da ihr dieser weder im letzten Jahr vor seinem Tode regelmäßig Unterhalt gezahlt hat noch die Klägerin Anspruch auf eine Unterhaltszahlung aufgrund der Vereinbarung vom 13 April 1976 hatte. Diese lasse erkennen, dass mit der Immobilienübertragung ganz allgemein alle Unterhaltsansprüche der Klägerin abgegolten sein sollten. Dies werde auch aus den Erklärungen der Klägerin im Schreiben vom 26. Februar 1996 deutlich, wonach die Einigung über die Grundstücksübertragung getroffen worden sei, weil die Klägerin befürchtet habe, “immer und ewig auf die monatlichen Zahlungen warten zu müssen”. Damit sei also keine Unterhaltsvorausleistung für einen bestimmten Zeitraum, sondern eine Unterhaltsabfindung vereinbart worden. Dies habe das Stammrecht auf wiederkehrenden Unterhalt zum Erlöschen gebracht. Als einmalige Zuwendung könne die Immobilienübertragung im Jahre 1976 keine regelmäßigen Unterhaltsleistungen im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten seien. Durch den Verzicht habe die Klägerin auch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten keinen Anspruch auf Unterhalt gehabt. Der Verzicht habe nicht nur die der Klägerin zustehende monatliche Zahlung von 30 $ umfasst, sondern dadurch sei auch allgemein auf Unterhalt verzichtet worden. Der Verzicht sei auch nicht unbe-achtlich, er habe nicht den Tatbestand der “leeren Hülse” erfüllt. Ein solcher Fall liege schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin um Zeitpunkt der Scheidung ein vom Familiengericht festgestellten Unterhaltsanspruch besessen habe. Es habe im Übrigen auch nicht vernünftigerweise davon ausgegangen werden können, dass (auch) zukünftige Unterhaltsansprüche in rentenrechtlich relevanter Höhe nicht bestehen würden oder entstehen könnten, selbst wenn diese - nach Angaben der Klägerin in der Vergangenheit - mit gerichtlicher Hilfe hätte durchgesetzt werden müssen. Der Verzicht sei nicht nur deklaratorischer Natur gewesen, sondern habe einen festgestellten Unterhaltsanspruch wegfallen lassen und objektiv vernünftigerweise denkbare zukünftige Unterhaltsansprüche ausgeschlossen. Damit könne der Verzicht nicht ausnahmsweise unbeachtlich bleiben, sondern schließe einen Hinterbliebenenrentenanspruch auch nach § 243 Abs. 3 SGB VI aus.

Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Berufung weist die Klägerin erneut darauf hin, dass sie nicht freiwillig auf Zahlungen von Unterhalt verzichtet habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1996 zu verurteilen, ihr eine Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis zutreffend. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 21. März 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1996 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Geschiedenenwitwenrente.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente ist § 243 Abs. 2 und 3 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI). Danach ist u.a. Voraussetzung, dass der geschiedene Ehegatte im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten von diesem Unterhalt erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte (§ 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI). Keine dieser Alternativen liegt hier vor.

Bei der Beantwortung der Frage, ob die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten einen Unterhaltsanspruch hatte, ist kanadisches Recht anzuwenden. Aus § 18 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) ergibt sich, dass für die Unterhaltspflicht zwischen geschiedenen Ehegatten das auf die Ehescheidung angewandte Recht maßgebend ist. Da diese Vorschrift erst am 1. September 1986 in Kraft getreten ist (Art. 7 § 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986) ist sie daher im vorliegenden Fall wegen der Scheidung im Jahr 1976 hier nicht anwendbar. Die vorliegende Lehre und Rechtsprechung entwickelte Grundlage für die Anwendung des deutsch-internationalen Privatrechts bei Unterhaltsforderungen zwischen geschiedenen Ehegatten führt jedoch zu demselben Ergebnis. Nach den dabei entwickelten Grundsätzen ist Grundlage für die Beurteilung des Unterhaltsanspruch das Scheidungsstatut (Art. 17 EGBGB a.F.). Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehegatten richtet sich in entsprechender Anwendung der genannten Norm nach dem für die Scheidung gültigen Recht (so Urteil des BSG in Sozialrecht 2200 § 1265 RVO Nr. 88 unter Hinweis auf Nr. 48). Da beide Eheleute die kanadische Staatsangehörigkeit besaßen, in Kanada wohnten und dort 1976 geschieden wurden, ist in entsprechender Anwendung des Art. 17 EGBGB das kanadische Ehestatut anwendbar. Nach diesem kann das zuständige Gericht des Scheidungsverfahrens Unterhaltsentscheidungen auf Antrag eines oder beider Ehegatten für die Vergangenheit und Zukunft ändern, aufheben oder aussetzen. Es kann jede (nach diesem Gesetz) mögliche Entscheidung in der Abänderungsentscheidung treffen (vgl. Bergmann/Ferdt, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht - Bd. VII- Kanada S. 37 Nr. 17 (1) (3)). Aufgrund dessen haben die Klägerin und der Versicherte am 13. April 1976 beim Scheidungsgericht - dem Suprime Courtod Ontario - vereinbart, dass die Klägerin auf jegliche Forderung von Unterhalt verzichtet, einschließlich den ihr durch den gerichtlichen Beschluss vom 26. September 1972 gegen den Versicherten zustehenden monatlichen Unterhalt von 30 $. Gleichzeitig wurde der Klägerin das Haus, Grundstück und das Farmgrundstück gegen eine Zahlung von 5000 $ an den Versicherten übertragen. Aufgrund dieser Vereinbarung stand der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (Oktober 1993 bis September 1994) kein Unterhaltsanspruch zu, da sie ihren umfassend auf Unterhalt gerade für die Zukunft verzichtet hatte. Der Einschluss des der Klägerin aufgrund der Vereinbarung vom 26. September 1972 zustehenden Unterhalts in Höhe von monatlich 30 $, die Übertragung der beiden Grundstücke gegen eine Zahlung von 5000 $ durch die Klägerin an den Versicherten “als vollen Ausgleich für jegliche Forderungen, Rechte Zinsen usw.” zeigen, dass hierdurch eine umfassende Vereinbarung anlässlich der Scheidung einschließlich ihrer gegenseitigen Forderungen auch von Unterhaltsforderungen geschlossen wurde. Dieser umfassende wirksame Unterhaltsverzicht schließt den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente aus.

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verzicht aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten wirtschaftlichen Gründen nur deklaratorischen Charakter gehabt habe, dass heißt eine “leere Hülse” ohne rechtliche und wirtschaftliche Substanz gewesen sei. Eine “leere Hülse” ist nämlich nur dann anzunehmen, wenn der Versicherte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode nicht zur Zahlung eines rentenrechtlich relevanten Unterhalts an die frühere Ehefrau verpflichtet war, zur Zeit der Scheidung ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch nicht bestand und nach den bei Abschluss des Unterhaltsverzicht gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise auch in der Zukunft nicht mit dem Entstehen von rentenrechtlich-relevanten Unterhaltsansprüchen der früheren Ehefrau gerechnet werden konnte (vgl. BSG in Sozialrecht 3-2200 § 1265 Nr. 9, 12). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, hat die im Zeitpunkt der Scheidung aufgrund des am 13. April 1976 zwischen den Eheleuten geschlossenen Vergleich keine “leere Hülse” vorgelegen. So hat - wie bereits oben ausgeführt - die Klägerin auf den gegen den Versicherten bestehenden Unterhaltsanspruch von monatlich 30 $ verzichtet und gegen Zahlung von 5000 $ die beiden Grundstücke übertragen erhalten. Gerade die Zahlung von 5000 $ zum Ausgleich für die Eigentumsübertragung an den beiden Grundstücken zeigt, dass keine “leere Hülse” vorgelegen hat. Unerheblich ist hierbei, welche Motive die Klägerin seinerzeit zum Unterhaltsverzicht bestimmt haben mögen. Wenn die Klägerin behauptet, sie habe nicht “freiwillig” auf Unterhalt verzichtet, sondern gezwungenermaßen, da der Versicherte “auch vorher sehr mangelhaft an mich” und für unseren Sohn gar nichts gezahlt hat (Schreiben vom 3. Mai 1996). So zeigen doch die Unterhaltszahlungen - wenn auch mangelhaft - an die Klägerin, dass der Versicherte seinen Unterhaltspflicht aufgrund des gerichtlichen Beschlusses des Provincial Court vom 26. September 1972 nachgekommen ist. Wenn nunmehr die Klägerin im Scheidungsverfahren auf diese monatlichen Unterhaltszahlungen verzichtet und keine weiteren Unterhaltsansprüche gegen den Versicherten stellt, dann hat es sich um keine “leere Hülse” gehandelt. Sie muss sich heute an diesem Verzicht in renten-rechtlicher Hinsicht festhalten lassen.

Die Klägerin hat auch im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten von diesem keinen Unterhalt erhalten, wie sich aus den Angaben der Klägerin in der Anlage vom 4. Februar 1995 zum Rentenantrag ergibt. Zutreffend hat das Sozialgericht auch ausgeführt, dass die Mieteinnahmen des ihr aufgrund der Vereinbarung vom 13. April 1976 anlässlich der Scheidung übertragenen Hauses nicht als eine Unterhaltszahlung für den maßgebenden Zeitraum vor dem Tode des Versicherten angesehen werden kann. Die Klägerin hat weder vorgetragen noch ist aus dieser Vereinbarung zu entnehmen, dass diese Übertragung des Hauses als “Unterhaltsvorausleistung” für einen bestimmten Zeitraum gedacht war. Die jetzt von der Klägerin vorgetragenen Mieteinnahmen durch das Hausgrundstück sind nur eine Folge aufgrund der Klägerin allein zustehenden Hausgrundstücks, sie war jedoch nicht Grundlage der Vereinbarung und könne somit auch nicht als sogenannte Unterhaltszahlung für den letzten Jahreszeitraum vor dem Tode des Versicherten angesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 abs. 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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