L 5 SB 249/09

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 4 SB 475/08
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 5 SB 249/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 25. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Entziehung des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit) durch den Beklagten.

Die am 24. Dezember 1987 geborene Klägerin leidet an Mukoviszidose.

Auf ihren Antrag stellte das seinerzeit zuständige Versorgungsamt mit Bescheid vom 05. Mai 1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "G" fest. Mit Bescheid vom 28. März 2007 (Bl. 105 ff. d. VwA) wurde der Ausgangsbescheid insoweit aufgehoben, als nunmehr festgestellt wurde, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr vorliegen. Hilflosigkeit sei nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Klägerin nicht mehr gegeben. Der Widerspruch der Klägerin vom 24. April 2007 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04. Januar 2008 zurückgewiesen. Das erstinstanzliche Klageverfahren blieb erfolglos, das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2009 abgewiesen. Gegen den der Klägerin am 12. März 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. März 2009 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt.

Sie vertritt die Auffassung, dass das Merkzeichen "H" ihr weiterhin zustehe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 25. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Januar 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Die Klage war zunächst gegen den Freistaat Thüringen - Versorgungsamt - gerichtet. Mit Wirkung vom 01. Mai 2008 wurden die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig für das Schwerbehindertenfeststellungsverfahren. Der nunmehr beklagte Landkreis ist daraufhin in das Verfahren eingetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 143, 144 SGG) und insgesamt zulässig.

Richtiger Beklagter ist nach der Übertragung der Zuständigkeit für das Schwerbehindertenfeststellungsverfahren auf die Landkreise und kreisfreien Städte der Wartburgkreis.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest.

Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 der Vorschrift. Demgemäß entscheiden diese Behörden auch darüber, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Merkmale für das zuerkannte Merkzeichen "H" weiterhin vorliegen.

Nach Satz 7 der Vorschrift kann die Zuständigkeit durch Landesrecht abweichend von Satz 1 geregelt werden. Hiervon hat der Freistaat Thüringen mit Art. 9 des Thüringer Haushaltsbegleitgesetzes vom 20. Dezember 2007 (GVBl. S. 267) i.V.m. dem Thüringer Gesetz zur Übertragung der Zuständigkeit für das Schwerbehindertenfeststellungsverfahren (SchwbFVfZustG TH) Gebrauch gemacht und ab 01. Mai 2008 die Landkreise und kreisfreien Städte zu den nach § 69 SGB IX zuständigen Behörden bestimmt.

Bedenken gegen die Auflösung der (herkömmlichen) Verbindung der Aufgaben nach dem SGB IX und dem BVG bestehen nicht. Die Vorschrift des § 69 Abs. 1 Satz 7 SGB IX wurde auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses des Deutschen Bundestages ausdrücklich mit der Begründung in das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (vom 23. April 2004, BGBl. I S. 606) aufgenommen, dass diese Verbindung nicht zwingend und auch eine Zuständigkeitsregelung durch den Bundesgesetzgeber nicht erforderlich sei (vgl. BT-Drucksache 15/2557 S. 2; 15/2830 S. 2). Einschränkungen wurden nicht normiert. Insbesondere steht den Ländern auch die Übertragung von Aufgaben auf die kommunale Ebene frei (vgl. Bundessozialgericht -BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008, Az.: B 9 VS 1/08 R).

Örtlich zuständig ist der W ... Nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX ist das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Anwendung findet. Nach § 3 Abs. 1 KOV-VfG ist die Verwaltungsbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, somit hier der Wartburgkreis. Vorrangige Bestimmungen des SGB X greifen insoweit nicht ein.

Der Wechsel der Verwaltungszuständigkeit führt in anhängigen Streitverfahren zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes (vgl. BSG, Urteil vom 05. Juli 2007, Az.: B 9/9a SB 2/07 R).

Die Neuregelung verstößt auch nicht gegen § 71 Abs. 5 SGG, wenn dort normiert ist, dass das Land in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten wird. Das Land - hier der Freistaat Thüringen - ist nicht mehr Beteiligter des Verfahrens; auf seine Vertretung kommt es daher nicht an. Die Prozessfähigkeit des nunmehr beklagten Landkreises richtet sich nach § 71 Abs. 3 SGG. Für rechtsfähige und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen sowie für Behörden handeln danach ihre gesetzlichen Vertreter und Vorstände. Der Landkreis wird nach § 109 Abs. 1 der Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung - ThürKO - in der Fassung vom 28. Januar 2003) durch den Landrat vertreten.

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die auf Aufhebung der Bescheide gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zu Recht hat der Beklagte den Bescheid vom 05. Mai 1992 insoweit aufgehoben, als in diesem die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs festgestellt wurden. Das Merkzeichen "H" steht der Klägerin ab Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr zu.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Begründetheit der gegen die teilweise Aufhebung des Verwaltungsaktes erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG) beurteilt sich nach dem Zeitpunkt des Abschluss des Verwaltungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, Az.: B 9 SB 4/02 R), mithin dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 04. Januar 2008.

Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos i.S.d. § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S., 1739), die zuletzt durch Artikel 20 Absatz 8 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert wurde). Nach § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG in der ab 29. Dezember 2007 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Nach Satz 4 sind diese Voraussetzungen auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.

Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit i.S.d. §§ 14 und 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) angelehnt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, Az.: B 9 SB 4/02).

Er wollte vielmehr deutlich machen, dass die steuerrechtlich und versorgungsrechtlich bedeutsame Hilflosigkeit von der versicherungs- und sozialhilferechtlich bedeutsamen Pflegebedürftigkeit unabhängig bleibt (vgl. dazu näher a.a.O.).

Bei den gemäß § 33b Abs 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (vgl. dazu auch Bürck, ZfS 1998, 97, 100). Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 4 Abs 1 Satz 1, § 15 Abs 3 SGB XI; § 37 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V); zur Erläuterung: Höfler in Kasseler Komm § 37 SGB V Rn. 22 m.w.N.). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSGE 72, 285, ähnlich auch Teil A Nr. 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. zuvor Nr. 21 Abs 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG, hrsg. vom BMA, 2008 -AHP 2008): Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (vgl. z.B. zu § 35 BVG: BSG, Urteil vom 02. Juli 1997, SozR 3-3100 § 35 Nr. 6).

Was das Ausmaß des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs anbelangt, ist von folgenden Grundsätzen auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002, Az.: B 9 V 3/01 R): Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen (vgl. BSG SozR 3-3100 § 35 Nr. 6; Urteil vom 02. Juli 1997, Az.: 9 RVs 9/96; vgl. auch BT-Drucks 12/5262 S 164). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein.

Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB XI) hält es das Bundessozialgericht für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Dazu hat es bereits entschieden, dass nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (vgl. BSGE 67, 204, 207; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 12; BSG SozR 3-3100 § 35 Nr. 6; BSG, Urteil vom 10. September 1997 Az.: 9 RV 8/96). Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr sieht der Senat einen täglichen Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich an, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht. Diese Grenzziehung soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen (vgl. dazu auch das Rundschreiben des BMA vom 31. August 1998, Az. VI 5-55463-5/1 -55492-); sie ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit (vgl. §§ 14, 15 SGB XI) und der Hilflosigkeit (vgl. § 35 BVG, § 33b EStG) nicht völlig übereinstimmen (vgl. dazu BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 12), können im vorliegenden Zusammenhang die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Immerhin decken sich die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereiche insoweit, als es die sog Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) betrifft. Im Rahmen der § 33b EStG (bzw. § 35 BVG) sind - wie oben gezeigt - zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und - ebenfalls anders als grundsätzlich in der Pflegeversicherung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8) - Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (vgl. § 15 Abs 3 Nr. 2 SGB XI).

Ein weiteres Argument für eine solche Grenzziehung lässt sich aus § 33b EStG selbst gewinnen. Die Höhe des durch diese Vorschrift dem steuerpflichtigen behinderten Menschen gewährten Pauschbetrages von DM 7.200,00 bzw. EUR 3.700,00 hebt sich außerordentlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem GdB von 100 zusteht (EUR 1.420,00 bzw. DM2.760,00). Dieser Begünstigungssprung ist nur bei Erforderlichkeit zeitaufwändiger und deshalb entsprechend teurer Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. Eine entsprechende Tendenz ergibt sich auch aus § 65 Abs 2 Satz 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung 2000 (BGBl I, 717), wonach der Nachweis von Hilflosigkeit nicht nur durch einen Schwerbehindertenausweis mit eingetragenem Merkzeichen "H" erbracht werden kann, sondern auch durch die Einstufung als Schwerstpflegebedürftiger in Pflegestufe III nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI. Da diese Vorschrift lediglich alternative Nachweismöglichkeiten für Leistungen eröffnet, zwingt sie nicht dazu, den für die Bejahung von Hilflosigkeit erforderlichen Zeitaufwand mit mehr als zwei Stunden anzusetzen.

Um den individuellen Verhältnissen des behinderten Menschen hinreichend Rechnung tragen zu können, erscheint es geboten, bei der Beurteilung von Hilflosigkeit nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen. Vielmehr kommt dabei auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden. Dieser Umstand rechtfertigt es, Hilflosigkeit im hier geforderten Sinne bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 12. Februar 2003, Az.: B 9 SB 1/02 R).

Gemessen an diesen Kriterien i.S.d. § 33b EStG ist nicht erkennbar, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hilflos war.

Aus dem Entlassungsbericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jena vom 11. April 2007 (Bl. 32 f. d.A.) über einen tagesstationären Aufenthalt der Klägerin am 19. Januar 2007 geht hervor, dass die Klägerin zu dieser Zeit eine Berufsschule in Mühlhausen besuchte und dort eine Ausbildung zur PTA absolvierte. Sie litt an Atemnot und starkem Husten, angesichts der Lungenfunktion war eine konsequente CF-Therapie dringend notwendig, um die Lungendestruktion zu vermeiden. Die Klägerin war jedoch recht konsequent und engagiert. Die Notwendigkeit dauernder fremder Hilfe für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages lässt sich aus dem Bericht nicht entnehmen.

Dies gilt auch für den Bericht vom 21. Mai 2008 über eine tagesstationäre Betreuung der Klägerin am 29. April 2008 in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jena. Danach leidet die Klägerin an mäßig fortgeschrittener Mukoviszidose. Die Lungenfunktion hat im letzten Jahr eine leichte Stabilisierung gezeigt. Die Klägerin berichtete, dass es ihr insgesamt recht gut gehe. Sie strebte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in einem Spielzeuggeschäft in Heimatnähe an. Auch hier ist nicht die Rede davon, dass die Klägerin dauernd auf fremde Hilfe angewiesen war.

Auch eine Notwendigkeit ständiger Bereitschaft zur Hilfeleistung, etwa wegen akuter lebensbedrohlicher Situationen lässt sich den Berichten nicht entnehmen.

Aufforderungen des Senats, zu diesen Punkten vorzutragen, hat die Klägerin nicht beantwortet. Auf die Anfrage des Sozialgerichts hat sie lediglich auf das Fortschreiten der Erkrankung hingewiesen. Das Fortschreiten der Erkrankung alleine rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass Hilflosigkeit vorliegt.

Dass die Klägerin infolge Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung die regelmäßigen Verrichtungen nicht vornimmt und deshalb ständiger Hilfe bedarf (so noch Nr. 21 Abs. 2 AHP 2008), ist ebenfalls nicht erkennbar.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin an einer chronisch progressiven, lebensbegrenzenden und die Lebensqualität in erheblichem Maße einschränkenden Erkrankung leidet. Gleichwohl sieht sich der Senat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben gehindert, bezogen auf die hier maßgeblichen Umstände im Januar 2008 die für die Beibehaltung des Merkzeichens "H" erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen bei der Klägerin festzustellen.

Der Beklagte war auch nicht deshalb gehindert, den Nachteilsausgleich H wegen Vollendung des 18. Lebensjahres zu entziehen, weil der 1992 ergangene Erstbescheid das Alter der Klägerin als maßgeblichen Gesichtspunkt nicht ausdrücklich genannt hatte. Es trifft nicht zu, dass ein Bescheid nach § 48 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse nur geändert werden kann, wenn dem Betroffenen die Bedeutung dieser Verhältnisse für den Erstbescheid bekannt war. Durch § 48 SGB X wird das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand einer einmal getroffenen Regelung geschützt, bis sich die Verhältnisse ändern, auf denen diese Regelung beruht. Welche Verhältnisse dem Erstbescheid zugrunde gelegen haben, hängt nicht von den Vorstellungen der Verwaltung ab, ergibt sich auch nicht aus der Begründung des Bescheides, sondern wird vom Gesetz bestimmt (BSG, Urteil vom 12. November 1996, Az.: 9 RVs 18/94).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved