Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 36 VJ 1823/06
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 5 VJ 715/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 07. April 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens.
Die am 18. Januar 1956 geborene Klägerin wurde am 27. (24.) Januar 1956 gegen Tuberkulose mit dem Lebendimpfstoff BCG geimpft.
Kurze Zeit später, der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt, entwickelte sich bei ihr eine Osteomyelitis an beiden Oberarmen und am rechten Oberschenkel.
Am 03. Oktober 1969 beantragte die Mutter der Klägerin beim seinerzeit zuständigen Rat des Kreises R. die Anerkennung als Beschädigte (Bl. 84 f. d.A.). Wegen der Erkrankung wurde die Klägerin in der Folgezeit häufig stationär behandelt, seit 1977 ist sie invalidisiert. Ihr wurden mit Bescheiden des Versorgungsamtes G. vom 25. September 1992 und vom 21. November 2002 ein GdB sowie die Merkzeichen "B", "G" und "aG" zuerkannt.
Am 26. Januar 2005 beantragte sie beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt des Beklagten (künftig: Beklagter) Beschädigtenversorgung. Der Beklagte holte verschiedene Befundberichte und Atteste ein, wobei der früheste Bericht aus der Zeit Anfang Mai 1957 stammt (Bl. 30 d. VwA). Frühere Unterlagen sind nicht mehr auffindbar.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Oktober 2005 ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2006 zurückgewiesen. Gegen den am 12. Mai 2006 abgesandten Bescheid erhob die Klägerin am 15. Juni 2006 Klage zum Sozialgericht. Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens legte die Klägerin den Impfschein über die angeschuldigte Impfung vor.
Das Sozialgericht hat am 07. April 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift erteilte der Vorsitzende folgenden Hinweis: "Nachdem nunmehr unstreitig ist, dass bei der Klägerin im Januar 1956, also kurz nach ihrer Geburt, eine BCG-Impfung stattgefunden hat, wäre auch nach Auffassung des Beklagtenvertreters die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und Schädigungsfolge dann gegeben, wenn erste Krankheitssymptome nach Ablauf der Inkubationszeit (nach Auffassung des Beklagten mindestens vierzehn Tage) aufgetreten wären.".
Der Beklagtenvertreter hat im Termin geäußert, dass selbstverständlich bei einem Ablauf von 1956 bis 2009 heute von der Mutter der Klägerin keine genauen Angaben mehr zu erwarten seien. Deshalb sehe er die Angabe der Mutter im Jahre 1959 (vierzehn Tage) sehr wohl als die Erinnerungsnächste an, die damalige Zeitangabe der Mutter sei aber nicht als absolute Begrenzung auf vierzehn Tage anzusehen. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er aufgrund der nicht eindeutigen Beweislage weiter die Auffassung vertrete, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe und beantragte sodann, die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 07. April 2009 entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Gewährung von Beschädigtenversorgung verurteilt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Impfung sei nachgewiesen, die Kausalität der Impfung für die Gesundheitsschäden der Klägerin sei überwiegend wahrscheinlich.
Gegen das am 23. Juli 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. August 2009 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung des Beklagten, mit der dieser die Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung ist ausgeführt, der erforderliche Erregernachweis liege nicht vor. Die klinischen Zeichen sowie die deutlich zu geringe Inkubationszeit schlössen einen Ursachenzusammenhang aus. Auch das gute Ansprechen der Klägerin auf die Behandlung mit Antibiotika spreche für einen anderen Erreger.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 07. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts und vertritt die Auffassung, der Beklagte habe im Termin vor dem Sozialgericht die zeitliche Komponente bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Impfung und der Schädigungsfolge anerkannt. In der Berufungsinstanz sei keine davon abweichende Beurteilung zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Behandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagen zur Anerkennung der Osteomyelitis als Schädigungsfolge und zur Gewährung von Beschädigtenversorgung verurteilt. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die angeschuldigte Impfung wurde vor dem 03. Oktober 1990 in dem in Art. 1 des Einigungsvertrages (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - EinigVertr - vom 31. August 1990, BGBl. II, S. 889, in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juni 2011, BGBl I, S. 1114) genannten Gebiet durchgeführt.
Die Versorgungsansprüche aufgrund einer Impfung im Beitrittsgebiet richteten sich bis zum 31. Dezember 1999 nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten - Bundesseuchengesetz (BSeuchG), wie es gemäß Anlage I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 3 Buchst c EinigVertr, der durch Art 1 Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) übergeleitet wurde. Danach gilt: Das BSeuchG i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl I S 2262, 1980 I S 151), zuletzt geändert durch Art 7 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211) tritt im Beitrittsgebiet u.a. mit folgender Maßgabe in Kraft: Soweit nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG das BVG und die zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gelten diese Vorschriften mit den in Anl. I Kap. VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1 EinigVtr. aufgeführten Maßgaben. Die nach dem bisher in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Recht geleisteten Zahlungen für Impfschäden werden solange weitergewährt, bis Leistungen nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG i.V.m. dem BVG erbracht werden. Die entsprechenden Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik sind insoweit bis zu diesem Zeitpunkt den Zahlungen zu Grunde zulegen. Die geleisteten Zahlungen sind auf Zahlungen nach dem BSeuchG i.V.m. dem BVG für denselben Zeitraum anzurechnen.
Zwar kommt die Klägerin nicht in den Genuss der vorgenannten Besitzstandsschutzregelungen des EinigVtr., weil ihre gesundheitlichen Schädigungen nicht bereits nach DDR-Recht (GüK-DDR vom 20. Dezember 1965, GBl. DDR 1966 I, 29; ab 1. März 1983 ersetzt durch das Gesetz vom 3. Dezember 1982, GBl DDR I, 631) entschädigt wurden. Auch liegt eine Anerkennung durch die staatlichen Behörden der ehemaligen DDR nicht vor. Die Mutter der Klägerin hat zwar am 03. Oktober 1969 bei der seinerzeit zuständigen Stelle einen Antrag auf Versorgung gestellt, eine Anerkennung als Impfschaden erfolgte aber offenbar nicht, jedenfalls wird dies von der Klägerin nicht behauptet.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung war bereits das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG vom 20. Juli 2000, BGBl I, S. 1045) in Kraft getreten. Für den hier betroffenen Zeitraum sind der Entscheidung die im Wesentlichen dem BSeuchG inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, Az. B 9a/9 VJ 2/04 R).
Nach § 60 Abs. 1 IfSG erhält unter anderem derjenige, der durch eine gesetzlich vorgeschriebene Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen eines Impfschadens i.S.d. § 2 Nr. 11 IfSG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes (BVG), soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
Ein Impfschaden ist nach § 2 Nr. 11 IfSG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Nach § 61 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung (Schädigung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Wie das Bundesversorgungsgesetz, auf das verwiesen wird, geht auch das IfSG von einer dreigliedrigen Kausalkette aus.
Das erste Glied, der schädigende Vorgang stellt hier die Impfung dar, das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene Schädigung, das heißt eine unübliche Impfreaktion als Primärschaden. Das dritte Glied stellt die Folge der gesundheitlichen Schädigung (Schädigungsfolge) dar, also das Versorgungsleiden, dessen Feststellung ein Antragsteller durch die Versorgungsverwaltung begehrt.
Die drei Glieder der Kausalkette als anspruchsbegründende Tatsachen, nämlich die Impfung, die unübliche Impfreaktion und das Dauerleiden müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den Beweisgrad des Nachweises ist es zwar nicht erforderlich, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt.
Nach § 61 Abs. 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlich ist der ursächliche Zusammenhang dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, 9 RVI 1/95 zu §§ 51, 52 BSeuchG). In jedem Fall ist der Nachweis eines Impftermins und eines Primärschadens in Form einer unüblichen Impfreaktion erforderlich.
Dabei können unter Umständen nach § 15 des Gesetzes über die Verwaltungsverfahren des Kriegsopferversorgung (KOV), der auch über das Inkrafttreten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hinaus Geltung hat (vgl. Art. 2 § 16 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I 1 S. 1469) und der auch im Recht der Impfopferversorgung gilt (§ 64 Abs. 2 IfSG), die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen in den Fällen, in denen Unterlagen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrundegelegt werden, soweit sie nach den Umständen glaubhaft erscheinen.
Die Tuberkulose-Schutzimpfung war zum Zeitpunkt der Impfung der Klägerin in der Deutschen Demokratischen Republik gesetzlich vorgeschrieben. Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze ist die Durchführung der Schutzimpfung anhand des Impfscheins auch mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Voraussetzung für die Anerkennung des Impfschadens ist jedoch, dass die Leiden der Klägerin auf die Impfung zurückzuführen sind. Dieser Nachweis ist der Klägerin nicht gelungen.
Die Legaldefinition in § 2 Nr. 11 IfSG stellt klar, dass Impfschaden nicht jede Gesundheitsstörung ist, die mit Wahrscheinlichkeit auf der Impfung beruht, sondern nur die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende. Welche Impfreaktionen danach als Impfschäden anzusehen sind, lässt sich im Allgemeinen den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) entnehmen. Die AHP geben den der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, das ist die sog Schulmedizin, entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissenstand wieder, u.a. auch über die Auswirkungen und Ursachen von Gesundheitsstörungen nach Impfungen. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltungen sind an die in den AHP enthaltenen Erkenntnisse für Begutachtungen bzw. Entscheidungen über Anträge auf Versorgung gebunden (vgl. BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5 sowie BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6). Zwar beruhten die AHP weder auf dem Gesetz, noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben. Dennoch wirken sie in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit, haben deshalb normähnlichen Charakter und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. z.B. Urteil vom 27. August 1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R m.w.N.). Sie waren als antizipierte Sachverständigengutachten zu verstehen und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Rechtsnormen von den Gerichten anzuwenden, bis der Gesetzgeber die erforderliche Ermächtigungsnorm für im Verordnungswege zu erlassende Regelungen geschaffen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, Az.: B 9 SB 3/02 R).
Die AHP sind zwar mit Inkrafttreten der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I 2008, S. 2412) außer Kraft getreten. Diese wird auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellt und fortentwickelt. Wie in der Gesetzesbegründung (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucksache 541/07 S. 1 ff., 66 f., 87) vorgesehen, ergeben sich hieraus jedoch nur die im Rahmen der Fortentwicklung zu erwartenden vereinzelten Abweichungen gegenüber den bislang nach den AHP anzuwendenden Maßstäben. Anders als die AHP enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte derartige Ausführungen enthaltende Fassung der AHP zugegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen genutzt werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 -B 9 VJ 1/10 R-).
Auf dieser Grundlage ergibt sich hier Folgendes:
Nach Nr. 57 der AHP 2004 treten innerhalb von zwei bis drei Wochen nach einer BCG-Impfung als übliche Impfreaktionen knötchenförmige Infiltrationen, manchmal mit Einschmelzung des Impfherdes sowie regionäre Lymphknotenschwellungen auf. Über derlei übliche Impfreaktionen liegen keine Nachweise vor.
In den AHP 2004 ist zwar die Osteomyelitis als - wenn auch seltener - Impfschaden bezeichnet. Allerdings trat diese Krankheit bei der Klägerin bereits nach kurzer Zeit, nämlich nach vierzehn Tagen auf. Die in den AHP 2004 genannte Latenzzeit von bis zu mehreren Jahren liegt daher nicht vor.
Danach und mit der bisher und derzeit herrschenden medizinischen Lehrmeinung ist davon auszugehen, dass Impfreaktionen nicht in so kurzer Zeit - im Falle der Klägerin innerhalb von zwei Wochen - nach Durchführung der BCG-Impfung auftreten. Nach der vom Beklagten vorgelegten (Bl. 139 d.A.) Auszug aus Bd. 25 der Schriftenreihe "Beiträge zur Hygiene und Epidemiologie": Dittmann: "Atypische Verläufe nach Schutzimpfungen", beträgt die Inkubationszeit einer BCG-Osteomyelitis zwölf Monate (+/- vier Monate). Offenbar hatten auch die seinerzeit behandelnden Ärzte keinen klinischen Verdacht auf das Vorliegen einer BCG-Osteomyelitis. Denn bei einem solchen ist eine Kürettage des Herdes sowohl zur Sicherung der Diagnose als auch zur Therapie indiziert (vgl. W.F. Beyer, H. Kühn, M. Runt, Osteomyelitis nach BCG-Impfung, Zeitschrift für Orthopädie und Ihre Grenzgebiete, 1986, S. 688 ff.). Dass eine solche durchgeführt wurde, ist nicht erkennbar, ebenso wenig, dass eine antituberkulöse Behandlung der Klägerin stattgefunden hat. Auch das gute Ansprechen auf die Antibiotikabehandlung spricht gegen die BCG-Impfung als Ursache der Osteomyelitis, worauf der ärztliche Dienst des Beklagten für den Senat überzeugend hinweist.
Hinzukommt, dass jedenfalls im Jahre 1969, als die Mutter der Klägerin Versorgung wegen der Gesundheitsschäden beantragt hatte, Entschädigungsansprüche bei Gesundheitsschäden in Folge der BCG-Schutzimpfung als Pflichtimpfung gesetzlich geregelt waren. Eine positive Entscheidung über den Antrag ist jedoch ebenso wenig erkennbar wie die Bewilligung von Beschädigtenversorgung durch die seinerzeit zuständigen Stellen (sonst wäre die Klägerin auch, wie oben ausgeführt, in den Genuss einer Besitzstandsregelung gekommen). Auch sahen die seinerzeit die Klägerin behandelnden Ärzte offenbar keinen Anlass, die behaupteten Impfkomplikationen entsprechend ihrer Verpflichtung den zuständigen Stellen zu melden.
Schließlich verhilft auch der Umstand der Klägerin nicht zum Erfolg, dass der Terminsvertreter des Beklagten im Termin vor dem Sozialgericht erklärt hat, er sehe die Angabe, dass die Osteomyelitis vierzehn Tage nach der Impfung aufgetreten sei, als "Erinnerungsnächste" an. Hier handelt es sich nicht um ein Anerkenntnis i.S.d. § 101 SGG, also nicht um eine Prozesshandlung, mit dem der Beklagte zugesteht, dass der Klageanspruch besteht (vgl. Roller in Lüdtke, SGG, Rn. 27 zu § 101), und dessen Annahme durch die Klägerin den Rechtsstreit beendet hätte. Ein Anerkenntnis kann sich nur auf den Streitgegenstand und nicht auf unselbständige tatsächliche oder rechtliche Einzel- oder Vorfragen beziehen, die nicht der Verfügungsbefugnis der Beteiligten unterliegen, sondern nur der Beurteilung des Gerichts unterliegen (vgl. Roller, a.a.O., Rn. 11 zu § 101). Vielmehr handelt es sich lediglich um das Zugestehen der Tatsache, dass zwischen der Impfung und dem Auftreten der Osteomyelitis ein Zeitraum von ca. vierzehn Tagen lag. Hieran ist das das Gericht (anders als im Falle des Geständnisses i.S.d. § 288 Zivilprozessordnung (ZPO) oder im Fall des Nichtbestreitens nach § 138 Abs. 3 ZPO) nicht gebunden (§ 103 S. 2 SGG).
Im Übrigen hat der Beklagtenvertreter im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärt, aufgrund der nicht eindeutigen Beweislage vertrete er weiter die Auffassung, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe und schließlich die Abweisung der Klage beantragt. Hieraus ist zu entnehmen, dass der Beklagte weiter den geltend gemachten Anspruch als solchen bestritten und eben G.de nicht i.S.d. § 101 SGG anerkannt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens.
Die am 18. Januar 1956 geborene Klägerin wurde am 27. (24.) Januar 1956 gegen Tuberkulose mit dem Lebendimpfstoff BCG geimpft.
Kurze Zeit später, der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt, entwickelte sich bei ihr eine Osteomyelitis an beiden Oberarmen und am rechten Oberschenkel.
Am 03. Oktober 1969 beantragte die Mutter der Klägerin beim seinerzeit zuständigen Rat des Kreises R. die Anerkennung als Beschädigte (Bl. 84 f. d.A.). Wegen der Erkrankung wurde die Klägerin in der Folgezeit häufig stationär behandelt, seit 1977 ist sie invalidisiert. Ihr wurden mit Bescheiden des Versorgungsamtes G. vom 25. September 1992 und vom 21. November 2002 ein GdB sowie die Merkzeichen "B", "G" und "aG" zuerkannt.
Am 26. Januar 2005 beantragte sie beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt des Beklagten (künftig: Beklagter) Beschädigtenversorgung. Der Beklagte holte verschiedene Befundberichte und Atteste ein, wobei der früheste Bericht aus der Zeit Anfang Mai 1957 stammt (Bl. 30 d. VwA). Frühere Unterlagen sind nicht mehr auffindbar.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Oktober 2005 ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2006 zurückgewiesen. Gegen den am 12. Mai 2006 abgesandten Bescheid erhob die Klägerin am 15. Juni 2006 Klage zum Sozialgericht. Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens legte die Klägerin den Impfschein über die angeschuldigte Impfung vor.
Das Sozialgericht hat am 07. April 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift erteilte der Vorsitzende folgenden Hinweis: "Nachdem nunmehr unstreitig ist, dass bei der Klägerin im Januar 1956, also kurz nach ihrer Geburt, eine BCG-Impfung stattgefunden hat, wäre auch nach Auffassung des Beklagtenvertreters die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und Schädigungsfolge dann gegeben, wenn erste Krankheitssymptome nach Ablauf der Inkubationszeit (nach Auffassung des Beklagten mindestens vierzehn Tage) aufgetreten wären.".
Der Beklagtenvertreter hat im Termin geäußert, dass selbstverständlich bei einem Ablauf von 1956 bis 2009 heute von der Mutter der Klägerin keine genauen Angaben mehr zu erwarten seien. Deshalb sehe er die Angabe der Mutter im Jahre 1959 (vierzehn Tage) sehr wohl als die Erinnerungsnächste an, die damalige Zeitangabe der Mutter sei aber nicht als absolute Begrenzung auf vierzehn Tage anzusehen. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er aufgrund der nicht eindeutigen Beweislage weiter die Auffassung vertrete, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe und beantragte sodann, die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 07. April 2009 entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Gewährung von Beschädigtenversorgung verurteilt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Impfung sei nachgewiesen, die Kausalität der Impfung für die Gesundheitsschäden der Klägerin sei überwiegend wahrscheinlich.
Gegen das am 23. Juli 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. August 2009 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung des Beklagten, mit der dieser die Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung ist ausgeführt, der erforderliche Erregernachweis liege nicht vor. Die klinischen Zeichen sowie die deutlich zu geringe Inkubationszeit schlössen einen Ursachenzusammenhang aus. Auch das gute Ansprechen der Klägerin auf die Behandlung mit Antibiotika spreche für einen anderen Erreger.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 07. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts und vertritt die Auffassung, der Beklagte habe im Termin vor dem Sozialgericht die zeitliche Komponente bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Impfung und der Schädigungsfolge anerkannt. In der Berufungsinstanz sei keine davon abweichende Beurteilung zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Behandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagen zur Anerkennung der Osteomyelitis als Schädigungsfolge und zur Gewährung von Beschädigtenversorgung verurteilt. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die angeschuldigte Impfung wurde vor dem 03. Oktober 1990 in dem in Art. 1 des Einigungsvertrages (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - EinigVertr - vom 31. August 1990, BGBl. II, S. 889, in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juni 2011, BGBl I, S. 1114) genannten Gebiet durchgeführt.
Die Versorgungsansprüche aufgrund einer Impfung im Beitrittsgebiet richteten sich bis zum 31. Dezember 1999 nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten - Bundesseuchengesetz (BSeuchG), wie es gemäß Anlage I Kap X Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 3 Buchst c EinigVertr, der durch Art 1 Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) übergeleitet wurde. Danach gilt: Das BSeuchG i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl I S 2262, 1980 I S 151), zuletzt geändert durch Art 7 des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S 1211) tritt im Beitrittsgebiet u.a. mit folgender Maßgabe in Kraft: Soweit nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG das BVG und die zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gelten diese Vorschriften mit den in Anl. I Kap. VIII, Sachgebiet K, Abschnitt III Nr. 1 EinigVtr. aufgeführten Maßgaben. Die nach dem bisher in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Recht geleisteten Zahlungen für Impfschäden werden solange weitergewährt, bis Leistungen nach den §§ 51 bis 55, 59 bis 61 BSeuchG i.V.m. dem BVG erbracht werden. Die entsprechenden Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik sind insoweit bis zu diesem Zeitpunkt den Zahlungen zu Grunde zulegen. Die geleisteten Zahlungen sind auf Zahlungen nach dem BSeuchG i.V.m. dem BVG für denselben Zeitraum anzurechnen.
Zwar kommt die Klägerin nicht in den Genuss der vorgenannten Besitzstandsschutzregelungen des EinigVtr., weil ihre gesundheitlichen Schädigungen nicht bereits nach DDR-Recht (GüK-DDR vom 20. Dezember 1965, GBl. DDR 1966 I, 29; ab 1. März 1983 ersetzt durch das Gesetz vom 3. Dezember 1982, GBl DDR I, 631) entschädigt wurden. Auch liegt eine Anerkennung durch die staatlichen Behörden der ehemaligen DDR nicht vor. Die Mutter der Klägerin hat zwar am 03. Oktober 1969 bei der seinerzeit zuständigen Stelle einen Antrag auf Versorgung gestellt, eine Anerkennung als Impfschaden erfolgte aber offenbar nicht, jedenfalls wird dies von der Klägerin nicht behauptet.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung war bereits das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG vom 20. Juli 2000, BGBl I, S. 1045) in Kraft getreten. Für den hier betroffenen Zeitraum sind der Entscheidung die im Wesentlichen dem BSeuchG inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, Az. B 9a/9 VJ 2/04 R).
Nach § 60 Abs. 1 IfSG erhält unter anderem derjenige, der durch eine gesetzlich vorgeschriebene Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen eines Impfschadens i.S.d. § 2 Nr. 11 IfSG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes (BVG), soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
Ein Impfschaden ist nach § 2 Nr. 11 IfSG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Nach § 61 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung (Schädigung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Wie das Bundesversorgungsgesetz, auf das verwiesen wird, geht auch das IfSG von einer dreigliedrigen Kausalkette aus.
Das erste Glied, der schädigende Vorgang stellt hier die Impfung dar, das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene Schädigung, das heißt eine unübliche Impfreaktion als Primärschaden. Das dritte Glied stellt die Folge der gesundheitlichen Schädigung (Schädigungsfolge) dar, also das Versorgungsleiden, dessen Feststellung ein Antragsteller durch die Versorgungsverwaltung begehrt.
Die drei Glieder der Kausalkette als anspruchsbegründende Tatsachen, nämlich die Impfung, die unübliche Impfreaktion und das Dauerleiden müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den Beweisgrad des Nachweises ist es zwar nicht erforderlich, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt.
Nach § 61 Abs. 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlich ist der ursächliche Zusammenhang dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, 9 RVI 1/95 zu §§ 51, 52 BSeuchG). In jedem Fall ist der Nachweis eines Impftermins und eines Primärschadens in Form einer unüblichen Impfreaktion erforderlich.
Dabei können unter Umständen nach § 15 des Gesetzes über die Verwaltungsverfahren des Kriegsopferversorgung (KOV), der auch über das Inkrafttreten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hinaus Geltung hat (vgl. Art. 2 § 16 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I 1 S. 1469) und der auch im Recht der Impfopferversorgung gilt (§ 64 Abs. 2 IfSG), die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen in den Fällen, in denen Unterlagen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrundegelegt werden, soweit sie nach den Umständen glaubhaft erscheinen.
Die Tuberkulose-Schutzimpfung war zum Zeitpunkt der Impfung der Klägerin in der Deutschen Demokratischen Republik gesetzlich vorgeschrieben. Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze ist die Durchführung der Schutzimpfung anhand des Impfscheins auch mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Voraussetzung für die Anerkennung des Impfschadens ist jedoch, dass die Leiden der Klägerin auf die Impfung zurückzuführen sind. Dieser Nachweis ist der Klägerin nicht gelungen.
Die Legaldefinition in § 2 Nr. 11 IfSG stellt klar, dass Impfschaden nicht jede Gesundheitsstörung ist, die mit Wahrscheinlichkeit auf der Impfung beruht, sondern nur die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende. Welche Impfreaktionen danach als Impfschäden anzusehen sind, lässt sich im Allgemeinen den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) entnehmen. Die AHP geben den der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, das ist die sog Schulmedizin, entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissenstand wieder, u.a. auch über die Auswirkungen und Ursachen von Gesundheitsstörungen nach Impfungen. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltungen sind an die in den AHP enthaltenen Erkenntnisse für Begutachtungen bzw. Entscheidungen über Anträge auf Versorgung gebunden (vgl. BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5 sowie BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6). Zwar beruhten die AHP weder auf dem Gesetz, noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben. Dennoch wirken sie in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit, haben deshalb normähnlichen Charakter und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. z.B. Urteil vom 27. August 1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R m.w.N.). Sie waren als antizipierte Sachverständigengutachten zu verstehen und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Rechtsnormen von den Gerichten anzuwenden, bis der Gesetzgeber die erforderliche Ermächtigungsnorm für im Verordnungswege zu erlassende Regelungen geschaffen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, Az.: B 9 SB 3/02 R).
Die AHP sind zwar mit Inkrafttreten der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I 2008, S. 2412) außer Kraft getreten. Diese wird auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellt und fortentwickelt. Wie in der Gesetzesbegründung (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucksache 541/07 S. 1 ff., 66 f., 87) vorgesehen, ergeben sich hieraus jedoch nur die im Rahmen der Fortentwicklung zu erwartenden vereinzelten Abweichungen gegenüber den bislang nach den AHP anzuwendenden Maßstäben. Anders als die AHP enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte derartige Ausführungen enthaltende Fassung der AHP zugegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen genutzt werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 -B 9 VJ 1/10 R-).
Auf dieser Grundlage ergibt sich hier Folgendes:
Nach Nr. 57 der AHP 2004 treten innerhalb von zwei bis drei Wochen nach einer BCG-Impfung als übliche Impfreaktionen knötchenförmige Infiltrationen, manchmal mit Einschmelzung des Impfherdes sowie regionäre Lymphknotenschwellungen auf. Über derlei übliche Impfreaktionen liegen keine Nachweise vor.
In den AHP 2004 ist zwar die Osteomyelitis als - wenn auch seltener - Impfschaden bezeichnet. Allerdings trat diese Krankheit bei der Klägerin bereits nach kurzer Zeit, nämlich nach vierzehn Tagen auf. Die in den AHP 2004 genannte Latenzzeit von bis zu mehreren Jahren liegt daher nicht vor.
Danach und mit der bisher und derzeit herrschenden medizinischen Lehrmeinung ist davon auszugehen, dass Impfreaktionen nicht in so kurzer Zeit - im Falle der Klägerin innerhalb von zwei Wochen - nach Durchführung der BCG-Impfung auftreten. Nach der vom Beklagten vorgelegten (Bl. 139 d.A.) Auszug aus Bd. 25 der Schriftenreihe "Beiträge zur Hygiene und Epidemiologie": Dittmann: "Atypische Verläufe nach Schutzimpfungen", beträgt die Inkubationszeit einer BCG-Osteomyelitis zwölf Monate (+/- vier Monate). Offenbar hatten auch die seinerzeit behandelnden Ärzte keinen klinischen Verdacht auf das Vorliegen einer BCG-Osteomyelitis. Denn bei einem solchen ist eine Kürettage des Herdes sowohl zur Sicherung der Diagnose als auch zur Therapie indiziert (vgl. W.F. Beyer, H. Kühn, M. Runt, Osteomyelitis nach BCG-Impfung, Zeitschrift für Orthopädie und Ihre Grenzgebiete, 1986, S. 688 ff.). Dass eine solche durchgeführt wurde, ist nicht erkennbar, ebenso wenig, dass eine antituberkulöse Behandlung der Klägerin stattgefunden hat. Auch das gute Ansprechen auf die Antibiotikabehandlung spricht gegen die BCG-Impfung als Ursache der Osteomyelitis, worauf der ärztliche Dienst des Beklagten für den Senat überzeugend hinweist.
Hinzukommt, dass jedenfalls im Jahre 1969, als die Mutter der Klägerin Versorgung wegen der Gesundheitsschäden beantragt hatte, Entschädigungsansprüche bei Gesundheitsschäden in Folge der BCG-Schutzimpfung als Pflichtimpfung gesetzlich geregelt waren. Eine positive Entscheidung über den Antrag ist jedoch ebenso wenig erkennbar wie die Bewilligung von Beschädigtenversorgung durch die seinerzeit zuständigen Stellen (sonst wäre die Klägerin auch, wie oben ausgeführt, in den Genuss einer Besitzstandsregelung gekommen). Auch sahen die seinerzeit die Klägerin behandelnden Ärzte offenbar keinen Anlass, die behaupteten Impfkomplikationen entsprechend ihrer Verpflichtung den zuständigen Stellen zu melden.
Schließlich verhilft auch der Umstand der Klägerin nicht zum Erfolg, dass der Terminsvertreter des Beklagten im Termin vor dem Sozialgericht erklärt hat, er sehe die Angabe, dass die Osteomyelitis vierzehn Tage nach der Impfung aufgetreten sei, als "Erinnerungsnächste" an. Hier handelt es sich nicht um ein Anerkenntnis i.S.d. § 101 SGG, also nicht um eine Prozesshandlung, mit dem der Beklagte zugesteht, dass der Klageanspruch besteht (vgl. Roller in Lüdtke, SGG, Rn. 27 zu § 101), und dessen Annahme durch die Klägerin den Rechtsstreit beendet hätte. Ein Anerkenntnis kann sich nur auf den Streitgegenstand und nicht auf unselbständige tatsächliche oder rechtliche Einzel- oder Vorfragen beziehen, die nicht der Verfügungsbefugnis der Beteiligten unterliegen, sondern nur der Beurteilung des Gerichts unterliegen (vgl. Roller, a.a.O., Rn. 11 zu § 101). Vielmehr handelt es sich lediglich um das Zugestehen der Tatsache, dass zwischen der Impfung und dem Auftreten der Osteomyelitis ein Zeitraum von ca. vierzehn Tagen lag. Hieran ist das das Gericht (anders als im Falle des Geständnisses i.S.d. § 288 Zivilprozessordnung (ZPO) oder im Fall des Nichtbestreitens nach § 138 Abs. 3 ZPO) nicht gebunden (§ 103 S. 2 SGG).
Im Übrigen hat der Beklagtenvertreter im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärt, aufgrund der nicht eindeutigen Beweislage vertrete er weiter die Auffassung, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe und schließlich die Abweisung der Klage beantragt. Hieraus ist zu entnehmen, dass der Beklagte weiter den geltend gemachten Anspruch als solchen bestritten und eben G.de nicht i.S.d. § 101 SGG anerkannt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
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