L 15 SF 135/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 SF 95/11 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 135/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Der Sachverständige trägt die objektive Beweislast dafür, dass die Rechnung für das von ihm erstellte Gutachten innerhalb der 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG bei Gericht eingegangen ist. Der Rechnungseingang muss im Vollbeweis nachgewiesen sein.
2. Ein Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 2 Abs. 2 JVEG ist innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses unter Bezifferung des Anspruchs und der Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe zu stellen. Allein die Einreichung der Gutachtensrechnung reicht für eine Wiedereinsetzung nicht.
3. § 2 Abs. 2 JVEG sieht nur eine Wiedereinsetzung auf Antrag vor. Für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen enthält das JVEG keine Rechtsgrundlage. § 2 Abs. 2 JVEG ist lex specialis gegenüber § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. April 2012 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehrt die Vergütung eines von ihm erstatteten Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). Er wendet sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung.

In dem am Sozialgericht München (SG) unter dem Aktenzeichen S 40 U 5075/09 (später ) geführten unfallversicherungsrechtlichen Rechtsstreit erstellte der Bf gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 28.06.2010 ein orthopädisches Gutachten. Das Gutachten ging am 02.07.2010 beim SG ein. In dem auf dem Gutachten angebrachten Eingangsstempel des SG ist ein Rechnungseingang nicht vermerkt.

Wie dem Schreiben des Bf vom 10.01.2011 zu entnehmen ist, fragte das Sekretariat des Bf am 01. oder 02.12.2010 beim SG nach, warum die Rechnung für das Gutachten noch nicht beglichen sei. Dabei wurde von Seiten des Gerichts darauf hingewiesen, dass eine Rechnung bei Gericht noch nicht eingegangen sei. Daraufhin übersandte der Bf dem Gericht eine (Kopie der) Rechnung vom 28.06.2012 über die Erstellung des Gutachtens vom 28.06.2010; ein Begleitschreiben fertigte der Bf dazu nicht.

Mit Schreiben der Kostenbeamtin des SG vom 17.12.2010 wurde dem Bf mitgeteilt, dass der Anspruch auf Entschädigung erloschen sei, da er nicht binnen drei Monaten ab Eingang des Gutachtens geltend gemacht worden sei.

Mit Schreiben vom 10.01.2011 hat der Bf die gerichtliche Kostenfestsetzung beantragt. Eine Fristversäumnis sei für ihn nicht erkennbar, da das Gutachten mit allen Unterlagen an das Gericht geschickt worden sei und ihm erst auf Nachfrage mitgeteilt worden sei, dass keine Rechnung vorhanden sei.

Das SG hat mit Beschluss vom 25.04.2012 festgestellt, dass der Bf keinen Anspruch auf eine Vergütung für das Gutachten vom 28.06.2010 habe. Der Vergütungsanspruch sei erloschen, da er nicht binnen drei Monaten geltend gemacht worden sei. Die Gewährung von Wiedereinsetzung hat das SG abgelehnt. Zugestellt worden ist der Beschluss dem Bf am 02.05.2012.

Dagegen hat der Bf am 11.05.2012 beim SG Beschwerde eingelegt. Wäre er davon ausgegangen, dass seinem Gutachten eine Rechnung nicht beigelegen habe, hätte er vor seiner Nachfrage nicht die Dreimonatsfrist verstreichen lassen. Er habe keinen Anlass gesehen, beim Gericht nachzufragen, da bekannt sei, dass der Bearbeitungszeitraum bei Gericht länger sei. Die Rechnung sei mitverschickt worden, da sie bei Erstellung des Gutachtens vorgelegen habe, auch wenn sie nicht extra aufgeführt worden sei. Mit Schreiben vom 02.07.2012 hat die Sekretärin des Antragstellers ergänzend ausführlich über ihre Erinnerungen zum Versand des Gutachtens berichtet. Sie wisse, dass die Rechnung dem Versandpaket mit dem Gutachten obenauf gelegen habe und auch mitgeschickt worden sei.

II.

Die gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Das SG hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass der Bf keinen Anspruch mehr auf Vergütung seiner Tätigkeit als Sachverständiger für das Gutachten vom 28.06.2010 hat.

Ein rechtzeitig gestellter Vergütungsantrag lag nicht vor. Wiedereinsetzung war nicht zu gewähren.

1. Beschwerdegegenstand

Gegenstand der Beschwerde ist der Beschluss des SG vom 25.04.2012. Mit diesem Beschluss hat das SG in Ziff. I. eine richterliche Kostenfestsetzung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG getroffen. Weiter ist mit diesem Beschluss in Ziff. II. eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG erfolgt.

2. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG ist in beiden Punkten fristgerecht erhoben worden. Auch die kürzere Frist gemäß § 2 Abs.2 Satz 4 JVEG gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung ist gewahrt.

3. Begründetheit der Beschwerde

Die Beschwerde ist unbegründet. Der Vergütungsanspruch ist erloschen, ohne dass ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestünde. Die Entscheidung des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3.1. Rechnung zu spät gestellt

Der Vergütungsanspruch war bereits erloschen, als die Honorarforderung geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Vergütung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG im Falle der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen hat. Sie endet entsprechend
§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Zahl dem Tag entspricht, in den der Eingang des Gutachtens bei Gericht fällt. Ist dieser Tat ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, endet die Frist entsprechend § 64 Abs. 3 SGG mit dem Ablauf des nächsten Werktags.

Vorliegend ist das Gutachten vom 28.06.2010 am 02.07.2010 beim SG eingegangen. An diesem Tag hat die Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu laufen begonnen. Abgelaufen ist die Dreimonatsfrist zur Geltendmachung des Vergütungsanspruchs am 04.10.2010 (Montag). Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, z.B. Senatsbeschluss vom 21.12.2011, Az.: L 15 SF 208/10 B E).

Ein erstmaliger Eingang der auf den 28.06.2010 datierten Rechnung des Bf vom beim SG ist erst am 03.12.2010 nachgewiesen. Dieser Eingang der Rechnung ist rund zwei Monate nach Ablauf der Dreimonatsfrist für die Rechnungseinreichung erfolgt.

Ein früherer Rechnungseingang - und zwar noch innerhalb der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG -, der im Vollbeweis nachzuweisen wäre, ist nicht belegt. Vollbeweis bedeutet, dass die für die Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein müssen. Erst wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung für das Vorliegen der Tatsachen sprechen, kann das Gericht diese Tatsachen als gegeben annehmen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.03.1958, Az.: 8 RV 387/55). Das Gericht muss vom Vorliegen der Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.1978, Az.: 8 RU 66/77). Bestehen noch Zweifel, die nicht ausgeräumt werden können, geht die Frage der Aufklärbarkeit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch geltend macht.

Nicht im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist die Behauptung des Bf, dass die Rechnung dem Gutachten vom 28.06.2010 beigelegt gewesen und damit ein rechtzeitiger Zugang erfolgt sei. Tatsächlich ist in den Gerichtsakten des SG eine Rechnung nicht enthalten. Weiter ist auf dem Eingangsstempel, der auf dem Gutachten vom 28.06.2010 angebracht ist, nicht vermerkt, dass eine Rechnung beigelegt gewesen ist, obwohl dafür ein Feld im Stempelaufdruck zur Verfügung steht. Dafür, dass die zusammen mit dem Gutachten eingegangenen Unterlagen vollständig erfasst worden sind, spricht, dass die eingegangenen Anlagen explizit aufgezählt worden sind; die Rechnung befindet sich nicht darunter.

Anderweitige aktenkundige zwingende Hinweise darauf, dass die Rechnung zusammen mit dem Gutachten übersandt worden wäre, gibt es nicht. So hat der Sachverständige beispielsweise sein Gutachten nicht mit einem Begleitschreiben versehen, in dem die Anlagen und damit auch eine Rechnung explizit aufgelistet gewesen wären, was jedenfalls dann, wenn die Rechnung gefehlt hätte, dem SG Anlass zur Nachfrage gegeben hätte und damit eine Fristversäumnis verhindern hätte können. Der Vortrag des Bf und seiner Sekretärin, dass ihrer Erinnerung nach die Rechnung auf dem Versandpaket mit dem Gutachten gelegen habe und auch mitversandt worden sei, mag zwar eine Beifügung der Rechnung nicht völlig unwahrscheinlich erscheinen lassen. Der Vollbeweis des Rechnungseingangs bei Gericht lässt sich damit aber angesichts der Tatsache, dass bei Eingang beim SG eine Rechnung nicht vermerkt und abgelegt worden ist, nicht führen. Zweifel am Rechnungseingang sind nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach wie vor nicht auszuschließen.

3.2. Keine Wiedereinsetzung

Das SG hat im Ergebnis zu Recht dem Bf keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Anders als das SG, das die Wiedereinsetzung abgelehnt hat, weil kein Wiedereinsetzungsgrund gegeben sei, scheitert eine Wiedereinsetzung schon daran, dass kein fristgerechter Wiedereinsetzungsantrag vorliegt.

3.2.1. Keine Wiedereinsetzung auf Antrag

Eine Wiedereinsetzung auf Antrag gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG setzt voraus, dass der Antragsteller innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag stellt und dabei den Anspruch beziffert sowie die Tatsachen glaubhaft macht, welche die Wiedereinsetzung begründen.

Daran fehlt es vorliegend. Der Bf hat innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses weder einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt noch einen Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen, geschweige denn einen solchen Grund glaubhaft gemacht.

Spätestens ab dem Telefonat am 01. oder 02.12.2011 musste dem Bf bewusst sein, dass seine Rechnung noch nicht bei Gericht vorlag. Ebenso musste ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt sein, dass ein noch zu stellender Entschädigungsantrag verspätet sei. Er hätte jetzt gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG zwei Wochen Zeit gehabt, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und die Tatsachen glaubhaft zu machen, welche die Wiedereinsetzung begründen, also darzulegen, warum er den Vergütungsantrag unverschuldet zu spät gestellt hätte. Anstatt einen Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Zweiwochenfrist zu stellen, hat der Antragstellerin kommentarlos die Rechnung vom 28.06.2010 an das SG geschickt und erst über einen Monat später mit Schreiben vom 10.01.2011 - und damit nach Ablauf der Zweiwochenfrist - die Wiedereinsetzung beantragt und Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen. Dieser Wiedereinsetzungsantrag war verspätet.

Wenn das SG in der Übersendung der Rechnung vom 28.06.2011 Anfang Dezember 2010 einen konkludenten Wiedereinsetzungsantrag sieht, geht diese für den Bf günstige Betrachtungsweise zu weit. Ganz abgesehen davon, dass in der Übersendung der Rechnung nicht auch ein weitergehender Antrag auf Wiedereinsetzung gesehen werden kann, da dafür jegliche Anhaltspunkte fehlen, ist in der Rechnung auch keine Tatsache angegeben, die einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen würde. Neben der Bezifferung der Höhe des Anspruchs kumulativ erforderlich ist aber innerhalb der Zweiwochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG die Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen. Jedenfalls an letzterem fehlt es vorliegend. Ob Wiedereinsetzungsgründe vorgelegen haben, kann daher offen bleiben.

3.2.2. Keine Wiedereinsetzung von Amts wegen

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen sieht die Regelung des § 2 Abs. 2 JVEG im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen nicht vor (vgl. Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12). Eine analoge Anwendung von § 67 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGG, der eine Wiedereinsetzung von Amts wegen, d.h. auch ohne Wiedereinsetzungsantrag, ermöglicht, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist, kommt nicht in Betracht, da § 2 Abs. 2 JVEG gegenüber der Regelung im SGG lex specialis ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, ders., Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 67, Rdnr. 1a; Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12). Insofern kann die Vorlage der Rechnung für das Gutachten innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist allein keine Wiedereinsetzung nach sich ziehen.

Wegen der zu späten Rechnungsübersendung an das SG und der Versäumung der Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag steht dem Antragsteller für das Gutachten vom 28.06.2010 keine Vergütung mehr zu.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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