L 2 R 1463/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 24 R 928/08
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 2 R 1463/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 30. Juni 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben sich gegenseitig keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bei der Beklagten versicherungspflichtig ist.

Im November 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Zeiten in seinem Versicherungs-konto ab 1. Januar 2004 unbelegt seien und bat um entsprechende Mitteilung. In der Folge teilte der Kläger mit, dass er seit dem 1. April 1986 mit einem Taxibetrieb selbständig ist und legte eine entsprechende Gewerbegenehmigung vor. Auf weitere Anfragen der Beklagten reagierte der Kläger nicht. Mit Bescheid vom 7. September 2007 stellte die Beklagte die Ver-sicherungspflicht des Klägers ab dem 1. Januar 1992 fest und teilte mit, dass die ab dem 1. Dezember 2002 angefallenen Beiträge vom Kläger nachgefordert werden. Für den Zeitraum Januar 1992 bis November 2002 teilte sie mit, dass die Verjährung eingetreten ist.

Der Kläger legte hiergegen am 18. September 2007 Widerspruch ein, der mit Widerspruchs-bescheid vom 17. März 2008 zurückgewiesen wurde.

Im darauffolgenden Klageverfahren übersandte der Kläger seine Einkommensteuerbescheide der Jahre 1991, 2002 bis 2008. Außerdem teilte er mit, dass er im Zeitraum des Jahreswech-sels 1991 zu 1992 gleichzeitig zu seiner selbständigen Tätigkeit in einem nichtselbständigen Arbeitsverhältnis als Fahrlehrer bei der Firma H.W.in O. beschäftigt war. Er habe aus dieser Tätigkeit im Dezember 1991 ein Bruttoeinkommen in Höhe von 652,07 DM erzielt. Die nichtselbständige Tätigkeit sei nicht zum 31. Dezember 1991 beendet worden, wie der beige-fügte Lohnzettel für Januar 1992 belege.

Die Beklagte erließ daraufhin am 5. Januar 2010 einen Änderungsbescheid. Darin wurde fest-gestellt, dass der Kläger aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit am 31. Dezember 1991 ver-sicherungspflichtig gewesen ist. In der Zeit vom 1. November 2005 bis 30. Juni 2008 bestand Versicherungsfreiheit, da der Kläger nur geringfügig selbständig tätig war. Ab dem 1. Juli 2008 bestand wieder Versicherungspflicht und ab dem 1. Dezember 2008 Versicherungsfrei-heit. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag wurden für den Zeitraum 1. Dezember 2002 bis 30. November 2008, soweit Versicherungspflicht bestand, offene Beiträge in Höhe von insgesamt 5.583,58 EUR vom Kläger gefordert.

Das Sozialgericht hat der gegen die Annahme von Versicherungspflicht gerichteten Klage mit Urteil vom 30. Juni 2010 stattgegeben und den Bescheid vom 7. September 2007 in Form des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2008 und des Änderungsbescheides vom 5. Januar 2010 aufgehoben.

Mit der dagegen gerichteten Berufung vertritt die Beklagte die Ansicht, dass das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses neben der selbständigen Tätigkeit im Januar 1992 für das Bestehen der Versicherungspflicht unerheblich ist.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 30. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf sein erstinstanzliches Vorbringen und die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts Meiningen, die er sich zu Eigen macht. Vorsorglich weise er nochmals darauf hin, dass er bei der Beklagten einen schriftlichen Befreiungsantrag gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Be-teiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Verwaltungsakte lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben. Der Klä-ger ist versicherungspflichtig, wie die Beklagte letztlich mit Änderungsbescheid vom 5. Janu-ar 2010 zutreffend festgestellt hat.

Der Kläger ist gemäß § 229 a Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - versiche-rungspflichtig.

Gemäß § 229 a Abs. 1 SGB VI bleiben Personen, die am 31. Dezember 1991 im Beitrittsge-biet versicherungspflichtig waren, nicht ab dem 1. Januar 1992 nach den §§ 1 bis 3 SGB VI versicherungspflichtig geworden sind und nicht bis zum 31. Dezember 1994 beantragt haben, dass die Versicherungspflicht enden soll, in der jeweiligen Tätigkeit oder für die Zeit des Leistungsbezuges versicherungspflichtig.

Der Kläger war trotz seiner seit 1986 ausgeübten selbständigen Tätigkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR versicherungspflichtig. Diese Versicherungspflicht für die selbständige Tä-tigkeit des Klägers folgt aus § 10 des Gesetzes über die Sozialversicherung (SVG-DDR) vom 28. Juni 1990 (GBl. Nr. 38, 486), in dessen Geltungsbereich der Ort der Tätigkeit lag, in Ver-bindung mit § 19 Abs. 1 Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versi-cherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. Dezember 1977 (GBl. 1978 Nr. 1, 1). Der Kläger erzielte in dieser selbständigen Tätigkeit Arbeitseinkommen, welches entspre-chend den damals geltenden Rechtsvorschriften der Beitragspflicht unterlag. Die insoweit geltende Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deut-schen Demokratischen Republik vom 9. Dezember 1977 (GBl. 1978 Nr. 1, 1) begründete die Versicherungspflicht für Inhaber von Gewerbebetrieben, freiberuflich Tätige und andere selb-ständig Tätige, wenn deren beitragspflichtige Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit min-destens 900 M im Kalenderjahr betragen. Der Kläger hatte im Jahr 1991 ausweislich seines Steuerbescheides Einkünfte aus Gewerbebetrieb (selbständiger Tätigkeit) in Höhe von 12.765 DM und überschritt daher die Einkunftsgrenze. Diese Verordnung besaß bis zum Stichtag des § 229a SGB VI, d.h. bis zum 31. Dezember 1991 Gültigkeit, der Kläger war somit nach dem noch geltenden Recht der DDR - als Selbständiger - versicherungspflichtig. Da der Kläger seine Tätigkeit seit 1986 ununterbrochen bis über den 31. Dezember 1991 ausgeübt hat, unter-lag er am 31. Juli 1991 dem geltenden Recht des Beitrittsgebietes, so dass Art. 35 Abs. 3 RÜG (Rentenüberleitungsgesetz), welches den Kreis der versicherten Personen bereits ab dem 1. August 1991 eingeschränkt hat, nicht relevant wurde (Fichte in Hauck/Noftz, § 229a, RdNr. 14).

Die Versicherungspflicht des Klägers bestand über den 31. Dezember 1991 fort. § 229a Abs. 1 SGB VI dient dem Schutz von Personen, die vor dem 1. Januar 1992 eine ver-sicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben, welche ab diesem Zeitpunkt nicht mehr versi-cherungspflichtig war. § 229a Abs. 1 SGB VI schützt auch nur diese Tätigkeit, wie der Wort-laut der Vorschrift belegt, die ausdrücklich auf die "jeweilige Tätigkeit" abstellt. Der Kläger war bereits vor dem 1. Januar 1992 versicherungspflichtig, wie oben dargestellt. Er ist für seine selbständige Tätigkeit nicht ab dem 1. Januar 1992 gemäß §§ 1 bis 3 SGB VI versiche-rungspflichtig geworden, da diese unter keine der dort aufgezählten Alternativen fällt. Zwar erfüllt die nichtselbständige Tätigkeit des Klägers die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, jedoch ist zu beachten, dass dies im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung hat, da die Versicherungspflicht des Klägers für die selbständige Tätigkeit, die er am 31. De-zember 1991 ausgeübt hat, erhalten bleiben soll (vgl. Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § 229a, Rd. 19, 20; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2009, Az.: L 21 R 767/06, nach juris). Das Weiterbestehen der Versicherungspflicht für die nichtselbständige, bereits vor dem 1. Januar 1992 ausgeübte Tätigkeit ist insoweit unbeachtlich.

Es ist im Rahmen des § 229a Abs. 1 SGB VI erforderlich, dass alle aufgeführten Vorausset-zungen kumulativ für die "jeweilige" Tätigkeit vorliegen. Dieses ergibt sich aus dem Ziel der Regelung des § 229a Abs. 1 Variante 2 SGB VI, welche verhindern soll, dass Personen, die erst ab Januar 1992 eine nach §§ 1 bis 3 SGBVI nichtversicherungspflichtige Tätigkeit aus-üben, den gleichen Schutz genießen, wie Bürger der ehemaligen DDR, die bereits vor Januar 1992 der gesetzlichen Rentenversicherung unterfielen. Da ein Bezug zur konkret ausgeübten Tätigkeit besteht und auch nur diese dem Schutz des § 229a SGB VI unterfällt, d.h. die Versi-cherungspflicht mit ihrer Aufgabe endet, ist mit der Aufgabe der nichtselbständigen Tätigkeit nach Januar 1992 nicht die Versicherungspflicht für die daneben ausgeübte selbständige Tä-tigkeit entfallen.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger bis zum 31. Dezember 1994 beantragt hat, dass die Versicherungspflicht enden soll.

Der Antrag ist konstitutive Voraussetzung zur Beendigung der Versicherungspflicht und stellt eine Willenserklärung des öffentlichen Rechts dar. Auf derartige Willenserklärungen sind die Grundsätze des bürgerlichen Rechts anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 1975 -11 RKLw 23/74, SozR 5486 Art. 4 § 2 Nr. 2). Gemäß dem daher einschlägigen § 130 BGB ana-log wird eine Willenserklärung gültig, wenn sie zugeht. Dies gilt auch bei gegenüber einer Behörde abzugebenden Willenserklärungen, § 130 Abs. 3 BGB. Das Übermittlungsrisiko für empfangsbedürftige Willenserklärungen trägt der Absender, wobei die bloße Möglichkeit, dass der Antrag bei der zuständigen Stelle angekommen ist, dort aber verloren sein könnte, nicht zur Feststellung des Zuganges genügt (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1998 - B 2 U 26/97 R).

Ein Befreiungsantrag des Klägers ist nicht aktenkundig. Weiterer Ermittlungen bedurfte es unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht.

Der Kläger hat sich erstinstanzlich auf die Angabe beschränkt, es sei ihm erinnerlich, bereits im September 1993 bei der Beklagten einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben; eine Kopie des Antrags liege ihm allerdings nicht mehr vor. Aufgrund von damaligen Urlaubsvor-bereitungen könne es sein, dass bei ihm keine Abschrift des bei der Beklagten eingereichten Schreibens in den eigenen Unterlagen abgelegt worden sei. Nach seiner Erinnerung sei das Schreiben an die Beklagte kurz vor dem Urlaubsantritt in den Briefkasten der Deutschen Ren-tenversicherung in der K.straße 3 in S.-N. eingeworfen worden. Mit der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht habe sich eine Rentenversicherungsangelegenheit für ihn erledigt (?). Er sei insbesondere auch deshalb von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen, weil er von der Beklagten Jahr für Jahr Beitragsfeststellungsbescheide erhalten habe, die auch aus seiner Sicht richtig gewesen seien. Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger auf den "vor-sorglichen" Hinweis beschränkt, dass er einen schriftlichen Befreiungsantrag bei der Beklag-ten gestellt habe, was durch das Zeugnis seiner Lebensgefährtin nachgewiesen werden könne. Der Umstand, dass sich ggf. die Frage des Befreiungsantrags stellt ist, dem Kläger also be-wusst gewesen; einen förmlichen Beweisantrag hat er jedoch nicht gestellt.

Auf der Grundlage der vom Kläger gemachten Angaben hat der Senat keinen Anlass zu wei-teren Ermittlungen gesehen. Die Ermittlungspflicht des Gerichts findet ihre Beschränkung durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten. Die vom Kläger gemachten Angaben zum Be-freiungsantrag sind so vage und ungenau bzw. unerheblich, dass sie keine hinreichende Grundlage bilden, auf der das Gericht weitere Aufklärungsmaßnahmen für angezeigt gehalten hat. Der ganze Vorgang ist von seinem Ablauf her unklar. Detaillierte Angaben zum Inhalt des Befreiungsantrags werden nicht gemacht. Wann der Antrag bei der Beklagten eingewor-fen worden sein soll, ist dem Vortrag nicht genau zu entnehmen. Das Datum der Anfertigung des Antrags wird mit "September 1993" angegeben, der Einwurf des Schreibens sei "kurz vor dem Urlaubsantritt" erfolgt. Wann der besagte Urlaub stattgefunden haben soll, wird jedoch nicht geschildert. Wenn angegeben wird, aufgrund von damaligen Urlaubsvorbereitungen könne es sein, dass er keine Kopie des angeblich bei der Beklagten "eingereichten" (an ande-rer Stelle ist allerdings davon die Rede, dass das Schreiben in den Briefkasten "eingeworfen" worden sei) Antrags gemacht habe, bewegt sich der Vortrag im Bereich der Vermutungen. Es wird auch lediglich vorgetragen, dass "das Schreiben nach heutiger Erinnerung des Klägers und seiner Lebensgefährtin" in den Briefkasten der Deutschen Rentenversicherung gesteckt worden sei. Damit wird weder klar gesagt, dass die Sendung überhaupt von den beiden ge-nannten Personen eingeworfen worden ist, noch wird behauptet, dass die Lebensgefährtin des Klägers bei der Anfertigung bzw. beim "Eintüten" des Befreiungsantrags dabei gewesen ist - was jedoch Voraussetzung dafür wäre, dass sie den Inhalt der eingeworfenen Sendung über-haupt beschreiben kann. Der Vortrag bleibt auch eine Erklärung dafür schuldig, warum - wenn sich für den Kläger die Angelegenheit mit der Befreiung von der Rentenversicherungs-pflicht erledigt hatte (wie er vorträgt) - nicht bereits im Widerspruchsverfahren - sondern erstmals im Klageverfahren - darauf hingewiesen wurde, dass ein Befreiungsantrag gestellt worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vor-liegen.
Rechtskraft
Aus
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