L 10 R 3656/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 816/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3656/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.06.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbs-minderung streitig.

Die am 1972 geborene, aus der T. stammende Klägerin erlernte keinen Beruf; eine Ausbildung zur Arzthelferin brach sie nach wenigen Monaten ab. Von Dezember 1986 bis Dezember 1996 war sie versicherungspflichtig beschäftigt. In dieser Zeit und zuletzt bis 31.10.2000 legte sie im Hinblick auf die Geburt ihrer Kinder auch Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung zurück. Weitere Pflichtbeitragszeiten (wegen Arbeitslosigkeit) hat sie von Januar 2000 bis März 2002. Am 15.03.2002 nahm sie gemeinsam mit ihrem Ehemann eine selbstständige Tätigkeit (Reini-gungsfirma) auf, die sie bis 31.12.2005 ausübte. Sie erledigte dabei Büroarbeiten und nahm Objektbesichtigungen vor. Zum 01.01.2006 übernahm ihr Ehemann den Betrieb. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 23.03.2009, Bl. 166/167 der SG-Akte verwiesen.

Die Klägerin leidet als Folge einer angeborenen Hüftdysplasie beidseits mit Umstellungsosteo-tomie der rechten Hüfte und Verlängerungsosteotomie der linken Hüfte an einer Beckenschief-stellung mit Beinlängendifferenz, wobei es aufgrund der Fehlstatik zu einer deutlichen Seitver-biegung der Wirbelsäule gekommen ist, die zu einer muskulären Dysbalance mit chronisch rezidivierendem Cervical-, Brustwirbelsäulen- und Lumbalsyndrom führt.

Den unter Hinweis auf diese Gesundheitsstörungen sowie Migräneanfälle im April 2006 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.07.2006 und Widerspruchsbescheid vom 31.01.2007 mit der Begründung ab, mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch wenigstens sechs Stunden täglich tätig sein; sie sei daher weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Grundlage dessen waren die Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. und des Facharztes für Orthopädie Dr. R. , die die Klägerin jeweils im Juni 2006 untersuchten. Dr. D. diagnostizierte auf seinem Fachgebiet ein Fibromyalgiesyndrom, eine klassische Migräne sowie einen Zustand nach Neurolyse rechts und Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts und erachtete die Klägerin für fähig, leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr auszuüben. Zu vermeiden seien Tätigkeiten in Zwangshaltung, unter Zeitdruck sowie unter starker Bewegung des Oberkörpers. Dr. R. erachtete aufgrund der aufgeführten orthopädischen Beeinträchtigungen sitzende Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum kurzen Stehen und Gehen vollschichtig für zumutbar.

Am 12.02.2007 erhob die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage und machte geltend, ihre Erkrankungen führten zu einer deutlichen Einschränkung in der Bewegungsfähigkeit und erheblichen Schmerzzuständen, durch die sie unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht mehr tätig sein könne.

Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. , den Arzt für Innere Medizin Dr. P. sowie den Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. M. hat von neurologischer Seite durch das erfolgreich operierte Carpaltunnelsyndrom rechtsseitig und die Kopfschmerzen keine Einschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes gesehen. Dr. P. hat wegen eines chronischen Schmerzsyndroms mit diversen muskuloskelettalen Beschwerden bei Hüftgelenksdysplasie beidseits eine maximal sechsstündige berufliche Tätigkeit für möglich erachtet. Hierbei solle es sich um eine leichte Arbeit mit häufigem Wechsel der Arbeitspositionen handeln. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, das Steigen auf Leitern und Gerüste, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit sowie Arbeiten unter wechselnden Temperatureinflüssen. Dr. K. , den die Klägerin erstmals im Februar 2006 aufsuchte, hat über das bekannte chronische Wirbelsäulensyndrom berichtet, wobei es in der laufenden Behandlung zu einer Zunahme des Schmerzsyndroms gekommen sei. Aufgrund des aktuellen Zustandes im Juni 2007 hat er leichte körperliche Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen weniger als drei Stunden täglich für zumutbar erachtet. Das SG hat darüber hinaus das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. P. eingeholt, der die Klägerin im August 2007 untersucht hat. Der Sachverständige hat neben Sensibilitätsminderungen im Bereich der Finger der rechten Hand ohne Beeinträchtigung der Motorik infolge der angeborenen Hüftdysplasie beidseits mit nachfolgenden Operationen eine verbliebene Beinverkürzung links um 2,5 bis 3,0 cm und damit verbundener statisch bedingter S-förmiger Torsionsskoliose der Brust- und Lendenwirbelsäule mit Fehlstatik bedingten rezidivierenden muskulären Verspannungen der Wirbelsäulenabschnitte ohne wesentliche über die Altersnorm hinausgehende degenerative Veränderungen der Wirbelsäulenabschnitte bei funktionell endgradig eingeschränkter Beweglichkeit der Hüfte beidseits für Abspreizung und Beugefähigkeit (links mehr als rechts) mit verbliebener Verschmächtigung der Beinmuskulatur links um 1 bis 2 cm und deutlich abge-schwächter Hüftabspreizmuskulatur links mit subjektiven belastungsabhängigen Schmerzen rechtsseitig beschrieben. Hierdurch könne die Klägerin noch leichte körperliche Tätigkeiten in überwiegend sitzender Position mit der Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltung mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Nicht mehr leidensgerecht seien Arbeiten mit überwiegendem Stehen und Gehen, häufigem Bücken, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen, Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Arbeiten in Kälte und Nässe. Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ferner das Gutachten der Fachärztin für Neurologie, Psychotherapie und Spezielle Schmerztherapie Dr. E.-E. aufgrund zweier Untersuchungen im Oktober 2008 eingeholt. Die Sachverständige hat über das von orthopädischer Seite beschriebene chronische Schmerzsyndrom hinaus eine mittelgradige rezidivierende depressive Störung, eine Klaustrophobie/Agoraphobie, Zwangsgedanken sowie psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei körperlicher Erkrankung und eine Migräne diagnostiziert, die die durch die körperliche Erkrankung bedingten Schmerzen erheblich beeinflussten. Durch die psychosomatischen Wechselwirkungen werde das Schmerzerleben verstärkt, was wiederum zu einem erhöhten Überforderungsgefühl im Alltag führe. Die psychischen Erkrankungen würden von der Klägerin dissimuliert und seien in ihrem Ausmaß in dem nervenärztlichen Vor-gutachten daher unterschätzt worden. Diese Verleugnung habe dazu geführt, dass bisher keine gezielte Behandlung eingeleitet worden sei. Gegenwärtig könne die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens ist die Beklagte zwar vom Vorliegen einer vollen Er-werbsminderung auf Zeit seit 25.01.2006 ausgegangen, die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Rente hat sie jedoch nicht als erfüllt angesehen, weil die Klägerin die erforderli-chen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Klägerin habe in dem maßgeblichen Zeitraum vom 25.01.2001 bis 24.01.2006 nur 15 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt. Im Rahmen der vom SG sodann eingeholten ergänzenden Stellungnahme hat die Sachverständige Dr. E.-E. ausgeführt, dass die von ihr festgestellte Einschränkung der Leistungsfähigkeit seit Beginn des Jahres 2004 - ausgelöst durch die Konfliktsituation mit dem Vater - bestehe. Im Hinblick auf die seinerzeit bestehende Befundsituation hat das SG Dr. M. , Dr. K. und Dr. P. nochmals als sachverständige Zeugen angehört. Diese haben zahlreiche Arztbriefe (weit überwiegend aus dem Zeitraum ab dem Jahr 2006) und zum Teil Auszüge aus ihren Behandlungsunterlagen vorgelegt.

Mit Urteil vom 15.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Ausgehend davon, dass die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente nur dann erfülle, wenn der Leistungsfall spätestens im April 2004 eingetreten wäre, hat es sich nicht davon überzeugen können, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin - entsprechend der Auffassung der Sachverständigen - bereits zu Beginn des Jahres 2004 auf weniger als drei Stunden täglich herabgesunken war. Dem stehe entgegen, dass die Klägerin in den Jahren 2003 und 2004 ihre Hausärztin nur unregelmäßig und in größeren Abständen aufgesucht habe und ein Anstieg der Besuchsfrequenz erst im September 2004 und dann erneut, und zwar erheblich, Anfang des Jahres 2006 zu verzeichnen sei. Dies mache deutlich, dass sich ihr Gesundheitszustand ab September 2004 noch deutlich verschlechtert habe, was gegen den Eintritt eines Leistungsfalls bereits vor diesem Zeitpunkt spreche.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 17.07.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.07.2010 beim SG Berufung eingelegt und geltend gemacht, bereits Ende des Jahres 2002 mit der Haushaltsführung und Kindererziehung völlig überlastet gewesen zu sein. Hiernach habe sich ihr gesundheitlicher Zustand nicht mehr gebessert. Im Januar 2003 seien ihr Vater und ihre Stiefmutter in ihr Haus eingezogen, weshalb sie völlig durcheinander gewesen sei, jedoch nicht die Kraft aufgebracht habe, sich dagegen zu wehren. In dem vom Vater und der Stiefmutter Anfang 2004 eröffneten Imbissbetrieb, in dem diese von den Töchtern Mitarbeit verlangt hätten, hätte sie aus physischen und psychischen Gründen nicht tätig werden können. Diesen Sachverhalt könne ihr Ehemann und ihre Schwester bestätigen, weshalb deren Vernehmung als Zeugen beantragt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.06.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 31.01.2007 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Er-werbsminderung seit Antragstellung zu gewähren, hilfsweise ihren Ehemann sowie ihre Schwester zu ihrem Gesundheitszustand, wie er in der Berufungsbegründungsschrift dargestellt worden ist, als Zeugen zu verneh-men.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. E.-E. eingeholt. Diese hat ausgeführt, die zuletzt vom SG beigezogenen Patientenunterlagen der Hausärztin untermau-erten sowohl die anamnestischen Angaben der Klägerin als auch die von ihr beschriebene Ein-schränkung der Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten ab An-fang 2004. Die Klägerin habe in den ersten drei Monaten des Jahres 2004 eine mittelgradige depressive Episode entwickelt; die von der Klägerin anlässlich der gutachtlichen Untersuchung geklagten körperlichen Beschwerden (Kloßgefühl im Hals, Oberbauchbeschwerden, Thorakal-syndrom) stimmten mit den von Dr. P. am 26.02. und 28.04.2004 beschriebenen Beschwerden überein. Die von dieser erhobenen Befunde gingen sogar noch über die anlässlich der gutachtli-chen Untersuchung vorgebrachten Beschwerden hinaus. Es sei unverständlich, dass Dr. P. sei-nerzeit keinen Zusammenhang zwischen den vorgebrachten körperlichen Beschwerden und psy-chischen Erkrankungen gesehen habe; diagnostisch sei sie immer auf den Ausschluss einer kör-perlichen Verursachung der Beschwerdesymptomatik beschränkt gewesen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genom-men.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 21.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Zwar ist die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nach Auffassung der Beklagten im Januar 2006 auf ein rentenberechtigendes Ausmaß herabgesunken, jedoch erfüllt die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer entsprechenden Rente.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Erwerbsminde-rungsrente (§ 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie zum Zeitpunkt des von der Beklagten angenommenen Eintritts des Versiche-rungsfalls Anfang 2006 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Rentengewährung nicht erfüllt und nicht festzustellen ist, dass ihr Leistungsvermögen zu dem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt waren, bereits auf ein rentenrelevantes Ausmaß herabgesunken war.

Das SG hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die im Streit stehende Rente wegen Erwerbsminderung nur noch bis zum 30.04.2004 erfüllt, mithin ein Rentenanspruch nur dann in Betracht käme, wenn der Versicherungsfall der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung spätestens am 30.04.2004 eingetreten wäre. Denn zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin in dem Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls vom 30.04.1999 bis 29.04.2004 (letztmals) die erforderlichen 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Insoweit besteht auch Einigkeit zwischen den Beteiligten.

Ebenso wie das SG vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin in ihrem beruflichen Leistungsvermögen - wie von der Sachverständigen Dr. E.-E. im Rahmen ihrer ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem SG dargelegt - bereits Anfang 2004 so schwerwiegend eingeschränkt war, dass sie berufliche Tätigkeiten selbst drei Stunden täglich nicht mehr verrichten konnte. Der Senat teilt die vom SG insoweit dargelegten Bedenken und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass für einen Anspruch auf Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente nicht erforderlich ist, dass ihr berufliches Leistungsvermögen am 30.04.2004 bereits auf weniger als drei Stunden herabgesunken war, es im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vielmehr ausreichend ist, wenn zu diesem Zeitpunkt ein sechsstündiges Leistungsvermögen nicht mehr bestand. Indes vermag der Senat gleichermaßen nicht festzustellen, dass die Klägerin schon am 30.04.2004 nicht mehr in der Lage war, eine leichte berufliche Tätigkeit unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die Klägerin ist in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit im Wesentlichen durch die Folgen der angeborenen Hüftdysplasie beidseits mit mehreren Operationen und einer verbliebenen Beinverkürzung linksseitig, die zu einer Torsionsskoliose geführt hat und dadurch zu muskulären Dysbalancen in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten, beeinträchtigt. Hierdurch können ihr lediglich noch überwiegend sitzende Tätigkeiten mit der Möglichkeit eines kurzzeitigen Gehens und Stehens zugemutet werden, wenn weitere qualitative Einschränkungen beachtet werden (keine Arbeiten in Zwangshaltungen und mit häufigem Bücken, ohne Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft, ohne Akkordarbeit- und Fließbandarbeit). Die aus dieser Erkrankung resultierenden Schmerzzustände werden - so die Darlegungen der Sachverständigen Dr. E.-E. - durch eine psychische Komorbidität wesentlich beeinflusst, und zwar vor allem durch eine mittelschwere depressive Störung, wie sie von der Sachverständigen anlässlich ihrer gutachtlichen Untersuchung im Oktober 2008 objektiviert worden ist. Hierdurch kommt es - so die Sachverständige in ihrem Gutachten - zu erheblichen Einschränkungen der körperlichen und der psychischen Belastbarkeit im Alltag, im Arbeitsbereich sowie im Freizeitbereich. Ausgehend hiervon hat die Sachverständige die Klägerin zu einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage gesehen und in ihrem Gutachten ausgeführt, die mittelschwere depressive Störung bestehe "wahrscheinlich seit 2004". Im Rahmen ihrer ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem SG hat sie den Beginn des von ihr angenommenen Leistungsvermögens (weniger als drei Stunden täglich) dann schon mit dem Beginn des Jahres 2004 konkretisiert, und als Auslöser die Konfliktsituation mit dem Vater gesehen. Diese Beurteilung (durchgehend aufgehobenes Leistungsvermögen ab Beginn der Konfliktsituation mit dem Vater bis zum Untersuchungszeitpunkt im Oktober 2008) überzeugt nicht, wie das SG ausführlich begründet hat (insbes. geringe Behandlungsfrequenzen mit Anstieg erst ab September 2004 und dann erneut erheblich ab Anfang des Jahres 2006). Denn hätte das Ausmaß der Schmerzsituation Anfang des Jahres 2004 bereits das Ausmaß erreicht, wie dies für den Zeitraum ab dem Jahr 2006 dokumentiert ist, wäre zu erwarten, dass die Klägerin aufgrund des Leidensdrucks bereits deutlich früher in erhöhtem Umfang ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hätte.

Auch die Leistungsbeurteilung der Sachverständigen im Rahmen der vom Senat eingeholten weiteren ergänzenden Stellungnahme überzeugt nicht. Soweit sie nunmehr ausführt, die vom SG zuletzt beigezogenen Behandlungsunterlagen untermauerten ihre frühere Einschätzung und von einer seit Anfang 2004 bestehenden Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich ausgeht, sind ihre Darlegungen widersprüchlich. Denn diese lassen völlig unbeachtet, dass die Sachverständige zuvor von einem (durchgehend) aufgehobenen Leistungsvermögen seit Anfang 2004 ausgegangen ist und sie die Klägerin nunmehr ab diesem Zeitpunkt mit bis zu weniger als sechs Stunden täglich weit leistungsfähiger beurteilt hat.

Auch ihre weitere Begründung für das Vorliegen einer mittelschweren Depression bereits An-fang des Jahres 2004 überzeugt nicht. Soweit sie diesbezüglich ausführt, dass die Klägerin aus-weislich der Patientendokumentation der Dr. P. bereits am 26.02. und 28.04.2004 über körperli-che Beschwerden geklagt habe, wie sie von der Klägerin später auch ihr gegenüber geltend ge-macht worden seien (Kloßgefühl im Hals, Oberbauchbeschwerden, Thorakalsyndrom), rechtfer-tigt das entsprechende Beschwerdevorbringen bei Dr. P. (26.02.2004: Oberbauchbeschwerden, selten Brennen im Hals; 28.04.2004: Thorakalsyndrom, nächtliches Brennen hinter Brustbein) weder die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode noch die Annahme, dass der in Verbindung mit der orthopädischen Beschwerdesituation nunmehr aufgetretene Schmerzzustand wegen seiner Schwere auch dauerhaft einer leichten sechsstündigen beruflichen Tätigkeit entgegengestanden hätte. Schließlich hat die Klägerin der Sachverständigen sogar über eine Beschwerdebesserung im Laufe des Jahres 2004 berichtet (vgl. Seite 8 ihres Gutachtens). Danach ging es ihr in der ersten Jahreshälfte 2004 sehr schlecht (monatelang gezittert, nicht mehr einschlafen können, ständiges Gedankenkreisen, Kloßgefühle im Hals, Stiche im Bauchbereich), jedoch hätten sich die Schlafstörungen unter Therapie mit Johanneskraut ebenso gebessert, wie das Gedankenkreisen. Für eine solche Besserung spricht auch, dass sich die Klägerin nach dem 28.04.2004 erst wieder im September 2004 bei Dr. P. vorstellte, dann allerdings mit einer gehäuften Frequenz. Hinreichende Anhaltspunkte für eine durchgehende rentenrelevante Leistungseinschränkung der Klägerin seit Anfang 2004 liegen daher nicht vor. Auch der Umstand, dass die Klägerin ihre selbstständige Tätigkeit erst zum 31.12.2005 aufgab, legt nicht die Vermutung nahe, dass schon zu Beginn des Jahres 2004 die geltend gemachte schwere Leistungsminderung vorlag. Wenn auch die Sachverständige für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Klägerin ihre Beschwerden dissimuliert hat und sie - die Sachverständige - die psychischen Erkrankungen der Klägerin erst anlässlich des zweiten Untersuchungstermin habe verifizieren können, so überzeugt den Senat letztlich auch nicht, dass die im Oktober 2008 von ihr diagnostizierte mittelschwere Depression - ungeachtet der hieraus ableitbaren Leistungseinschränkung - bereits 2004 vorlag. Denn insoweit relevante nervenärztliche Befunde wurden weder von dem behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. noch von dem von der Beklagten hinzugezogenen Gutachter Dr. D. beschrieben. Auch die von der Sachverständigen angenommene Dissimulation der Klägerin erklärt nicht gänzlich, dass selbst der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. eine seit dem Jahr 2004 durchgehend bestehende Depression, die langjährig ein mittelschweres Ausmaß erreicht haben soll, über Jahre hinweg übersehen haben soll.

Nach alledem sieht der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsver-mögen der Klägerin bereits am 30.04.2004 auf ein rentenberechtigendes Ausmaß herabgesunken war.

Die Beweisanträge der Klägerin lehnt der Senat ab, da durch eine Vernehmung des Ehemanns der Klägerin sowie ihrer Schwester, bei denen es sich um medizinische Laien handelt, im Hin-blick auf den Gesundheitszustand der Klägerin keine medizinischen Befunde erwartet werden können. Medizinische Befunde sind für eine Diagnosestellung jedoch ebenso notwendig, wie für eine sachgerechte Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin.

Die Berufung der Klägerin kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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