L 1 KR 278/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 3054/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 278/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufungen werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) (nachfolgend nur noch: "der Beigeladene") für die Beigeladene zu 2) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") für die Zeit ab 1. März 2001.

Der bei der Beklagten krankenversicherte 1949 geborene Beigeladene ist Ingenieur. Die Beigeladene ist ein Sanitärfachbetrieb. Ihr Geschäftsführer und Alleingesellschafter ist der Sohn des Beigeladenen, F B. Der Beigeladene trat mit Wirkung vom 1. März 2001 aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom selben Tag als Diplomingenieur für Versorgungstechnik in die Dienste der Beigeladenen. Zu seinem Aufgabengebiet sollte nach § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages auch "Bauleitung, Planung, Überwachung und Konzessionsträger" gehören. Als regelmäßige Arbeitszeit wurde in § 3 Abs. 1 des Vertrages 20 Stunden wöchentlich vereinbart. Als Vergütung wurde in § 4 Abs. 1 ein monatliches Bruttogehalt von 6.000 DM vereinbart. Der Beigeladene erhält nach § 9 für 6 Wochen Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall. Ihm steht nach § 10 ein Erholungsurlaub von 24 Werktagen im Jahr zu.

Der Beigeladene besitzt die notwendige Ausbildungsbefähigung, um für die Beigeladene Lehrlinge auszubilden. Er besitzt zudem die Anerkennung der regionalen Versorger für Gas und Wasser im öffentlichen Leistungsnetz, so dass die Beigeladene durch seine Mitarbeit entsprechende Aufträge bearbeiten kann. Die monatliche Vergütung von 3.427,75 Euro wird von der Beigeladenen als Betriebsausgabe gebucht. Es wurden bzw. werden Lohnsteuer abgeführt und Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung entrichtet.

Neben seiner Beschäftigung für die Beigeladene führt der Beigeladene ein eigenes Einzelunternehmen im Heizungs-/Sanitärbereich und beschäftigt hierbei auch Arbeitnehmer. Er hat kein eigenes Büro bei der Beigeladenen.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 9. Januar 2002 fest, dass der Kläger in der Rentenversicherung versicherungspflichtig sei.

Auf einen Antrag hin prüfte die Beklagte erneut die Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen für die Beigeladene. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung gaben beide an, dass der Beigeladene wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert sei, ohne seine Mitarbeit eine andere Arbeitskraft eingestellt werden müsste und er an Weisungen nicht gebunden sei, seine Tätigkeit frei bestimmen und gestalten könne und an der Führung des Betriebes mitwirke.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 fest, dass der Beigeladene in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen ab dem 1. März 2001 nicht sozialversicherungspflichtig sei. Die Beklagte übersandte den Bescheid mit Schreiben vom selben Tag auch an die Klägerin (Eingang dort: 15. Oktober 2007).

Diese hat am 12. November 2007 Klage gegen den Bescheid der Beklagten erhoben. Sie hat beantragt, den Bescheid aufzuheben soweit darin Rentenversicherungspflichtfreiheit festgestellt und festzustellen, dass der Beigeladene in seiner Tätigkeit für die Beigeladene ab dem 1. März 2001 der Rentenversicherungspflicht unterliege.

Die Beigeladenen haben erstinstanzlich vorgebracht, der Sohn des Beigeladenen habe sich für sein Unternehmen der praktischen Erfahrungen und der Befähigungen seines Vaters zum langfristigen Aufbau seines Unternehmens bedient. Dieser habe sich zu keiner Zeit einem tatsächlichen Weisungsrechts seines Sohnes unterworfen. Er habe sich zu keiner Zeit für die etwaigen Leistungen der Klägerin interessiert, sondern habe selbst Vorsorge für das Alter getroffen.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 18. Juli 2011 stattgegeben. Die Gesamtwürdigung aller Merkmale spräche hier für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Die Beklagte habe deshalb zu Unrecht das Bestehen von Rentenversicherungspflicht verneint.

Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Beigeladenen.

Zu deren Begründung haben sie sich ergänzend auf die so genannte Freelancer-Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 28.05.08 - B 12 KR 13/07 R -) berufen. Der Beigeladene trägt vor, er sei hinsichtlich der Art seiner Arbeitsleistung weisungsungebunden und solle vielmehr seine Expertise auf dem gesamten Gebiet der Geschäftstätigkeit einbringen. Wie sich aus der Formulierung im Arbeitsvertrag ergebe, sei die Beschäftigung nicht auf eine lediglich beratende und unterstützende beschränkt. Ihm sei auch hinsichtlich eines Großteils der vereinbarten Arbeitsleistungen freigestellt, wo er diese erbringe. Er habe auch hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen das unternehmerische Risiko getragen für die Geeignetheit und die Nutzbarkeit seiner Tätigkeit für die Beigeladene.

Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2011 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 28. März 2012 hingewiesen worden.

Die Berufungen haben keinen Erfolg. Die Klage ist als Kombination von Anfechtungsklage und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zulässig (ständige Rspr. des Senats, vgl. zur Feststellungsklage z. B. Urt. 12.11.2010 - L 1 KR 293/08 -, Juris-Rdnr. 45) und begründet. Dies hat das SG im angegriffenen Urteil zutreffend begründet. Auf dessen Ausführungen wird deshalb zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Der hinsichtlich der Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beigeladene ist auch zur Überzeugung des Senats abhängig beschäftigt und damit nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung:

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, sowie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteile vom 08. August 1990 - 11 RAr 77/89 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 08. Dezember 1994 - 11 RAr 49/94 - SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45); so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R - juris). Von diesen Grundsätzen geht der BSG auch im Urteil vom 28.05.2008 (B 12 KR 13/07 R) aus.

Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 - juris). Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nichtversicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Angehörigen ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002-42 S. 238f). Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben (BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8). Nach der Rechtssprechung des BSG, der der Senat folgt, ist bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen und nur in begrenzten Einzelfällen hiervon abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Familienunternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die zum Beispiel dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG, Urteil vom 08. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86 - BB 1989,72; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R - USK 9975).

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Die Beteiligten haben das Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsverhältnis ausgestaltet. Es gibt nämlich einen schriftlichen Arbeitsvertrag, der auch gelebt wird. Der Beigeladene erhält eine regelmäßige Zahlung erhält. Für ihn werden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.

Es ist auch nach dem Vortrag der Beigeladenen nicht so, dass der Beigeladene nach eigenem Gutdünken wie ein Alleingeschäftsführer tätig werden konnte und kann. Er ist vielmehr (nur) für die im Arbeitsvertrag umrissenen Tätigkeiten zuständig. Im Innen- wie im Außenverhältnis ist nur sein Sohn als der Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beigeladenen zur Führung der Geschäfte berechtigt und verpflichtet. Rein rechtlich hat sein Vater keinen Einfluss, auch wenn das Unternehmen auf ihn als "Konzessionsträger" und ausbildungsbefähigten Ingenieur angewiesen ist. Ganz allgemein müssen und können sich Eheleute, Angehörige oder andere (Geschäfts-)Partner an die von ihnen gewählte Vertragsgestaltung auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht festhalten lassen. Es unterliegt nicht ihrer Disposition, die Wirkungen des Vertragsverhältnisses nach Maßgabe ihrer Individualnützlichkeit auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken (BSG - Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -).

Dadurch, dass das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung enden kann, trägt der Beigeladene auch kein spezifisches Unternehmerrisiko. Das Kündigungsrisiko hat auch jeder Arbeitnehmer.

Die Kostenentscheidung richtet sich für das zweitinstanzliche Verfahren nach § 193 SGG. § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG ist in diesem Rechtszug nicht einschlägig, weil der Beigeladene und Berufungskläger als Versicherte zum Personenkreis des § 183 Satz 1 SGG gehört. Die Entscheidung entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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