L 11 R 257/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2703/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 257/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07.10.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin, griechische Staatsangehörige, wurde 1955 geboren. Der Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte im Jahr 1972. Sie hat keinen Beruf erlernt. Sie arbeitete als Raumpflegerin, Küchenhilfe, Spielhallenaufsicht. Zuletzt war sie seit 1999 als Reinigungskraft von Operationssälen beschäftigt. Seit November 2004 ist sie arbeitsunfähig erkrankt bzw arbeitslos. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Im Jahr 1990 beantragte die Klägerin erstmals wegen eines Zustands nach Bandscheibenvorfall und chronischen Schmerzsyndroms bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag wegen fehlender Erwerbsunfähigkeit ab. Nach einer Begutachtung der Klägerin wies sie den hiergegen eingelegten Widerspruch zurück. Im Jahr 1994 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Nach erneuten Begutachtungen lehnte die Beklagte wiederum ab. Das Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Auf Grundlage eines nervenfachärztlichen Gutachtens von Dr. B. sprach das Sozialgericht Mannheim (SG) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seit dem 01.04.1994 zu (S 9/13 RJ 710/95). Diese Entscheidung hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 14.08.1998 wieder auf. Im Jahr 1999 stellte die Klägerin einen neuen Antrag. Nach erneuter Begutachtung lehnte die Beklagte den Antrag ab, da nach wie vor keine Erwerbsunfähigkeit gegeben sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Ende 2004 folgte der nächste Rentenantrag. Nach Einholung neuer Sachverständigengutachten lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das Widerspruchsverfahren verlief ohne Erfolg. Im Verfahren vor dem SG (S 1 R 1755/05) wurde ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. Schw. eingeholt, der bei diagnostizierter kombinierter Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und emotional-instabilen Anteilen, dysthymer Störung, Angststörung und somatoformer Störung keine quantitative Leistungsminderung feststellte (Gutachten vom 03.01.2006). Außerdem holte das SG ein orthopädisches Gutachten bei Dr. P. ein (Gutachten vom 28.02.2006), der zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin trotz des Schulter-Arm-Syndroms, der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Knorpeldegenerationen an beiden Kniegelenken leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen vollschichtig verrichten könne. Ein weiteres nervenfachärztliches Gutachten von Dr. H. vom 07.05.2006 ergab eine mittelgradige depressive Episode und ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Mit Gerichtsbescheid vom 19.06.2007 verurteilte das SG die Beklagte daraufhin zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.06.2008. Das SG legte einen Leistungsfall am 04.11.2005 zugrunde, da sich die Klägerin an diesem Tag wegen einer schweren depressiven Episode in stationäre psychiatrische Behandlung begeben musste. Berufung wurde nicht eingelegt.

Am 31.03.2008 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Rente. Die Beklagte zog Befundberichte der Ärzte der Klägerin bei und ließ sie nervenfachärztlich begutachten. Dr. K. stellte im Gutachten vom 24.04.2008 eine teilremittierte leichte Depression, eine somatoforme Schmerzstörung, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Migräne und Spannungskopfschmerzen fest. Ihrer Einschätzung nach war die Klägerin wieder in der Lage leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Mit Bescheid vom 13.05.2008 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente ab. Über den Wegfallzeitpunkt hinaus liege weder eine volle noch teilweise Erwerbsminderung vor. Hiergegen legte die Klägerin am 20.05.2008 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2008 zurückgewiesen wurde.

Am 11.08.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, eine derart gravierende Besserung, dass die Klägerin wieder voll leistungsfähig sei, sei nicht eingetreten. Es bestünden noch erhebliche Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet.

Das SG hat die Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. M., Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, teilte im Oktober 2008 mit, aus Sicht seines Fachgebietes sei es vertretbar, dass die Klägerin einer leichten Arbeit im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden nachgehe. Die chronische Sinusitis habe sich nach der Kieferhöhlenoperation verbessert. Dr. L., Orthopäde, gab im November 2008 gegenüber dem Gericht an, er habe bei der Klägerin degenerative LWS-Veränderungen, eine Blockierung der LWS, eine Sehnenscheidenentzündung am linken Fuß und Krampfadern festgestellt. Die Klägerin könne nur leichte Tätigkeiten im Umfang von drei bis sechs Stunden ausüben. Der Internist und Rheumatologe Dr. He. gab im November 2011 an, er habe die Diagnose Fibromyalgie gestellt. Eine leichte körperliche Arbeit von drei bis unter sechs Stunden sei möglich. Im Hinblick auf die Chronifizierung der Beschwerden sowie die schnelle Ermüdbarkeit und immer wieder auftretenden Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden erscheine eine vollschichtige Tätigkeit derzeit unrealistisch. Dr. Ba., Internist, teilte im Januar 2009 mit, es bestünde eine Mitralklappenerkrankung mit leichtgradiger Mitralklappeninsuffizienz, häufige Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, klassische Migräne, Weichteilrheuma, degenerative Gelenkveränderungen, Depressionen und Angststörungen. Trotz intensiver Maßnahmen sei keine Verbesserung erreicht worden. Im März 2009 teilte die Psychiaterin Ste. mit, es bestünden eine zunehmende soziale Isolation und dauerhafte generalisierte Angst, abwechselnd mit Panikattacken, permanentes sich Sorgen machen, nahezu keine Belastbarkeit mit rascher Ermüdbarkeit, seit Jahren rheumatoforme Schmerzen, Kopf- und Migräneschmerzen, zeitweilige Schwindelattacken, Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen. Die Befunde bestünden seit Jahren, außer einer gewissen Stimmungsaufhellung, die das Funktionsniveau nicht positiv beeinflusse, in unveränderter Weise fort.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens bei dem Internisten und Nervenarzt Dr. Sch ... Im Gutachten vom 27.03.2009 führte er die Diagnosen Dysthymia, konversionsneurotische Entwicklung mit regressiven Tendenzen, somatoforme Schmerzstörung, degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne signifikante sensomotorische Ausfälle, Verdacht auf beginnende Polyneuropathie, Spannungskopfschmerzen, arterielle Hypertonie ohne Folgeerkrankungen und Fettstoffwechselstörung auf. Die Klägerin könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen verrichten. Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit, Tätigkeiten mit einer vermehrten Exposition von Kälte, Nässe und Lärm größer 85 dB, extrem schwankende Temperaturen oder gehäufte Zugluft, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, mit vermehrtem Publikumsverkehr oder vermehrt emotionaler Belastung seien zu vermeiden bzw nicht zumutbar. Umstellungs- und Anpassungsvermögen seien nicht eingeschränkt. Es liege ein ganzschichtiges Leistungsvermögen von maximal 8 Stunden vor. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Dieses Leistungsvermögen bestünde seit Ende der Rentengewährung, da die von ihm erhobenen Befunde im Wesentlichen mit dem Untersuchungsbefund von Dr. K. vom Mai 2008 übereinstimmten.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG den die Klägerin langjährig behandelnden Nervenarzt Prof. Dr. B. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Er stellte in seinem Gutachten vom 08.09.2009 die Diagnosen histrionische Persönlichkeitsstörung, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, teils mit psychotischen Symptomen, Panikstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Abhängigkeit von Medikamenten, insbesondere von Schmerzmitteln, Migräne, leichte subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, chronisches und degenerativ bedingtes Wirbelsäulensyndrom, Zn Operation eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 und Gonarthrose beidseits fest. Durch die bestehenden Erkrankungen und die daraus resultierenden Funktionsdefizite sei die berufliche Leistungsfähigkeit massiv eingeschränkt. Sie sei nicht mehr in der Lage, ohne Gefährdung für ihre Gesundheit auch nur leichte Tätigkeiten auszuüben. Auch weniger als drei Stunden täglich könne sie nicht arbeiten. Es liege eine erhebliche Antriebsminderung und eine sehr deutliche Einschränkung der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit vor. Die Wegefähigkeit wäre erhalten.

Das SG hat daraufhin Dr. St. vom Berufsförderungswerk Bad W. beauftragt, ein Gutachten unter Anwendung des Arbeitsplatzsimulationssystems "Ergos" zu erstatten. Im Gutachten vom 14.06.2010 gelangt Dr. St. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin derzeit und dauerhaft im Arbeitsleben nicht mehr leistungsfähig und nicht mehr integrationsfähig sei. Die Klägerin habe sich in keiner Weise motiviert gezeigt, eine Arbeits- oder Anstrengungsleistung zu erbringen. Allerdings müsse bei Betrachtung des psychiatrischen Krankheitsbildes die diesbezügliche Motivationsfähigkeit der Klägerin ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Es erscheine als äußerst unwahrscheinlich, dass sie zukünftig auch unter den Voraussetzungen einer psychiatrischen Behandlung, wieder in der Lage sein werde, eine solche Leistungs- und Anpassungsmotivation aufzubauen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.10.2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Sie habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass sie nicht in der Lage sei, die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen derart zu kompensieren, dass ihr eine leichte Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich nicht mehr möglich sei. Die Zweifel beruhten insbesondere auf der mangelnden Mitwirkung der Klägerin an den Begutachtungen und der Tatsache, dass bei der Klägerin eine starke Verdeutlichungstendenz vorliege, die eine valide Aussage über die tatsächliche Leistungsfähigkeit nicht zulasse. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Aggravationstendenz allein auf dem histrionischen Anteil der Persönlichkeitsstörung beruhe, das Verhalten von ihr also durchaus steuerbar sei. Das Gericht folge dem Sachverständigengutachten von Dr. Sch ... Das Ergebnis der "Ergos"-Begutachtung sei mangels Mitwirkung der Klägerin nicht verwertbar. Das Gutachten von Prof. Dr. B. könne das Gericht in keiner Weise überzeugen, da er eigene Angaben der Klägerin ungeprüft als eigenständige Diagnose übernommen habe. Zudem habe sich der Eindruck verfestigt, dass Prof. Dr. B. nicht unbefangen sein Gutachten erstattet habe.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.01.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.01.2011 beim LSG Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, sie sei außer Stande mindestens drei Stunden zu arbeiten. Schon Dr. H. habe im Jahr 2006 ein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt. Aufgrund der schon über 20 Jahre vorliegenden psychiatrischen Beeinträchtigungen sei von einer schlechten Prognose auszugehen. Damit hätten sich die Gutachter Dr. K. und Dr. Sch. nicht ausreichend befasst. Das Gutachten von Dr. Sch. sei nicht hinreichend begründet. Der Sachverständige Prof. Dr. B. habe dagegen die Klägerin im Rahmen zweier Untersuchungen in insgesamt sechs Stunden untersucht und eine ausführlichere Anamnese und einen wesentlich differenzierteren Befund erhoben. Das Ergebnis werde schließlich durch das Gutachten von Dr. St. bestätigt. Die Verdeutlichungstendenzen der Klägerin seien sehr wohl gesehen und im Rahmen der Gutachten gewürdigt worden. Auch Dr. Sch. habe außer einem einzigen Test keine Validierungsverfahren durchgeführt. Der Test habe zudem kein Anhalt für ein Verdeutlichungsverhalten ergeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07.10.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 13.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.06.2008 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung für zutreffend.

Das LSG hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren nervenfachärztlichen Gutachtens. Im Gutachten vom 23.11.2011 führt Prof. Dr. Bi. aus, es bestünden ein leicht ausgeprägtes Wirbelsäulen-Syndrom ohne aktuelle Nervenwurzelreizerscheinungen und neurologische Defizite, Spannungskopfschmerzen, Migräne und eine Dysthymie. Er habe eine psychiatrische Erkrankung im eigentlichen Sinne, ein depressives Syndrom jedweder Genese, ein Schmerzsyndrom wie auch ein Fibormyalgiesyndrom ausschließen können. Partiell bestünden Simulationstendenzen als Ausdruck einer bewußtseinsnahen Zweckrelation bzw Tendenzreaktion der Klägerin. Sie könne daher leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ausüben. Eine quantitative Leistungseinschränkung liege nicht vor. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Auf eine ergänzende Befragung und Vorlage einer Stellungnahme der Psychiaterin Ste., führte Prof. Dr. Bi. aus, es ergäben sich für ihn aus den übersandten Unterlagen keine neuen Gesichtspunkte. Psychopathologische Defizite, die auf eine Demenz hindeuteten, habe er nicht feststellen können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat über den 30.06.2008 hinaus keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, auch nicht wegen Berufsunfähigkeit.

Die Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich aus § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Klage- und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist, weil sie noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (jedenfalls seit dem 01.07.2008 wieder) mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Die Klägerin leidet auf nervenärztlichem Fachgebiet an einer Dysthymia, Spannungskopfschmerzen und Migräne. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von Prof. Dr. Bi ... Weitere psychiatrische Krankheiten relevanten Ausmaßes liegen nach den schlüssigen Ausführungen des Gerichtsgutachters nicht vor. Der Gutachter konnte weitere psychiatrische Erkrankungen jedweder Genese und relevanten Ausmaßes ausschließen, insbesondere ein depressives Syndrom, ein chronisches Schmerzsyndrom (einschließlich Fibromyalgie), ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, eine Persönlichkeitsstörung und auch eine hirnorganisch bedingte psychiatrische Störung (einschließlich Demenz). Lägen solche Erkrankungen in relevantem Ausmaß vor, resultiere daraus ein sozialer Rückzug, ein Verlust der Tagesstrukturierung und ein Verlust der allgemeinen Interessenlage. Diese gutachterliche Schlussfolgerung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09), wonach der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgleitet und daran gemessen wird. Entsprechende Beeinträchtigungen, die auf schwere psychische Störungen hindeuten, konnte Prof. Dr. Bi. nicht feststellen. Den anamnestischen Angaben der Klägerin gegenüber sämtlichen Gutachtern können ein ausreichendes Interessenspektrum, die Fähigkeit, einen regelrecht strukturierten Tagesablauf einzuhalten, die Fähigkeit, die anfallenden Haushaltsaufgaben zumindest partiell bewältigen zu können, die Fähigkeit, mit ihrem Mann Spaziergänge zu unternehmen, und das Interesse und die Fähigkeit, am kirchlichen Leben teilnehmen zu können, entnommen werden. Dabei bestätigten die vom Gutachter festgestellten verhornten Arbeitsspuren an der Radialseite des rechten Zeigefingers, die relativ kräftig entwickelte Muskulatur ohne einseitige Muskelminderungen und der allseits normale Muskeltonus ohne Verhärtungen, dass die Klägerin tatsächlich körperlich aktiv ist. Auch aus der Befundsituation kann nicht auf psychopathologische Defizite geschlossen werden. Wahrnehmung, Auffassung, Gedächtnis, Antrieb und Affekt sind nach den Feststellungen von Prof. Dr. Bi. ungestört. Außerdem widerspräche der vom Gutachter geführte Nachweis von Simulationstendenzen der Diagnose eines depressiven Syndroms bzw unüberwindbaren psychischen Hemmungen. Die mit der Simulation verbundenen aktiven, nach außen gerichteten Handlungselemente stehen entsprechenden Beeinträchtigungen entgegen. Der Gutachter hat an zahlreichen Beispielen dargelegt, dass die Klägerin Simulationstendenzen aufweist. Bei der körperlichen Untersuchung zeigte die Klägerin heftigste Schmerzustände an, zB bei der Drehbewegung des Kopfes. Gleichwohl fehlte die schmerzinduzierte Aktivierung der gegenläufig wirkenden Muskulatur, so dass der Gutachter nachvollziehbar Simulation annahm. Bei der Prüfung der groben Kraft demonstrierte die Klägerin eine derart deutliche Schwäche beider Beine, dass die Klägerin bei tatsächlichem Bestehen weder stand- noch gehfähig wäre. Dagegen ergaben die Stand- und Gangprüfungen keine Auffälligkeiten. Hinweise auf eine bewußtseinsnahe Zweckreaktion finden sich auch schon in früheren Gutachten, wie zB im Gutachten von Dr. Sch ... Dieser hatte bei der Prüfung von Motorik, Sensibilität und Koordination zweifelsfrei ein Verdeutlichungsverhalten festgestellt. Im Gutachten von Dr. St. wird beschrieben, dass bei der klinischen Prüfung der Hand- und Armkraft kaum eine Kraftentfaltung zu spüren gewesen sei. Die gezeigten Leistungen bei der "Ergos"-Untersuchung waren schließlich nicht konsistent.

Vor diesem Hintergrund kann dem Gutachten von Prof. Dr. B. nicht gefolgt werden. Der Gutachter nahm das Vorliegen einer histrionischen Persönlichkeitsstörung, einer schweren depressiven Störung, teils mit psychotischen Symptomen, einer Panikstörung und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung an. Die Befunderhebung hat zwar teilweise stärkere Beeinträchtigungen ergeben. Aufgrund der anamnestischen Angaben und der Simulationstendenzen hätte der Gutachter aber prüfen müssen, ob die Ergebnisse auf einer unzulänglichen Mitarbeit der Klägerin beruhen. Zudem besteht zwischen Befund und Diagnose insoweit ein Widerspruch, als dass trotz verneinter Störung des Gedankenganges eine schwere depressive Episode bejaht wird. Eine Denk- und Antriebshemmung ist jedoch ein typisches Symptom für eine Depression, wie der Gutachter Prof. Dr. Bi. nachvollziehbar darlegt. Der Senat ist auch nicht vom Vorliegen eines Demenz-Syndroms überzeugt. Allein der bildmorphologische Nachweis einer subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie lässt nicht auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung schließen. Erforderlich sind Störungen kognitiver Leistungen, Gedächtnisschwächen, Beeinträchtigungen intellektueller Leistungen und Persönlichkeitsveränderungen. Solche psychopathologischen Defizite konnten bei der Klägerin nicht festgestellt werden. Dies entnimmt der Senat den (ergänzenden) Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Bi ... Soweit Prof. Dr. B. und die Psychiaterin Ste. im Rahmen von Testungen Auffälligkeiten bei Gedächtnisleistungen beschreiben, reicht dies allein zur Annahme eines Demenz-Syndroms nicht aus. Vor dem Hintergrund der Befunderhebung bei Prof. Dr. Bi. ist zudem davon auszugehen, dass die Klägerin bewusstseinsnah entsprechende Zweckreaktionen herbeiführen kann.

Aufgrund der festgestellten Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet ist die Klägerin nur noch in der Lage leichte und vorübergehend mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Quantitative Leistungseinschränkungen bestehen dagegen nicht. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. Bi ... Vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde und der anamnestischen Angaben der Klägerin ist die Leistungseinschätzung für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. Bestätigt wird die Beurteilung durch den Gerichtsgutachter Dr. Sch., der zwar weitere, aber kategorial und vom Schweregrad her gleichwertige Diagnosen feststellte (Dysthymia, konversionsneurotische Entwicklung mit regressiven Tendenzen, somatoforme Schmerzstörung). Den Leistungseinschätzungen von Prof. Dr. B. und der Psychiaterin Ste. kann dagegen nicht gefolgt werden. Auch das Gutachten von Dr. St. überzeugt den Senat nicht. Der Gutachter stellte selbst fest, dass aufgrund der mangelnden Mitwirkung der Klägerin die Ergos-Testung nicht verwertbar sei. Die Motivationsfähigkeit zieht der Gutachter "bei Betrachtung des psychiatrischen Krankheitsbildes" in Zweifel, ohne nachvollziehbar darzulegen, warum die Erkrankung von der Klägerin nicht beeinflussbare Antriebshemmungen zur Folge hat. Demgegenüber gelang es Prof. Dr. Bi. den Senat vom Vorliegen von Simulationstendenzen zu überzeugen.

Eine andere Leistungsbeurteilung ist auch nicht mit Blick auf die weiteren Gesundheitsstörungen der Klägerin möglich. Von Seiten der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde steht die chronische Sinusitis nach Kieferhöhlenoperation einer leichten Arbeit im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden nicht entgegen. Dies hat der Arzt der Klägerin Dr. M. bestätigt. Auf internistischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einer Mitralklappenerkrankung mit leichtgradiger Mitralklappeninsuffizienz, häufigen Herzrhythmusstörungen, arterieller Hypertonie ohne Folgeerkrankungen und einer Fettstoffwechselstörung. Leistungseinschränkungen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes resultieren hieraus nicht. Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin nach Mitteilung ihres Orthopäden an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Blockierung der LWS. Motorische oder sensible neurologische Defizite werden nicht mitgeteilt und konnten von beiden Gerichtsgutachtern auch nicht festgestellt werden. Für den Senat sind die Leistungseinschätzungen der Gutachter Dr. Sch. und Prof. Dr. Bi. daher auch insoweit schlüssig und nachvollziehbar, als eine quantitative Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne vermehrte Exposition von Kälte, Nässe oder Zugluft verneint wird. Bestätigt wird dies von dem orthopädischen Gerichtsgutachter Dr. Schw. (Gutachten vom 28.02.2006). Auch der Orthopäde der Klägerin Dr. L. hält leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden für möglich. Soweit er neben Wirbelsäulenbeschwerden, eine Sehnenscheidenentzündung am linken Fuß und Krampfadern nennt, ergeben sich hieraus keine weitergehenden rentenrelevanten Beeinträchtigungen.

Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass sie noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus ihnen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Wegefähigkeit ist ebenfalls nicht eingeschränkt (zu den Voraussetzungen: BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 19.11.1997, 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Die Klägerin ist noch in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu nutzen. Dies haben die Gutachter Dr. Sch. und Prof. Dr. Bi. und auch Prof. Dr. B. bestätigt. Vor dem Hintergrund der dokumentierten Diagnosen und Funktionsstörungen ist dies für den Senat schlüssig und nachvollziehbar.

Die Klägerin ist damit nach Überzeugung des Senats in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, jedenfalls leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsbild besteht jedenfalls seit dem 01.07.2008, da zu diesem Zeitpunkt bereits Dr. K. nur noch leichte psychische Störungen bei der Klägerin festgestellt hatte. Sie hat damit keinen Anspruch auf Weitergewährung der Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl I 554) auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht bereits dann, wenn der bisherige Beruf (Hauptberuf) nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern erst, wenn der Versicherte nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann. Das Gesetz verlangt dazu, einen zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf zu nehmen. Um bestimmen zu können, auf welche Berufe der Versicherte verweisbar ist, hat die Rechtsprechung des BSG ein sogenanntes Mehrstufenschema entwickelt, das die Angestellten- und Arbeiterberufe in mehrere, durch unterschiedliche "Leitberufe" charakterisierte Gruppen untergliedert (vgl BSG, Beschluss vom 27.08.2009, B 13 R 85/09 B, juris). Nach diesem Schema ist die Klägerin als Ungelernte einzustufen. Sie hat keinen Beruf erlernt und war in wechselnden Tätigkeiten, zuletzt als Reinigungskraft beschäftigt. Damit ist sie auf sämtliche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeiten verweisbar. Derartige leichte Tätigkeiten kann die Klägerin - wie oben dargelegt - arbeitstäglich noch sechs Stunden und mehr verrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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