L 4 AS 167/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 2612/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 167/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. April 2010 sowie der Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 22. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 22. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 und der Bescheide vom 27. Juni 2008 und 15. Oktober 2008 verurteilt, dem Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. Oktober 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss zu zahlen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. Oktober 2008 als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen für den Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis 25. Mai 2008.

Der am XXXXX geborene Kläger, der bis Ende 2004 Sozialhilfe und anschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezog, ist der Sohn des am XXXXX 1933 geborenen und am XXXXX 2007 verstorbenen Herrn I. (i.F.: Erblasser). Er leidet – ausweislich verschiedener Unterlagen des sozialpsychiatrischen Dienstes – an einer depressiven Persönlichkeitsstörung (Depression mit rezidivierender schwerer depressiver Adynamie) sowie möglicherweise auch an Epilepsie und steht seit längerem (spätestens seit dem Jahr 2001) unter Betreuung. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2007 wurde bei ihm ab dem 12. Juli 2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt wegen eines Anfallsleidens, einer Hirnleistungsstörung und einer psychischen Störung. Derzeit bezieht er nach Angaben seines Betreuers Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), nachdem durch ein auf Betreiben des Beklagten eingeholtes Sachverständigengutachten fehlende Erwerbsfähigkeit festgestellt wurde.

Der Erblasser errichtete am 17. Juni 2004 ein notarielles Testament (Urkundenrolle für 2004 der Notarin Frau Dr. K. in D.), in dem er den Kläger und seine Schwester A.R. (geb. XXXXX1960) je zur Hälfte als von den gesetzlichen Bestimmungen nicht befreite Vorerben und die beiden Kinder der Schwester (geb. 1995 und 1997) als Nacherben einsetzte. Weiterhin ordnete der Erblasser hinsichtlich des Erbteils des Klägers die Testamentsvollstreckung an. Die einschlägige Bestimmung in Punkt III des Testaments lautet:

1. Mit Rücksicht darauf, dass (der Kläger) wegen seiner Krankheit nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, insbesondere die ihm durch den Erbfall zufallenden Vermögenswerte selbst zu verwalten, ordne ich hinsichtlich des Erbteils (des Klägers) auf dessen Lebenszeit Testamentsvollstreckung an.

Zum Testamentsvollstrecker bestimme ich meine vorgenannte Tochter ( ).

( )

Aufgabe des Testamentsvollstreckers ist die Verwaltung des Erbteils (des Klägers) und damit die Verwaltung des Nachlasses. Der Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die (dem Kläger) als Vorerben zustehen. Er ist zur Verwaltung des Nachlasses berechtigt und verpflichtet.

( )

Nach Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollstreckung an den dem Vorerben zugefallenen Vermögenswerten fort.

Ich treffe folgende, für den Testamentsvollstrecker verbindliche Verwaltungsanordnung:

Der Testamentsvollstrecker hat (dem Kläger) die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträge (Nutzungen) des Nachlasses nur in Form folgender Leistungen zuzuwenden:

- Überlassung von Geldbeträgen in Höhe des jeweiligen Rahmens, der nach den jeweils einschlägigen Gesetzen einem Leistungsempfänger maximal zur freien Verfügung stehen kann, - Geschenke zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten, zu seinem Geburtstag und Namenstag, wobei bei der Auswahl der Geschenke auf die Bedürfnisse und Wünsche (des Klägers) ausdrücklich einzugehen ist, - Zuschüsse zur Finanzierung seines Urlaubs und zu Urlaubsgestaltung - Zuwendungen zur Befriedigung geistiger und künstlerischer Bedürfnisse sowie zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse (des Klägers) in Bezug auf Freizeit, wozu insbesondere auch Hobbys und Liebhaberei zählen.

Für welche der genannten Leistungen die jährlichen Reinerträgnisse verwendet werden sollen, ob diese also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob diese in einem Jahr nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet werden, entscheidet der Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl (des Klägers) bedacht sein muss.

Werden die jährlichen Reinerträgnisse in einem Jahr nicht in voller Höhe in Form der bezeichneten Leistungen (dem Kläger) zugewendet, sind die entsprechenden Teile vom Testamentsvollstrecker gewinnbringend anzulegen.

Sind für (den Kläger) größere Anschaffungen, wie beispielsweise der Kauf eines Gegenstandes zur Steigerung des Lebensstandards oder eine größere Reise oder ähnliches beabsichtigt, hat der Testamentsvollstrecker entsprechende Rücklagen zu bilden.

Weiter enthält Punkt IV des Testaments Anordnung zur Verwaltung eines Hausgrundbesitzes in E., der zu Lebzeiten der Vorerben nicht verkauft werden soll (Punkt IV 1). Die Verwaltung wird der Schwester des Klägers übertragen (Punkt IV 2). Zwanzig Prozent der Nettomieteinnahmen sollen auf ein Sonderkonto eingezahlt werden, um hiervon laufende Kosten zu bestreiten, die übrigen achtzig Prozent erhalten zu gleichen Teilen der Kläger und seine Schwester, wobei der auf den Kläger entfallende Anteil den "vorstehenden Beschränkungen durch die Testamentsvollstreckung" unterliegt.

Nach dem Tod des Erblassers am XXXXX 2007 wurde das Testament am 9. Mai 2007 eröffnet. Ausweislich der Angaben gegenüber dem Nachlassgericht belief sich der Nachlass auf besagtes Hausgrundstück im Wert von 290.000.- Euro bis 310.000.- Euro, verschiedene Bankguthaben i.H.v. 39.661.- Euro sowie einen Pkw im Wert von ungefähr 5.000.- Euro.

Nachdem der Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, hob er mit Bescheid vom 22. Juni 2007 die (mit Bescheid vom 23.11.2006 erfolgte) Bewilligung für die Zeit ab dem 1. Mai 2007 vollständig auf und führte zur Begründung aus, durch den Erbfall sei die Hilfebedürftigkeit weggefallen. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag lehnte der Beklagte einen nicht näher bezeichneten und auch nicht in der Verwaltungsakte befindlichen Fortzahlungsantrag für die Zeit ab dem 1. Juli 2007 ab und führte zugleich aus, es kämen Leistungen als Darlehen in Betracht, jedoch seien der Darlehensbescheid sowie eine Erklärung über eine ebenfalls nicht näher bezeichnete Sicherungsabtretung vom Betreuer des Klägers in Anwesenheit des Sachbearbeiters persönlich zu unterzeichnen. Schließlich erließ der Beklagte unter dem 22. Juni 2007 noch einen Bescheid, mit dem er einen "Anspruch auf Miterbenauseinandersetzung" in Höhe der Aufwendungen der vom Beklagten erbrachten Leistungen auf sich überleitete. Somit könne die Testamentsvollstreckerin – die eine Abschrift des Bescheides erhielt und hiergegen am 18. Juli 2007 Widerspruch einlegte – nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Kläger leisten.

Der Kläger legte gegen die Aufhebung der Bewilligung und die Ablehnung der Fortzahlung am 29. Juni 2007 und 1. Juli 2007 Widerspruch ein. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 14. August 2007 darlehensweise Leistungen für die Monate Mai bis September 2007. Mit zwei Bescheiden vom 30. Oktober 2007 wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers mit der Begründung zurück, das Testament sei wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten offensichtlich nichtig.

Hiergegen richtete sich die am 22. November 2007 erhobene Klage. Mit Bescheid vom 27. Juni 2008 bewilligte der Beklagte laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 26. Mai 2008 bis zum 31. Oktober 2008 als Darlehen. Anstelle einer Rechtsbehelfsbelehrung enthielt der Bescheid den Zusatz, er werde Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Mit zwei Bescheiden vom 15. Oktober 2008 erweiterte der Beklagte diese Leistungen um Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie um die Übernahme einer Heiz- und Betriebskostennachforderung; diese Bescheide waren mit einer Belehrung versehen, wonach hiergegen der Widerspruch statthaft sei. Für die Zeit ab dem 1. November 2008 wurden zunächst Leistungen als Darlehen gewährt, wogegen der Kläger Widerspruch einlegte. Für die Zeit ab dem 1. November 2009 wurden – ausweislich des Bescheides vom 22. Oktober 2009 – die Leistungen offenbar wieder zuschussweise gewährt, zugleich erfolgte erneut eine Überleitungsanzeige.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 für den Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis zum 25. Mai 2008 fortlaufend Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss zu bewilligen, hilfsweise als Darlehen.

&8195; Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. April 2010 (dem Klägerbevollmächtigten zugegangen am 27.4.2010) abgewiesen: Der Kläger sei nicht hilfebedürftig, da er über Vermögen i.S. des § 12 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in Gestalt der Stellung als Vorerbe verfüge. Zwar sei das Testament angesichts der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 20.10.1993, IV ZR 231/92) nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, allerdings stelle der Nachlass aus dem Testament trotz fehlender Möglichkeit, die Immobilie zu veräußern, Vermögen dar. Entsprechend habe das Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 4. November 2009 (L 5 B 217/08 PKH AS) Prozesskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, dass dem Kläger nicht nur die Erträge aus dem Hausgrundstück zustehen, sondern er ausweislich des Testaments auch Miterbe des weiteren Vermögens geworden sei. Weiter fielen dem Kläger die Reinerträge aus dem Nachlass nach Ziffer IV. 3. des Testamentes in Höhe von 40 % zu und seien spätestens nach dem Ende der Testamentsvollstreckung an ihn auszukehren. Die angeordnete Testamentsvollstreckung ändere hieran nichts, sondern könne lediglich zu einem Anspruch auf Leistungen als Darlehen führen. Zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs – soweit nicht bereits erfüllt (im Zeitraum vom 26. Mai 2008 bis zum 31. Oktober 2008) – fehle es jedoch an einem Rechtsschutzbedürfnis: Der Unterhalt des Klägers sei im Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis zum 25. Mai 2008 durch ein Darlehen seiner Schwester gesichert worden. Der Kläger könne nicht verlangen, dass ein Darlehen durch ein anderes ersetzt werde. Ein schützenswertes Interesse seiner Schwester bestehe nicht, da diese sich – auch im Rahmen der angeordneten Testamentsvollstreckung – aus dem Nachlass befriedigen könne.

Am 27. Mai 2010 hat der Kläger Berufung eingelegt und seinen Klageantrag auch auf Abänderung des Bescheides vom 27. Juni 2008 und Gewährung von Leistungen für die Zeit bis zum 31. Oktober 2008 erweitert. In der Sache führt er aus, über das Hausgrundstück könne er als Vorerbe nicht verfügen. Hinsichtlich des restlichen Nachlasses hindere ihn die Testamentsvollstreckung an der Verfügung, die sich auch auf die Reinerträge aus dem Vermögen und die aus den Erträgen gebildeten Rücklagen erstrecke. Weiterhin bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis für den Hilfsantrag, denn das Darlehen sei ausweislich des Vertrages vom 27. August 2007 als Nothilfedarlehen angelegt gewesen. Zur Tilgung des Darlehens seiner Schwester dürfe der Kläger nicht auf die Rücklagen aus den Erträgen des Nachlasses verwiesen werden. Das Testament wolle gerade verhindern, dass aus dem Vermögen Leistungen erbracht würden, die den Beklagten entlasteten. Schließlich ließen sich aus den Erträgen des Grundstücks i.H.v. 736.- Euro monatlich keine Rücklagen bilden, die den Bedarf des Klägers von monatlich 1.1065.- Euro decken könnten. Zumindest der überschießende Teil müsse als Zuschuss erbracht werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Hamburg vom 13. April 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung dieser Bescheide sowie der Bescheides vom 27. Juni 2008 und 15. Oktober 2008 zu verurteilen, dem Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2007 bis 31. Oktober 2008 Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss zu zahlen, hilfsweise, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis 25. Mai 2008 Leistungen als Darlehen zu erbringen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat am 13. September 2012 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die Leistungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. Oktober 2008 als Zuschuss. Insbesondere ist auch der Anspruch im Zeitraum vom 26. Mai 2008 bis zum 31. Oktober 2008 (und die ihn regelnden Bescheide) Gegenstand des Berufungsverfahrens. Zwar dürfte der diesen Zeitraum regelnde Bescheid entsprechend der Auffassung des Beklagten Gegenstand des zur Zeit seines Erlasses anhängigen Klageverfahrens geworden sein. Das Sozialgericht brauchte über ihn jedoch nicht zu entscheiden, da sich der – ausweislich der Sitzungsniederschrift vorgelesene und vom Prozessbevollmächtigten des Klägers genehmigte – Klageantrag auf Leistungen für die Zeit bis zum 25. Mai 2008 beschränkte. Jedoch hat der Kläger seine mit der Berufung weiterverfolgte Klage wirksam auch auf den Zeitraum vom 26. Mai 2008 bis zum 31. Oktober 2008 erweitert. Der Kläger hat mit seiner Klageerweiterung im Berufungsverfahren das Klageziel des erstinstanzlichen Verfahren bei im Wesentlichen gleichem Lebenssachverhalt zumindest teilweise weiterverfolgt (zu dieser Voraussetzung Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 99 Rn. 12 m.w.N.). Weiterhin ist die Klageänderung auch sachdienlich i.S.d. § 99 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetz (SGG; hier i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hatte im Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis zum 31. Oktober 2008 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Zuschuss. Angesichts dessen ist auch der Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 22. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 mangels einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X- hier i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bei Erlass des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung) rechtswidrig.

Der Erbfall hat nicht zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) geführt, denn bei der hieraus erlangten Rechtsstellung – Vorerbenschaft in Verbindung mit Testamentsvollstreckung – handelt es sich nicht um verwertbares und somit anspruchsausschließendes Vermögen. Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vermögen ist der Bestand aus Sachen und Rechten in Geld oder Geldeswert in der Hand des Berechtigten. Es ist nur verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können (BSG, Urteil vom 16.5.2007, B 11b AS 37/06 R; BSG, Urteil vom 30.8.2010, B 4 AS 70/09 R; Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 31). Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzfristig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (BSG, a.a.O.). Vermögensgegenstände, über die der Inhaber nicht uneingeschränkt verfügen kann, sind rechtlich nicht verwertbar i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II, wenn der Inhaber nicht in der Lage ist, dieses Hindernis in absehbarer Zeit (i.d.R. binnen sechs Monaten, BSG, Urteil, a.a.O.) zu beseitigen (Löns, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl., 2011, § 12 Rn. 11).

Der Ausschluss der Verwertbarkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II ergibt sich nicht aus der Einsetzung des Klägers zum Vorerben, denn auch ein Vorerbe kann nach § 2112 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, soweit sich nicht aus den Vorschriften der §§ 2113 bis 2115 BGB ein anderes ergibt. Ausgeschlossen wird die Verwertbarkeit im vorliegenden Fall jedoch durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung. Nach § 2211 Abs. 1 BGB kann der Erbe über einen der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstand nicht verfügen. Deutlich wird diese Beschränkung auch in § 2214 BGB, wonach sich auch Gläubiger des Erben (mit Ausnahme der Nachlassgläubiger) nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten können. Testamentsvollstreckung kann - wie im Fall des sog. Behindertentestaments - auch im Fall der Vorerbenschaft angeordnet werden (BGH, Urteil vom 21.3.1990, IV ZR 169/89) und führt unabhängig von den aus der Stellung als Vorerbe resultierenden Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.9.2009, L 8 SO 177/09 B ER) zu einem rechtlichen Verfügungshindernis, das dem Grundsatz nach zugleich die Verwertbarkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II ausschließt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9.10.2007, L 7 AS 3528/07 ER-B; zu dem bis 31.12.2004 geltenden Sozialhilferecht etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.1992, 6 S 384/90; aus dem Schrifttum etwa Löns, a.a.O.; Striebinger, in: Gagel, SGB II / SGB III, 45. EL 2012, § 12 SGB II Rn. 30; zur parallelen Problematik im Rahmen von § 90 SGB XII auch OLG Köln, Beschluss vom 7.1.2009, 16 Wx 233/08).

Eine Ausnahme von diesem, auch grundsicherungsrechtlich anzuerkennenden Verfügungshindernis kommt nur in Betracht, wenn der Berechtigte in absehbarer Zeit eine Freigabe von Nachlassgegenständen oder Nutzungen gem. den §§ 2216, 2217 BGB erreichen könnte (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9.10.2007, L 7 AS 3528/07 ER-B; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.1992, 6 S 384/90) oder wenn – wiederum zeitnah – ein Fall eintritt, in dem der Testamentsvollstrecker nach dem Testament verpflichtet ist, Geldmittel an den Berechtigten auszukehren und es für Bedarfe einzusetzen, zu deren Befriedigung der Kläger Fürsorgeleistungen erhält (Hamburgisches OVG, Urteil vom 2.5.1997, Bf IV 33/96). Im vorliegenden Fall sind jedoch Anhaltspunkte weder für das eine noch für das andere ersichtlich. Aus dem Testament ergibt sich deutlich der Wille des Erblassers, dass der Kläger aus dem gesamten Nachlass nur denjenigen Anteil der jährlichen Reinerträge (Nutzungen) erhalten soll, der für die in Ziffer III 1 Buchstabe a des Testaments bezeichneten Zwecke erforderlich ist. Ein Verbrauch des Nachlasses selbst soll - wie sich aus der Zusammenschau von Ziffer III 1 und 2 des Testaments ergibt - ausgeschlossen sein. Auch mit einem baldigen Ende der Testamentsvollstreckung insgesamt ist nicht zu rechnen, denn sie ist ausdrücklich auf Lebenszeit des Klägers angeordnet worden.

Die Testamentsvollstreckung erstreckt sich ausweislich Ziffer III 1 des Testaments auf den gesamten Erbteil des Klägers. Sie beschränkt sich nicht auf das Hausgrundstück, sondern erfasst insbesondere auch den Anteil des Klägers an den zur Zeit des Erbfalls bestehenden Guthaben. Ein entsprechender Wille des Erblassers ergibt sich aus Ziffer III 1 Unterabsatz 4 des Testaments, wonach Aufgabe der Testamentsvollstreckerin die Verwaltung des gesamten Erbteils des Klägers "und somit die Verwaltung des Nachlasses" ist. Dass der Erblasser darüber hinaus noch ein Veräußerungsverbot hinsichtlich des Hausgrundstücks testiert hat, bietet keinen Anlass zu der Annahme, er habe dem Kläger den Verbrauch seines Anteils am restlichen Nachlass ermöglichen wollen.

Das Testament ist auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig (mit der Folge, dass die gesetzliche Erbfolge einträte und der Kläger somit – vermutlich – zur Hälfte Erbe nach seinem verstorbenen Vater geworden wäre). Es ist seit Langem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass das sog. Behindertentestament - die Kombination aus Einsetzung zum Vorerben und lebenslanger Testamentsvollstreckung - nicht sittenwidrig (§ 138 BGB) ist. Der Bundesgerichtshof hat hierzu bereits im Jahr 1990 ausgeführt (Urteil vom 21.3.1990, IV ZR 169/89):

Der Klägerin ist zuzugeben, daß das Subsidiaritätsprinzip zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Staates allgemein besonderer Beachtung bedarf. Indessen wäre es in Fällen der vorliegenden Art zuviel verlangt, von den Eltern eines behinderten Kindes zu erwarten, daß sie die zuvörderst ihnen zukommende sittliche Verantwortung für das Wohl des Kindes dem Interesse der öffentlichen Hand an einer Teildeckung ihrer Kosten hintansetzen. Selbst das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der Sozialverwaltungen liegt für die Eltern eines behinderten Kindes zu fern, als daß ihnen aus sittlichen Gründen abverlangt werden könnte, nicht noch mehr für ihr Kind zu tun, als die öffentliche Hand leistet. Wenn Eltern, die ihre Verantwortung für ihr behindertes Kind und dessen Wohl voll auf sich genommen haben und dieser Aufgabe gerecht zu werden suchen, in diesem Zusammenhang die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Sozialverwaltungen vor Augen gehalten werden, dann müssen sie sich vielmehr umgekehrt fragen, ob sie nicht sittlich gehalten sind, auch für den Fall vorzusorgen, daß die öffentliche Hand ihre Leistungen für Behinderte nicht mehr auf dem heute erreichten hohen Stand halten kann. Eltern, die hier nach Auswegen suchen und den im Schrifttum erörterten Vorschlägen (vgl. z.B. Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag 2. Aufl. Rdn. D 272ff., Anh. 63; Karpen, MittRhNotK 1988, 131, 147ff.) folgen, kann man deswegen regelmäßig keinen Sittenverstoß vorwerfen.

In seinem Grundsatzurteil vom 20. Oktober 1993, IV ZR 231/92, hat der Bundesgerichtshof an dieser Rechtsprechung festgehalten: Insbesondere sei es nicht sittenwidrig, wenn der Erblasser den Nachlass und seine Nutzungen zu Lebzeiten des hilfebedürftigen Erben dem Zugriff des Sozialhilfeträgers durch Anordnung der Testamentsvollstreckung entziehe und auch einen (unmittelbaren) Zugriff auf den Nachlass nach dem Tod des Hilfebedürftigen durch Einsetzung eines Nacherben vereitele. Sodann hat der Bundesgerichtshof zur Rolle des sozialhilferechtlichen Subsidiaritätsprinzips fortgeführt:

Die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung kann aber nicht danach beurteilt werden, wie verantwortungsbewußte Eltern testieren würden, wenn der Gesetzgeber die ihm obliegende öffentliche Verantwortung nicht wahrgenommen hätte und es die bestehenden Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht gäbe.

d) Darüber hinaus wäre eine Einschränkung der Testierfreiheit ein Eingriff in die grundrechtlich gewährleistete Privatautonomie im Erbrecht (BGHZ 111, 36, 39). Zwar können Inhalt und Schranken dieses Grundrechts durch die Gesetze bestimmt werden (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Dabei ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, auf unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Rechtsbegriffe und Generalklauseln zurückzugreifen. Die Vorschriften müssen aber im Hinblick auf das Grundrecht, das sie einschränken, so genau gefaßt sein, wie es nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Bestimmtheitsgrundsatz, BVerfGE 49, 168 = NJW 1978, 2446 unter B I 1 a; BVerfGE 56, 1, 12 = NJW 1981, 1311 unter C I 1 a). Ferner muß der Eingriff in das Grundrecht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein (BVerfGE 67, 329 = NJW 1985, 1455 unter B II 1 a).

Im Lichte dieses Verständnisses wäre eine Einschränkung der Testierfreiheit durch Anwendung der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB nur in Betracht zu ziehen, wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder allgemeine Rechtsauffassung stützen könnte. Weder das eine noch das andere liegt hier jedoch vor. Dem Bundessozialhilfegesetz läßt sich gerade für Behinderte keine in diesem Sinne konsequente Durchführung des Nachrangs der öffentlichen Hilfe entnehmen. Es fehlt auch an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, daß Eltern ihrem behinderten Kind jedenfalls von einer gewissen Größe ihres Vermögens an einen über den Pflichtteil hinausgehenden Erbteil hinterlassen müßten, damit es nicht ausschließlich der Allgemeinheit zur Last fällt (dagegen außer dem Berufungsgericht auch van de Loo, NJW 1990, 2852, 2857; Otte, JZ 1990, 1027, 1028; Krampe, AcP 191, 526, 560; Kuchinke, FamRZ 1992, 362f.; Pieroth, NJW 1993, 173, 178). Der Gesetzgeber hat in § 2338 BGB dem Erblasser sogar Wege gewiesen, wie er das Familienvermögen vor dem Zugriff der Gläubiger eines überschuldeten Pflichtteilsberechtigten retten kann.

Festgehalten hat der Bundesgerichtshof an dieser Rechtsprechung auch in seinen Entscheidungen über die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen der im Behindertentestament bedachten Hilfeempfänger (BGH, Urteil vom 8.12.2004, IV ZR 223/03, BGH, Urteil vom 19.10.2005, IV ZR 235/03; BGH, Urteil vom 19.1.2011, IV ZR 7/10). Der Senat macht sich diese Auffassung zu eigen.

Soweit den angefochtenen Widerspruchsbescheiden die Auffassung des Beklagten zugrunde liegt, diese Rechtsprechung sei nicht auf das SGB II zu übertragen, findet sich hierfür kein durchgreifender rechtlicher Anhaltspunkt. Zwar ließe sich argumentieren, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Besserstellung solcher Empfänger staatlicher Fürsorgeleistungen abzielt, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, wesentlich zum eigenen Lebensunterhalt beizutragen, während das Fürsorgesystem des SGB II Erwerbsfähigkeit voraussetzt (in diese Richtung SG Dortmund, Beschluss vom 25.9.2009, S 29 AS 309/09 ER). Dieser Gesichtspunkt begründet allerdings keinen grundsätzlichen Einwand gegen eine Übertragung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern veranlasst lediglich zur Prüfung im Einzelfall, ob der durch den Erbfall Berechtigte als "behindertes Kind" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anzusehen ist. Dieser Begriff ist im Zusammenhang der zitierten Rechtsprechung nicht sozialrechtlich, sondern erbrechtlich auszulegen. Der Begriff "Kind" nimmt – wie der Befund aus den zitierten Entscheidungen ergibt – auf das Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser und nicht auf das Lebensalter des Berechtigten Bezug (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.3.1990, IV ZR 169/89). Eine nähere Definition des Begriffs der Behinderung lässt sich der genannte Rechtsprechung nicht entnehmen. Im vorliegenden Fall kann aber dahinstehen, wie eine Definition des Begriffs der Behinderung in diesem Sinne genau lauten müsste. Die Lebenssituation des Klägers war bereits vor seinem "Wechsel" in das Fürsorgesystem des SGB XII geprägt durch seine bereits deutlich vor 2005 vom sozialpsychiatrischen Dienst festgestellte psychische Erkrankung. Aus den in der Akte des Beklagten befindlichen Unterlagen des sozialpsychiatrischen Dienstes ergibt sich, dass der Kläger offenbar mehrfach PPM-Maßnahmen in Anspruch genommen hatte und insbesondere auch zumindest zeitweise nicht in der Lage war, seinen Haushalt eigenverantwortlich zu führen. Ein GdB ist jedenfalls seit Juli 2007 (weniger als ein Vierteljahr später als der Erbfall) festgestellt. Dass der Beklagte ihn im streitgegenständlichen Zeitraum gleichwohl als erwerbsfähig angesehen hat, hat insoweit keinen Beweiswert. Es ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass diese Einschätzung auf einer Aufklärung des relevanten sozialmedizinischen Sachverhaltes beruht hätte.

Der Kläger braucht sich auch nicht entgegenhalten zu lassen, dass er es unterlassen hat, gem. § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB das Erbe als Vorerbe auszuschlagen und stattdessen einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Da selbst der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfeempfängers nicht sittenwidrig ist (BGH, Urteil vom 19.1.2011, IV ZR 7/10; vgl. auch bereits BGH, Urteil vom 21.3.1990, IV ZR 169/89), kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, er habe einen möglichen Anspruch auf einen nicht im Wege der Vorerbenstellung eingeschränkten Pflichtteil nicht realisiert.

Folge dieses Fehlens von Verwertbarkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II ist auch nicht etwa ein Anspruch auf Leistungen als Darlehen gem. § 9 Abs. 4 SGB II (in der während des streitigen Zeitraums geltenden Gesetzesfassung, jetzt § 24 Abs. 5 SGB II). Allgemein gilt für das Verhältnis der genannten Vorschriften zu § 12 Abs. 1 SGB II, dass Leistungen als Darlehen überhaupt erst dann in Betracht kommen, wenn berücksichtigungsfähiges (d.h. verwertbares) Vermögen i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB II vorhanden ist. Bereits hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Überdies wäre eine nur darlehensweise Bewilligung den Umständen des vorliegenden Einzelfalles nach völlig unangemessen. Dass der Kläger "seinen" Anteil des Nachlasses jemals in die Hand bekommt, ist nach dem Testament gerade ausgeschlossen. Somit soll der "Verwertungs- und Rückzahlungsfall", auf den die genannten Vorschriften Bezug nehmen, gerade nicht eintreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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