L 9 AL 214/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 59/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 214/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 118/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe bei nicht angezeigter selbständiger Tätigkeit sowie zur Abgrenzung zwischen § 45 SGB X und § 48 SGB X im Fall der Aufhebung.
Die Arbeitslosmeldung erlischt nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III jedenfalls dann, wenn die aufgenommene und nicht unverzüglich angezeigte Tätigkeit nicht von vorneherein auf eine kurzzeitige Tätigkeit beschränkt war (im Anschluss an BSG vom 21.03.2006, Az. 11 Rar 93/95, BSG vom 29.10.2008, Az. B 11 AL 52/07 R sowie zuletzt BayLSG, Az. L 9 AL 51/09 sowie L 9 AL 63/09).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg
vom 29.07.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe nebst Erstattungsforderung in Höhe von 6.449,67 EUR.

Der im Jahr 1944 geborene Kläger war seit dem 02.11.1992 mit Unterbrechungen arbeitslos. Ab 05.01.1995 bezog er dann - mit geringfügigen Unterbrechungen - Arbeitslosenhilfe. Der Arbeitslosenhilfe-Bewilligungsabschnitt erstreckte sich jeweils vom 01.11. eines Jahres bis zum 31.10. des Folgejahres.

Der Kläger stellte sich anlässlich seiner Fortzahlungsanträge stets für eine Vollzeitbeschäftigung zur Verfügung. Beim Fortzahlungsantrag vom 10.10.2002 gab der Kläger an, dass er eine Nebenbeschäftigung als Kurierfahrer seit 01.06.2002 für die Fa. p. mit einer wöchentlichen Stundenanzahl von ca. 10 Stunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 306,00 EUR ausübe. In der Folgezeit gingen bei der Beklagten Bescheinigungen über Nebeneinkommen des Klägers als Kurierfahrer zunächst von der Fa. p. für den Monat Oktober 2002 ein. Ab November 2002 gingen solche Bescheinigungen der Fa. S. T. ein, in denen dem Kläger jeweils ein Nebeneinkommen in Höhe von 180,00 EUR monatlich brutto für eine Beschäftigung als Kurierfahrer im Umfang von 10 Wochenstunden bescheinigt wurde. Zuletzt ging eine Bescheinigung über Nebeneinkommen der Fa. S. T. vom 11.10.2003 ein, mit der dem Kläger für den Monat September 2003 (bis 10.09.2003) ein Nebeneinkommen von 66,00 EUR brutto für eine Tätigkeit als "K." bescheinigt wurde.

Am 15.09.2003 ließ der Kläger unter dem Namen "M. R." einen Kurierdienst unter der Adresse B-Straße 70 in A-Stadt (seine Wohnanschrift), als Gewerbe mit Beginn zum 01.10.2003 anmelden. Als Tätigkeit gab er dabei "Kleintransporte bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht, Kurierdienste, Vermittlung von Transporten" an.

Ebenfalls am 15.09.2003 schloss der Kläger mit der Fa. K. & T. M. R. einen Anstellungsvertrag für kaufmännische Angestellte ab, wonach der Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Gehalt von 1.300,00 EUR monatlich ab 01.11.2003 als Betriebsleiter eingestellt werde. Gleichzeitig erteilte Herr M. R. dem Kläger ab 15.09.2003 eine schriftliche Generalvollmacht für sämtliche Handels-, Vertrags- und Bankgeschäfte.

Nach den Aktenunterlagen der Beklagten sprach der Kläger am 12.09.2003 bei der Agentur für Arbeit in A-Stadt persönlich vor und teilte mit, dass er ab 01.10.2003 bei der Fa. K. und T. M. R. als angestellter Disponent eine Beschäftigung aufnehmen werde. Laut Vermerk in den Akten der Beklagten wurde dann vom Kläger jedoch mitgeteilt, dass sich die angekündigte Arbeitsaufnahme verschiebe.

Daraufhin wurde dem Kläger auf seinen Fortzahlungsantrag vom 01.10.2003 hin Arbeitslosenhilfe auch für den Bewilligungsabschnitt ab 01.11.2003 bewilligt. In dem Fortzahlungsantrag vom 01.10.2003 hatte der Kläger angegeben, dass er eine Nebenbeschäftigung seit 01.10.2003 als Aushilfsfahrer bei der Fa. "K. M. R." mit ca. 12 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 180,00 EUR ausübe. Für den Monat Oktober 2003 ging dann eine Nebeneinkommens-Bescheinigung (15.10.2003 bis 31.10.2003) über 110,00 EUR brutto als Nebenkommen ein. Ab November 2003 wurde dem Kläger dann jeweils von der Fa. K. und T. M. R. für eine Beschäftigung als "Kurier-Aushilfe" ein monatliches Nebeneinkommen von 180,00 EUR brutto mit jeweils 6 Wochenstunden bis einschließlich Juni 2004 bescheinigt. Die Beklagte rechnete daraufhin monatlich jeweils 15,00 EUR (180,00 EUR abzüglich des Freibetrages in Höhe von 165,00 EUR) als Nebeneinkommen auf die dem Kläger bewilligte Arbeitslosenhilfe an und erließ dazu Teilaufhebungsbescheide.

Aufgrund mehrerer anonymer Anzeigen nahm das Hauptzollamt Ermittlungen zum Umfang der Tätigkeit des Klägers auf. Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 17.09.2004 gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hob die Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 05.11.2004 die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 15.09.2003 auf und verlangte die Erstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen für den Zeitraum vom 15.09.2003 bis 31.07.2004 in Höhe von 5.521,75 EUR sowie die Erstattung der in diesem Zeitraum bezahlten Beiträge zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung (Gesamtforderung: 6.449,67 EUR).

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die Angaben der Beklagten seien zu global. Die Beklagte möge darlegen, wann und in welchen Zeiträumen er die 15 Stunden wöchentlich überschritten habe. Aus Kostengründen sei er jedoch an einer außergerichtlichen Klärung interessiert.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2004 als unbegründet zurück. Wie das Hauptzollamt ermittelt habe, sei der Kläger seit dem 15.09.2003 als faktischer Inhaber der Fa. K. und T. M. R. wöchentlich mehr als 15 Stunden tätig und damit nicht arbeitslos gewesen. Angezeigt sei lediglich die Aufnahme einer Nebentätigkeit ab dem 15.10.2003, nicht aber der Beginn der selbstständigen, mehr als 15 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung ab dem 15.09.2003 gewesen.

Hiergegen richtete sich die am 27.01.2005 zum Sozialgericht Augsburg (Az S 7 AL 59/05) erhobene Klage, die im Wesentlichen wie folgt begründet wurde: Der Bescheid der Beklagten beruhe auf reinen Vermutungen. Es lägen keinerlei tatsächliche Nachweise für die von der Beklagten angenommenen Arbeitszeiten des Klägers vor. Herr M. R. habe sich entschlossen, eine Firma zu gründen und den Kläger mit der Planung dieser Firmengründung beauftragt. Die Fahrtätigkeit des Klägers für diese Firma habe im Durchschnitt nie mehr als 15 Stunden pro Woche betragen, zumal der Kläger nicht der einzige Fahrer gewesen sei. Die Bürotätigkeit des Klägers habe nur ca. 2 bis 3 Stunden im Monat in Anspruch genommen. Schließlich sei für den Zeitraum von März 2004 bis einschließlich Juli 2004 eine Auswertung der Unterlagen durch das Hauptzollamt nicht erfolgt, so dass für diesen Zeitraum keinerlei Feststellungen zu den vom Kläger gefahrenen Touren vorlägen.

Das Sozialgericht Augsburg hat die strafrechtlichen Ermittlungsakten in dem Verfahren gegen den Kläger wegen Verdachts des Betruges einschließlich des Beweismittelordners, 206 JS 123890/04, beigezogen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, 206 Js 123890/04, ist nach Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1.500,00 EUR gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden.

Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2008 persönlich angehört. Als Zeugin wurde B. P. vom Hauptzollamt A-Stadt uneidlich in der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2008 vernommen.

Die Klage blieb gemäß Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.07.2008 erfolglos. Nach Ansicht des SG seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) wegen einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse erfüllt.

Am 15.09.2003 sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei der Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe vorgelegen haben, eingetreten, weil der Kläger ab diesem Tag eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende selbstständige Tätigkeit aufgenommen habe und damit der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe entfallen sei.

Ausgehend von § 118 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung sei der Kläger ab dem 15.09.2003 nicht mehr arbeitslos gewesen. Er habe seither im streitigen Zeitraum eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt, die den unschädlichen Rahmen von weniger als 15 Stunden übersteige. Selbstständig sei derjenige, der - wie hier der Kläger - für unbestimmte Zeit nicht nur gelegentlich eine Tätigkeit in eigener wirtschaftlicher Verantwortung und in persönlicher Unabhängigkeit mit dem Ziel ausübe, aus dieser Tätigkeit Einkommen zu erzielen. Bei einer selbstständigen Tätigkeit sei die hierfür aufgewandte Zeit nicht nur mit dem Anteil zu berücksichtigen, der auf solche Verrichtungen entfällt, mit denen unmittelbar Umsatz erzielt wird. Vielmehr seien sämtliche Verrichtungen - und damit der mit diesen verbundene zeitliche Aufwand - zu berücksichtigen, die nach dem Gesamtbild bei der selbstständigen Tätigkeit anfielen (vgl. BSG SozR 4100 § 102 Nr. 7). Für eine selbstständige Tätigkeit sei prägend, dass nicht alle Gespräche/Vertrags-verhandlungen mit (potenziellen) Kunden/Auftraggebern erfolgreich seien. Auch erfolglose Verrichtungen gehörten aber zu der selbstständigen Tätigkeit dazu, denn auch sie dienten letztlich dem Ziel, aus der Tätigkeit Einkommen zu erwirtschaften.

Die Kammer sei unter Würdigung der umfangreichen beigezogenen Aktenunterlagen und der glaubhaften Angaben der Zeugin P. zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass der Kläger jedenfalls seit 15.09.2003, also dem Zeitpunkt der Anmeldung des Gewerbes, sowie des Abschlusses eines Anstellungsvertrages zwischen ihm und der K. & T. M. R., eine Tätigkeit für die Fa. K. & T. M. R. im Umfang von mindestens 15 Wochenstunden aufgewendet habe.

Ab dem 15.09.2003 habe der Kläger als faktischer Inhaber der Fa. K. & T. M. R. fungiert. Dies ergebe sich aus dem am 15.09.2003 vom Kläger unterschriebenen Arbeitsvertrag, aus der Generalvollmacht vom 15.09.2003, dem im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sichergestellten E-mail-Verkehr zwischen dem Kläger und M. R., den bei der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen über Vertragsverhandlungen mit verschiedenen Auftraggebern sowie den glaubhaften Angaben der Zeugin P. in der mündlichen -Verhandlung vom 29.07.2008. Auch habe der Kläger, wie es sich aus einem Schreiben des Klägers vom 26.03.2004 ergebe, gegenüber seinem damaligen Rechtsanwalt angegeben, dass er seit Oktober 2003 eine Kurierfirma über einen Namensgeber führe. Außerdem sei die Firmenanschrift mit der (einzigen) Wohnanschrift des Klägers identisch; ebenso stimmten die private Telefon- und die private Faxnummer des Klägers mit der Firmen-Faxnummer und der Firmen-Telefonnummer überein. Auch habe der Kläger verschiedene Schriftstücke für die Fa. K. & T. M. R. unterschrieben, wie beispielsweise die Vereinbarung mit der Fa. G. E. & Logistics GmbH vom 14.10.2003.

Nach dem sich ergebenden Gesamtbild der Tätigkeit und dem Auftreten des Klägers habe dieser als faktischer Betriebsinhaber eine selbstständige Tätigkeit im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III ausgeübt, nicht jedoch eine Beschäftigung als Aushilfsfahrer, wie von ihm im Arbeitslosenhilfe-Fortzahlungsantrag angegeben.

Vertrauensschutz in die Bestandskraft der Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe könne der Kläger schon nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht beanspruchen, da er seine Tätigkeit bzw. den Umfang seiner Tätigkeit zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt hat. Weiter hat der Kläger auch zumindest grob fahrlässig nicht erkannt, dass die Leistungsvoraussetzungen ab 15.09.2003 weggefallen waren (§ 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Die Arbeitslosenhilfe für den streitigen Zeitraum sei demnach gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten, ebenso gemäß § 335 Abs. 1 und Abs. 5 SGB III (in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung) die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Berechnungsfehler hinsichtlich der Erstattungsforderung seien nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht geltend gemacht worden.

Am 16.09.2008 erhob der Kläger gegen das Urteil des SG Augsburg vom 29.07.2008 Berufung vor dem Bayerischen Landessozialgericht. Der Kläger trug zur Begründung gemäß dem Schriftsatz vom 17.11.2008 im Wesentlichen vor, dass seine Tätigkeit nicht mehr als 15 Stunden/Woche betragen habe bzw. dass die Beklagte den Beweis schuldig geblieben sei, dass er in diesem Umfang tatsächlich gearbeitet habe.

Die Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Augsburg vom 29.07.2008 wird aufgehoben.
2. der Bescheid vom 05.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.12.2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

In ihrer Berufungserwiderung vom 09.03.2009 hat die Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie auf das Urteil des SG Augsburg verwiesen.

Am 25.03.2010 hat der Senat die Strafakten der Staatsanwaltschaft A-Stadt im Verfahren 206 Js 123890/04 beigezogen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die strafrechtlichen Ermittlungsakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143 und 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 151 Abs. 1 SGG, jedoch unbegründet, denn der Bescheid vom 05.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.12.2004 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Es ist lediglich zu beanstanden, dass das Sozialgericht und die Beklagte die Aufhebung und Erstattung der bereits bewilligten Arbeitslosenhilfe auf die Vorschriften der § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X und § 50 Abs. 1 SGB X sowie § 335 SGB III gestützt haben. Dies gilt nur für die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe vom 24.10.2002 (bis 31.10.2003), weil die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenhilfe durch die nicht mitgeteilte Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit bei der Scheinfirma M. R. am 15.09.2003 entfallen sind und insoweit eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X eingetreten ist, welche vom Kläger nicht und auch nicht unverzüglich nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III mitgeteilt wurde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) und außerdem klar sein musste, dass dieser Umstand nunmehr zum Wegfall der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld führt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Bezüglich der Aufhebung der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 24.10.2002 bis 31.10.2003 schließt sich der Senat den Feststellungen und rechtlichen Ausführungen vollumfänglich an und (verweist) gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im Urteil des SG vom 29.07.2008.

Anders verhält es sich jedoch mit der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe am 17.11.2003 für die Zeit ab dem 01.11.2003 aufgrund des Antrags vom 01./02.10.2003. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger seine selbständige Tätigkeit bei der Scheinfirma M. R. schon am 15.09.2003 begonnen hatte und diese nach dem hier vorliegenden Vertrag von Anfang an nicht auf eine kurzzeitige Tätigkeit beschränkt war (vgl. hierzu bereits BSG vom 21.03.1996, Az. 11 Rar 93/95, zitiert bei juris Rz. 24), war die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe am 17.11.2003 bereits anfänglich rechtswidrig, so dass diese Bewilligung nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn. 1, 2 bzw. 3 SGB X aufzuheben gewesen wäre, wobei die Umdeutung einer Aufhebungsentscheidung von der Rechtsgrundlage des § 48 SGB X in § 45 SGB X deswegen möglich ist, weil wegen § 330 SGB III in beiden Fällen auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen ausgeübt werden muss und der Wille der Behörde auch unter diesem Aspekt auf die Aufhebung des betreffenden Verwaltungsakts gerichtet ist.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, unter gewissen Voraussetzungen auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte insbesondere dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 330 Abs. 2 SGB III.

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Weiterbewilligung von Arbeitslosenhilfe vom 17.11.2003 ab dem 01.11.2003 war von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, weil er zum Zeitpunkt der Bewilligung des Arbeitslosengelds nicht arbeitslos war im Sinne der §§ 190, 198 S. 2 i.V.m. 117 Abs. 1, 118 und 119 SGB III (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung). Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben Arbeitnehmer, die u.a. arbeitslos sind, § 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der u.a. vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis steht, § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, wobei die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung die Beschäftigungslosigkeit nicht ausschließt, § 118 Abs. 2 Satz 1 HS 1 SGB III, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben, § 118 Abs. 2 Satz 1 HS 2 SGB (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung; unverändert übernommen durch das sog. Hartz III-Gesetz vom 23.12.2003, vgl. nunmehr § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Insoweit war die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe von Anfang rechtswidrig i.S.v. § 45 SGB X, weil der Kläger bereits ab dem 15.09.2003 eine selbständige Tätigkeit im Rahmen der Scheinfirma M. R. als tatsächlich verantwortlicher und nach außen als solcher in Erscheinung tretender Unternehmensleiter in einem Umfang von mindestens 15 Stunden/Woche ausgeübt hat.

Spätestens zum 15.09.2003 hat der Kläger begonnen, in seiner Eigenschaft als faktischer Betriebsinhaber einen Kundenstamm bzw. Auftraggeber für die Firma zu akquirieren, Vertragsverhandlungen zu führen sowie Angebote an verschiedene Firmen zu richten. Wie die Zeugin P. vor dem SG ausgesagt hat, ist aus den bei der Durchsuchung im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sichergestellten Unterlagen ersichtlich, dass der Kläger ab 17.09.2003 Kontakt mit potenziellen Auftraggebern aufgenommen hat. Es ist zwar zutreffend, wie die Zeugin P. auch bestätigt hat, dass lediglich 4 Schriftstücke als Computerausdrucke, die sich direkt der Tätigkeit des Klägers im September 2003 zuordnen lassen, bei der Durchsuchung aufgefunden wurden. Allerdings ergibt sich aus diesen Unterlagen auch, dass am Mittwoch, den 17.09.2003, in S. ein Gespräch mit Vertretern der Fa. E. T. GmbH & Co. KG stattfand, an dem der Kläger teilgenommen hat. Unter Berücksichtigung der Fahrtzeit für die Wahrnehmung des Termins von A-Stadt nach S. und zurück sowie der Teilnahme am Termin selbst, der Kalkulation des am 19.09.2003 der Fa. E. T. GmbH & Co. KG unterbreiteten Angebotes und den dazu erforderlichen Vorarbeiten steh auch zur Überzeugung des Senats fest, dass hierfür ein Aufwand von mindestens 15 Wochenstunden erforderlich war, um den "offiziellen" Start der Firma zum 01.10.2003 mit Beginn der Touren ab 06.10.2003 sicherstellen zu können. Hinzu kommt, dass laut der Rechnung vom 30.11.2003 an die Fa. G. E. & Logistics GmbH Kurierfahrten vom 25.09. bis 02.10.2003 erfolgt sind.

Der Kläger hat schließlich selbst vortragen lassen, dass ihm die Planung der Gründung der Fa. K. & T. M. R. vom (rechtlichen) Firmeninhaber M. R. übertragen worden ist.

Der Senat schließt sich daher auch den Feststellungen des SG an, wonach die Angaben in den monatlich ausgestellten Bescheinigungen sowohl hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Tätigkeit (Angabe von 6 Wochenstunden) als auch der Art der Tätigkeit (Angabe "Kurier-Aushilfe") absolut unglaubhaft sind. Ebenso ist der Vortrag, die Bürotätigkeit des Klägers habe bei lediglich 2 bis 3 Stunden im Monat gelegen, nicht glaubhaft.

Es ist zwar zutreffend, dass nach den Ermittlungen des Hauptzollamtes, wie die Zeugin P. ausgesagt hat, in Ausnahmefällen die (reine) Fahrtätigkeit des Klägers unter 15 Wochenstunden lag. Allerdings kommt es hierauf nicht an, selbst wenn nur die reine Fahrtätigkeit - wie hier nicht der Fall - zu berücksichtigen wäre. Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger nämlich bereits in der Woche ab 15.09.2003 eine selbstständige Tätigkeit im Umfang von mehr als 15 Wochenstunden ausgeübt, so dass es nicht darauf ankommt, ob in einzelnen Folgewochen weniger als 15 Wochenstunden anfielen, weil die Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung des Klägers gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III durch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als faktischer Betriebsinhaber spätestens ab 15.09.2003 erloschen ist. Aus diesem Grunde ist auch der Einwand, die Auswertungen des Hauptzollamtes seien auf die Zeit bis Februar 2004 beschränkt gewesen, nicht beachtlich. Es ist zwar zutreffend, dass die Auswertungen nur bis einschließlich Februar 2004 vorgenommen wurden, wie die Zeugin P. angegeben hat, weil ab Einstellung des Fahrers A. K. ab 01.03.2004 die Fahrtätigkeit dem Kläger nicht mehr eindeutig zuordenbar gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch die Wirkung der Arbeitslosmeldung bereits entfallen. Nichts anderes gilt für den weiteren Einwand des Klägers, wonach ab 03.11.2003 neben dem Kläger auch andere Fahrer zum Einsatz gekommen bzw. als Subunternehmer tätig geworden seien.

Der Kläger hat somit im Antrag vom 01./02.10.2003 falsche Angaben gemacht, die für die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe auch kausal gewesen sind (vgl. BSGE 47, 28 = SozR 4100 § 152 Nr. 6). Die Beklagte hätte Arbeitslosenhilfe am 17.11.2003 nicht, nicht in dieser Höhe bzw. nicht zu diesem Zeitpunkt bewilligt, wenn sie gewusst hätte, dass der Kläger in Wirklichkeit nicht - wie bisher - eine Nebentätigkeit als Kurierfahrer ausübt, sondern ab dem 15.09.2003 ein eigenes Unternehmen dieser Art gegründet hat, das er allerdings aus in seiner Vergangenheit (z.B. Steuerschulden) liegenden Gründen unter dem Namen des ihm bekannten M. R. betrieb. Diese selbständige Tätigkeit war v.a. unter Berücksichtigung des Arbeitsvertrags zwischen ihm und der Fa. M. R. anfänglich nicht auf 15 Stunden beschränkt, also nicht kurzzeitig i.S.v. § 118 Abs. 2 S. 1 SGB III (vgl. hierzu BSG vom 21.03.1996 a.a.O), so dass der Kläger zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht arbeitslos nach den §§ 190, 198, 117 und 118 SGB III gewesen ist. Ob und wann der Kläger dann tatsächlich die 15 Stunden-Grenze erreicht hat - oder nicht, spielt nach der Rspr. des BSG (vgl. BSG a.a.O.) keine Rolle, so dass auch nicht darüber Beweis erhoben werden muss, welche Touren der Kläger nun selbst gefahren hat oder inwieweit ihm dies von seinen Beschäftigten abgenommen wurde.

Das BSG hat an dieser Rspr. seither festgehalten und hierzu im Urteil vom 29.10.2008 (Az. B 11 AL 52/07 R) wörtlich folgendes ausgeführt:

"Die Beurteilung, wann eine Beschäftigung die Zeitgrenze des § 118 Abs. 2 SGB III (ab 1. Januar 2005: § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III) überschreitet, ist unter Heranziehung der von der Rechtsprechung des BSG zu den Vorgängervorschriften des AFG entwickelten Kriterien vorzunehmen. Auch wenn die Regelungen der §§ 117, 118 SGB III den früheren Regelungen der §§ 101, 102 AFG nicht in vollem Umfang entsprechen, haben die schon zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze jedenfalls insofern weiterhin Gültigkeit, als bei der Bestimmung von Arbeitszeiten in Beschäftigungsverhältnissen vorrangig auf die getroffenen Vereinbarungen abzustellen ist ... Dennoch hat sich in der Sache insoweit nichts geändert und kann auf die bisherige Rechtsprechung des BSG zu § 102 AFG zurückgegriffen werden, wonach es für die Beurteilung der Kurzzeitigkeit einer Beschäftigung vorrangig auf die vertraglichen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung anknüpft, ankommt (vgl ... ). Dies entspricht auch der in der Literatur vertretenen Rechtsmeinung (vgl ... ).

Der Senat schließt sich diesen Vorgaben der Rspr. (vgl. zuletzt BayLSG, Az. L 9 AL 51/09 sowie Az. L 9 AL 63/09) des BSG vorbehaltlos an. Dies bedeutet, dass in einem ersten Schritt festzustellen ist, ob die Arbeitsvertragsparteien bei Beschäftigungsbeginn lediglich eine Nebentätigkeit vereinbaren wollten, deren Umfang die Grenzen von 15 Stunden/Woche nicht überschreitet und spätere Abweichungen dann ggf. vor dem Hintergrund von § 118 Abs. 2 S. 1 HS 2 SGB III in der hier geltenden Fassung nur als gelegentlich und von geringer Dauer anzusehen sind. Ansatzpunkt dafür ist zunächst ein möglicher Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie eine entsprechende Anzeige gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA), damit von dieser Seite mögliches Nebeneinkommen nach § 141 SGB III berücksichtigt werden kann. Sofern ein solcher schriftlicher Arbeitsvertrag nicht vorliegt, kann auch auf die Eintragungen in der Nebenverdienstbescheinigung sowie weitere Merkmale und Umstände, wie sie zu Beginn der Tätigkeit vorlagen, zurück gegriffen werden.

Im Fall des Klägers ist kein einziger Aspekt erkennbar, wonach seine selbständige Tätigkeit für die Fa. M.R. von Anfang an auf weniger als 15 Stunden/Woche beschränkt war. Es war vielmehr bei Tätigkeitsbeginn völlig offen, inwieweit ihn das neu gegründete Unternehmen in Anspruch nehmen würde - oder nicht. Die tatsächliche Inanspruchnahme ändert daran nichts (vgl. BSG vom 21.03.1996 a.a.O.). Es kann daher völlig offen bleiben, ob die ein oder andere Fahrt vom Kläger selbst oder einem "seiner" Mitarbeiter durchgeführt wurde.

Die Bewilligung konnte daher gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 2 und 3 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, da der Kläger im Antrag vom 01./02.10.2003 unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hat.

Der Kläger handelte insoweit sogar vorsätzlich, weil er sich vor Zeugen sogar damit brüstete, ein Unternehmen zu führen und nebenbei Arbeitslosenhilfe zu kassieren (vgl. hierzu.

Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X wurde ebenfalls eingehalten.

Eine Ermessensentscheidung war von der Beklagten wegen § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht zu treffen.

Die Höhe des Erstattungsbetrags ist zutreffend berechnet worden. Rechtsgrundlage für diese Forderung ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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