L 7 AS 567/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 4234/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 567/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufungen der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Januar 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 über das Anerkenntnis vom 14. Januar 2010 hinaus aufgehoben.

Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) und die Verpflichtung zur Erstattung gewährter Leistungen.

Der am 1997 geborene Kläger zu 1 und die am 2000 geborene Klägerin zu 2 erhielten zusammen mit ihrer Mutter ab dem 13. Juli 2006 bis zum 31. Oktober 2007 Leistungen nach dem SGB II, wobei ihnen nur anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt wurden, weil durch die Anrechnung von Kindergeld und Unterhaltszahlungen des getrennt lebenden Vaters als Einkommen der Kläger nur ein geringer Bedarf verblieb (Bescheide vom 14. November 2006, 30. November 2006, 9. Januar 2007, 31. Januar 2007, 13. Februar 2007, 2. Juni 2007, 27. Juli 2007 und 16. August 2007). Die Unterhaltszahlungen beliefen sich bereits zu Beginn des Leistungsbezuges auf 257,00 Euro monatlich für jeden der beiden Kläger, ab 1. Juli 2007 auf je 254,00 Euro monatlich. Aufgrund einer insoweit von dem Beklagten missverstandenen von der Mutter der Kläger im Rahmen der Erstantragstellung vorgelegen Schreibens des Sozial- und Jugendamtes Freiburg vom 2. August 2006 über eine fiktive Unterhaltsberechnung ging der Beklagte jedoch zunächst nur von einer monatlichen Unterhaltszahlung von jeweils 217,00 Euro aus. Im September 2007 fiel der Fehler auf und die Beklagte berechnete zunächst die Ansprüche ab November 2007 neu (Bescheide vom 13. November 2007 und 26. November 2007).

Ohne vorherige Anhörung nahm die Beklagte sodann mit einem allein an die Mutter der Kläger adressierten Bescheid vom 9. Januar 2008 die Bewilligungsentscheidungen vom 13. Februar 2007, 2. Juni 2007 und 16. August 2007 für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Oktober 2007 für die Mutter der Kläger und für die Kläger selbst "teilweise in Höhe von 1.156,88 Euro" zurück. Aufgeführt waren für die Kläger jeweils die Leistungen für Unterkunft und Heizung (Erstattungszeitraum: 1. Juli 2006 - 31. Oktober 2007) in Höhe von jeweils insgesamt 377,33 Euro. Der Bescheid ergehe, soweit die minderjährigen Kläger betroffen seien, an die Mutter als gesetzlicher Vertreter. Dieser sei bekannt gewesen, dass die Bewilligung fehlerhaft gewesen sei (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)). Die Beträge seien von der Mutter der Kläger gem. § 50 SGB X zu erstatten. Den dagegen erhobenen Widerspruch begründeten die Kläger damit, dass der Bescheid in sich widersprüchlich sei, denn selbst dann, wenn Unterhaltszahlungen zu Gunsten der Kläger nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt seien, könne sich daraus eine Überzahlung zu Gunsten der Mutter der Kläger nicht ergeben. Darüber hinaus liege ein Fall von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2008, der wiederum allein an die Mutter der Kläger adressiert war, wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Mutter der Kläger könne kein Vertrauen für sich beanspruchen. Sie habe erkennen können, dass bei ihren Kinder ein nicht zutreffender Betrag als Unterhalt angerechnet worden sei. Es liege somit grobe Fahrlässigkeit vor.

Deswegen haben die Kläger und ihre Mutter am 20. August 2008 zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. Januar 2010 hat der Beklagte den Bescheid vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 insoweit aufgehoben, als von der Mutter der Kläger Leistungen in Höhe von 402,22 Euro zurückgefordert wurden. Ferner hat er sich bereit erklärt, die außergerichtlichen Kosten zu 1/3 zu tragen. Dieses Anerkenntnis hat die Mutter der Kläger angenommen. Darüber hinaus haben die Beteiligten erklärt, dass sie sich darüber einig seien, dass der Rechtsstreit insoweit erledigt sei, als er die Mutter der Kläger betreffe. Mit Urteil vom 14. Januar 2010 hat das SG sodann die Klagen abgewiesen. Der Bescheid vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 sei rechtmäßig, soweit die Kläger betroffen seien. Rechtsgrundlage für die Rücknahme sei § 45 SGB X. Der Anwendungsbereich der Norm sei vorliegend eröffnet, da der Beklagte den für die Kläger gezahlten Unterhalt nicht voll berücksichtigt habe, so dass die Bewilligungsbescheide von Anfang an rechtswidrig gewesen seien. Hinsichtlich der Bestimmtheit des Bescheides vom 9. Januar 2008 im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X bestünden keine Bedenken. Die Mutter der Kläger habe grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht erkannt. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer daraus, dass sämtlichen Bewilligungsbescheiden Berechnungsbögen beigefügt gewesen seien, aus denen sich habe ersehen lassen, dass der Beklagte als Unterhalt jeweils nur einen Betrag in Höhe von 217,00 Euro berücksichtigt habe. Die Rücknahmeentscheidung sei der Höhe nach zutreffend. Bei einer Anrechnung des tatsächlich erhaltenen Unterhalts zuzüglich des Kindergeldes sei der Bedarf der Kläger vollständig gedeckt, sodass sie nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II gewesen seien. Die ihnen nach § 22 SGB II gezahlten Leistungen für Unterkunft und Heizung hätten ihnen daher nicht zugestanden.

Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigen am 1. Februar 2010 zugestellte Urteil haben die Kläger und ihre Mutter am 2. Februar 2010 Berufung eingelegt. Der Bescheid vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 sei in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig und daher ersatzlos aufzuheben. Der Bescheid sei bereits nicht hinreichend bestimmt. Mit ihm werde nämlich ausdrücklich eine "Gesamtforderung" gegen die Berufungskläger geltend gemacht. Darüber hinaus habe der Beklagte die Bewilligungsbescheide pauschal für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Oktober 2007 teilweise aufgehoben, ohne dass kenntlich gemacht worden wäre, für welchen Zeitraum jeweils in welcher Höhe Bewilligungsbescheide aufgehoben werden sollten. Ein Fall von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liege nicht vor. Das erstinstanzliche Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Mutter der Kläger hätte erkennen müssen, dass Leistungen zu Unrecht bewilligt worden seien. Der Bewilligungsbescheid etwa vom 13. Februar 2007 - ein relativ übersichtlicher Bescheid! - sei mit einem Berechnungsbogen versehen, der drei Seiten umfasse. Diese drei Seiten umfassten 22 Zeilen mit Zahlen, die nur dann verständlich seien, wenn man sich intensiv mit dem SGB II beschäftigt habe. Daraus sei aber für den SGB II-rechtlichen Laien nicht zu ersehen, in welcher Weise das Einkommen tatsächlich anspruchsmindernd berücksichtigt worden sei. Dies habe seine Ursache vor allem in der Einkommensverteilung nach der Bedarfsanteilsmethode, die dazu führe, dass teilweise Einkommen nach Bedarfsanteilsmethode verteilt werde, teilweise aber auch nicht. Der Bescheid sei schließlich wegen § 42 Satz 2 i. V. m. § 24 SGB X aufzuheben. Vor Erlass des Bescheides habe der Beklagte nämlich die Berufungskläger, vertreten durch ihre Mutter, anhören müssen. Dies habe er nicht getan. Die Anhörung sei auch nicht nachgeholt worden.

Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2012 hat die Mutter der Kläger die von ihr eingelegte Berufung allein bezogen auf ihre Person zurückgenommen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Januar 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 über das Anerkenntnis vom 14. Januar 2010 hinaus aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die seiner Ansicht nach überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.

Mit Schreiben des Senats vom 19. Januar 2012 ist der Beklagte auf die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Anforderungen an die Anhörung Minderjähriger hingewiesen worden. Der Senat hat am 10. Juli 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem unter anderem die fehlende Anhörung der Kläger und die Frage der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide im Hinblick auf die Mutter der Kläger problematisiert wurden.

Wegen den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Verfahrensakten des Sozialgerichts und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerechte Berufung ist zulässig und insbesondere statthaft. Die sich aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ergebende Beschwerdewertgrenze von 750,00 Euro ist angesichts der Beschwer beider Kläger von je 377,33 Euro überschritten, ohne dass es darauf ankommt, dass auch die Mutter der Kläger zunächst im Rahmen einer Streitgenossenschaft mit den Klägern am Berufungsverfahren beteiligt war. Bei subjektiver Klagehäufung sind die Werte der strittigen Ansprüche zusammenzurechnen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 16 m.w.N.).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist noch die Frage, ob der Beklagte berechtigt war, die Bewilligungsentscheidungen gegenüber den Klägern für die Zeit vom 13. Juli 2006 bis 31. Oktober 2007 zurückzunehmen und deshalb eine Erstattung von jeweils 377,33 Euro zu fordern. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist das Rechtsverhältnis der Mutter der Kläger zu dem angefochtenen Bescheid, denn die für diese erhobene Berufung wurde mit Schriftsatz vom 19. Januar 2012 zurückgenommen.

Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 9. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich bereits aus formellen Gründen wegen Verletzung der Anhörungspflicht nach § 24 SGB X. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Diese Voraussetzungen für eine Pflicht zur Anhörung sind vorliegend erfüllt, weil der Verwaltungsakt über die Rücknahme von zuvor erfolgten Leistungsbewilligungen in Rechte der Kläger eingegriffen hat und keine Ausnahme von dem Anhörungserfordernis nach § 24 Abs. 2 SGB X gegeben ist. Insbesondere haben die Kläger keine Angaben über den von ihrem Vater gezahlten Unterhalt gegenüber dem Beklagten gemacht, ebenso wenig liegt eine bloße Anpassung von einkommensabhängigen Leistungen an geänderte Verhältnisse vor.

Die Kläger persönlich sind vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts vom 9. Januar 2008 nicht angehört worden. Hiervon könnte nur ausgegangen werden, wenn die Mutter der Kläger zur beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungen gegenüber ihren Kindern ausdrücklich angehört worden wäre (vgl. BSG, Urteile vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R - SozR 4-4200 § 38 Nr. 2 und - B 14 AS 144/10 R - (juris)). Vorliegend ist nicht einmal ersichtlich, dass die Mutter der Kläger hinsichtlich des beabsichtigten Eingriffs in ihre eigenen Rechte angehört worden wäre. Selbst wenn eine solche Anhörung erfolgt wäre, ergäbe sich im Übrigen keine rechtliche Grundlage für eine "Zurechnung" einer solchen Anhörung auf die Kläger (vgl. BSG, a.a.O.).

Der Verfahrensmangel der mangelnden Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X durch Nachholung geheilt worden.

Eine wirksame Nachholung setzt voraus, dass diese den Anforderungen an eine Anhörung nach § 24 SGB X entspricht und insbesondere der Beteiligte über die entscheidungserheblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt wurde sowie Gelegenheit zur Äußerung hatte (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 m.w.N.; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 41 RdNr. 15).

Eine Heilung durch das Widerspruchsverfahren scheidet vorliegend aus, weil der angefochtene Verwaltungsakt vom 9. Januar 2008 in Bezug auf die Kläger nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen enthält. Zwar wird im Bescheid darauf hingewiesen, dass der Beklagte die Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X darauf stütze, dass der Mutter der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide bekannt gewesen sei. Es fehlt jedoch an jedem Hinweis, weshalb sich daraus ein Rücknahmerecht mit nachfolgender Erstattungsverpflichtung gerade gegenüber den Klägern ergeben soll. Im Hinblick auf die Erstattungsverpflichtung gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nimmt der Beklagte gar nicht auf die Kläger Bezug. Er führt nämlich aus, dass allein die Mutter der Kläger zur (voll umfänglichen) Erstattung verpflichtet sei. Insgesamt vermittelt der Bescheid den Eindruck, dass der Beklagten zwar die Individualität der Leistungsansprüche innerhalb der Bedarfsgemeinschaft (vgl. grundlegend BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b 8/06 R und B 7b 10/06 R - (jeweils juris)) auch in Bezug auf die Rücknahme der Bewilligung bewusst war, nicht aber der Umstand, dass die Individualität der Betroffenen auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht beachtet werden muss. Dass die Kläger - abgesehen von der Angabe des Zeitraums der Rücknahme und der Höhe der darauf entfallenden Leistung - überhaupt individuell angesprochen sind, ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Die Kläger hatten demensprechend auch keine Möglichkeit, sich zu den maßgeblichen Tatsachen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu äußern.

Für eine Heilung im Gerichtsverfahren, die bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich gewesen wäre (§ 41 Abs. 2 SGB X), genügt nicht die schlichte Klageerhebung ggf. in Verbindung mit der Klageerwiderung. Vielmehr ist ein eigenständiges, "mehr oder minder" förmliches Verwaltungsverfahren notwendig (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, SozR 3-1300 § 24 Nr. 22; Urteil vom 6. April 2006 - B 7a AL 64/05 R - (juris) und Urteil vom 9. November 2010, a.a.O.; Schütze in von Wulffen, a.a.O., Rdnr. 16).). Allein die Möglichkeit zur Stellungnahme im Rahmen eines dem Widerspruchsbescheid folgenden Gerichtsverfahrens genügt dem nicht; vielmehr ist es allein Sache der Verwaltung, dem Kläger die für sie maßgeblichen Umstände kundzutun. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt daher nur vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde den Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, SozR 4-1300 § 41 Nr. 1 und Senatsurteil vom 21. Juni 2012 - L 7 AS 4111/11 - (juris)). Ein solches Verfahren wurde hier nicht durchgeführt. Zu Recht hat das BSG in der Entscheidung vom 9. November 2010 (a.a.O.) dargestellt, dass es sich dabei nicht um eine inhaltsleere Formalität handelt, und dazu ausgeführt: "Die in § 24 SGB X normierte Anhörungspflicht verlöre jeglichen Gehalt, wenn der Verstoß im gerichtlichen Verfahren ohne jegliches formalisiertes Verfahren geheilt werden könnte. Vielmehr können nur die genannten verfahrensrechtlichen Anforderungen gewährleisten, dass die mit dem Anhörungsverfahren verfolgten Zwecke jedenfalls teilweise zur Geltung kommen. Mit der Regelung über die Anhörung beabsichtigt der Gesetzgeber, allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung zu stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu stärken (BT-Drucks 7/868 S. 28 und 45). Insbesondere soll der Betroffene Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die bevorstehende Verwaltungsentscheidung zu beeinflussen." Dem schließt sich der Senat nach eigener Überzeugung in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 2012, a.a.O.) an.

Eine Aussetzung des Gerichtsverfahrens nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG hat der Beklagte nicht beantragt.

Der Anhörungsverstoß ist auch nicht gem. § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich, da diese Regelung nach Satz 2 ausdrücklich nicht für die Anhörung gilt. Der auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Verwaltungsakt über die Erstattung ist wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, weil insofern ebenfalls keine Anhörung festzustellen ist und es durch die Aufhebung des Rücknahmeverwaltungsakts an der Grundvoraussetzung "Aufhebung eines Verwaltungsaktes" für eine Erstattung mangelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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