L 13 R 5188/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 846/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 5188/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 954 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war zunächst im Anschluss an die Hauptschule in einem Privathaushalt tätig. Von 1972 bis 1986 hat sie im Schaustellerbetrieb ihres Mannes mitgearbeitet. Nach einem Aufenthalt in den USA, wo sie im Motel ihrer Schwester mitgearbeitet hat, war sie ab 1987 bis 2004 bei der Firma G. in I. tätig. Zunächst arbeitete die Klägerin dort im Schichtbetrieb. Später war sie in der Warenauszeichnung und Konfektionierung mit Vorgesetztenfunktion tätig. Seit 10. Mai 2004 ist die Klägerin arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos.

In der Zeit vom 17. Januar 2005 bis 8. März 2005 durchlief die Klägerin eine Rehabilitationsmaßnahme in der Schlossklinik B. B ... Ausweislich des Entlassberichts vom 17. März 2005 fand sich bei der Klägerin ein depressives Erschöpfungssyndrom, ein Zustand nach transitorischer ischiämischer Attacke (TIA), eine Migräne mit Aura, eine arterielle Hypertonie sowie ein LWS-Syndrom. Sie könne sowohl den letzten Beruf wie auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten. Einen ersten Rentenantrag der Klägerin wegen Erwerbsminderung vom 18. Mai 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2005 wegen fehlender Erwerbsminderung ab. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Arbeitgeberauskunft ein. Danach war die Klägerin zuletzt als Gruppenleiterin tätig; es handle sich hierbei um die Tätigkeit einer angelernten Arbeiterin mit einer Anlernzeit von sechs Monaten. Die Klägerin nehme Vorgesetztenfunktion gegenüber zwölf Mitarbeitern, darunter keine Facharbeiter, ein. Der von der Beklagten beauftragte Gutachter Dr. L., Internist, diagnostizierte bei der Klägerin am 26. Oktober 2005 ein depressives Erschöpfungssyndrom, eine Cervicobrachialgie links, ein chronifiziertes Lumbalsyndrom L5/S1, einen Zustand nach TIA 5/2004 sowie eine arterielle Hypertonie. Die Klägerin könne die letzte berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben, da sie keine Verantwortung mehr für Personen und Maschinen übernehmen dürfe. Allgemein sei das Leistungsvermögen unter sechs Stunden abgesunken; er empfehle rehabilitative Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In einem weiterhin eingeholten nervenfachärztlichen Gutachten vom 15. Februar 2006 sah Dr. H. die Klägerin keinesfalls tiefergehend depressiv verstimmt; es lägen auch keine kognitiven Defizite vor. Er diagnostizierte bei der Klägerin u.a. eine Dysthymia und eine undifferenzierte Somatisierungsstörung. Die Klägerin könne sowohl ihre letzte Tätigkeit wie auch mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig ausüben. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin zurück. Im anschließenden Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Aktenzeichen S 4 R 1367/06 holte das SG eine weitere Arbeitgeberauskunft ein. Laut einer undatierten und nicht unterschriebenen Stellungnahme (wohl) des früheren Arbeitgebers sei die Klägerin als Vorarbeiterin tätig gewesen; es habe sich um eine angelernte Tätigkeit mit Führungsfunktion gehandelt, wobei die reine Anlerntätigkeit drei Wochen betragen hätte. Sie sei mit einer Facharbeiterin vergleichbar. Das Verfahren vor dem SG fand mit einem am 17. Dezember 2008 geschlossenen Vergleich seinen Abschluss, in welchem sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin eine Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren. Diese fand ausweislich des Entlassberichts der Z.-Klinik St. B. vom 22. April 2009 im Zeitraum vom 12. März bis 9. April 2009 statt. An Diagnosen wurden nun ein Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS, eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie ein Erschöpfungssyndrom genannt. Die Klägerin werde aus psychotherapeutischer Sicht als vollschichtig leistungsfähig entlassen, wobei keine Tätigkeiten mit ausgeprägten Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit zumutbar seien.

Die Klägerin stellte daraufhin am 22. Juni 2009 einen neuerlichen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung. Im daraufhin eingeholten Gutachten vom 12. August 2009, beruhend u.a. auf einer Untersuchung vom 3. August 2009 gelangte Dr. F., Facharzt für Sozialmedizin, zur Diagnose einer undifferenzierten Somatisierungsstörung, Cervicobrachialgien beidseits, eines chronisch-rezidivierenden Schmerzzustands der LWS, einer Agoraphobie mit Panikstörung sowie einer depressiven Anpassungsstörung. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit könne die Klägerin nurmehr in einem zeitlichen Umfang von unter drei Stunden ausüben, wohingegen sie leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig bewältigen könne. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21. August 2009 ab, da die Klägerin weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. März 2010).

Mit der am 9. April 2010 zum SG erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Gericht hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen einvernommen. Der behandelnde Nervenfacharzt Dr. St. schloss sich in seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2010 der Einschätzung des Gutachters Dr. F. an. Der Orthopäde Dr. St. hat in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2010 dagegen ein auf drei bis unter sechs Stunden täglich reduziertes Leistungsvermögen bei der Klägerin infolge der orthopädischen wie auch vor allem psychiatrischen Beschwerden gesehen. Die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. ist wiederum in ihrer Auskunft vom 15. Juli 2010 von einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich ausgegangen. Das SG hat von Amts wegen ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. H. eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 13. September 2010, beruhend u.a. auf einer Untersuchung der Klägerin am 4. August 2010, bei der Klägerin eine schmerzhafte Funktionsstörung beider Schultergelenke, eine diskrete schmerzhafte Funktionsstörung des rechten Handgelenks, sowie eine schmerzhafte Funktionsstörung der HWS und LWS bei mäßiggradigen bis fortgeschrittenen Verschleißerscheinungen festgestellt. Aufgrund der dauerhaften Beeinträchtigung der biomechanischen Belastbarkeit vor allem der LWS seien der Klägerin nur noch leichte bis gelegentlich kurzfristig mittelschwere körperliche Arbeiten zumutbar. Unter Berücksichtigung weiterer qualitativer Einschränkungen könne die Klägerin nach seiner Auffassung aber vollschichtig, d.h. acht Stunden täglich bei fünf Tagen in der Woche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten ausüben. Eine gravierende Einschränkung der Wegefähigkeit vermochte der Sachverständige nicht zu erkennen.

Das SG hat daraufhin nach entsprechender Ankündigung mit Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2010 die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert im Sinne von § 43 des Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Sie könne zumindest noch leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Dies entnehme das SG insbesondere dem Gutachten von Dr. H., welches in seinen Ausführungen schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar sei. Überdies werde die Leistungsbeurteilung auch in dem Verwaltungsgutachten von Dr. F. und im Reha-Entlassungsbericht der Z.-Klinik bestätigt. Auch eine Berufsunfähigkeit sei zu verneinen. Ob die zuletzt von der Klägerin ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit, für die die Klägerin keine Berufsausbildung und eine nur kurzfristige Anlernzeit benötigt habe, einer Facharbeitertätigkeit gleichzusetzen sei, erscheine zweifelhaft. Dies könne jedoch dahinstehen, da die Klägerin jedenfalls unproblematisch auf den Beruf des Poststellenmitarbeiters verwiesen werden könne.

Gegen den dem Bevollmächtigten der Klägerin am 13. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, am 9. November 2010 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründung hat sie im Wesentlichen darauf gestützt, dass angesichts der Befunde aus dem psychiatrischen Fachgebiet und ihres einschlägigen Vorgeschichte es sich dem SG habe aufdrängen müssen, auch auf psychiatrischem Fachgebiet Sachverhaltsermittlungen vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2010 zu verurteilen, ihr ab 1. Juni 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. mit der Erstattung eines Gutachtens über die Klägerin beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 1. März 2011, beruhend u.a. auf einer Untersuchung der Klägerin am 14. Februar 2011 folgende Diagnosen auf seinem Fachgebiet gestellt: - Mittelschwere bis phasenweise schwere depressive Symptomatik, länger anhaltend, - Verdacht auf Dysthymia und somit dringender Verdacht auf doppelte Depression, verbunden mit Klaustrophobie, Agoraphobie mit Panik, - Nikotinabusus, - chronifiziertes Schmerzsyndrom. Er hat die Leistungsfähigkeit der Klägerin allein auf psychiatrischem Fachgebiet im derzeitigen Zustand für komplett aufgehoben erachtet; dies vermutlich seit 2004. Es sei sehr wahrscheinlich, dass ein Dauercharakter der Erkrankung angenommen werden müsse.

Im Anschluss hat der Senat den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens über die Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet beauftragt. In seinem Gutachten vom 25. September 2011, beruhend u.a. auf einer Untersuchung der Klägerin am 15. September 2011 hat der Sachverständige bei der Klägerin im Vordergrund stehend eine Agoraphobie mit Panik gesehen; des Weiteren ein chronisches Schmerzsyndrom mit psychosomatischer Komponente im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, eine Dysthymia, eine Migräne, einen Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom sowie ein Verdacht auf Zustand nach TIA. Es handle sich bei der Depression um eine Störung leichterer Art. Der Sachverständige kommt auf Grundlage dieser Diagnosen zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeit und allenfalls kurzzeitig mittelschwere Tätigkeiten. Tätigkeiten, welche mit Schichtarbeit verbunden sind, mit hoher Personalverantwortung oder unter hohem Zeitdruck könnten der Klägerin aber nicht mehr zugemutet werden.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG (S 8 R 846/10), die Klageakte des SG im Verfahren S 4 R 1367/06 und die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist aber nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Sie ist auch zur vollen Überzeugung des Senats noch vollschichtig, d.h. sechs Stunden am Tag leistungsfähig, weshalb eine Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 3 SGB VI) nicht vorliegt. Die Klägerin ist als angelernte Arbeiterin darüber hinaus auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, weshalb sie auch nicht berufsunfähig ist.

Dass bei der Klägerin eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß nicht gegeben ist, hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung zutreffend insbesondere aus den schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. sowie aus dem im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Verwaltungsgutachten von Dr. H. geschlussfolgert. Der Senat schließt sich deshalb, nachdem die Einschätzung des SG auch mit den Leistungsbeurteilungen in den Reha-Entlassberichten der Klinik B. B. vom 17. März 2005 sowie der Z.-Klinik St. B. vom 22. April 2009 und dem gleichfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Verwaltungsgutachten des Dr. F. übereinstimmt, den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheids vom 12. Oktober 2010, insbesondere der dort vorgenommenen Beweiswürdigung an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin zur Begründung der Berufung und die im Verlauf des Berufungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Vielmehr ist die Richtigkeit der vom SG vorgenommenen Beweiswürdigung durch das vom Senat in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten des Nervenfacharztes M. nachdrücklich bestätigt worden. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine Agoraphobie mit Panik, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Dysthymia, Migräne, Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom sowie den Verdacht auf einen Zustand nach TIA diagnostiziert. Auf Grundlage dieser Diagnosen kommt der Sachverständige, für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar, zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin für körperlich leichte, allenfalls kurzzeitig mittelschwere Tätigkeiten. Schichtarbeit, Tätigkeiten mit hoher Personalverantwortung und unter hohem Zeitdruck sind der Klägerin nicht mehr zumutbar. Diese qualitativen Einschränkungen resultieren aus der vorhandenen Angststörung, die sich bei lang andauernder Überforderung verschlimmern könnte und berücksichtigt auch die Neigung zu psychosomatischer Reaktionsbildung sowie die leichte, aber anhaltende depressive Verstimmung. Der Migräneerkrankung der Klägerin erkennt der Sachverständige nachvollziehbar keinen eigenständigen leistungsmindernden Gehalt zu. Denn die Migräne, die im Regelfall nur einmal monatlich auftritt, besteht nach Angabe der Klägerin bereits seit deren 20. Lebensjahr und hat die Klägerin - ohne dass von dieser eine Verschlimmerung behauptet würde - folglich während des gesamten Berufslebens begleitet, ohne diese dabei nachhaltig zu beeinträchtigen. Dahingestellt bleiben kann, ob die Klägerin tatsächlich im Mai 2004 eine TIA erlitten hat. Denn bereits definitionsgemäß schließt eine TIA als zerebrale Durchblutungsstörung mit neurologischer vorübergehender Folge üblicherweise neuropsychologische Residuen aus; vielmehr tritt eine vollständige Rückbildung der Symptomatik ein. Verbliebene neuropsychologische Defizite konnte der Sachverständige - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgutachter Dr. H. - dann auch nicht feststellen. Der Senat folgt dem Sachverständigen auch insoweit, als dieser sich vom Vorliegen eines Restless-Legs-Syndroms nicht überzeugen konnte. Gegen ein solches Syndrom, jedenfalls mit dem von der Klägerin beklagten Ausmaß, spricht, dass nach deren Angaben diesbezüglich noch kein Behandlungsversuch vorgenommen worden ist, vielmehr noch nicht mal eine Konsultation eines Arztes stattgefunden hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Syndrom ausgesprochen gut behandelt werden kann; die Wahrscheinlichkeit eines medikamentösen Behandlungserfolgs beträgt dem Sachverständigen zufolge über 90 %.

Dagegen vermochte sich der Senat der abweichenden Beurteilung von Dr. B. in dessen Gutachten vom 1. März 2011 nicht anzuschließen. Dr. B. stützt seine Einschätzung, bei der Klägerin liege ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen vor, vorrangig auf die Annahme von Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Antriebsmangel, einem kompletten Insuffizienzerleben, einer aufgehobenen Schwingungsfähigkeit sowie reduzierten Reagibilität und einem reduzierten "Elan vital" im Gefolge einer länger anhaltenden, mittelschweren bis schweren depressiven Symptomatik. Mit der Diagnose einer mittelschweren bis schweren depressiven Symptomatik als wesentlicher Ursache für die Leistungsbeeinträchtigungen der Klägerin befindet sich der Sachverständige Dr. B. allerdings im Widerspruch zu sämtlichen Verwaltungsgutachtern und gerichtlicherseits beauftragten Sachverständigen wie auch den genannten Reha-Entlassberichten. So wurde die Klägerin am 9. April 2009 ausweislich des Reha-Entlassberichts der Z.-Klinik St. B. aus psychotherapeutischer Sicht als arbeits- und vollschichtig leistungsfähig entlassen. Der Verwaltungsgutachter Dr. F. hat am 3. August 2009 - allerdings fachfremd - einen unauffälligen psychischen Befund erhoben. Mit dieser Einschätzung des Dr. F. wiederum hat sich indes der behandelnde Nervenfacharzt Dr. St. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 1. Juli 2010 einverstanden erklärt. Der Sachverständige M. wiederum hat bei einer ganz im Vordergrund stehenden Agoraphobie eine zwar anhaltende depressive Störung, gleichwohl aber leichterer Art im Sinne einer Dysthymia festgestellt. Insbesondere der Sachverständige M. hat seine Einschätzung für das Gericht nachvollziehbar belegen können. So stützt neben dem von ihm erhobenen psychischen Befund auch der festgestellte Tagesablauf, der im Hinblick auf Freizeitaktivitäten und Haushaltsverpflichtungen keine erhebliche Beeinträchtigung aufweist, den Rückschluss auf ein weitgehend erhaltenes quantitatives Leistungsvermögen. Die von der Klägerin behaupteten massiven Gedächtnis-, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, die ja im Besonderen für die Einschätzung von Dr. B. ausschlaggebend waren, konnten im gesamten Verlauf der Untersuchung nicht festgestellt werden. Entgegen den Bekundungen von Dr. B. imponierte die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt verlangsamt und war die Schwingungsfähigkeit in der Untersuchungssituation nicht erkennbar beeinträchtigt. Zutreffend weist der Sachverständige M. auch auf die Schwächen der Vorgehensweise von Dr. B. bei der Befunderhebung hin: Es drängt sich der Eindruck auf, dass dessen Einschätzung im Wesentlichen auf testpsychologischen Untersuchungen mit subjektiven Angaben der Klägerin beruht; die gebotene Objektivierung unterbleibt aber zu großen Teilen. Bemerkenswert ist andrerseits die von Dr. B. in seinem Gutachten selbst eingeräumte niederschwellige Behandlung der angenommenen schweren Depression. So sah auch Dr. B. eine nur niederfrequente psychiatrische Behandlung sowie eine Medikation mit einem niedrig dosierten Antidepressivum, ohne dass dieser Umstand in seiner Beurteilung des Ausmaßes der Erkrankung eine Würdigung erfahren hätte. Eine vom Sachverständigen M. veranlasste Serumspiegelbestimmung wiederum hat ergeben, dass das angeblich von der Klägerin regelmäßig eingenommene Antidepressivum wie auch das eingenommene Schmerzmittel im Serum der Klägerin nicht nachweisbar war. Mit dem Sachverständigen M. geht der Senat davon aus, dass auch die erhebliche Differenz zwischen dem von der Klägerin angegebenen Leidensdruck und den tatsächlich stattgehabten und stattfindenden Behandlungsbemühungen Zweifel am tatsächlichen Leidensdruck und tatsächlichen Schweregradempfinden der Symptome begründen. Der Senat konnte sich deshalb nicht von einer psychischen Erkrankung mit Auswirkungen auf das quantitative Leistungsvermögen überzeugen.

Eine relevante Erwerbsminderung ergibt sich auch nicht aufgrund des von der Klägerin vorgetragenen Unvermögens zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Zwar gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (zuletzt BSG vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R - Juris Rdnr. 20 ff.). Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG a.a.O., Juris Rdnr. 21). Zwar steht aufgrund der vom Sachverständigen M. festgestellten Agoraphobie in Zweifel, ob die Klägerin, wie vom BSG gefordert, zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Sind Arbeitsplätze aber auf andere Art erreichbar, z.B. mit dem eigenen Kraftfahrzeug, ist der Arbeitsmarkt nicht verschlossen (BSG a.a.O., Juris Rdnr. 22). Der Klägerin, die einen Führerschein besitzt und nach eigenen Bekundungen zumindest im näheren Umkreis bekannte Strecken mit dem Kraftfahrzeug auch bewältigen kann, steht nach eigenen Angaben ein Kraftfahrzeug zur Verfügung. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt danach nicht vor.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; die Klägerin ist nicht berufsunfähig. Sie ist zwar vor dem 2. Januar 1961 geboren und gehört damit zum Kreis der gemäß § 240 SGB VI grundsätzlich Anspruchsberechtigten. Die Klägerin ist jedoch nicht berufsunfähig. Dies sind nur Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI a. F. entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorüB.ehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das BSG hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema ist die Klägerin zwar nach den Bekundungen des Sachverständigen M. nicht mehr in der Lage, ihre bisherige Arbeit vollschichtig zu verrichten. Sie muss sich jedoch auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedürfte. Bezugsberuf der Klägerin ist ihre zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit als Bereichsleiterin im Bereich Preisauszeichnung. Neben der Warenauszeichnung oblag der Klägerin als Kommissioniererin auch die Verpackung sowie die Lieferscheinerstellung in ihrem Aufgabenbereich. Ein Kommissionierer ist grundsätzlich allenfalls als Angelernter (des unteren Bereichs) bzw. als ungelernte Arbeitskraft einzustufen (vgl. Hessisches LSG vom 15. April 2011 - L 5 R 331/09 - Juris Rdnr. 32 ff.). Eine abweichende Beurteilung ist hier nicht gerechtfertigt: die Anlernzeit der ungelernten, tariflich nicht eingestuften Klägerin betrug laut früherem Arbeitgeber drei Wochen (so Auskunft gegenüber dem SG) bzw. sechs Monate (Arbeitgeberauskunft vom 29. Juni 2005 gegenüber der Beklagten). Eine tarifliche Einstufung der Klägerin, die Ausdruck einer höheren Wertigkeit sein könnte, ist nicht erfolgt. In ihrem Aufgabenbereich nahm die Klägerin ausweislich der Arbeitgeberauskünfte gegenüber der Beklagten sowie gegenüber dem SG im Verfahren S 4 R 1367/06 eine Vorgesetztenfunktion gegenüber ca. zwölf Mitarbeitern - nach Angaben der Klägerin bis zu 25 Mitarbeitern - wahr. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass im Falle eines angelernten Arbeiters, dem Aufsichts- und Leitungsfunktionen über eine größere Gruppe von Angelernten übertragen worden sind, dies Ausdruck einer besonderen Qualifikation sein kann, die dann den Arbeiter deutlich aus der Gruppe der Angelernten heraushebt und damit eine Einordnung in die Gruppe der Facharbeiter rechtfertigt ( BSG vom 28. Mai 1991 - 13/5 RJ 4/90 - juris Rdnr. 23). Erforderlich hierfür ist jedoch die Leitung von Arbeiten einer größeren Zahl fachlich vorgebildeter Personen (BSG a.a.O.). Die Klägerin hat indes im wesentlichen ungelernte Arbeitnehmer, überwiegend Leiharbeitnehmer, angeleitet. Allein der Umstand, dass die Klägerin weitere geringqualifizierte Mitarbeiter angeleitet hat, vermag ihr deshalb keinen weitergehenden Berufsschutz zu vermitteln. Unter Berücksichtigung sämtlicher tatsächlicher Umstände ihrer Berufstätigkeit kann die Klägerin lediglich als Angelernte des unteren Bereichs im Sinne des Mehrstufenschemas des BSG eingestuft werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei berücksichtigt der Senat, dass das Klageverfahren in beiden Rechtszügen erfolglos geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass hierfür gegeben hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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