L 5 Vb 324/90

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 2 Vsb 492/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 Vb 324/90
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1989 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger streitet um die Anerkennung einer durch seine Behinderung bedingte äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit.

Er ist 37 Jahre und mit einer "angeborenen Einzelniere links" sowie einem Grad der Behinderung von 30 als Behinderter nach dem Schwerbehindertengesetz mit Bescheid vom 27. November 1987 und Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1988 vom Beklagten anerkannt.

Die Bescheide enthielten die Feststellung, die Behinderung bedinge keine äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit, so daß dem Kläger ein Steuerfreibetrag nach § 33 b Abs. 2 Satz lb Einkommensteuergesetz (EStG) nicht zustehe.

Der Kläger hat am 18. Februar 1988 vor dem Sozialgericht Frankfurt Klage erhoben mit der Begründung, er sei wegen des Nierenleidens von der Bundeswehr befreit und dürfe nicht schwer heben. Er spiele Tennis und ihm entstünden erhebliche Mehraufwendungen wegen des Leidens.

Mit Urteil vom 8. Dezember 1989 hat das Sozialgericht Frankfurt den Beklagten verurteilt, den streitigen Nachteilsausgleich beim Kläger festzustellen und hat zur Begründung ausgeführt, der in § 33 b EStG verwendete Begriff des "Körperbehinderten" sei dem Behindertenbegriff des Schwerbehindertengesetzes anzugleichen und erfasse auch durch innere oder psychische Leiden behinderte Menschen. In gleicher Weise werde der Begriff der äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit erweiternd ausgelegt und erfasse auch Schäden an Sinnesorganen oder innere Leiden, die bei gewöhnlicher Belastung zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit führten. Dies gelte nach steuerrechtlicher Literatur selbst bei Ausfall der Sprachorgane. Letztlich müsse allen Minderbehinderten die Inanpruchnahme eines Pauschbetrages eröffnet werden, sofern die Behinderung zu einer veränderten, die Lebenshaltungskosten steigernden Lebensführung zwinge, was beim Kläger anzunehmen sei. Allgemein sei es zu einer Ausweitung des Gehalts des streitigen Nachteilsausgleiches gekommen, welche den Wortlaut hinter sich lasse und letzIich zu einer weitgehenden Konturlosigkeit dieses Begriffes am Wortlaut gemessen führe. Die Funktion des Nachteilsausgleiches sei es, Minderbehinderungen zu erfassen, von denen angenommen werden könne, daß sie typischerweise mit Mehraufwendungen und außergewöhnlichen Belastungen für den Behinderten einhergingen und daher eine pauschale Beurteilung rechtfertigten. Eine derartige Pauschalierung habe der Gesetzgeber für Schwerbehinderte ohne weiteres angenommen, ferner für sogenannte Leichtbehinderte, wenn ihnen aufgrund ihrer Behinderung nach gesetzlichen Vorschriften Renten oder andere laufende Bezüge zustünden oder die Behinderung auf einer typischen Berufskrankheit beruhe. Der Versuch, eine weitere Gruppe von Minderbeschädigten mit dem streitigen Nachteilsausgleich zu umschreiben, sei nur unzureichend gelungen, was zur entsprechenden Erweiterung des Bedeutungsgehaltes dieses Nachteilsausgleiches in Rechtsprechung und Rechtspraxis geführt habe.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 21. März 1990 zugestellte Urteil am 4. April 1990 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, die erstinstanzliche Entscheidung habe den Wortlaut des Gesetzes unbeachtet gelassen. Das Gesetz habe keine Lücke und sei wortgetreu anzuwenden, was zur Versagung des streitigen Nachteilsausgleiches führen müsse.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat sich der erstinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis wie auch in der Begründung angeschlossen.

Auf Anfrage des Senats hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zur streitigen Frage geäußert, weswegen auf dessen Stellungnahme vom 22. August 1990 Bezug genommen wird.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens und auszugsweise Inhalt der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die vom Beklagten form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, da Streitgegenstand die Zuerkennung eines Nachteilsausgleiches ist (§§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG, 4 Abs. 6 Schwerbehindertengesetz).

Sie ist auch begründet, da die beim Kläger als Behinderung anerkannte angeborene Einzelniere links nicht zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit führt und dem Kläger daher ein Steuerfreibetrag nach § 33 b EStG nicht zusteht.

Der Beklagte hat nach § 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz über die Zuerkennung des streitigen Nachteilsausgleiches zu entscheiden, wobei die maßgeblichen Voraussetzungen für den Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 30 zu den sogenannten "Minderbehinderten" gehört, von § 33 b Abs.2 Ziffer 1 EStG normiert werden. Nach dieser Regelung steht Minderbehinderten mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 25 ein Pauschbetrag zu, wenn der Behinderte wegen seiner Behinderung Anspruch auf eine Rente oder andere laufende Bezüge hat, die Behinderung auf einer typischen Berufskrankheit beruht oder die Behinderung zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit führt.

Für den Kläger kommt als Anspruchsvoraussetzung allein die letzte Alternative in Betracht, deren Voraussetzungen er jedoch nicht erfüllt. Denn sein Nierenleiden führt schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht zu einer derartigen Funktionseinbuße. Ihm ist danach zwar schweres Heben verboten und er ist wegen des Nierenleidens auch von der Bundeswehr befreit. Andererseits spielt er Tennis und hat weder vorgetragen noch durch medizinische Unterlagen belegt, infolge seines Leidens eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit erlitten zu haben. Derartiges war auch nicht äußerlich erkennbar, wovon der Senat sich anläßlich der Teilnahme des Klägers am Senatstermin durch Augenschein überzeugen konnte.

Der Umstand, daß der Kläger nach seinem durchaus glaubhaften Vortrag Mehraufwendungen in der Lebensführung wegen seines Nierenleidens hat, konnte entgegen dem erstinstanzlichen Urteil zu keiner anderen Bewertung führen. Denn entgegen dem Sozialgericht und der von ihm zitierten Literatur gibt der Gesetzeswortlaut nicht die Auslegung her, § 33 b Abs. 2 EStG wolle alle behinderungsbedingten Mehraufwendungen bei Minderbehinderten durch die Gewährung eines Pauschbetrages ausgleichen. Die Norm legt vielmehr exakt die Personengruppen fest, für die ein solcher Pauschbetrag in Betracht kommt und zu denen gehört der Kläger unstreitig nicht. Man kann zwar mit dem Sozialgericht und der Verwaltungspraxis (vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1983, Seite 126) davon ausgehen, daß die Ursache des streitigen Nachteilsausgleiches nicht allein auf Leiden des Stütz- und Bewegungsapparates beschränkt ist sondern auch innere Leiden und Schäden der Sinnesorgane miterfaßt. Die vom Gesetzeswortlaut geforderte Funktionseinschränkung in Gestalt einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit muß jedoch immer feststellbar sein und zudem "äußerlich erkennbar" sein. In dieser Weise hat sich auch für den Senat überzeugend der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Schreiben vom 22. August 1990 eingelassen. Der Gesetzgeber hat an den verschiedenen Gruppen von Anspruchsberechtigten in § 33 b Abs. 2 EStG trotz der ihm bekannten und vom Sozialgericht ausführlich dargestellten Kritik festgehalten. Er hat im Steuerreformgesetz 1990 (Bundesgesetzblatt I, Seite 1093) speziell § 33 b EStG umfassend überarbeitet, wobei allerdings nur die Einführung eines Pauschbetrages für Pflegepersonen (Abs. 6) eine Änderung des materiellen Rechts darstellt. Ansonsten handelt es sich im wesentlichen um begriffliche Aktualisierungen und redaktionelle Änderungen, die insbesondere die streitigen Voraussetzungen zur Gewährung eines Pauschbetrages für Minderbehinderte unverändert beließen.

Angesichts dieses materiell unveränderten Gesetzesinhaltes war es in Anbetracht des Gewaltenteilungsprinzips nicht Aufgabe des erkennenden Senats als Teils der dritten Gewalt einer "besseren Einsicht" folgend neue Gruppen von Anspruchsberechtigten zu schaffen, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat. Der Senat sieht sich vielmehr an den klaren und eindeutigen Gesetzeswortlaut gebunden, zumal er einen Verstoß der Bestimmung des § 33 b Abs. 2 Einkommensteuergesetz gegen höherrangiges Recht nicht erkennen konnte. Insbesondere war eine Kollision mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht zu bejahen. Die dem Gesetzgeber bei der gewährenden Staatstätigkeit in diesem Zusammenhang zukommende Gestaltungsfreiheit ist größer als bei Eingriffen in die Rechtssphäre des Bürgers und die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes fordert vom Gesetzgeber lediglich eine willkürliche Ungleichbehandlung von vergleichbaren Personengruppen zu unterlassen (dazu von Münch, Grundgesetz - Kommentar, 3. Auflage, Anm. 20, 11 zu Art. 3 m.w.N.). Die vom Gesetzgeber im Steuerreformgesetz 1990 beibehaltene Fassung des § 33 b Abs. 2 EStG besitzt ein hohes Maß an Praktikabilität durch Anknüpfung an leicht feststellbare Sachverhalte und läßt sich daher zumindest aus dem Gesichtspunkt der Sachgemäßheit auch vor Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz rechtfertigen (zu diesem Aspekt von Münch a.a.O. Anm. 24).

Da die streitige Frage bisher oberstgerichtlich weder vom Bundessozialgericht noch vom Bundesfinanzhof entschieden wurde, andererseits aber maßgebliche Stimmen in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten fordern, hat der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision nach § 160 SGG zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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