L 7 R 3853/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 831/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3853/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der am 1958 geborene Kläger, gelernter Kfz-Mechaniker, bezieht seit 1. Januar 2002 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, die vom 6. Mai 2003 bis 31. Juli 2004 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze durch das bezogene Arbeitslosengeld nicht ausgezahlt wurde. Die zunächst nur befristet gewährte Rente wurde mit Bescheid vom 22. Februar 2005 auf Dauer bewilligt. Der auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005).

Nach Abschluss einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der Abteilung für Entwöhnungsbehandlung der Fachklinik W. vom 16. Dezember 2003 bis zum 8. April 2004 wurde der Kläger bei einer Arbeitsbelastungserprobung (Schreinerei) allen Anforderungen gerecht. Der Abschlussbericht vom 20. April 2004 beschreibt vorrangig neben orthopädischen Gesundheitsstörungen insbesondere psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (Abhängigkeitssyndrom) sowie einen nicht primär insulinabhängigen Diabetes mellitus (Typ II) ohne Komplikationen. Der Kläger wurde für fähig erachtet, leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.

Vom 1. Juli 2005 bis Oktober 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung beim M. H. als Hausmeister und in der Kontrolle des Fuhrparks im Umfange von bis zu drei Stunden täglich aus. Den Arbeitsweg von vier Kilometern legte er mit dem eigenen PKW zurück. Die arbeitsgeberseitige Kündigung erfolgte nicht krankheitsbedingt.

Am 15. Mai 2008 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. Mai 2008 und führte zur Begründung u.a. aus, wegen Diabetes mellitus und epileptischen Anfällen keine Maschinen mehr bedienen zu können; ihm seien nur noch kurzeitige (1,5 Stunden), geringfügige körperliche Anstrengungen möglich.

In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 10. Juli 2008 beschrieb Dr. R. (Arzt für Innere Medizin - Lungen- und Bronchialheilkunde) Veränderungen durch schädlichen Alkoholkonsum bei einem Blutalkoholgehalt von 0,3 Promille aktuell bei der Begutachtung. Alkoholkonsum bestehe seit dem 18. Lebensjahr, ohne dass es dadurch zu einem Verlust der Arbeitsstellen oder des Führerscheins gekommen sei. Nach Langzeittherapie sei der Kläger 2003/2004 1½ - 2 Jahre trocken gewesen. Es bestehe keine Unruhe bei Abstinenz am Tag. Wegen des Diabetes mellitus seien keine Tätigkeiten mit schwankender körperlicher Beanspruchung und keine Schichtarbeit mehr zumutbar, wegen des Alkoholkonsums keine Tätigkeiten mit Absturzgefahr. Wesentliche Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates, die zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Leistungsvermögens führten, seien nicht festzustellen. Der Kläger sei in der Lage, mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Eine auf Anregung des Gutachters von der Beklagten angebotene medizinische Rehabilitation, zu der auch der Kläger seine Zustimmung erteilt hatte, kam nicht zustande, da er die Termine bei der Behandlungsstelle für Suchtkranke nicht wahrnahm.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2009 als unbegründet zurückgewiesen, da bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbsminderung bestehe.

Hiergegen hat der Kläger am 13. März 2009 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, bereits die orthopädischen Gesundheitsstörungen reduzierten sein Restleistungsvermögen qualitativ auf leichte Tätigkeiten; wegen der erheblichen Schmerzsymptomatik sei jedoch auch das quantitative Leistungsvermögen reduziert. Aufgrund der Alkoholerkrankung sei er nicht mehr in der Lage, sich an strukturierte Arbeitsabläufe oder überhaupt einen strukturierten Tagesablauf zu halten.

Das SG hat zunächst den behandelnden Allgemeinmediziner Dr. P. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen (Stellungnahmen vom 2. September und 19. Oktober 2010); wegen des Ergebnisses wird auf B. 39/48 der SG-Akte Bezug genommen. In einem Gutachten vom 21. Januar 2011 hat Dr. M., Facharzt für Innere Medizin, eine schwere Alkoholabhängigkeit mit alkoholtoxischer Leberzirrhose Child B, chronischer Pankreatitits mit exkretorischer Insuffizienz sowie pankreoprivem insulinpflichtigem Diabetes mellitus, Polyneuropathie und amotivationalem Syndrom beschrieben. Des Weiteren bestünden eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD Stadium II), schweres obstruktives Schlafapnoesyndrom, rezidivierendes Zervikal- und Lumbalsyndrom mit pseudoradikulärer Reizerscheinung am rechten Oberschenkel, Impingement der rechten Schulter sowie eine Bizepssehnenruptur rechts mit geringen funktionellen Auswirkungen. Bei Begutachtung habe eine aktuelle Alkoholkonzentration von 2,6 Promille bestanden. Wegen des Diabetes mellitus könne der Kläger keine Arbeiten in Nachtschicht verrichten; Akkord-Fließbandarbeiten sowie Arbeiten in Zwangshaltung oder mit besonderen Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit seien nicht mehr zumutbar. Wegen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung seien Tätigkeiten in Nässe, Zugluft oder stark schwankenden Temperaturen sowie solche mit inhalativen Belastungen ausgeschlossen. Aufgrund der alkoholtoxischen Folgeerkrankungen seien nur noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Heben und Tragen sowie Bewegen von Lasten über 5 kg ohne erhöhte Verletzungsgefahr zumutbar. Die alkoholtoxische Persönlichkeitsstörung schließe Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, die Alkoholabhängigkeit Tätigkeiten mit dem Steigen von Leitern oder Gerüsten aus. Verantwortung für Personen oder Maschinen könnte dem Kläger nicht mehr übertragen werden. Auch unter Beachtung dieser Einschränkungen sei der Kläger nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten unter drei Stunden täglich zu verrichten. Nach einer mehrmonatigen Entwöhnungsbehandlung entfielen die Einschränkungen innerhalb eines Jahres teilweise; dann seien leichte Tätigkeiten vollschichtig möglich.

Dr. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, spezielle Schmerztherapie, hat in seinem Gutachten vom 11. Mai 2011 als Gesundheitsstörungen beschrieben: insulinpflichtiger Diabetes mellitus nach akuter schwerer Pankreatitis 2001; chronische Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent; leichte kognitive Beeinträchtigung bei Alkoholkrankheit; leichte Polyneuropathie der Beine; COPD derzeit erscheinungsfrei; unbehandeltes Schlafapnoesyndrom. In der Begutachtung hätten sich keinerlei Hinweise auf akute Alkoholbeeinflussung gefunden. Arbeiten unter Zeitdruck, Einzel- und Gruppenakkord, Fließband- oder taktgebundene Arbeiten, ständiges Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die psychische Belastbarkeit, das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie mit Publikumsverkehr seien nicht mehr leidensgerecht. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei der Kläger jedoch noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Die Abweichungen zur Einschätzung von Dr. M. seien insbesondere durch die dortige Alkoholisierung bedingt.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juni 2011 hat Dr. M. aufgrund des Gutachtens von Dr. H. seine Leistungsbeurteilung revidiert. Aufgrund des dort fachspezifisch erfolgten Ausschlusses einer alkoholtoxischen Enzephalopathie schließe er sich dessen Leistungseinschätzung an. Die internistischen Gesundheitsstörungen bedingten nur noch ergänzende qualitative Einschränkungen (Ausschluss von Nachtarbeit, Nässe, Kälte, Zugluft und inhalative Belastungen).

Mit Urteil vom 24. August 2011 hat das SG die Klage abgewiesen, da nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe, so dass die Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderung nicht erfüllt seien.

Hiergegen hat der Kläger am 7. September 2011 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung insbesondere vorgebracht, entgegen der Annahme von Dr. H. und diesem folgend des SG sei er gerade nicht trocken und auch nicht in der Lage, vom Alkohol wegzukommen. Ergänzend hat er den Bescheid des L. B. vom 18. November 2011 (Grad der Behinderung von 60 seit dem 9. September 2011, jedoch keine Merkzeichen) und einen internistisch-pneumologischen Arztbrief vom 13. September 2011 vorgelegt; insoweit wird auf Bl. 20 der Senatsakten Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24. August 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2009 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Mai 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat, gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. L., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 3. Mai 2012, ausgeführt, die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen böten keinen Anlass, von der bisherigen Einschätzung einer erhaltenen vollen quantitativen Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abzurücken.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat Prof. Dr. B., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Suchtmedizin, am 5. März 2012 ein psychiatrisch-schmerzpsychologisches Gutachten erstattet und darin auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt: polytopes Schmerzsyndrom (Polyarthralgie: Hüftgelenke, Hals- und Lendenwirbelsäule, Schultergelenk rechts betont) bei Verschleißerscheinungen i.S.e. chronifizierten Schmerzsyndroms nach Gerbershagen Stadium 2; mittelschwere depressive Symptomatik i.S.e. anhaltenden depressiven Störung ohne somatisches Syndrom; Alkoholerkrankung im aktiven Konsummuster (kein Spiegeltrinken, also grundsätzlich abstinenzfähig) mit hirnorganisch kognitiver Störung und Wesensänderung; Nikotinabhängigkeit. Zumutbar seien Arbeiten in geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen, nicht hingegen Überkopfarbeiten, häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten im Freien oder in Nässe, unter Staubeinwirkung, im Akkord, unter Zeitdruck und in Nachtschicht. Wegen der Interdependenz der somatopsychischen Erkrankung seien leichte Tätigkeiten nur noch drei Stunden täglich möglich.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H.r vom 24. Mai 2012 eingeholt, in der dieser in Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Prof. Dr. Bielitz an der von ihm erstinstanzlich vertretenen Leistungsbeurteilung festgehalten hat; wegen des genauen Inhaltes der Stellungnahme wird auf Bl. 64/69 der Senatsakte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gem. § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), da eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bereits bewilligt ist.

Das SG hat einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht verneint.

Nach § 43 Abs. 1 SGB VI haben bei Erfüllung hier nicht streitiger versicherungsrechtlicher Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht unter den genannten Bedingungen bei einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich (Abs. 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3). Bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers steht im Vordergrund zunächst dessen Alkoholkrankheit. Allein deren Bestehen rechtfertigt allerdings noch nicht die Annahme eines zeitlich eingeschränkten beruflichen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. So ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger mit dieser Krankheit jahrzehntelang versicherungspflichtig beschäftigt war, ohne die Arbeitsstellen aufgrund des Alkoholkonsums verloren zu haben. Die Alkoholkrankheit stand somit einer Arbeitsleistung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht nur in Phasen der Alkoholabstinenz nicht entgegen, sondern auch - und sogar überwiegend - in solchen aktuellen Alkoholkonsums. Der Alkoholkonsum hat auch nie zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt. Eine Unruhe bei Abstinenz am Tag ist im Gutachten von Dr. Roeser ausgeschlossen worden, ohne dass in den späteren Gutachten Abweichendes festgestellt wurde. Den alkoholtoxischen Sekundärschäden kann ausreichend durch die Beachtung qualitativer Ausschlüsse Rechnung getragen werden. So führt die Polyneuropathie der Beine, die nur eine leichte Ausprägung erreicht, zu einem Ausschluss von Arbeiten mit Absturzgefahr, wie solchen auf Leitern oder Gerüsten oder mit besonderen Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit. Dies ergibt sich nachvollziehbar bereits aus dem im Verwaltungserfahren erstatten Gutachten von Dr. Roeser, das urkundsbeweislich verwertet werden kann. Dort fand sich das Vibrationsempfinden an den Fußknöcheln zwar abgeschwächt (4/8), radial aber vollständig (8/8). Die entsprechenden Untersuchungen der Sensibilität bei Dr. Hausotter ergaben keinerlei Minderung der Gefühlsempfindung für alle Qualitäten, einschließlich des Vibrationsempfindens an den Innenknöcheln. Der Stimmgabeltest bei Dr. Meller zeigte ebenfalls keine Auffälligkeiten. Prof. Dr. Bielitz fand die Tiefensensibilität im Stimmgabeltest an den Großzehenballen nur etwas reduziert (4/8 bzw. 5/8). Eine (leichte) Standunsicherheit wurde nur von Dr. Meller beschrieben, wobei die zu diesem Zeitpunkt bestehende, erhebliche Alkoholisierung des Klägers (2,6 Promille) zu beachten ist. Ein ausgeprägter Tremor der Hände, der die Feinmotorik einschränken könnte, wird von keinem Gutachter angegeben. Gleiches gilt für erhebliche Koordinationsstörungen. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger die täglich anfallenden Haushaltstätigkeiten, einschließlich Kochen und Putzen, verrichten kann.

In kognitiver Hinsicht bestehen allenfalls leichte Leistungseinbußen. Dies hat bereits Dr. Hausotter anhand der Ergebnisse der bei ihm durchgeführten Untersuchungen schlüssig dargelegt. Die Angaben des Klägers über eine gegenüber früher gesteigerte Vergesslichkeit fanden sich zumindest insoweit gestützt, dass bei der Exploration manche Daten unscharf wiedergegeben wurden. Allerdings zeigte sich der Kläger dabei auch gleichgültig und wenig bemüht. Gravierende kognitive Ausfälle hat Dr. Hausotter nachvollziehbar ausgeschlossen. Abweichendes hat auch die Begutachtung durch Prof. Dr. Bielitz nicht ergeben. Bei der Untersuchung zeigten sich Konzentration und Auffassung als ausreichend. Soweit dabei Pausen eingelegt wurden, ist zu berücksichtigen, dass eine mehrstündige Untersuchung und Exploration höhere Anforderungen stellt als die hier in Rede stehenden leichten Tätigkeiten. Der Gutachter spricht daher konsequenterweise von einer nur milden kognitiven Störung, ohne hieraus allerdings im Weiteren konkrete Leistungseinschränkungen oder Anforderungen an die Arbeitsgestaltung abzuleiten. Der Senat erachtet jedoch zunächst die von Dr. Hausotter formulierten Ausschlüsse als notwendig. Ausgeschlossen sind danach differenzierte Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Schlüssig ist darüber hinaus bei fortgesetztem Alkoholkonsum der von Dr. Meller angegebene Ausschluss von besonderer Verantwortung für Personen oder Maschinen zur Vermeidung von Eigen- oder Fremdgefährdung.

Eine belangvolle alkoholbedingte Wesensänderung kann nicht festgestellt werden. Dr. Hausotter hat eine solche aufgrund der von ihm erhobenen Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar verneint. Dem hat sich Dr. Meller in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juni 2011 angeschlossen und ist damit von seiner ursprünglichen Einschätzung ausdrücklich abgewichen. Dabei war zu beachten, dass der Kläger bei der dortigen Untersuchung hochgradig alkoholisiert war, so dass eine Verwechslung mit einer psychischen Auffälligkeit im akuten Alkoholrausch, die einer Wesensänderung vergleichbar ist (vgl. die ergänzende Stellungnahme von Dr. Hausotter vom 24. Mai 2012), durch den insoweit fachfremd urteilenden Internisten Dr. Meller naheliegt. Die von diesem vorgenommene Korrektur aufgrund der späteren fachspezifischen Beurteilung von Dr. Hausotter ist daher nachvollziehbar. Prof. Dr. Bielitz nimmt eine Wesensänderung hingegen an, die er selbst jedoch lediglich als mild wertet. Aus einer solchen lässt sich eine zeitliche Leistungsminderung nicht ableiten. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die fachkundige Bewertung von Dr. Hausotter in dessen ergänzender Stellungnahme. Allerdings ist auffällig, dass die Alkoholabhängigkeit und das erwähnte organische Psychosyndrom auch von Prof. Dr. Bielitz bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit gar nicht erwähnt werden, worauf bereits Dr. Lorch hingewiesen hatte. Schon gar nicht kann dem Vortrag des Klägers gefolgt werden, er sei aufgrund der Alkoholerkrankung nicht mehr in der Lage, sich an strukturierte Arbeitsabläufe oder überhaupt einen strukturierten Tagesablauf zu halten. Der von Dr. Meller und Dr. Hausotter ausführlich erhobene Tagesablauf des Klägers zeigt das Gegenteil. Danach ist dieser in der Lage, den Haushalt alleine und strukturiert zu führen und die durch die Berufstätigkeit seiner Ehefrau vorgegebenen Zeiten einzuhalten. Auch in deren Abwesenheit hält er die Alltagsstruktur ein.

Um eine psychische Überforderung zu vermeiden, sind weitere qualitative Einschränkungen notwendig, aber auch ausreichend. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, Zeitdruck wie bei Akkord-, Fließband- oder taktgebundenen Arbeiten, Gleiches gilt für einen Ausschluss von Publikumsverkehr, nachdem der Kläger Menschenansammlungen bewusst meidet. Darüber hinausgehende Einschränkungen des Leistungsvermögens, insbesondere in zeitlicher Hinsicht sind nicht gerechtfertigt. Soweit ein unbehandeltes Schlafapnoesyndrom besteht, hat dieses zumindest nicht zu einer nachhaltigen Tagesmüdigkeit mit erheblichen kognitiven Einbußen geführt. Soweit Prof. Dr. Bielitz von einer mittelschweren depressiven Störung ausgeht, vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Mit seiner Beurteilung hat der Gutachter zunächst selbst die bei der testpsychologischen Untersuchung erhobenen Ergebnisse, die in Richtung schwer deuteten, relativiert. Der von ihm erhobene psychische Befund stellt sich schlechter dar, als der noch von Dr. Hausotter erhobene. Dennoch findet keine Psychotherapie oder nervenärztliche Mitbehandlung statt, was nach schlüssiger Darstellung von Dr. Hausotter in seiner ergänzenden Stellungnahme auf mangelnden Leidensdruck schließen lässt. Darüber hinaus spricht die Führung des Haushalts gegen eine relevante Einschränkung.

Auf internistischem Fachgebiet ist der nach akuter Pankreatitis im Jahre 2001 verbliebene Diabetes mellitus zu berücksichtigen, der nach überzeugender und fachkundiger Einschätzung von Dr. Meller Arbeiten in Nachtschicht ausschließt. Wegen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung hat der internistische Gutachter schlüssig auch Tätigkeiten in Nässe, Zugluft oder stark schwankenden Temperaturen sowie solche mit inhalativen Belastungen ausgeschlossen. Eine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht ist danach nicht gerechtfertigt.

Der abweichenden Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Bielitz vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Bezüglich einer mittelschweren depressiven Symptomatik sowie einer alkoholbedingten, hirnorganischen kognitiven Störung und Wesensänderung ist zunächst auf das oben bereits Ausgeführte zu verweisen. Der Gutachter stützt seine Leistungsbeurteilung jedoch im Wesentlichen auf eine "Interdependenz der somatopsychischen Erkrankung"; die orthopädischen Einschränkungen bewirkten den Schmerz, dieser und die Schlafapnoe hielten die Depression aufrecht. Grundlegend sei daher ein polytopes Schmerzsyndrom i.S.e. chronifizierten Schmerzsyndroms nach Gerbershagen Stadium 2. Zu letzterem hat Dr. Hausotter jedoch anschaulich darauf verwiesen, dass ein derartiger Chronifizierungsgrad bereits ausschließlich aufgrund eigener Angaben dauerhafter und multilokulärer Schmerzen, verbunden mit einem häufigen Wechsel des betreuenden Arztes, erreicht werde. Allein aufgrund der Chronifizierung kann nicht auf die Quantität oder eine bestimmte Qualität der Leistungseinbußen geschlossen werden. Prof. Dr. Bielitz stützt sich im Wesentlichen auf die subjektiven Angaben des Klägers und Fragebogentests, hierunter wiederum auch Selbstbeurteilungsverfahren. Diese sind zwar nicht von vornherein unbeachtlich, die gewonnenen Ergebnisse gerade bei Rentenbegutachtungen jedoch kritisch zu prüfen und mit weiteren Umständen abzugleichen. Dies ist nach Auffassung des Senats, der insoweit der überzeugenden Darstellung von Dr. Hausotter folgt (vgl. ergänzende Stellungnahme vom 24. Mai 2012), durch Prof. Dr. Bielitz nicht ausreichend geschehen. Zunächst waren bereits im Gutachten von Dr. Hausotter Hinweise auf "nicht authentisches Verhalten" angesprochen worden, die sich insbesondere durch den differenzierten Strukturierten Fragebogen Simulierter Symptome (SFSS) ergeben hatten. Prof. Dr. Bielitz stützt sich hingegen im wesentlichen auf den sog. Rey-Memory-Test. Hierbei handelt es sich nach anschaulicher Darstellung von Dr. Hausotter um ein nur sehr grob orientierendes Verfahren. Diesem kommt als alleinigem Simulationstest nur geringe Bedeutung zu, zumal die übrigen aussagekräftigen Tests der "Testbatterie zur Forensischen Neuropsychologie", die von Prof. Dr. Bielitz allgemein angeführt wurde, nicht veranlasst worden waren. Anlass für ein weiteres Hinterfragen der subjektiven Angaben boten darüber hinaus noch weitere Umstände. So wird eine Schmerzmedikation nur im Umfange von einer Tablette Ibuprofen täglich durchgeführt. Eine Psychotherapie, nervenärztliche Mitbehandlung, Physiotherapie, aber auch eine weitere spezifische Schmerztherapie erfolgt nicht, was eindeutig gegen einen erhöhten Leidensdruck spricht. Die Bewältigung des Alltages, insbesondere des Haushaltes, fließt nicht ausreichend in die Leistungsbeurteilung ein. Prof. Dr. Bielitz führt insoweit lediglich aus, dies geschehe im Rahmen des noch vorhandenen Restleistungsvermögens. Ein genauer Tagesablauf findet sich jedoch in seinem Gutachten anders als bei Dr. Meller und Dr. Hausotter nicht. Allerdings hat der Kläger auch hier angegeben, Haushalts- und Reinigungsarbeiten zu übernehmen. Schließlich überzeugt auch der Verweis auf körperliche Aufbraucherscheinungen, auf die sich die Schmerzsymptomatik beziehe, nicht. Keiner der mit dem Kläger befassten Gutachter hat hierzu einen erheblichen pathologischen Befund erhoben; dies gilt auch für Prof. Dr. Bielitz. Durchgängig fand sich der Haltungs- und Bewegungsapparat in Funktion und Beweglichkeit nicht signifikant gestört. Auf orthopädische Gesundheitsstörungen bezogene neurologische Ausfallerscheinungen werden nicht beschrieben. Prof. Dr. Bielitz beschreibt selbst einen Finger-Boden-Abstand von 5cm bei beidseits negativem Lasègue-Zeichen sowie eine altersentsprechende Beweglichkeit aller großen Gelenke. Einzige Ausnahme bilde das rechte Schultergelenk i.S.e. Impingement-Syndroms; die Beweglichkeit sei hier eingeschränkt, so dass der Nacken- und Schürzengriff nicht möglich sei. Eine solche Einschränkung konnte bei den vorangegangenen Begutachtungen im Januar und Mai 2011 noch nicht festgestellt werden, obwohl die hierzu vom Kläger angeführte Bizepssehnenruptur bereits im August 2010 stattgefunden hat. Den Einschränkungen ist aber bereits durch die Beschränkung auf körperlich leichte Tätigkeiten ohne Überkopfarbeiten ausreichend Rechnung getragen, zumal der Kläger nicht gehindert ist, Haushalts- und Reinigungsarbeiten zu verrichten. Angesichts der fachärztlichen Abklärung konnte auch der nicht näher begründeten Leistungseinschätzung des behandelnden Arztes nicht gefolgt werden.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht somit zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich eine körperlich leichte Tätigkeit mit den oben im Einzelnen genannten Einschränkungen zu verrichten. Diese sind weder ihrer Art nach noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Erwerbsminderung liegt daher nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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