Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 427/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin zu 1 wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssu-chende nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab dem 02.02.2012 bis zum 31.07.2012 zu zahlen. Die Antragsgegnerin zu 1 trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
Die am 14.06.2010 geborene Antragstellerin lebt mit ihren unverheirateten Eltern und drei Schwestern zusammen in einem Haushalt. Die Mutter X erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), bis zum 02.01.2010 in Form von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG und seit dem gem § 2 AsylbLG als Analogleistungen. Der Vater X ist als Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Er bezieht ebenso wie die weiteren Kinder Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II. Zwei Geschwister sind Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG; für die dritte Schwester besteht eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 1 AufenthG, wonach ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel als erlaubt gilt. Die Antragstellerin ist derzeit im Besitz einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 2 AufenthG, die bewirkt, dass die Abschiebung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als ausgesetzt gilt.
Die Antragstellerin bezog zunächst bis September 2011 Leistungen nach dem SGB II. Diese stellte die Antragsgegnerin zu 1 ab Oktober 2011 ein. Mit Bescheiden vom 09.12.2011 und vom 27.01.2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 08.02.2012 bewilligte die Antragsgegnerin zu 1 dem Vater und den übrigen drei Kindern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2012 bis 28.01.2012 und vom 29.01.2012 bis 12.04.2012.
Gegen die Bescheide legte die Antragstellerin Widerspruch ein und machte geltend, auch sie müsse Leistungen nach dem SGB II erhalten, auch wenn sie formell leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sei. Denn als Tochter eines anerkannten Flüchtlings stünden ihr Leistungen in Höhe der innerstaatlichen Sozialhilfe über Art. 23 iVm 28 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL = Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes) zu. Die Widersprüche sind noch nicht beschieden.
Am 02.02.2012 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu 1 zur Leistungsgewährung, hilfsweise die Antragsgegnerin zu 2 zur Gewährung existenzsichernder Leistungen zu verpflichten. Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus den Widerspruchsverfahren hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art 23 iVm 28 QualRL.
Die Antragsgegnerin zu 1 hält demgegenüber eine Bewilligung für die Antragstellerin für nicht möglich, da sie leistungsberechtigt nach dem AsylbLG und damit vom Bezug von SGB II-Leistungen gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II ausgeschlossen sei. Eine eventuelle Europarechtswidrigkeit sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Im übrigen zeige aber Er-wägungsgrund 9 der Richtlinie, dass Personen, die nur aus familiären Gründen aufent-haltsberechtigt seien, vom Anwendungsbereich der QualRL ausgenommen seien. Auch habe das BSG in zwei Urteilen eine Ausstrahlungswirkung der anerkannen Flüchtlingseigenschaft auf die Leistungsberechtigung von Familienangehörigen verneint.
Die Antragsgegnerin zu 2 hat eine Leistungsverpflichtung dem Grunde nach anerkannt und der Antragstellerin bei Vorlage aller notwendiger Unterlagen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG angeboten. Die Antragstellerin hält diese unter Verweis auf den Vorlagebe-schluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.11.2010 – L 20 AY 1/09 – juris, für verfassungswidrig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
II. Der zulässige Antrag ist begründet. Gemäß § 86 b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Rechtsanspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Anordnungsanspruch), und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dabei kann die Entscheidung auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 – juris Rn 26; vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23.01.2006 - L 20 B 15/05 AY ER, juris).
So liegt der Fall hier. Die Kammer hält es für wahrscheinlich, dass ein Anordnungsan-spruch besteht und sieht in der Hauptsache Erfolgsaussicht. Eine abschließende Prüfung der Rechtslage ist der Kammer im Eilverfahren aber nicht möglich (1.) In der Abwägung der Folgen, die das Nichtzusprechen von Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Antragstellerin hätte, gegenüber einer möglicherweise zu Unrecht erfolgenden Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin zu 1 überwiegen die schutzbedürftigen Interessen der Antragstellerin (2.).
1.Zutreffend hat die Antragsgegnerin zu 1 ausgeführt, dass nach der einfachrechtlichen Rechtslage wegen § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II Leistungen nach dem SGB II nicht in Be-tracht kommen, weil die Antragstellerin als Inhaberin einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 2 AufenthG aus § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG (analog) oder nach § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG leistungsberechtigt nach dem AsylbLG ist (vgl hierzu Frerichs, in jurisPK-SGB XII, § 1 AsylbLG Rn 110). Der Ausschluss gilt gleichermaßen für Leistungen nach dem SGB XII (§ 23 Abs 2 SGB XII).
Bei summarischer Prüfung spricht jedoch einiges dafür, diesen Leistungsausschluss im Fall der Antragsstellerin nicht anzuwenden, weil eine Leistungsberechtigung aus Art. 23 iVm 28 QualRL folgen könnte. Denn der Vater der Antragstellerin ist anerkannter Flücht-ling, in der Folge Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG und damit leistungsberechtigt nach dem SGB II. Nach Art 28 ("Sozialhilfeleistungen") Abs 1 QualRL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der die jeweilige Rechtsstellung gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Art 23 ("Wahrung des Familienverbandes" ) Abs 2 QualRL bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Familienangehörigen der Person, der die Flüchtlingseigenschaft oder der subidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und die selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen, gemäß den einzelstaatlichen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 34 genannten Vergünstigungen haben, sofern dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.
Es spricht einiges für die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Richtlinienbestimmungen, soweit sie nicht oder nicht ausreichend umgesetzt sein sollten (zur unmittelbaren An-wendbarkeit s. grundlegend EuGH, Urteil vom 04.12.1974 –C-41/74 – van Duyn./.Home Office, Slg. 1974, 1337; juris Leitsatz 2 u Textziffer 12), da sie hinreichend klar und unbe-dingt formuliert sind, um im Einzelfall anwendbar zu sein und da sie dem Einzelnen Rechte gegenüber dem Staat verleihen bzw seinem Schutz dienen. Das LSG NRW hat offenbar in einem Urteil vom 28.02.2012 – L 20 AY 48/08 – die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Richtlinienbestimmungen bejaht; die Entscheidungsgründe liegen allerdings noch nicht vor.
Insbesondere die Formulierung eines Sozialhilfeanspruchs des anerkannten Flüchtlings in Art 28 Abs 1, den er wie Staatsangehörige des Mitgliedstaats erhalten soll, lässt – viel-leicht auch in Abgrenzung zu Ansprüchen von Personen mit subsidiärem Schutzstatus auf "Kernleistungen" gem Art 28 Abs 2 - keinen Umsetzungsspielraum erkennen.
Auch die Familienangehörigen haben über Art 23 Abs 2 iVm Art 28 der QualRL diesen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen wie Staatsangehörige, sofern sie selbst nicht die Vo-raussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen und sofern dies mit ihrer persönlichen Rechtsstellung vereinbar ist. In der Auslegung dieser Zusätze sieht die Kammer allerdings eine gewisse Unwägbarkeit. Bezogen auf die Vereinbarkeit mit der persönlichen Rechtsstellung spricht einiges dafür, dies im Sinne der Zielsetzung der Richtlinie als meistbegünstigend so auszulegen, dass Familienangehörige in der Regel abgeleitet vom Hauptantragsteller dieselbe Rechtsstellung wie dieser erhalten sollen, es sei denn ihr persönlicher Status wie zB ihre Staatsangehörigekeit ermöglicht ihnen weitergehenden Schutz. Dies bedürfte aber im Hauptsacheverfahren näherer Überprüfung. Auch die weitere Voraussetzung, "sofern sie selbst nicht die Voraussetzung für die Zuer-kennung eines entsprechenden Status erfüllt", ist auslegungsbedürftig und kann bezogen auf die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geprüft werden. Eine mögliche und nach der Regelungssystematik der Richtlinie mit ihrer Unterscheidung von Personen, die selbst internationalen Schutz benötigen, und ihren Familienanghörigen, naheliegende Interpretation ist die, dass Familienangehörige Ansprüche nach der Richtlinie haben, wenn sie selbst nicht originär als Flüchtling anerkannt werden können. Auch sie müssen u a den gleichen Zugang zu Sozialleistungen (ebenso zu einem Aufenthaltstitel, Reisedokumenten, Beschäftigung etc) erhalten wie Familienangehörige, die auch selbst (originär) Flüchtlinge sind. Ob ein Familienangehöriger die Anerkennung eines eigenen originären Flüchtlingsstatus beantragt, müsse ihm offenstehen (Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 45 Rn 19). Die Sicherstellung des gleichen Zugangs und damit die innerstaatliche Umsetzung von Art 23 Abs 1 QualRL erfolgt durch § 26 Abs 4 AsylVfg, der den Familienflüchtlingsschutz regelt (vgl. Marx aaO). Danach erhalten die engen Familienangehörigen des Flüchtlings über diesen denselben Rechtsstatus wie dieser. Damit ist aber nicht gesagt, dass ein entsprechender Antrag auch gestellt werden muss. Wenn zB das Kind auch aus anderen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erlangen kann, mag dies einer Familie vielleicht im Hinblick auf eine spätere Rückkehr für das Kind günstiger erscheinen, es nicht als Flüchtling anerkannt zu wissen. Es erscheint dann zweifelhaft, ob § 26 Abs 4 AsylVfg für alle Konstellationen die zutreffende Umsetzung der Richtlinie beinhaltet. Die Antragstellerin als in Deutschland geborenes zweijähriges Kind erfüllt ersichtlich nicht die Voraussetzungen, einen eigenen originären Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen zu können. Damit wären die Voraussetzungen für die Anwendung des Art 23 Abs 2 QualRL in obiger Auslegung erfüllt und die Möglichkeit unmittelbarer Anwendung gegeben.
Interpretiert man den Zusatz dagegen so, dass durch die mögliche Zuerkennung eines Familienflüchtlingsstatus nach § 26 Abs 4 AsylVfg der Familienangehörige ebenfalls selbst die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines "entsprechenden" Status iSd Art 23 Abs 2 erfüllt (in diese Richtung Beschluss des LSG NRW vom 31.05.2011 – L 20 AY 75/10 B ER), fände Art 23 Abs 2 im Fall der Antragstellerin womöglich keine unmittelbare Anwendung. Sie wäre dann darauf verwiesen, die Anerkennung des Familienflüchtlingsstatus vorrangig zu betreiben und bei Erfolg nicht mehr vom Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II betroffen.
Allerdings ist der ausländerrechtliche Status der Antragstellerin derzeit unklar. Es ist un-klar, welche Art Aufenthaltstitel sie beantragt und ob sie überhaupt einen Antrag auf Familienflüchtlingsschutz gestellt hat, der ggfs zur Unanwendbarkeit von Art 23 Abs 2 – aber in der Folge dann zu einem eigenen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II/XII und nicht nach dem AsylbLG - führen könnte. Als in Deutschland geborenes Kind eines Vaters mit einer Aufenthaltserlaubnis käme für die Antragstellerin zB auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 S 1 AufenthG in Betracht, die wiederum unabhängig von einem Flüchtlingsstatus wäre und über den Vater als erwerbsfähigem Leistungsberechtigten iSd § 7 SGB II zu einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II führen würde.
Eine Nichtanwendbarkeit der Richtlinie unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 9, wie dies die Antragsgegnerin zu 1 in ihrer Argumentation vorgetragen hat, hält die Kammer nicht für überzeugend. Nach Erwägungsgrund 9 fallen diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie. Zur Überzeugung der Kammer erläutert dieser Erwägungsgrund nur klarstellend, für welche Verbleibegründe die Richtlinie gelten soll, und zwar bezogen auf diejenigen, die internationalen Schutz in eigener Person begehren. Dass gerade auch Familienangehörige eines Flüchtlings oder einer Person mit subsidiärem Schutzstatus einbezogen werden sollen, zeigen die Erwägungsgründe 27 und 29. Entsprechend wird die Rechtsstellung gerade dieser Personen in Art 23 mit dem Verweis auf die Rechte aus Art 24-34 genau geregelt, sofern sie selbst nicht die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes erfüllen.
Ebenfalls als nicht durchgreifend erachtet die Kammer die Bedenken der Antragsgegnerin zu 1 im Hinblick auf die Entscheidungen des BSG vom 16.12.2008 – B 4 AS 40/07 R und 07.05.2009 – B 14 AS 41/07 R. Zutreffend hat die Antragsgegnerin zu 1 darauf verwiesen, dass das BSG in den genannten Entscheidungen eine Ausstrahlungswirkung der Flüchtlingseigenschaft eines Familienmitglieds auf den leistungsrechtlichen Status anderer, nach dem AsylbLG leistungsberechtigter Familienmitglieder verneint hat. Das BSG hat sich bei diesen lediglich einen Satz umfassenden Ausführungen allerdings auf eine Entscheidung des Niedersächsischen OVG aus dem Jahre 2000 (Beschluss vom 21. Juni 2000 - 12 L 3349/99, juris RdNr 22) gestützt, die also zu einem Zeitpunkt erging, zu dem die Qualifikationsrichtlinie noch nicht existent war. Eine so weitreichende Rechtsstellung der Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings ist ein Novum der QualRL.
Bei summarischer Prüfung zeichnet sich insgesamt ab, dass es früher oder später zu einer (rückwirkenden) Leistungsgewährung nach dem SGB II für die Antragstellerin kommt. Ausländerrechtlich geht es vorliegend - anders als in dem vom LSG NRW entschiedenen ER-Verfahren (L 20 AY 75/10 B ER) - auch um eine Duldungsfiktion nach § 81 AufenthG für ein laufendes Antragsverfahren, nicht um eine bestandskräftige Duldung nach § 60 a AufenthG, so dass die Kammer einen Erfolg in der Hauptsache als wahrscheinlich ansieht.
2. Unter Berücksichtigung der nicht abschließend prüfbaren Rechtslage ist die Kammer der Überzeugung, dass im Rahmen einer Folgenabwägung der Antragstellerin deshalb Leistungen zuzusprechen sind, auch wenn hierdurch ggfs dem ausländerrechtlichen Verfahren vorgegriffen wird. Denn die Einschränkungen, die sie im existenzsichernden Bereich bei einer Beschränkung auf Leistungen nach § 3 AsylbLG gegenüber einem Leistungsanspruch nach dem SGB II hinnehmen müsste, sind weitaus gravierender als die Belastung der Antragsgegnerin zu 1 mit einer möglicherweise zu Unrecht erfolgender Leistungsverpflichtung. Zu Unrecht gewährte Leistungen können rückabgewickelt werden, wohingegen eine Notlage akut zu beheben ist.
Der Anspruch besteht zur Überzeugung der Kammer in voller Höhe nach dem SGB II; eine Beschränkung auf Grundleistungen gem § 3 AsylbLG hält die Kammer vorliegend nicht für sachgerecht. Eine solche Beschränkbarkeit lässt sich nach Auffassung der Kammer für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen nicht aus Art 23 Abs 2 S 3 QualRL herleiten (anders wohl LSG NRW, Beschluss vom 31.05.2011 – L 20 AY 75/10 B ER). Nach Art 23 Abs 2 S 3 sorgen die Mitgliedstaaten "in diesen Fällen" dafür, dass die gewährten Vergünstigungen einen "angemessenen Lebensstandard" sicherstellen. Ein angemessener Lebensstandard kann auch geringere Leistungen als die Sozialhilfe und damit zB Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beinhalten. Dieser Satz bezieht sich zur Überzeugung der Kammer aber nicht auch auf S. 1, sondern lediglich auf S. 2 des Art 23 Abs 2, der Famillienangehörige von Personen mit subsidiärem Schutzstatus betrifft. Denn Satz 2 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Bedingungen festlegen können, unter denen Familienangehörigen von Personen, denen (lediglich) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, "diese Vergünstigungen" gewährt werden. Mit "diesen Vergünstigungen" sind offensichtlich die in Art 23 Abs 2 S 1 genannten Ansprüche der Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings auf die in Art 24-34 genannten Vergünstigungen gemeint. Wenn hierfür im Falle subsidiären Schutzes die Mitgliedstaaten also weitere Bedingungen für die Inanspruchnahme festlegen dürfen, kann Satz 3 nur so zu verstehen sein, dass die unter diesen Bedingungen noch gewährten Vergünstigungen immer noch einen angemessenen Lebensstandard sicherstellen müssen. Für diese Auslegung spricht auch, dass für die Familienangehörigen von Personen mit subsidiärem Schutzstatust zB auch der Anspruch auf Sozialhilfe gem Art 28 nach Art 28 Abs 2 auf "Kernleistungen" beschränkbar ist. Für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen – wie vorliegend - gilt dies nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Gründe:
Die am 14.06.2010 geborene Antragstellerin lebt mit ihren unverheirateten Eltern und drei Schwestern zusammen in einem Haushalt. Die Mutter X erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), bis zum 02.01.2010 in Form von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG und seit dem gem § 2 AsylbLG als Analogleistungen. Der Vater X ist als Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Er bezieht ebenso wie die weiteren Kinder Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II. Zwei Geschwister sind Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG; für die dritte Schwester besteht eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 1 AufenthG, wonach ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel als erlaubt gilt. Die Antragstellerin ist derzeit im Besitz einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 2 AufenthG, die bewirkt, dass die Abschiebung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als ausgesetzt gilt.
Die Antragstellerin bezog zunächst bis September 2011 Leistungen nach dem SGB II. Diese stellte die Antragsgegnerin zu 1 ab Oktober 2011 ein. Mit Bescheiden vom 09.12.2011 und vom 27.01.2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 08.02.2012 bewilligte die Antragsgegnerin zu 1 dem Vater und den übrigen drei Kindern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2012 bis 28.01.2012 und vom 29.01.2012 bis 12.04.2012.
Gegen die Bescheide legte die Antragstellerin Widerspruch ein und machte geltend, auch sie müsse Leistungen nach dem SGB II erhalten, auch wenn sie formell leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sei. Denn als Tochter eines anerkannten Flüchtlings stünden ihr Leistungen in Höhe der innerstaatlichen Sozialhilfe über Art. 23 iVm 28 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL = Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes) zu. Die Widersprüche sind noch nicht beschieden.
Am 02.02.2012 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu 1 zur Leistungsgewährung, hilfsweise die Antragsgegnerin zu 2 zur Gewährung existenzsichernder Leistungen zu verpflichten. Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus den Widerspruchsverfahren hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art 23 iVm 28 QualRL.
Die Antragsgegnerin zu 1 hält demgegenüber eine Bewilligung für die Antragstellerin für nicht möglich, da sie leistungsberechtigt nach dem AsylbLG und damit vom Bezug von SGB II-Leistungen gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II ausgeschlossen sei. Eine eventuelle Europarechtswidrigkeit sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Im übrigen zeige aber Er-wägungsgrund 9 der Richtlinie, dass Personen, die nur aus familiären Gründen aufent-haltsberechtigt seien, vom Anwendungsbereich der QualRL ausgenommen seien. Auch habe das BSG in zwei Urteilen eine Ausstrahlungswirkung der anerkannen Flüchtlingseigenschaft auf die Leistungsberechtigung von Familienangehörigen verneint.
Die Antragsgegnerin zu 2 hat eine Leistungsverpflichtung dem Grunde nach anerkannt und der Antragstellerin bei Vorlage aller notwendiger Unterlagen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG angeboten. Die Antragstellerin hält diese unter Verweis auf den Vorlagebe-schluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.11.2010 – L 20 AY 1/09 – juris, für verfassungswidrig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
II. Der zulässige Antrag ist begründet. Gemäß § 86 b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Rechtsanspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Anordnungsanspruch), und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dabei kann die Entscheidung auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 – juris Rn 26; vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23.01.2006 - L 20 B 15/05 AY ER, juris).
So liegt der Fall hier. Die Kammer hält es für wahrscheinlich, dass ein Anordnungsan-spruch besteht und sieht in der Hauptsache Erfolgsaussicht. Eine abschließende Prüfung der Rechtslage ist der Kammer im Eilverfahren aber nicht möglich (1.) In der Abwägung der Folgen, die das Nichtzusprechen von Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Antragstellerin hätte, gegenüber einer möglicherweise zu Unrecht erfolgenden Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin zu 1 überwiegen die schutzbedürftigen Interessen der Antragstellerin (2.).
1.Zutreffend hat die Antragsgegnerin zu 1 ausgeführt, dass nach der einfachrechtlichen Rechtslage wegen § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II Leistungen nach dem SGB II nicht in Be-tracht kommen, weil die Antragstellerin als Inhaberin einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 2 AufenthG aus § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG (analog) oder nach § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG leistungsberechtigt nach dem AsylbLG ist (vgl hierzu Frerichs, in jurisPK-SGB XII, § 1 AsylbLG Rn 110). Der Ausschluss gilt gleichermaßen für Leistungen nach dem SGB XII (§ 23 Abs 2 SGB XII).
Bei summarischer Prüfung spricht jedoch einiges dafür, diesen Leistungsausschluss im Fall der Antragsstellerin nicht anzuwenden, weil eine Leistungsberechtigung aus Art. 23 iVm 28 QualRL folgen könnte. Denn der Vater der Antragstellerin ist anerkannter Flücht-ling, in der Folge Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG und damit leistungsberechtigt nach dem SGB II. Nach Art 28 ("Sozialhilfeleistungen") Abs 1 QualRL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der die jeweilige Rechtsstellung gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Art 23 ("Wahrung des Familienverbandes" ) Abs 2 QualRL bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Familienangehörigen der Person, der die Flüchtlingseigenschaft oder der subidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und die selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen, gemäß den einzelstaatlichen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 34 genannten Vergünstigungen haben, sofern dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.
Es spricht einiges für die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Richtlinienbestimmungen, soweit sie nicht oder nicht ausreichend umgesetzt sein sollten (zur unmittelbaren An-wendbarkeit s. grundlegend EuGH, Urteil vom 04.12.1974 –C-41/74 – van Duyn./.Home Office, Slg. 1974, 1337; juris Leitsatz 2 u Textziffer 12), da sie hinreichend klar und unbe-dingt formuliert sind, um im Einzelfall anwendbar zu sein und da sie dem Einzelnen Rechte gegenüber dem Staat verleihen bzw seinem Schutz dienen. Das LSG NRW hat offenbar in einem Urteil vom 28.02.2012 – L 20 AY 48/08 – die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Richtlinienbestimmungen bejaht; die Entscheidungsgründe liegen allerdings noch nicht vor.
Insbesondere die Formulierung eines Sozialhilfeanspruchs des anerkannten Flüchtlings in Art 28 Abs 1, den er wie Staatsangehörige des Mitgliedstaats erhalten soll, lässt – viel-leicht auch in Abgrenzung zu Ansprüchen von Personen mit subsidiärem Schutzstatus auf "Kernleistungen" gem Art 28 Abs 2 - keinen Umsetzungsspielraum erkennen.
Auch die Familienangehörigen haben über Art 23 Abs 2 iVm Art 28 der QualRL diesen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen wie Staatsangehörige, sofern sie selbst nicht die Vo-raussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen und sofern dies mit ihrer persönlichen Rechtsstellung vereinbar ist. In der Auslegung dieser Zusätze sieht die Kammer allerdings eine gewisse Unwägbarkeit. Bezogen auf die Vereinbarkeit mit der persönlichen Rechtsstellung spricht einiges dafür, dies im Sinne der Zielsetzung der Richtlinie als meistbegünstigend so auszulegen, dass Familienangehörige in der Regel abgeleitet vom Hauptantragsteller dieselbe Rechtsstellung wie dieser erhalten sollen, es sei denn ihr persönlicher Status wie zB ihre Staatsangehörigekeit ermöglicht ihnen weitergehenden Schutz. Dies bedürfte aber im Hauptsacheverfahren näherer Überprüfung. Auch die weitere Voraussetzung, "sofern sie selbst nicht die Voraussetzung für die Zuer-kennung eines entsprechenden Status erfüllt", ist auslegungsbedürftig und kann bezogen auf die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geprüft werden. Eine mögliche und nach der Regelungssystematik der Richtlinie mit ihrer Unterscheidung von Personen, die selbst internationalen Schutz benötigen, und ihren Familienanghörigen, naheliegende Interpretation ist die, dass Familienangehörige Ansprüche nach der Richtlinie haben, wenn sie selbst nicht originär als Flüchtling anerkannt werden können. Auch sie müssen u a den gleichen Zugang zu Sozialleistungen (ebenso zu einem Aufenthaltstitel, Reisedokumenten, Beschäftigung etc) erhalten wie Familienangehörige, die auch selbst (originär) Flüchtlinge sind. Ob ein Familienangehöriger die Anerkennung eines eigenen originären Flüchtlingsstatus beantragt, müsse ihm offenstehen (Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 45 Rn 19). Die Sicherstellung des gleichen Zugangs und damit die innerstaatliche Umsetzung von Art 23 Abs 1 QualRL erfolgt durch § 26 Abs 4 AsylVfg, der den Familienflüchtlingsschutz regelt (vgl. Marx aaO). Danach erhalten die engen Familienangehörigen des Flüchtlings über diesen denselben Rechtsstatus wie dieser. Damit ist aber nicht gesagt, dass ein entsprechender Antrag auch gestellt werden muss. Wenn zB das Kind auch aus anderen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erlangen kann, mag dies einer Familie vielleicht im Hinblick auf eine spätere Rückkehr für das Kind günstiger erscheinen, es nicht als Flüchtling anerkannt zu wissen. Es erscheint dann zweifelhaft, ob § 26 Abs 4 AsylVfg für alle Konstellationen die zutreffende Umsetzung der Richtlinie beinhaltet. Die Antragstellerin als in Deutschland geborenes zweijähriges Kind erfüllt ersichtlich nicht die Voraussetzungen, einen eigenen originären Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen zu können. Damit wären die Voraussetzungen für die Anwendung des Art 23 Abs 2 QualRL in obiger Auslegung erfüllt und die Möglichkeit unmittelbarer Anwendung gegeben.
Interpretiert man den Zusatz dagegen so, dass durch die mögliche Zuerkennung eines Familienflüchtlingsstatus nach § 26 Abs 4 AsylVfg der Familienangehörige ebenfalls selbst die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines "entsprechenden" Status iSd Art 23 Abs 2 erfüllt (in diese Richtung Beschluss des LSG NRW vom 31.05.2011 – L 20 AY 75/10 B ER), fände Art 23 Abs 2 im Fall der Antragstellerin womöglich keine unmittelbare Anwendung. Sie wäre dann darauf verwiesen, die Anerkennung des Familienflüchtlingsstatus vorrangig zu betreiben und bei Erfolg nicht mehr vom Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II betroffen.
Allerdings ist der ausländerrechtliche Status der Antragstellerin derzeit unklar. Es ist un-klar, welche Art Aufenthaltstitel sie beantragt und ob sie überhaupt einen Antrag auf Familienflüchtlingsschutz gestellt hat, der ggfs zur Unanwendbarkeit von Art 23 Abs 2 – aber in der Folge dann zu einem eigenen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II/XII und nicht nach dem AsylbLG - führen könnte. Als in Deutschland geborenes Kind eines Vaters mit einer Aufenthaltserlaubnis käme für die Antragstellerin zB auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 S 1 AufenthG in Betracht, die wiederum unabhängig von einem Flüchtlingsstatus wäre und über den Vater als erwerbsfähigem Leistungsberechtigten iSd § 7 SGB II zu einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II führen würde.
Eine Nichtanwendbarkeit der Richtlinie unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 9, wie dies die Antragsgegnerin zu 1 in ihrer Argumentation vorgetragen hat, hält die Kammer nicht für überzeugend. Nach Erwägungsgrund 9 fallen diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie. Zur Überzeugung der Kammer erläutert dieser Erwägungsgrund nur klarstellend, für welche Verbleibegründe die Richtlinie gelten soll, und zwar bezogen auf diejenigen, die internationalen Schutz in eigener Person begehren. Dass gerade auch Familienangehörige eines Flüchtlings oder einer Person mit subsidiärem Schutzstatus einbezogen werden sollen, zeigen die Erwägungsgründe 27 und 29. Entsprechend wird die Rechtsstellung gerade dieser Personen in Art 23 mit dem Verweis auf die Rechte aus Art 24-34 genau geregelt, sofern sie selbst nicht die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes erfüllen.
Ebenfalls als nicht durchgreifend erachtet die Kammer die Bedenken der Antragsgegnerin zu 1 im Hinblick auf die Entscheidungen des BSG vom 16.12.2008 – B 4 AS 40/07 R und 07.05.2009 – B 14 AS 41/07 R. Zutreffend hat die Antragsgegnerin zu 1 darauf verwiesen, dass das BSG in den genannten Entscheidungen eine Ausstrahlungswirkung der Flüchtlingseigenschaft eines Familienmitglieds auf den leistungsrechtlichen Status anderer, nach dem AsylbLG leistungsberechtigter Familienmitglieder verneint hat. Das BSG hat sich bei diesen lediglich einen Satz umfassenden Ausführungen allerdings auf eine Entscheidung des Niedersächsischen OVG aus dem Jahre 2000 (Beschluss vom 21. Juni 2000 - 12 L 3349/99, juris RdNr 22) gestützt, die also zu einem Zeitpunkt erging, zu dem die Qualifikationsrichtlinie noch nicht existent war. Eine so weitreichende Rechtsstellung der Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings ist ein Novum der QualRL.
Bei summarischer Prüfung zeichnet sich insgesamt ab, dass es früher oder später zu einer (rückwirkenden) Leistungsgewährung nach dem SGB II für die Antragstellerin kommt. Ausländerrechtlich geht es vorliegend - anders als in dem vom LSG NRW entschiedenen ER-Verfahren (L 20 AY 75/10 B ER) - auch um eine Duldungsfiktion nach § 81 AufenthG für ein laufendes Antragsverfahren, nicht um eine bestandskräftige Duldung nach § 60 a AufenthG, so dass die Kammer einen Erfolg in der Hauptsache als wahrscheinlich ansieht.
2. Unter Berücksichtigung der nicht abschließend prüfbaren Rechtslage ist die Kammer der Überzeugung, dass im Rahmen einer Folgenabwägung der Antragstellerin deshalb Leistungen zuzusprechen sind, auch wenn hierdurch ggfs dem ausländerrechtlichen Verfahren vorgegriffen wird. Denn die Einschränkungen, die sie im existenzsichernden Bereich bei einer Beschränkung auf Leistungen nach § 3 AsylbLG gegenüber einem Leistungsanspruch nach dem SGB II hinnehmen müsste, sind weitaus gravierender als die Belastung der Antragsgegnerin zu 1 mit einer möglicherweise zu Unrecht erfolgender Leistungsverpflichtung. Zu Unrecht gewährte Leistungen können rückabgewickelt werden, wohingegen eine Notlage akut zu beheben ist.
Der Anspruch besteht zur Überzeugung der Kammer in voller Höhe nach dem SGB II; eine Beschränkung auf Grundleistungen gem § 3 AsylbLG hält die Kammer vorliegend nicht für sachgerecht. Eine solche Beschränkbarkeit lässt sich nach Auffassung der Kammer für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen nicht aus Art 23 Abs 2 S 3 QualRL herleiten (anders wohl LSG NRW, Beschluss vom 31.05.2011 – L 20 AY 75/10 B ER). Nach Art 23 Abs 2 S 3 sorgen die Mitgliedstaaten "in diesen Fällen" dafür, dass die gewährten Vergünstigungen einen "angemessenen Lebensstandard" sicherstellen. Ein angemessener Lebensstandard kann auch geringere Leistungen als die Sozialhilfe und damit zB Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beinhalten. Dieser Satz bezieht sich zur Überzeugung der Kammer aber nicht auch auf S. 1, sondern lediglich auf S. 2 des Art 23 Abs 2, der Famillienangehörige von Personen mit subsidiärem Schutzstatus betrifft. Denn Satz 2 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Bedingungen festlegen können, unter denen Familienangehörigen von Personen, denen (lediglich) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, "diese Vergünstigungen" gewährt werden. Mit "diesen Vergünstigungen" sind offensichtlich die in Art 23 Abs 2 S 1 genannten Ansprüche der Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings auf die in Art 24-34 genannten Vergünstigungen gemeint. Wenn hierfür im Falle subsidiären Schutzes die Mitgliedstaaten also weitere Bedingungen für die Inanspruchnahme festlegen dürfen, kann Satz 3 nur so zu verstehen sein, dass die unter diesen Bedingungen noch gewährten Vergünstigungen immer noch einen angemessenen Lebensstandard sicherstellen müssen. Für diese Auslegung spricht auch, dass für die Familienangehörigen von Personen mit subsidiärem Schutzstatust zB auch der Anspruch auf Sozialhilfe gem Art 28 nach Art 28 Abs 2 auf "Kernleistungen" beschränkbar ist. Für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen – wie vorliegend - gilt dies nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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