L 27 P 17/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 156/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 17/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 wird auch insoweit zurückgewiesen, als das Verfahren durch Beschluss des Senats vom 22. März 2011 abgetrennt worden ist. Kosten sind auch für das weitere Berufungsverfahren im Umfang der Abtrennung nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld durch die Beklagte ab dem 3. Februar 2010.

Bei dem 1933 geborenen und bei der Beklagten pflegeversicherten Kläger wurde im April 2005 ein Prostatakarzinom diagnostiziert. Aufgrund seines Zustandes nach Bestrahlung und regionärer Lymphknotenentfernung sowie weiterer Erkrankungen wie u.a. Harn- und Stuhlinkontinenz, arterieller Hypertonie, links vertikulärer Hypertrophie, Thalassämia minor (Mittelmeeranämie), Niereninsuffizienz, Leberzellschaden und reaktiver Depressionen beantragte der Kläger unter dem 25. Oktober 2005 bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Der ärztliche Gutachter P verneinte in seinem Gutachten vom 4. November 2005 das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit: Der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege umfasse 0 Minuten; der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage täglich 60 Minuten. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2005 lehnte die Beklagte gestützt auf die Feststellungen des MDK den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2006 zurück.

Mit der am 28. April 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat das Gutachten der Ärztin für Chirurgie Dr. H vom 9. August 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. Oktober 2007 sowie das Gutachten des Pflegesachverständigen A vom 21. Juni 2008 eingeholt. Beide Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, dass Pflegebedürftigkeit nicht vorliege, wobei die Sachverständige Dr. H weder einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege noch der hauswirtschaftlichen Versorgung ermittelte, während der Sachverständige A bei Verneinung eines Pflegebedarfs im Bereich der Hauswirtschaft für die Grundpflege einen täglichen Hilfebedarf von 6 Minuten ansetzte. Nachdem der Kläger zur Begründung seiner Pflegebedürftigkeit auf ein forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin Berlin vom 22. November 2007 zur Frage der Schuldfähigkeit in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren verwies, hat das Sozialgericht die Einholung eines weiteren Gutachtens von Prof. Dr. Z angeordnet. Die Begutachtung ist jedoch nicht durchgeführt worden, da der Kläger eine weitere ambulante Untersuchung in seiner Wohnung ablehnte.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil im schriftlichen Verfahren am 12. März 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nach den übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. H und A nicht erfülle. Die beabsichtigte weitere Begutachtung durch Prof. Dr. Z sei an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert, welches zu seinen Lasten gehe.

Gegen das ihm am 18. April 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Mai 2009 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 27 P 20/09 eingelegt, mit der er sich gegen die Feststellungen des MDK sowie der Sachverständigen Dr. H und A wendet. Diese enthielten Unwahrheiten und Entstellungen.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin/Hämatologie und internistische Onkologie Dr. S vom 25. August 2009, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M vom 6. September 2009, des Arztes für Orthopädie Dr. S vom 18. September 2009, des Hautarztes Dr. M vom 18. Dezember 2009 und des Arztes für Orthopädie Dr. K vom 28. April 2010 eingeholt und zur weiteren Sachaufklärung betreffend die Gewährung von Pflegegeld für die Zeit ab dem 3. Februar 2010 das Verfahren mit Beschluss vom 22. März 2011 abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt. Die gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 gerichtete Berufung unter dem Aktenzeichen L 27 P 20/09, mit der der Kläger die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 und die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Pflegegeldes mindestens der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 2. Februar 2010 begehrte, hat der Senat mit Urteil vom 22. März 2011 zurückgewiesen.

Anschließend hat der Senat im hiesigen Verfahren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Umfang der Pflegebedürftigkeit des Klägers bei der Allgemeinmedizinerin Dr. B. Die Sachverständige diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 20. Mai 2011 aufgrund der Untersuchung des Klägers in seinem Wohnumfeld am Vortag eine allgemeine Schwäche und Interesselosigkeit, ein Rezidiv eines Prostatakrebses, bisher ohne bekannte Metastasen, ein Hormondefizit nach therapeutischer Entfernung beider Hoden, ein Herzleiden, Herzrhythmusstörungen, Anfälle von Bewusstlosigkeit, Bluthochdruck, Aortenklappenfehler, ein Leber- und Nierenleiden, eine Hörschwäche, Abnutzungserscheinungen des Skelettsystems, Zustand nach Bruch des 4. Brustwirbelkörpers sowie eine Blasen- und Schließmuskelschwäche. Im Bereich der Körperpflege stellte die Sachverständige einen Hilfebedarf von insgesamt 22 Minuten im Tagesdurchschnitt fest (zehn Minuten für das Waschen/Duschen, jeweils eine Minute für das Bereitstellen der Utensilien für die Zahnpflege bzw. das Rasieren, zehn Minuten für das Säubern nach der Darm-/Blasenentleerung). Weiterhin beschreibt die Sachverständige einen Hilfebedarf im Bereich der Mobilität von elf Minuten am Tag (sechs Minuten für das An-/Auskleiden von Stützkniestrümpfen, zum Teil auch Schuhen und Hosen, fünf Minuten für das einmal wöchentliche Verlassen des Hauses zur Psychotherapie auf den Tag umgerechnet) sowie für den Bereich der hauswirtschaftlichen Verrichtungen von mindestens 45 Minuten am Tag. Auch wenn der Pflegebedarf des Klägers im Vergleich zu den Vorgutachten zugenommen habe, würden mit dem festgestellten Hilfebedarf die zeitlichen Kriterien für die Pflegestufe I weiterhin nicht erfüllt werden. Die Ursache für den inzwischen erhöhten Pflegebedarf sei in einer vermehrten Schwäche mit Antriebsarmut und möglicherweise infolge einer Änderung des psychischen Leidens zu sehen. In der Folgezeit nahm der Kläger vom 2. August 2011 bis zum 13. September 2011 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. In Kenntnis des Rehabilitationsentlassungsberichtes vom 27. September 2011 hielt die Sachverständige Dr. B in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 24. Februar 2012 an ihrer Einschätzung des Pflegebedarfs beim Kläger fest und teilte ergänzend mit, in einem Telefonat mit dem Sekretariat der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Rehabilitationseinrichtung in Erfahrung gebracht zu haben, dass Voraussetzung für eine Behandlung in dieser Abteilung weitgehende Selbständigkeit der Patienten sei, da die Klinik personell nicht in der Lage sei, Pflegemaßnahmen durchzuführen. Da auch im Entlassungsbericht keine Pflegeproblematik aufgeführt sei, könne vermutet werden, dass der Pflegebedarf beim Kläger in der Klinik eher niedriger gewesen sei, als in ihrem Gutachten angegeben.

Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. September 2012 nicht erschienen ist, obwohl ihm am 3. August 2012 von einem Postbediensteten unter seiner Zustellanschrift persönlich eine Terminsmitteilung übergeben worden ist, in der auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei seinem Ausbleiben hingewiesen wurde, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 3. Februar 2010 Pflegegeld mindestens der Pflegestufe I zu gewähren. Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 zurückzuweisen, soweit noch nicht darüber entschieden worden ist.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil auch insoweit für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. September 2012 verhandeln und entscheiden, weil der Kläger mit der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Absatz 1 in Verbindung mit § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 ist auch im Hinblick auf den vorliegend noch streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 3. Februar 2010 unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage auch insoweit abgewiesen. Der Leistungen der Pflegeversicherung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 ist auch insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld wenigstens der Pflegestufe I für die Zeit ab dem 3. Februar 2010.

Nach § 37 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe I unter anderem voraus, dass der Anspruchssteller pflegebedürftig ist und der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Absatz 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichen oder höheren Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Absatz 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Absatz 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und das Zu-Bett-Gehen, das An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, hat hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten zu betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Grundpflegebedarf des Klägers beträgt wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der streitgegenständlichen Zeit seit dem 3. Februar 2010 nicht mehr als 45 Minuten. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen Dr. B in ihrem Gutachten vom 20. Mai 2011 in Verbindung mit ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 24. Februar 2012. Danach besteht bei dem Kläger ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege und der Mobilität, der jedoch mit insgesamt 33 Minuten im Tagesdurchschnitt unter dem pflegestufenerheblichen Umfang bleibt. Die Sachverständige legt in ihrem Gutachten nachvollziehbar dar, dass infolge einer weiterhin eingetretenen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers ein gegenüber den Vorgutachten erhöhter Hilfebedarf besteht, ohne dass damit die Grenzen der Pflegebedürftigkeit im oben dargelegten Sinn bereits erreicht werden. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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