L 8 SB 506/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 123/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 506/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50.

Die Klägerin ist 1950 geboren, slowenische Staatsangehörige, seit 1984 zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt und wohnt in S ...

Sie beantragte erstmals am 03.08.1999 die Feststellung ihrer Behinderung beim Beklagten. Mit Bescheid vom 26.11.1999 stellte der Beklagte keinen GdB fest. Mit Bescheiden vom 29.11.2001 (Widerspruchsbescheid vom 04.04.2002) und vom 21.10.2004 lehnte der Beklagte die Feststellung eines GdB von wenigstens 20 erneut ab. Mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 14.03.2005 stellte der Beklagte schließlich einen GdB von 30 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, einer Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, Allergie und einer seelischen Störung fest.

Am 04.04.2008 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Behinderung. Dazu gab sie an, nunmehr zusätzlich an einem medikamentenpflichtigen Diabetes mellitus, einer Lendenwirbelsäulen (LWS)- Spinalkanalstenose und belastungsabhängigen Herzrhythmusstörungen zu leiden. Die bereits festgestellten Behinderungen bestünden unverändert. Dazu legte die Klägerin einen Befund der Radiologin Dr. S. vom 08.02.2005 vor, die keinen Bandscheibenvorfall, aber eine Bandscheibenprotrusion in Höhe L3/L4 feststellen konnte. Eine Reizung der Wurzel L3 sei möglich, eine hochgradige Nervenwurzelkompression könne sie ausschließen. Es bestehe eine deutliche Spinalkanalstenose im Segment L4/L5.

Auf Nachfrage des Beklagten übersandte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. ihr vorliegende Arztunterlagen. Sie teilte dazu mit, dass die Klägerin mit Metformin eingestellt sei. Der HbA1c liege bei 6,8. Weiterhin bestünden Tachykardien ohne relevante Funktionsstörung, ein L3-Kompressionssyndrom rechts bei Bandscheibenvorfall L3/L4 und eine zunehmende Schmerzsymptomatik und Missempfindungen schon unter leichter Belastung (Arztbericht vom 09.05.2008).

Der Orthopäde Dr. Z. stellte in einem Arztbrief vom 13.06.2006 LWS-Beschwerden mit ischialgieformen Ausstrahlungen rechts und Schulterbeschwerden links fest, die er als Entzündung der Schultergelenkskapsel interpretierte. Er schrieb am 13.07.2006, die Klägerin habe rezidivierende LWS-Beschwerden mit ischialgieformen Ausstrahlungen. Bei der klinischen Untersuchung sei die Beweglichkeit der LWS relativ zufriedenstellend, es bestünden keine gröbere Funktionseinschränkung, keine neurologischen Defizite. Weiterhin bestünden Schmerzen im Vorfuß rechts bei einer Sekundärarthrose nach früherer septischer Knochennekrose des zweiten Mittelfußköpfchens.

Der Gefäßchirurg Dr. M. schloss in einem Arztbrief vom 10.08.2007 höhergradige venöse Gefäßerkrankungen der Beine aus. Eine phlebologische Begründung für die von der Klägerin geklagten Wadenschmerzen links gebe es nicht.

Der Kardiologe Dr. M. berichtete der Hausärztin am 25.09.2007 über einen echokardiographischen Normalbefund. Im Belastungs-EKG sei eine Belastung bis 125 Watt über zwei Minuten möglich gewesen. In einer Stressechokardiographie bei einer Minute mit 100 Watt stellte er in Ruhe und bei Belastung eine Normokinesie und ein negatives Stressecho fest (Arztbrief vom 18.10.2007). Wegen des im Jahr 2006 festgestellten Diabetes mellitus sei eine Behandlung mit Metformin 850 zweimal täglich angezeigt. Es bestehe eine Allergie gegen Nickel, Cobalt, Penicillin und Perubalsam.

Der Urologe Dr. K. schloss in einem Arztbrief vom 27.10.2005 eine Stenose der Nieren aus.

Am 07.12.2005 (Arztbrief vom 08.12.2005) stellte sich die Klägerin beim Neurochirurgen Dr. M. vor. Dort berichtete sie über seit 2004 bestehende ständige LWS Beschwerden mit Ausstrahlung ins Gesäß und den Oberschenkel bis zum Knie. Am rechten Oberschenkel bestünden Missempfindungen. Die Reflexe waren bei der Untersuchung auslösbar, der Patellasehnenreflex rechts etwas schwächer. Der umgekehrte Lasègue war rechts positiv, Paresen an den unteren Extremitäten waren nicht eingetreten, der Zehen-, Fersengang und einbeinige Knicks beidseits durchführbar. Es bestehe ein Bandscheibenvorfall im Segment L3/L4.

Nach Anhörung seines ärztlichen Dienstes (Dr. F., 04.06.2008) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2008 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Die Behinderungen bezeichnete er nunmehr wie folgt:

"Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Bandscheibenschaden, Spinalkanalstenose," (GdB 20) "Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks," (GdB 20) "Diabetes mellitus," (GdB 20) "Seelische Störung" (GdB 10) "Allergie" (GdB 10).

Dagegen erhob die Klägerin am 25.06.2008 Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, der Beklagte habe die wechselseitigen Beziehungen der anerkannten Behinderungen zueinander nicht hinreichend berücksichtigen. Bei ihrer beruflichen Tätigkeit müsse sie Kisten mit Sprudel tragen. Die anstehenden Bewirtungsaufträge würden häufig geändert. Deshalb habe sie auch tagsüber verstärkte Rückenschmerzen. Dazu legte sie einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 16.11.2005 vor, der ein L3-Syndrom rechts mit PSR Abschwächung und rezidivierenden Schmerzen sowie Kribbelparästhesien im Dermatom L3 festgestellt hatte. Er bestätigte die Spinalkanalstenose in Höhe L4/5.

Auf Nachfrage des Beklagten berichtete Dr. Z. am 22.09.2008 über die Behandlung der Klägerin. Sie habe Beschwerden in der Wirbelsäule, hauptsächlich in der LWS, zeitweilig auch in der HWS, in den Schultergelenken, links mehr als rechts und wiederkehrende Beschwerden im Bereich der Sprunggelenke, die sich als belastungsabhängig darstellten. Im Juli 2008 habe ein schwerfälliges Gangbild und eine Minderung der Haltemuskulatur bestanden. Die Klägerin habe einen diffusen Druckschmerz in der LWS mit Ausstrahlung in das rechte Bein angegeben. An den Kniegelenken bestehe ein Kompressionsschmerz und ein retropatellares Reiben. Die Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule sei endgradig eingeschränkt (FBA 20, Schober 10/14). Die Beweglichkeit des Schultergelenks sei ebenfalls endgradig eingeschränkt (Abduktion rechts 100°, links 120°). Er habe folgende Diagnosen gestellt: chronisch rezidivierendes LWS Syndrom mit ischialgieformen Beschwerden rechts bei lateralem extraforaminalen Bandscheibenvorfall L3/4 sowie Spinalkanalstenose L4/5, PHS links mehr als rechts, Belastungsbeschwerden der Kniegelenke bei Chondropathia patellae beidseits.

Nach erneuter Anhörung seines ärztlichen Dienstes (Dr. L., 07.11.2008) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2008 zurück.

Dagegen erhob die Klägerin am 07.01.2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung sie auf ihr Widerspruchsvorbringen Bezug nahm.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. teilte mit Schreiben vom 04.03.2009 mit, er behandele die Klägerin seit 13.02.1996 wegen einer mittelschweren, depressiven Episode mit rezidivierender depressiver Störung. Die Konzentrationsfähigkeit sei eingeschränkt, teilweise auch die Affektivität. Deutlich sei der Antrieb eingeschränkt, die Klägerin leide insbesondere morgens unter Antriebstörungen. Der GdB sei mit 10 deutlich zu niedrig angesetzt.

Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. antwortete am 13.03.2009, die Klägerin habe seit 2008 zunehmende Schmerzen im Halte- und Bewegungsapparat, zusätzlich der oberen und unteren Extremitäten, wiederkehrende Infekte der oberen und unteren Luftwege, Harnwegsinfekte und Wundheilungsstörungen, eine depressive Stimmung, Schlafstörung, Konzentrationsmangel, deutlich geminderte Leistungsfähigkeit und Blutzuckerschwankungen. Der mit Metformin medikamentös zufriedenstellend eingestellte Diabetes mellitus sei noch ohne Folgeerkrankungen. Es bestehe ein Impingement der linken Schulter, ein Kompressionssyndrom rechts bei lateralem extraforminalem Bandscheibenvorfall L3/4 und eine Spinalkanalstenose.

Der Urologe Dr. K. gab mit Schreiben vom 12.03.2009 an, die Klägerin sei zuletzt am 29.10.2008 bei ihm in Behandlung gewesen. Es sei nach einer gynäkologischen Totaloperation zu einer Harnstauungsniere gekommen. Die Kontrollen seitdem hätten keinen Harnstau nachweisen können. Die Nieren seien unauffällig. Aus urologischer Sicht ergäben sich keine Einschränkungen oder Gesundheitsstörungen mit Ausnahme einer Harn-Belastungsinkontinenz ersten Grades.

Der Orthopäde Dr. Z. beschrieb am 20.03.2009 (Eingang SG 25.03.2009) neben den Beschwerden in der LWS im Jahr 2008 aufgetretene Beschwerden in der BWS mit typischen intercostal neuralgischen Beschwerden im Segment Th8/9. Seit Jahren bestünden Beschwerden in der HWS mit Ausstrahlung in den rechten Arm und Parästhesien bei bekannter degenerativer Veränderung der Bandscheiben C5-7. An den Kniegelenken bestünden Belastungsbeschwerden bei einer Beweglichkeit von 0-0-120°. Das Schultergelenk sei in akuten Fällen schmerzhaft auf 90° eingeschränkt, eine Instabilität bestehe nicht. Die Beschwerden in der Wirbelsäule bedingten einen GdB von 30, unter Berücksichtigung der Knie- und Schultergelenksschmerzen bestehe ein orthopädischer GdB von 40.

Der Kardiologe Dr. M. teilte mit, dass er seit Oktober 2007 keine neuen Befunde erhoben habe, die Klägerin habe sich nicht mehr bei ihm vorgestellt. Damals sei sie bis 125 Watt belastbar gewesen, seit 2000 sei eine Extrasystole bekannt. Die Behinderungen auf kardiologischen Gebiet seien mit 0 bis 10 einzuschätzen (Schreiben vom 09.04.2009).

Prof. Dr. M. wies mit Schreiben vom 04.05.2009 darauf hin, dass die Klägerin sich seit 2005 nicht mehr bei ihm vorgestellt habe.

Das SG holte von Amts wegen ein Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. D. vom 09.11.2009 (Untersuchung am 19.10.2009) ein. Dort gab die Klägerin an, im Durchschnitt jeden zweiten Tag unter wetterabhängigen Beschwerden in der LWS mit Ausstrahlung in den Ober- und Unterschenkel zu leiden. Dann nehme sie Schmerztabletten ein, die die Beschwerden beseitigten. Auch habe sie Schmerzen in der HWS, die dazu führten, dass sie den linken Arm nicht richtig hochheben könne. Dr. D. stellte eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit der HWS, diejenige der BWS im mittleren Normbereich fest. Die LWS entfalte sich zu 80%, im Übrigen sei die Beweglichkeit normal. Bei der motorischen Untersuchung der unteren Extremitäten finde sich kein Hinweis für ein motorisches oder sensibles Nervenwurzelreiz-Syndrom der LWS. Die Beweglichkeit im rechten Schultergelenk sei frei, links würden 110° bzw. 120° (aktiv geführt) erreicht. Die Beweglichkeit der übrigen Gelenke sei unauffällig, das Endglied des Zeigefingers der rechten Hand sei amputiert. Die Gangarten könne die Klägerin alle vorführen. Ein Hinweis für eine Instabilität der Kniegelenke bestehe nicht, die Untersuchungsergebnisse seien hier regelrecht. Für die Beschwerden in der Wirbelsäule schätze er unter Berücksichtigung der vorbeschriebenen sensiblen Nervenwurzelreizung im Dermatom L4-S1 den GdB mit 30, für die Bewegungseinschränkung im Schultergelenk mit 10, die Kniebeschwerden bedingten keinen eigenen GdB. Unter Berücksichtigung der übrigen Gesundheitsstörungen, insbesondere eines GdB von 20 für den Diabetes mellitus sei ein Gesamt-GdB von 40 gerechtfertigt.

Das SG holte nunmehr ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 10.02.2010 (Untersuchung am 18.01.2010) ein. Dort berichtete die Klägerin über Gewalt in ihrer Kindheit und Ängste, abends aus dem Haus zu gehen. Sie sei inzwischen im Vorruhestand, sei in der Vergangenheit mit ihrem Vorgesetzten nicht klargekommen und habe sich deshalb auch notfallmäßig zu Dr. S. begeben. Sie habe Schmerzen in der LWS, auch immer wieder ins linke Bein ziehend, könne jedoch gut laufen. Sie arbeite nebenbei noch zehn Stunden wöchentlich in der Arzneimittelkommissionierung, habe viele Bekannte und sei aktive Keglerin mit einem großen Freundeskreis. Sie könne sich wegen Problemen ihrer Enkelin aktuell kaum freuen, fühle sich kraftlos, kenne aber auch Zeiten voller Energie. Die Klägerin schilderte ihren typischen Tagesablauf. Seit der Zuerkennung eines GdB von 30 hätten die Schlafstörungen zugenommen. Dr. S. konnte eine Störung von Konzentration, Aufmerksamkeit sowie der Gedächtnisfunktionen nicht erkennen. Die Stimmung sei leicht gedrückt, die emotionale Schwingungsfähigkeit etwas vermindert, Psychomotorik und Mimik recht entspannt. Neurologisch sei ein leichtgradiges Carpaltunnelsyndrom neu festzustellen. Auch bei der aktuellen Untersuchung seien keine manifesten Nervenwurzelausfälle bei bekannter Wurzelreizsymptomatik L3 rechts zu finden. Psychiatrischerseits erkenne er nur eine mäßiggradige depressive Verstimmung auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Klägerin sei wenig depressiv ausgelenkt, allerdings seien diese Beschwerden chronifiziert. Die psychiatrische Störung wirke sich inkonstant, aber immanent auf die Lebensgestaltung im Alltag aus, sie sei in Ängsten relevant und beeinflussend. Die Nervenwurzelreizung der LWS bedinge einen GdB von 20, der bereits in der orthopädischen Begutachtung erfasst sei, das leichte Karpaltunnelsyndrom 10, die depressive Störung 30, insgesamt sei ein GdB von 50 angemessen.

Der Beklagte bot vergleichsweise einen GdB von 40 an, was die Klägerin nicht annahm.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Behinderungen der Klägerin bedingten weiterhin einen GdB von 30. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei ein Teil-GdB von 20 anzuerkennen. Es lägen in der HWS Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen, in der LWS solche mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen vor. Die Erkrankung auf psychiatrischen Fachgebiet sei mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet. Die Befunde von Dr. S. sprächen für eine leichtere psychische Störung. Die übrigen Erkrankungen, namentlich das Impingementsyndrom der linken Schulter und der Diabetes mellitus, seien mit einem Teil-GdB von jeweils 10 zu berücksichtigen.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 21.01.2011 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.02.2011 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ausgeführt hat, dass das SG zu Unrecht hinter den Empfehlungen des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zurückgeblieben sei. Das sei überraschend. Dazu hat sie sich auf die Gutachten von Dr. D. und Dr. S. bezogen. Dabei sei den Feststellungen von Dr. D. entgegenzutreten. Insbesondere seine Schilderung des Befundes an den Kniegelenken entspreche nicht den Darstellungen von Dr. Z., der eine Varus- und Retropatellararthrose angebe. Auch der Diabetes mellitus sei höher zu bewerten. Es sei eine unbewiesene Tatsachenbehauptung, dass Metformin und Janumet die Hypoglykämieneigung nicht erhöhten. Außerdem sei sie inzwischen auf Janumet eingestellt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 seit 04.04.2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide. Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Weiterhin bezieht er sich auf im Laufe des Verfahrens vorgelegte ärztliche Stellungnahmen des Arztes D. vom 13.08.2009, Dr. R. vom 27.05.2010 und Dr. W. vom 17.12.2010. Bei dem der Klägerin verordneten Metformin und auch dem neu verordneten Janumet sei bekannt, dass sie die Hypoglykämieneigung nicht erhöhten. Insofern sei nach der inzwischen erlassenen zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinverordnung vom 14.07.2010 für den Diabetes kein GdB mehr festzustellen. Für das im Berufungsverfahren neu mitgeteilte Schlaf-Apnoe-Syndrom sei ein GdB nicht festzustellen.

Der Senat hat Dr. G. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat mitgeteilt, dass inzwischen ein chronisch obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom festgestellt sei. Als Folgeerkrankung des Diabetes mellitus bestehe eine Polyneuropathie, außerdem bestehe eine Nasenmuschelhyperplasie mit submuköser Nasenmuschelplastik am 31.01.2011 (Schreiben vom 03.11.2011).

Dr. G. hat einen Arztbrief des Diabetologen Dr. K. vom 13.10.2011 vorgelegt, der einen HbA1c von 7,3% und einen aktuellen Blutzuckerwert von 186 mg/dl festgestellt hat. Am rechten Unterschenkel sei das Vibrationsempfinden herabgesetzt. Insofern bestehe eine beginnende sensomotorische diabetische Neuropathie rechts. Die Therapie des Diabetes müsse intensiviert werden auf Janumet 850 mg zweimal täglich, die auf zweimal täglich 1000 mg zu steigern sei.

Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. B. hat in einem Arztbrief vom 20.03.2011 ein bekanntes Schlaf-Apnoe-Syndrom beschrieben. Die Klägerin habe eine CPAP Maske, die sie aber kaum benutzen könne, weil die Nase nachts ständig zu sei. Bei einem Pricktest habe sich keine Reaktion auf bekannte Allergene gezeigt. In den Kontrolluntersuchung nach einer operativen Korrektur der Nasenmuschel habe sich die Nasenatmung normalisiert.

Der Pneumologe Dr. E. hat mit Arztbrief vom 11.07.2011 berichtet, die Klägerin fühle sich wohl, seit der Operation der Nase sei sie weniger tagesmüde. Nunmehr könne auf die n-CPAP-Therapie verzichtet werden.

Dr. S. hat in seiner Antwort vom 18.01.2012 auf die Anfrage des Senats auf sein Attest vom 15.12.2011 verwiesen und mitgeteilt, dass sich seit seiner Stellungnahme vom 04.03.2009 keine wesentliche Änderung ergeben habe.

Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Psychiaters Prof. Dr. T. vom 02.04.2012 nach Aktenlage eingeholt. Er hat ausgeführt, dass nach den Akten eine leichte bis allenfalls mittelgradige depressive Verstimmung bestehe, die offensichtlich rezidivierend auftrete und zeitweise auch ganz in den Hintergrund trete. Sie sei durch Ängste und Hemmungen gekennzeichnet. Eine Verschlimmerung sei seit 2005 offenbar nicht eingetreten. Es handele sich gewissermaßen um die Begleitsymptomatik zur Wirbelsäulensymptomatik. Die depressiven Verstimmungen seien mit höchstens 20 zu bewerten, von denen 10 aber in der Wirbelsäulensymptomatik bereits berücksichtigt seien. Insofern sei die zwischenzeitlich gestellte Diagnose einer Polyneuropathie der Beine mit berücksichtigt. Ein GdB von mehr als 20 auf psychiatrischem Fachgebiet sei vollkommen unangemessen.

Die Klägerin hat dazu vorgetragen, Prof. Dr. T. habe sich nicht hinreichend mit dem Gutachten von Dr. S. auseinandergesetzt. Zur weiteren Begründung hat sie ein Attest von Dr. S. vom 15.12.2011 vorgelegt, der eine mittelschwere depressive Episode bescheinigt hat. Die Klägerin leide unter Antriebslosigkeit, innerer Unruhe, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen. Der GdB sei allein für die psychische Beeinträchtigung mit 40 anzusetzen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und die Akten des Senats verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.

Der Senat kann gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).

Nach diesen Kriterien sind die Behinderungen mit einem GdB von 20 für die Beschwerden in der Wirbelsäule, 0-10 für die Schulterbeschwerden, 0-10 für den Diabetes mellitus und 20 für die psychische Erkrankung einzuschätzen. Die Allergie gegen Nickel, Cobalt und Penicillin bedingt ebenso wie die Beschwerden an den Knien und das Schlaf-Apnoe-Syndrom keinen GdB.

Die psychischen Beschwerden der Klägerin bedingen einen GdB von 20. Nach Nr. 3.7 Teil B VG, der im Wesentlichen der Nr. 26.3 der bis 31.12.2008 zugrunde zu legenden Anhaltspunkte entspricht, werden leichte psychovegetative und psychische Störungen im Sinne von Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wie z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert sowie somatoforme Störungen bedingen einen GdB von 30 bis 40.

Nach den Befunden von Dr. S. musste sich die Klägerin aufgrund von Schwierigkeiten mit ihrem Chef in der Vergangenheit wiederholt von Dr. S. auch notfallmäßig behandeln lassen. Seit 2010 hat die Klägerin keinen Kontakt mit diesem Chef. Dr. S. beschreibt noch Schlaf- und Konzentrationsstörungen und wiederkehrende mittelschwere depressive Episoden, ohne allerdings näher zu beschreiben, wie häufig die Episoden auftreten. Bei der Untersuchung durch Dr. S. schilderte die Klägerin einen geregelten Tagesablauf mit vielfältigem Kontakt zu Freunden, Nachbarn und ihrer Familie. Sie hat sich als aktive Keglerin und in dieser und anderen Freizeitbeschäftigungen nur wenig eingeschränkt beschrieben. Auch zu ihrer Tochter, Enkelin und Urenkelin bestehe ein guter Kontakt, sie mache sich um die Enkelin nachvollziehbare Sorgen. Auch den Haushalt schafft die Klägerin weitgehend allein, Einschränkungen hat sie nicht beschrieben und auch nicht geltend gemacht. Als einzige Beeinträchtigung hat die Klägerin angegeben, sich abends beim Ausgehen zu fürchten, weil jemand sie auf dem Parkplatz überfallen könne. Die von Dr. S. beschriebenen Konzentrationsstörungen hat Dr. S. nicht feststellen können. Gegen eine höhergradige Konzentrationsstörung spricht insofern, dass die Klägerin es schafft, monatlich neunmal fünf Stunden lang Arzneimittel zu sortieren. An dieser Tätigkeit hat sie auch Freude. Eine stärker behindernde Störung lässt sich aus diesen Angaben der Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. T. nicht nachvollziehen. Ein GdB von mehr als 20 ist insofern nicht gerechtfertigt.

Die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule sind mit einem GdB von 20 auch ausreichend bewertet wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat. Nach Nr. 18.9 Teil B VG, der im Wesentlichen Nr. 26.18 AHP entspricht, sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 und mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem GdB von 20 bewertet. Bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei oder schweren Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt wird ein GdB von 30 oder mehr angenommen. Dabei bezeichnet die Verordnung mittelgradige funktionelle Auswirkungen beispielhaft als Verformungen, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufige rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome. Dr. D. konnte insofern nur eine leichte Einschränkung der Beweglichkeit der HWS und von Seiten der LWS nur eine 20%ige Einschränkung der Entfaltbarkeit ohne Einschränkung der Beweglichkeit im Übrigen feststellen. Das entspricht im Wesentlichen den von Dr. Z. mitgeteilten Befunden. Die Klägerin selbst hat gegenüber Dr. S. angegeben, dass es wetterabhängig durchschnittlich alle zwei Tage zu Schmerzen in der LWS komme, die sich nach Einnahme von Voltaren oder Ibuprofen besserten. Ihre Gehfähigkeit sei dadurch nicht eingeschränkt. Der vorliegende Bandscheibenvorfall und die Spinalkanalstenose in der unteren Wirbelsäule wirken sich durch Ziehen des Schmerzes in die Beine und Kribbelmissempfindungen aus, die vom Diabetologen inzwischen als beginnende Neuropathie der Beine aufgrund des Diabetes interpretiert worden sind. Weiterhin bestehen gelegentlich Beschwerden in der HWS. Beschwerden in der BWS sind auch nach Dr. Z. bisher nur sporadisch aufgetreten und konnten von Dr. D. auch nicht verifiziert werden. Motorische Störungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Eine Einordnung unter mittelschwere funktionelle Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitte ist nicht möglich. Allenfalls in der LWS kann unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit beschriebenen Nervenwurzelreizerscheinungen von einer mittelgradigen funktionellen Störung ausgegangen werden, die einen höheren GdB als 20 nicht rechtfertigt.

Die Beschwerden von Seiten der linken Schulter sind mit einem GdB von höchstens 10 ausreichend berücksichtigt. Nach Nr. 18.13 Teil B VG (26.18 AHP) ist eine Bewegungseinschränkung im Schultergelenk, die eine Armhebung bis zu 120° zulässt mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit, mit einem GdB von 10 zu bewerten. Bei der Klägerin ist eine Hebung des Arms bis zu 110° bzw. 120° bei geführter Bewegung aktiv möglich. Die Dreh- und Spreizfähigkeit ist kaum eingeschränkt. Ein höherer GdB als 10 ergibt sich daraus nicht.

Die Beschwerden in den Knien bedingen keinen GdB. Nach den Feststellung von Dr. D. war der Kniegelenksbefund unauffällig. Dr. Z. beschrieb belastungsabhängige Beschwerden und ein retropatellares Reiben. Eine Bewegungseinschränkung der Kniegelenke hat er in keinem seiner Arztbriefe beschrieben, vielmehr stellte sich die von ihm beschriebene Beweglichkeit der Kniegelenke immer als weitgehend frei dar. Eine Instabilität der Kniegelenke liegt nicht vor. Insofern kommt es nicht darauf an, welche Diagnose Dr. Z. formuliert hat, sondern welche Funktionsbeeinträchtigungen sich für die Klägerin daraus ergeben. Diese hat Dr. D. zutreffend und in Übereinstimmung mit den Befunden von Dr. Z. dargestellt. Ein GdB von mindestens 10 ergibt sich unter Anwendung von Nr. 18.14 Teil B VG (16.18 AHP) nicht.

Die Allergie der Klägerin auf Nickel, Cobalt und Penicillin führt nicht zu einem eigenen GdB. Dr. B. konnte eine Reaktion auf die gängigen Allergene nicht feststellen. Nickel, Cobalt und Penicillin sind Stoffe, die im täglichen Leben weitgehend unproblematisch umgangen werden können, so dass sich daraus keine Beeinträchtigung im täglichen Leben ergibt. Eine solche trägt die Klägerin auch nicht vor.

Die Behinderung durch den Diabetes mellitus bedingt einen GdB von höchstens 10. Nach Nr. 15.1 Teil B VG in der bis zur zweiten Änderungsverordnung vom 14.07.2010 geltenden Fassung (Nr. 26.15 AHP) war ein Diabetes mellitus, der mit Medikamenten eingestellt ist, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen, mit einem GdB von 10 einzuschätzen. Nunmehr bedingt ein Diabetes mellitus, der mit diesen Medikamenten eingestellt ist, einen GdB von 0. Die der Klägerin verschriebenen Medikamente Metformin und Janumet sind nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. R. in der Stellungnahme vom 27.05.2010 solche, die eine Hypoglykämieneigung nicht erhöhen. Das entspricht auch den aus zahlreichen ähnlichen Rechtsstreiten gewonnenen Kenntnissen des Senats. Hypoglykämien sind auch von der Klägerin nicht behauptet worden. Dr. G. hat wiederholt bestätigt, dass der Diabetes mit diesen Medikamenten zufriedenstellend eingestellt ist. Der Diabetologe Dr. K. hat nur eine Erhöhung der Medikation aber keine Umstellung auf ein anderes, die Hypoglykämieneigung erhöhendes Medikament empfohlen. Insofern ist der GdB für diese Behinderung allenfalls unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich angenommenen Polyneuropathie auch weiterhin mit einem GdB von 10 zu berücksichtigen.

Das von Dr. G. und Dr. E. im Berufungsverfahren erstmals beschriebene Schlaf-Apnoe-Syndrom bedingt keinen GdB. Nach Nr. 8.7 Teil B VG ist ein Schlaf-Apnoe-Syndrom ohne Notwendigkeit der kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung mit einem GdB von 0 bis 10 einzuschätzen. Die in der Vergangenheit offenbar vorübergehend angenommene Notwendigkeit der Überdruckbeatmung ist durch die Nasenoperation Anfang 2011 beseitigt worden. Aktuell und mehr als sechs Monate bestand eine solche Notwendigkeit nicht, die Klägerin hat bei der pneumonologischen Untersuchung Wohlbefinden und nur noch wenig Tagesmüdigkeit angegeben. Eine relevante Beeinträchtigung ergibt sich daraus nicht.

Die Stressharninkontinenz der Klägerin bedingt unter Anwendung von Nr. 12.2.4 Teil B VG (Nr. 26.12 AHP) keinen eigenen GdB, sie ist nach den vorliegenden Unterlagen nur leicht ausgeprägt.

Die Behinderungen der Klägerin bedingen insgesamt keinen höheren GdB als 30. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Bei der Klägerin sind zwei Einzel-GdB von 20 und zwei von 10 festzustellen. Die Einzel-GdB von 20 für psychische und Wirbelsäulenbeschwerden sind eher schwach ausgeprägt. Das gleiche gilt für den GdB von 10 für den Diabetes mellitus. Ein höherer GdB als 30 ist daraus nicht abzuleiten.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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