Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 4394/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1623/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02. April 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) auf mindestens 50.
Die 1955 geborene Klägerin beantragte erstmals am 03.11.2005 die Feststellung ihrer Behinderung beim Beklagten. Das Landratsamt R. stellte mit Bescheid vom 08.12.2005 einen GdB von 20 wegen eines organischen Nervenleidens fest.
Einen Neufeststellungsantrag vom 06.11.2006 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.01.2007 mit der Begründung ab, dass ein zwischenzeitlich aufgetretenes Schulterleiden links nicht zu einem eigenen GdB führe.
Am 20.01.2010 beantragte die Klägerin erneut die Neufeststellung ihrer Behinderung. Dazu gab sie an, an multipler Sklerose (MS, Encephalomyelitis disseminata) mit deutlicher Schwächung der Beinmuskulatur, Gehstörung, allgemeiner Schwäche und chronischer Müdigkeit, einem chronischen Schmerzsyndrom, einem Halswirbelsäulen- (HWS) Syndrom, geschwollenen Händen und Füßen bei Fibromyalgiesyndrom, einer chronisch-venösen Insuffizienz, Schmerzen beider Beine, links mehr als rechts, sowie Knorpelveränderungen der Kniegelenke zu leiden.
Der Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei. Der behandelnde Neurologe Dr. Schr. äußerte in einem Arztbrief vom 09.10.2008 den Verdacht auf zwei Schübe der multiplen Sklerose in den Jahren 1988 und 1998. Es bestünden leichte neurologische Residuen. Die Klägerin leide an einem chronischen Schmerzsyndrom, einer nächtlichen Schwellung und Schmerzsymptomatik der Vorfüße. Aktuell bestehe wieder eine Schmerzsymptomatik an verschiedenen Stellen. Die Klägerin berichte über Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich seit drei bis vier Wochen, ziehende Beschwerden und Spannungsgefühl im linken Arm mit wiederkehrendem nächtlichem Einschlafen der Arme. Manchmal komme es zu einem Pelzigkeitsgefühl des rechten Daumens. Es bestehe eine Belastungssituation am Arbeitsplatz, sie nehme sich alles sehr zu Herzen. Dr. Schr. stellte eine seitengleiche ungestörte Motilität, Tonus und Kraftentfaltung der Extremitäten fest. Es gebe keinen Hinweis auf eine latente zentrale Parese. Die Reflexe seien – mit Ausnahme eines leicht abgeschwächten Bauchhautreflexes links - lebhaft gewesen, so dass er derzeit keinen Hinweis auf ein aktuelles schubhaft-entzündliches Ereignis finde. Auf Nachfrage des Beklagten berichtete Dr. Schr. am 25.01.2010, dass die Klägerin zuletzt im Juni 2009 bei ihm in Behandlung gewesen sei. Es habe sich ein klinisch stabiler Befund gezeigt. Unverändert sei eine leichte residuale Linksseitensymptomatik mit linksseitiger Abschwächung der Bauchhautreflexe und erschwertem Einbeinstand links festzustellen. Im Vordergrund stünden eine Schlafstörung, eine chronische Schmerzsymptomatik und eine Neigung zur depressiven Verstimmung, die zu einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitbehandlung geführt hätten. Er legte seinen Arztbrief vom 22.06.2009 vor. Bei der Untersuchung im Juni 2009 klagte die Klägerin über Stimmungsschwankungen und eine erhebliche Schlafstörung. Sie habe chronische generalisierte Schmerzen in Armen, Beinen, der gesamten Wirbelsäule und Schwellungen im Bereich der Zehen und Vorfüße. Die apparativen Untersuchungen der Arm- und Beinnerven waren normal. Dr. Schr. ordnete die Beschwerden als psychosomatisches Syndrom ein. Er habe der Klägerin eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung ggfs. eine Kur angeraten.
Der Orthopäde Dr. K. bescheinigte am 18.02.2009 eine deutliche Schwächung der Beinmuskulatur aufgrund der multiplen Sklerose. Aufgrund der damit verbundenen Schonhaltung komme es zu einer Fehlbelastung der Kniegelenke. Es sei zu einer Beschädigung des Knorpels infolge der ständigen Überstreckung gekommen.
Der Phlebologe Dr. Ku. untersuchte die Klägerin im August 2009 (Arztbrief vom 24.08.2009) und stellte eine chronisch-venöse Insuffizienz Stadium II mit mäßiggradiger Stammveneninsuffizienz ohne Lymphödeme fest. Er empfahl das konsequente Tragen von Kompressionsstrümpfen und jährliche Kontrollen. Die Beschwerden der Klägerin an den Beinen beruhten nicht auf einer venösen Ursache.
Mit Bescheid vom 11.03.2010 stellte der Beklagte einen GdB von 30 wegen eines organischen Nervenleidens und chronischen Schmerzsyndroms fest. Dagegen erhob die Klägerin am 19.03.2010 Widerspruch, mit dem sie die Feststellung der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit begehrte. Diesem Begehren half der Beklagte mit Bescheid vom 17.06.2010 ab.
Am 06.09.2010 beantragte die Klägerin erneut die Neufeststellung ihrer Behinderung. Dazu führte sie aus, dass nicht alle chronischen Erkrankungen erfasst seien. Es bestünden chronische Schübe einer chronisch-entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems (multiple Sklerose), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Schäden in HWS, Brust- (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS), ein Schulter-Arm-Syndrom, ein Zustand nach Bandscheibenvorfall, schwere Schmerzen im Rücken mit Ausstrahlung in das Gesäß, Schmerzen in den Füßen und Armen bis in die Finger und die Hände, Knieschmerzen beidseits, Kniegelenkschmerzen beidseits, Migräne und Kopfschmerzen, neurologisch-psychiatrische Störungen wie Depressionen, Schlafstörungen, seelische Störung, multiple Dauerschmerzen im ganzen Körper, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, organisches Nervenleiden. Die Folgen der multiplen Sklerose seien mit einem GdB von 20 bis 30 einzustufen. Die orthopädischen Beschwerden bedingten einen GdB von 40, Migräne und Kopfschmerzen seien mit einem GdB von 10 einzuordnen, die psychiatrisch-neurologischen Beschwerden seien mit 30 richtig bewertet, so dass insgesamt ein GdB von wenigstens 50 bestehe.
Dazu legte die Klägerin ein Attest des Dr. Schr. vom 20.07.2010 zur Vorlage beim Arbeitgeber, mit dem der Arzt eine Änderung des Arbeitsplatzes vorläufig ablehnte, und einen Arztbrief von Dr. Schr. vom 04.06.2010 vor, bei dem sie sich erstmals wieder vorgestellt hatte. Dort hatte die Klägerin berichtet, dass sie weiterhin chronische generalisierte Schmerzen haben. Sie mache regelmäßig manuelle Therapie, unter der die HWS-Syndrome einigermaßen kompensiert seien. Bei körperlichen Belastungen verspüre sie eine vermehrte Schwäche des linken Arms und den Eindruck eines vermehrten Schweregefühls der Beine. Die Schmerztherapie habe sie zwischenzeitlich beendet, weil sie hier keine Besserung erkennen könne. Der Rheumatologe sei am ehesten von einem Fibromyalgiesyndrom ausgegangen. Die Klägerin wirkte auf Dr. Schr. deutlich angespannt, irritabel, die Stimmungslage war eher subdepressiv. Die Untersuchung der Nerven war unverändert, Dr. Schr. stellte einen absolut stabilen Zustand fest. Er habe erneut dringend zu einer psychiatrischen Mitbehandlung geraten, weil es seit Jahren immer wieder zu Verschlimmerungen der Schmerzsymptomatik komme, wenn die Klägerin privat oder beruflich besonders belastet sei.
Auf Nachfrage des Beklagten berichtete Dr. Schr. am 14.10.2010 über die zuletzt am 08.10.2010 durchgeführte Behandlung in seiner Praxis. Die bildgebenden Befunde seien stabil. Es sei in den letzten Jahren zu einer deutlichen Verschlechterung der psycho-physischen Belastbarkeit mit chronischem generalisiertem Schmerzsyndrom gekommen.
Die Klägerin reichte einen Arztbrief der Rheumatologin Dr. R. vom 24.03.2009 zur Akte. Dort berichtete die Klägerin erneut über Schmerzen am ganzen Körper. Sie habe einen Bandscheibenvorfall in der HWS erlitten, sei müde, schlaflos und habe Missempfindungen in den Händen. Seit zwei Jahren seien die Füße morgens geschwollen. Dr. R. fand keine Hinweise auf eine rheumatologische Systemerkrankung. Sie gehe am ehesten von einer beginnenden Fingerpolyarthrose und einem chronischen Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ aus, wenn eine somatoforme Schmerzstörung von neuropsychiatrischer Seite ausgeschlossen werden könne. Eine rheumatologische Vorstellung sei nicht erneut notwendig.
In der Zeit vom 02.09.2010 bis 06.10.2010 war die Klägerin in ambulanter Rehabilitation in den Kliniken S ... Im Entlassungsberichts von Dr. Sa. vom 06.10.2010 sind als Diagnosen eine multiple Sklerose von primär schubförmigem Verlauf mit Teilremission ES 1988, ein Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung, ein chronisches muskuloskelettales Schmerzsyndrom mit diffusen, ganzkorporalen, fluktuierenden Sensibilitätsstörungen mit Missempfindungen vor allem an Beinen, Armen, linksbetont und eine leichte Hemiparese links aufgeführt. Es liege eine psycho-physische Belastungsminderung mit zunehmenden diffusen Schmerzen an verschiedenen Stellen bei Überforderung und Überlastung vor. Die Klägerin wirkte bei der Eingangsuntersuchung agitiert-depressiv. Sie habe eigentlich ständig Schmerzen am ganzen Körper, vor allem an beiden Armen und beiden Beinen. Der gesamte Körper sei in Ausdauer und Belastbarkeit eingeschränkt. Sie empfinde Gleichgewichtsstörungen beim Laufen, die Beine würden schwer, selten stürze sie auch. Bei der neurologischen Untersuchung fand sich ein dezentes Absinken in den Halteversuchen, der Muskeltonus und die Muskeltrophik wurde als seitengleich unauffällig beschrieben, die Muskeleigenreflexe waren ebenfalls seitengleich. Die verschiedenen Gang- und Standarten waren bis auf eine leichte Unsicherheit im Blindgang nicht relevant eingeschränkt. Psychisch wirke die Klägerin agitiert und angespannt, sehr detailreich in der Schilderung ihrer Beschwerden, sie leide offensichtlich. Es werde eine leichte Kränkbarkeit und ein reduziertes Selbstvertrauen, eine reduzierte Stress- und Fustrationstoleranz offensichtlich.
Der Orthopäde Dr. K. erstattete am 21.12.2010 seinen Befundbericht. Es sei aufgrund der zunehmenden Schwäche der Rücken- und Beinmuskulatur zu einer deutlichen Unsicherheit beim Laufen gekommen. Aufgrund der muskulären Schwäche seien Kompensationsmechanismen notwendig, die eine Stabilisierung bei unvorhergesehenen Belastungen kaum möglich machten. Aufgrund der Gangunsicherheit bestehe ein Zirkumdiktionsgang mit wiederkehrenden Überstrecktraumen und Meniskusschäden beider Kniegelenke. 2008 und 2009 seien deshalb Knieoperationen zur Sanierung der Meniskusschäden durchgeführt worden, danach sei die Mobilisation der Klägerin etwas erschwert gewesen. Im Übrigen sei der postoperative Verlauf reizlos und unauffällig gewesen. Bei der zuletzt durchgeführten Untersuchung am 16.08.2010 seien reizlose Knieverhältnisse festzustellen gewesen. Wegen fortbestehender Schmerzen im Bereich der Mittelfußköpfchen habe er Einlagen verordnet.
Der Beklagte befragte schließlich den Hausarzt Dr. S. schriftlich. Er teilte am 24.02.2011 mit, neben der infolge der multiplen Sklerose bestehenden körperlichen Einschränkung sei die Klägerin auch in ihrer geistigen Belastungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Der psychische Zustand sei aufgrund der Schwere der Erkrankung, der Begleitsymptomatik und den damit verbundenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz labil. Wegen Migräneattacken sei die Klägerin seit 2005 (gemeint wohl: nicht) vorstellig geworden.
Nach Anhörung seines ärztlichen Dienstes (M. Kl. vom 11.02.2011 und Dr. F. vom 08.03.2011) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.03.2011 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Als Behinderungen berücksichtigte er nunmehr "organisches Nervenleiden, chronisches Schmerzsyndrom, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschaden". Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Migräne, Depression, Arthroskopie, Meniskusschaden" bedingten keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Dagegen erhob die Klägerin am 16.03.2011 Widerspruch, den der Beklagte nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. Si. vom 21.05.2011) mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2011 zurückwies.
Dagegen erhob die Klägerin am 29.07.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholte.
Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. Schr. teilte unter dem 28.10.2011 mit, dass aus neurologischer Sicht im Wesentlichen ein stabiler Befund bestehe. Es bestehe eine belastungsabhängige Schwäche vor allem des linken Armes und beider Beine. Bei körperlicher Belastung komme es zu einer Zunahme der Schwäche, des generalisierten Schmerzsyndroms und zum Auftreten fluktuierender Missempfindungen sowie einer chronischen Erschöpfungssymptomatik. Die Schmerzsymptomatik habe sich verschlechtert. Da die Klägerin von einem Zusammenhang zwischen privaten bzw. beruflichen Belastungen und einer Zunahme der Schmerzen berichtet habe, habe eine Mitbehandlung durch die Psychiaterin Dr. E. stattgefunden. Seit März 2010 sei eine Verschlimmerung der Beschwerdesymptomatik und Funktionsstörung der Beine aufgetreten. Der neurologische Befund selbst sei nicht schlechter geworden, zugenommen habe aber offensichtlich die belastungsabhängige Symptomatik. Es bestehe der Verdacht auf eine Anpassungsstörung. Der rein neurologische Befund sei eher leicht ausgeprägt. Schwerer sei allerdings die Symptomatik auf psychiatrischem Fachgebiet einschließlich des chronischen Schmerzsyndroms ausgeprägt. Dr. Schr. legte Arztbriefe vom 14.10.2011, 06.07.2011, 08.06.2011, 04.03.2011 und 28.01.2011 vor.
Weiterhin fügte er einen Arztbrief der Ärztin für Psychiatrie Dr. E. vom 25.01.2011 bei. Sie beschrieb die Stimmungslage der Klägerin als depressiv, agitiert, im Affekt gespannt, erregt, auch fordernd, die Psychomotorik sei gesteigert. Schmerzen und Missempfindungen prägten das Krankheitsbild zusätzlich. Es handele sich um eine organisch bedingte depressive Störung, eine somatoforme Schmerzstörung könne sie ausschließen. Die psychische depressive Symptomatik und vor allem die Affektstörung seien Folge der multiplen Sklerose. Für eine Psychotherapie sei die Klägerin derzeit zu unruhig und agitiert. Nach Durchführung einer Medikation mit Cymbalta könne erneut darüber nachgedacht werden.
Dr. E. sagte am 05.12.2011 schriftlich als sachverständige Zeugin aus, die Klägerin sei seit 05.12.2010 bis auf weiteres bei ihr in Behandlung. Es sei im Rahmen der multiplen Sklerose zur Entwicklung einer organisch bedingten affektiven Störung mit dysphorischer Stimmungslage gekommen. Im Affekt sei die Klägerin immer wieder ratlos, ängstlich, da sie wisse, dass die multiple Sklerose fortschreiten könne. Sie habe Gefühlsstörungen in den Beinen, sei emotional nicht mehr so belastbar, im Affekt wirke sie eher agitiert, gespannt und erregt. Eine leichte Verschlechterung des psychopathologischen Befunds sei trotz medikamentöser Therapie und Verhaltenspsychotherapie eingetreten. Die psychische Störung bedinge einen GdB von 20.
Der Orthopäde Dr. B. untersuchte die Klägerin am 14.02.2011. Es bestehe ein wiederkehrendes Lumbalsyndrom und Beschwerden in den Knien. In der radiologischen Untersuchung durch Dr. H. am 01.03.2011 (Arztbrief vom 03.03.2011) fand sich eine Arthrose im Bereich L3/4, etwas geringer auch bei L4/5 und L5/S1.
Dr. B. beantwortete die Anfrage des SG am 06.01.2012 dahingehend, dass er die Klägerin seit 04.03.2011 nicht mehr gesehen habe. Er habe wiederkehrende Lumbalsyndrome behandelt, neurologische Ausfälle habe er nicht feststellen können, der Reflexstatus sei seitengleich gewesen. Am linken Knie bestehe eine initiale Gonarthrose bei noch freier Beweglichkeit (0-0-130). Außerdem bestehe eine mäßige Einschränkung der Rotationsfähigkeit der HWS. Die bisherige GdB-Einstufung halte er für korrekt.
Dr. S. teilte am 30.11.2011 mit, er habe in letzter Zeit im Wesentlichen Überweisungen an Fachärzte und Rezepte ausgestellt. Er halte für die multiple Sklerose einen GdB von 40 für angemessen, der Bandscheibenschaden bedinge einen GdB von 10.
Der Beklagte bot einen Vergleich dahingehend an, dass ab 06.09.2010 ein GdB von 40 festgestellt werde. Dieses Angebot nahm die Klägerin nicht an.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.04.2012 verurteilte das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab 06.09.2010. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Folgen der multiplen Sklerose seien mit einem GdB ausreichend bewertet. Es bestünden leichte Residuen in Form von Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, belastungsabhängiger Schwäche und Ausdauerminderung im linken Arm sowie ein generalisiertes Schmerzsyndrom. Neu hinzugetreten sei eine depressive Störung mit Erschöpfungssymptomatik und Belastbarkeitsminderung, die mit als leichtere psychovegetative Störung mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet sei. Die Beschwerden im Rücken bedingten keinen höheren als den bereits festgestellten GdB von 10. Insgesamt sei der GdB mit 40 zutreffend bewertet.
Gegen den ihr am 05.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18.04.2012 Berufung eingelegt, zur deren Begründung sie ihren Vortrag aus Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt hat. Sie leide unter dauernden starken Schmerzen, die bisher nicht berücksichtigt worden seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie auf den vorgelegten Arztbrief von Dr. Schr. vom 11.09.2012 verwiesen und ergänzend angegeben, sie unterziehe sich jetzt einer alle 3 Wochen stattfindenden Gesprächstherapie bei Fr. Schm ...
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.04.2012 abzuändern sowie den Bescheid vom 11.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 ab 06.09.2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide, schließt sich dem Gerichtsbescheid des SG an und verweist auf eine im Laufe des Klageverfahrens vorgelegte Stellungnahme von Dr. W. vom 15.02.2012.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und die Akten des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 02.04.2012 Bezug.
Auch aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ergibt sich keine andere Beurteilung.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren im Wesentlichen starke Schmerzen in den Extremitäten und dem Rumpf vorgetragen. Diese Schmerzen sind bereits in dem GdB von 30 für die multiple Sklerose und 20 für die psychische Beeinträchtigung enthalten. Die rein neurologische Beeinträchtigung in Folge der multiplen Sklerose ist nach den Befunden von Dr. Schr. leicht ausgeprägt und zeigt sich allenfalls an einer leichten Absinktendenz in Halteversuchen der Arme und Beine. Neurologische Ausfälle sind nicht zu verzeichnen. Es besteht lediglich eine gering ausgeprägte Gangunsicherheit mit Kompensationsmechanismen in den Beinen. Ein hiervon abweichender Befund ergibt sich auch nicht aus dem zuletzt vorgelegten Arztbrief von Dr. Schr. vom 11.09.2012, in dem vielmehr ein klinisch wesentlich stabiler Untersuchungsbefund und unveränderter Befund bei bildgebenden Kontrollen bestätigt wird. Allein diese körperlich messbaren Beschwerden bedingen einen GdB von 10 nach Nr. 3.10 Teil B VG. Zu berücksichtigen war aber als Folge der multiplen Sklerose eine Einschränkung der Belastbarkeit von Armen und Beinen auf körperliche Belastungen und vor allem die in Folge der MS auftretenden Schmerzen in Armen, Beinen und im Rumpf. Diese bedingen in Anwendung von Nr. 3.10 Teil B VG und in Anlehnung an Nr. 3.7 Teil B VG den festgestellten GdB von 30 für die multiple Sklerose.
Weder aus dem vorgelegten Arztbrief vom 11.09.2012 noch aus dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist eine wesentliche Zustandsänderung ersichtlich geworden, die eine andere GdB-Bewertung für die mit einem GdB 20 erfasste depressive Störung erlaubt. Sofern die Klägerin nunmehr begehrt für die Schmerzen einen eigenen GdB festzustellen, widerspricht das den Feststellungen von Dr. E. , die die auftretenden Schmerzen als Folge der multiplen Sklerose einordnet.
Die von der Klägerin zum wiederholten Mal geltend gemachte Migräne und Kopfschmerzen konnten nicht nachgewiesen werden. Die Klägerin hat nichts vorgetragen, das darauf schließen ließe, dass hier eine Behinderung vorliegt, die einen eigenen GdB von wenigstens 10 bedingt.
Die von Dr. B. beschriebenen Beschwerden in den Knien bedingen keinen eigenen GdB. Er hat weder eine Instabilität des Kniegelenks dargestellt noch dauernde Reizerscheinungen. Die Beweglichkeit des Kniegelenks ist auch nicht eingeschränkt.
Die Gesamt-GdB-Bildung hat das SG zutreffend durchgeführt.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) auf mindestens 50.
Die 1955 geborene Klägerin beantragte erstmals am 03.11.2005 die Feststellung ihrer Behinderung beim Beklagten. Das Landratsamt R. stellte mit Bescheid vom 08.12.2005 einen GdB von 20 wegen eines organischen Nervenleidens fest.
Einen Neufeststellungsantrag vom 06.11.2006 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.01.2007 mit der Begründung ab, dass ein zwischenzeitlich aufgetretenes Schulterleiden links nicht zu einem eigenen GdB führe.
Am 20.01.2010 beantragte die Klägerin erneut die Neufeststellung ihrer Behinderung. Dazu gab sie an, an multipler Sklerose (MS, Encephalomyelitis disseminata) mit deutlicher Schwächung der Beinmuskulatur, Gehstörung, allgemeiner Schwäche und chronischer Müdigkeit, einem chronischen Schmerzsyndrom, einem Halswirbelsäulen- (HWS) Syndrom, geschwollenen Händen und Füßen bei Fibromyalgiesyndrom, einer chronisch-venösen Insuffizienz, Schmerzen beider Beine, links mehr als rechts, sowie Knorpelveränderungen der Kniegelenke zu leiden.
Der Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei. Der behandelnde Neurologe Dr. Schr. äußerte in einem Arztbrief vom 09.10.2008 den Verdacht auf zwei Schübe der multiplen Sklerose in den Jahren 1988 und 1998. Es bestünden leichte neurologische Residuen. Die Klägerin leide an einem chronischen Schmerzsyndrom, einer nächtlichen Schwellung und Schmerzsymptomatik der Vorfüße. Aktuell bestehe wieder eine Schmerzsymptomatik an verschiedenen Stellen. Die Klägerin berichte über Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich seit drei bis vier Wochen, ziehende Beschwerden und Spannungsgefühl im linken Arm mit wiederkehrendem nächtlichem Einschlafen der Arme. Manchmal komme es zu einem Pelzigkeitsgefühl des rechten Daumens. Es bestehe eine Belastungssituation am Arbeitsplatz, sie nehme sich alles sehr zu Herzen. Dr. Schr. stellte eine seitengleiche ungestörte Motilität, Tonus und Kraftentfaltung der Extremitäten fest. Es gebe keinen Hinweis auf eine latente zentrale Parese. Die Reflexe seien – mit Ausnahme eines leicht abgeschwächten Bauchhautreflexes links - lebhaft gewesen, so dass er derzeit keinen Hinweis auf ein aktuelles schubhaft-entzündliches Ereignis finde. Auf Nachfrage des Beklagten berichtete Dr. Schr. am 25.01.2010, dass die Klägerin zuletzt im Juni 2009 bei ihm in Behandlung gewesen sei. Es habe sich ein klinisch stabiler Befund gezeigt. Unverändert sei eine leichte residuale Linksseitensymptomatik mit linksseitiger Abschwächung der Bauchhautreflexe und erschwertem Einbeinstand links festzustellen. Im Vordergrund stünden eine Schlafstörung, eine chronische Schmerzsymptomatik und eine Neigung zur depressiven Verstimmung, die zu einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitbehandlung geführt hätten. Er legte seinen Arztbrief vom 22.06.2009 vor. Bei der Untersuchung im Juni 2009 klagte die Klägerin über Stimmungsschwankungen und eine erhebliche Schlafstörung. Sie habe chronische generalisierte Schmerzen in Armen, Beinen, der gesamten Wirbelsäule und Schwellungen im Bereich der Zehen und Vorfüße. Die apparativen Untersuchungen der Arm- und Beinnerven waren normal. Dr. Schr. ordnete die Beschwerden als psychosomatisches Syndrom ein. Er habe der Klägerin eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung ggfs. eine Kur angeraten.
Der Orthopäde Dr. K. bescheinigte am 18.02.2009 eine deutliche Schwächung der Beinmuskulatur aufgrund der multiplen Sklerose. Aufgrund der damit verbundenen Schonhaltung komme es zu einer Fehlbelastung der Kniegelenke. Es sei zu einer Beschädigung des Knorpels infolge der ständigen Überstreckung gekommen.
Der Phlebologe Dr. Ku. untersuchte die Klägerin im August 2009 (Arztbrief vom 24.08.2009) und stellte eine chronisch-venöse Insuffizienz Stadium II mit mäßiggradiger Stammveneninsuffizienz ohne Lymphödeme fest. Er empfahl das konsequente Tragen von Kompressionsstrümpfen und jährliche Kontrollen. Die Beschwerden der Klägerin an den Beinen beruhten nicht auf einer venösen Ursache.
Mit Bescheid vom 11.03.2010 stellte der Beklagte einen GdB von 30 wegen eines organischen Nervenleidens und chronischen Schmerzsyndroms fest. Dagegen erhob die Klägerin am 19.03.2010 Widerspruch, mit dem sie die Feststellung der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit begehrte. Diesem Begehren half der Beklagte mit Bescheid vom 17.06.2010 ab.
Am 06.09.2010 beantragte die Klägerin erneut die Neufeststellung ihrer Behinderung. Dazu führte sie aus, dass nicht alle chronischen Erkrankungen erfasst seien. Es bestünden chronische Schübe einer chronisch-entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems (multiple Sklerose), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Schäden in HWS, Brust- (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS), ein Schulter-Arm-Syndrom, ein Zustand nach Bandscheibenvorfall, schwere Schmerzen im Rücken mit Ausstrahlung in das Gesäß, Schmerzen in den Füßen und Armen bis in die Finger und die Hände, Knieschmerzen beidseits, Kniegelenkschmerzen beidseits, Migräne und Kopfschmerzen, neurologisch-psychiatrische Störungen wie Depressionen, Schlafstörungen, seelische Störung, multiple Dauerschmerzen im ganzen Körper, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, organisches Nervenleiden. Die Folgen der multiplen Sklerose seien mit einem GdB von 20 bis 30 einzustufen. Die orthopädischen Beschwerden bedingten einen GdB von 40, Migräne und Kopfschmerzen seien mit einem GdB von 10 einzuordnen, die psychiatrisch-neurologischen Beschwerden seien mit 30 richtig bewertet, so dass insgesamt ein GdB von wenigstens 50 bestehe.
Dazu legte die Klägerin ein Attest des Dr. Schr. vom 20.07.2010 zur Vorlage beim Arbeitgeber, mit dem der Arzt eine Änderung des Arbeitsplatzes vorläufig ablehnte, und einen Arztbrief von Dr. Schr. vom 04.06.2010 vor, bei dem sie sich erstmals wieder vorgestellt hatte. Dort hatte die Klägerin berichtet, dass sie weiterhin chronische generalisierte Schmerzen haben. Sie mache regelmäßig manuelle Therapie, unter der die HWS-Syndrome einigermaßen kompensiert seien. Bei körperlichen Belastungen verspüre sie eine vermehrte Schwäche des linken Arms und den Eindruck eines vermehrten Schweregefühls der Beine. Die Schmerztherapie habe sie zwischenzeitlich beendet, weil sie hier keine Besserung erkennen könne. Der Rheumatologe sei am ehesten von einem Fibromyalgiesyndrom ausgegangen. Die Klägerin wirkte auf Dr. Schr. deutlich angespannt, irritabel, die Stimmungslage war eher subdepressiv. Die Untersuchung der Nerven war unverändert, Dr. Schr. stellte einen absolut stabilen Zustand fest. Er habe erneut dringend zu einer psychiatrischen Mitbehandlung geraten, weil es seit Jahren immer wieder zu Verschlimmerungen der Schmerzsymptomatik komme, wenn die Klägerin privat oder beruflich besonders belastet sei.
Auf Nachfrage des Beklagten berichtete Dr. Schr. am 14.10.2010 über die zuletzt am 08.10.2010 durchgeführte Behandlung in seiner Praxis. Die bildgebenden Befunde seien stabil. Es sei in den letzten Jahren zu einer deutlichen Verschlechterung der psycho-physischen Belastbarkeit mit chronischem generalisiertem Schmerzsyndrom gekommen.
Die Klägerin reichte einen Arztbrief der Rheumatologin Dr. R. vom 24.03.2009 zur Akte. Dort berichtete die Klägerin erneut über Schmerzen am ganzen Körper. Sie habe einen Bandscheibenvorfall in der HWS erlitten, sei müde, schlaflos und habe Missempfindungen in den Händen. Seit zwei Jahren seien die Füße morgens geschwollen. Dr. R. fand keine Hinweise auf eine rheumatologische Systemerkrankung. Sie gehe am ehesten von einer beginnenden Fingerpolyarthrose und einem chronischen Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ aus, wenn eine somatoforme Schmerzstörung von neuropsychiatrischer Seite ausgeschlossen werden könne. Eine rheumatologische Vorstellung sei nicht erneut notwendig.
In der Zeit vom 02.09.2010 bis 06.10.2010 war die Klägerin in ambulanter Rehabilitation in den Kliniken S ... Im Entlassungsberichts von Dr. Sa. vom 06.10.2010 sind als Diagnosen eine multiple Sklerose von primär schubförmigem Verlauf mit Teilremission ES 1988, ein Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung, ein chronisches muskuloskelettales Schmerzsyndrom mit diffusen, ganzkorporalen, fluktuierenden Sensibilitätsstörungen mit Missempfindungen vor allem an Beinen, Armen, linksbetont und eine leichte Hemiparese links aufgeführt. Es liege eine psycho-physische Belastungsminderung mit zunehmenden diffusen Schmerzen an verschiedenen Stellen bei Überforderung und Überlastung vor. Die Klägerin wirkte bei der Eingangsuntersuchung agitiert-depressiv. Sie habe eigentlich ständig Schmerzen am ganzen Körper, vor allem an beiden Armen und beiden Beinen. Der gesamte Körper sei in Ausdauer und Belastbarkeit eingeschränkt. Sie empfinde Gleichgewichtsstörungen beim Laufen, die Beine würden schwer, selten stürze sie auch. Bei der neurologischen Untersuchung fand sich ein dezentes Absinken in den Halteversuchen, der Muskeltonus und die Muskeltrophik wurde als seitengleich unauffällig beschrieben, die Muskeleigenreflexe waren ebenfalls seitengleich. Die verschiedenen Gang- und Standarten waren bis auf eine leichte Unsicherheit im Blindgang nicht relevant eingeschränkt. Psychisch wirke die Klägerin agitiert und angespannt, sehr detailreich in der Schilderung ihrer Beschwerden, sie leide offensichtlich. Es werde eine leichte Kränkbarkeit und ein reduziertes Selbstvertrauen, eine reduzierte Stress- und Fustrationstoleranz offensichtlich.
Der Orthopäde Dr. K. erstattete am 21.12.2010 seinen Befundbericht. Es sei aufgrund der zunehmenden Schwäche der Rücken- und Beinmuskulatur zu einer deutlichen Unsicherheit beim Laufen gekommen. Aufgrund der muskulären Schwäche seien Kompensationsmechanismen notwendig, die eine Stabilisierung bei unvorhergesehenen Belastungen kaum möglich machten. Aufgrund der Gangunsicherheit bestehe ein Zirkumdiktionsgang mit wiederkehrenden Überstrecktraumen und Meniskusschäden beider Kniegelenke. 2008 und 2009 seien deshalb Knieoperationen zur Sanierung der Meniskusschäden durchgeführt worden, danach sei die Mobilisation der Klägerin etwas erschwert gewesen. Im Übrigen sei der postoperative Verlauf reizlos und unauffällig gewesen. Bei der zuletzt durchgeführten Untersuchung am 16.08.2010 seien reizlose Knieverhältnisse festzustellen gewesen. Wegen fortbestehender Schmerzen im Bereich der Mittelfußköpfchen habe er Einlagen verordnet.
Der Beklagte befragte schließlich den Hausarzt Dr. S. schriftlich. Er teilte am 24.02.2011 mit, neben der infolge der multiplen Sklerose bestehenden körperlichen Einschränkung sei die Klägerin auch in ihrer geistigen Belastungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Der psychische Zustand sei aufgrund der Schwere der Erkrankung, der Begleitsymptomatik und den damit verbundenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz labil. Wegen Migräneattacken sei die Klägerin seit 2005 (gemeint wohl: nicht) vorstellig geworden.
Nach Anhörung seines ärztlichen Dienstes (M. Kl. vom 11.02.2011 und Dr. F. vom 08.03.2011) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.03.2011 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Als Behinderungen berücksichtigte er nunmehr "organisches Nervenleiden, chronisches Schmerzsyndrom, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschaden". Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Migräne, Depression, Arthroskopie, Meniskusschaden" bedingten keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Dagegen erhob die Klägerin am 16.03.2011 Widerspruch, den der Beklagte nach erneuter Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. Si. vom 21.05.2011) mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2011 zurückwies.
Dagegen erhob die Klägerin am 29.07.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholte.
Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. Schr. teilte unter dem 28.10.2011 mit, dass aus neurologischer Sicht im Wesentlichen ein stabiler Befund bestehe. Es bestehe eine belastungsabhängige Schwäche vor allem des linken Armes und beider Beine. Bei körperlicher Belastung komme es zu einer Zunahme der Schwäche, des generalisierten Schmerzsyndroms und zum Auftreten fluktuierender Missempfindungen sowie einer chronischen Erschöpfungssymptomatik. Die Schmerzsymptomatik habe sich verschlechtert. Da die Klägerin von einem Zusammenhang zwischen privaten bzw. beruflichen Belastungen und einer Zunahme der Schmerzen berichtet habe, habe eine Mitbehandlung durch die Psychiaterin Dr. E. stattgefunden. Seit März 2010 sei eine Verschlimmerung der Beschwerdesymptomatik und Funktionsstörung der Beine aufgetreten. Der neurologische Befund selbst sei nicht schlechter geworden, zugenommen habe aber offensichtlich die belastungsabhängige Symptomatik. Es bestehe der Verdacht auf eine Anpassungsstörung. Der rein neurologische Befund sei eher leicht ausgeprägt. Schwerer sei allerdings die Symptomatik auf psychiatrischem Fachgebiet einschließlich des chronischen Schmerzsyndroms ausgeprägt. Dr. Schr. legte Arztbriefe vom 14.10.2011, 06.07.2011, 08.06.2011, 04.03.2011 und 28.01.2011 vor.
Weiterhin fügte er einen Arztbrief der Ärztin für Psychiatrie Dr. E. vom 25.01.2011 bei. Sie beschrieb die Stimmungslage der Klägerin als depressiv, agitiert, im Affekt gespannt, erregt, auch fordernd, die Psychomotorik sei gesteigert. Schmerzen und Missempfindungen prägten das Krankheitsbild zusätzlich. Es handele sich um eine organisch bedingte depressive Störung, eine somatoforme Schmerzstörung könne sie ausschließen. Die psychische depressive Symptomatik und vor allem die Affektstörung seien Folge der multiplen Sklerose. Für eine Psychotherapie sei die Klägerin derzeit zu unruhig und agitiert. Nach Durchführung einer Medikation mit Cymbalta könne erneut darüber nachgedacht werden.
Dr. E. sagte am 05.12.2011 schriftlich als sachverständige Zeugin aus, die Klägerin sei seit 05.12.2010 bis auf weiteres bei ihr in Behandlung. Es sei im Rahmen der multiplen Sklerose zur Entwicklung einer organisch bedingten affektiven Störung mit dysphorischer Stimmungslage gekommen. Im Affekt sei die Klägerin immer wieder ratlos, ängstlich, da sie wisse, dass die multiple Sklerose fortschreiten könne. Sie habe Gefühlsstörungen in den Beinen, sei emotional nicht mehr so belastbar, im Affekt wirke sie eher agitiert, gespannt und erregt. Eine leichte Verschlechterung des psychopathologischen Befunds sei trotz medikamentöser Therapie und Verhaltenspsychotherapie eingetreten. Die psychische Störung bedinge einen GdB von 20.
Der Orthopäde Dr. B. untersuchte die Klägerin am 14.02.2011. Es bestehe ein wiederkehrendes Lumbalsyndrom und Beschwerden in den Knien. In der radiologischen Untersuchung durch Dr. H. am 01.03.2011 (Arztbrief vom 03.03.2011) fand sich eine Arthrose im Bereich L3/4, etwas geringer auch bei L4/5 und L5/S1.
Dr. B. beantwortete die Anfrage des SG am 06.01.2012 dahingehend, dass er die Klägerin seit 04.03.2011 nicht mehr gesehen habe. Er habe wiederkehrende Lumbalsyndrome behandelt, neurologische Ausfälle habe er nicht feststellen können, der Reflexstatus sei seitengleich gewesen. Am linken Knie bestehe eine initiale Gonarthrose bei noch freier Beweglichkeit (0-0-130). Außerdem bestehe eine mäßige Einschränkung der Rotationsfähigkeit der HWS. Die bisherige GdB-Einstufung halte er für korrekt.
Dr. S. teilte am 30.11.2011 mit, er habe in letzter Zeit im Wesentlichen Überweisungen an Fachärzte und Rezepte ausgestellt. Er halte für die multiple Sklerose einen GdB von 40 für angemessen, der Bandscheibenschaden bedinge einen GdB von 10.
Der Beklagte bot einen Vergleich dahingehend an, dass ab 06.09.2010 ein GdB von 40 festgestellt werde. Dieses Angebot nahm die Klägerin nicht an.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.04.2012 verurteilte das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab 06.09.2010. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Folgen der multiplen Sklerose seien mit einem GdB ausreichend bewertet. Es bestünden leichte Residuen in Form von Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, belastungsabhängiger Schwäche und Ausdauerminderung im linken Arm sowie ein generalisiertes Schmerzsyndrom. Neu hinzugetreten sei eine depressive Störung mit Erschöpfungssymptomatik und Belastbarkeitsminderung, die mit als leichtere psychovegetative Störung mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet sei. Die Beschwerden im Rücken bedingten keinen höheren als den bereits festgestellten GdB von 10. Insgesamt sei der GdB mit 40 zutreffend bewertet.
Gegen den ihr am 05.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18.04.2012 Berufung eingelegt, zur deren Begründung sie ihren Vortrag aus Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt hat. Sie leide unter dauernden starken Schmerzen, die bisher nicht berücksichtigt worden seien. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie auf den vorgelegten Arztbrief von Dr. Schr. vom 11.09.2012 verwiesen und ergänzend angegeben, sie unterziehe sich jetzt einer alle 3 Wochen stattfindenden Gesprächstherapie bei Fr. Schm ...
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.04.2012 abzuändern sowie den Bescheid vom 11.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 ab 06.09.2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide, schließt sich dem Gerichtsbescheid des SG an und verweist auf eine im Laufe des Klageverfahrens vorgelegte Stellungnahme von Dr. W. vom 15.02.2012.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und die Akten des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 02.04.2012 Bezug.
Auch aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ergibt sich keine andere Beurteilung.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren im Wesentlichen starke Schmerzen in den Extremitäten und dem Rumpf vorgetragen. Diese Schmerzen sind bereits in dem GdB von 30 für die multiple Sklerose und 20 für die psychische Beeinträchtigung enthalten. Die rein neurologische Beeinträchtigung in Folge der multiplen Sklerose ist nach den Befunden von Dr. Schr. leicht ausgeprägt und zeigt sich allenfalls an einer leichten Absinktendenz in Halteversuchen der Arme und Beine. Neurologische Ausfälle sind nicht zu verzeichnen. Es besteht lediglich eine gering ausgeprägte Gangunsicherheit mit Kompensationsmechanismen in den Beinen. Ein hiervon abweichender Befund ergibt sich auch nicht aus dem zuletzt vorgelegten Arztbrief von Dr. Schr. vom 11.09.2012, in dem vielmehr ein klinisch wesentlich stabiler Untersuchungsbefund und unveränderter Befund bei bildgebenden Kontrollen bestätigt wird. Allein diese körperlich messbaren Beschwerden bedingen einen GdB von 10 nach Nr. 3.10 Teil B VG. Zu berücksichtigen war aber als Folge der multiplen Sklerose eine Einschränkung der Belastbarkeit von Armen und Beinen auf körperliche Belastungen und vor allem die in Folge der MS auftretenden Schmerzen in Armen, Beinen und im Rumpf. Diese bedingen in Anwendung von Nr. 3.10 Teil B VG und in Anlehnung an Nr. 3.7 Teil B VG den festgestellten GdB von 30 für die multiple Sklerose.
Weder aus dem vorgelegten Arztbrief vom 11.09.2012 noch aus dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist eine wesentliche Zustandsänderung ersichtlich geworden, die eine andere GdB-Bewertung für die mit einem GdB 20 erfasste depressive Störung erlaubt. Sofern die Klägerin nunmehr begehrt für die Schmerzen einen eigenen GdB festzustellen, widerspricht das den Feststellungen von Dr. E. , die die auftretenden Schmerzen als Folge der multiplen Sklerose einordnet.
Die von der Klägerin zum wiederholten Mal geltend gemachte Migräne und Kopfschmerzen konnten nicht nachgewiesen werden. Die Klägerin hat nichts vorgetragen, das darauf schließen ließe, dass hier eine Behinderung vorliegt, die einen eigenen GdB von wenigstens 10 bedingt.
Die von Dr. B. beschriebenen Beschwerden in den Knien bedingen keinen eigenen GdB. Er hat weder eine Instabilität des Kniegelenks dargestellt noch dauernde Reizerscheinungen. Die Beweglichkeit des Kniegelenks ist auch nicht eingeschränkt.
Die Gesamt-GdB-Bildung hat das SG zutreffend durchgeführt.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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