L 3 AL 2219/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 1813/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2219/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. April 2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Feststellung einer Sperrzeit.

Der Kläger war seit dem 09.08.1994 als Mitarbeiter in Vollzeit bei der B. GmbH & Co. KG Süd (im Folgenden: Arbeitgeberin) zunächst 30 und zuletzt 37,5 Stunden je Woche beschäftigt. Der Grundlohn betrug brutto EUR 1.828,29 monatlich. Unter dem 19.01.2010 schloss er mit der Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag, mit dem das Arbeitsverhältnis "in gegenseitigem Einvernehmen" zum 31.01.2010 beendet und der Kläger mit sofortiger Wirkung freigestellt wurde.

Am 23.01.2010 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.02.2012 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Die Arbeitgeberin teilte in der Arbeitsbescheinigung vom 29.01.2010 mit, vertragswidriges Verhalten des Klägers sei Anlass für die Arbeitgeberkündigung gewesen, die maßgebende Kündigungsfrist habe fünf Monate zum Monatsende betragen. Hierzu angehört, teilte der Kläger mit, er habe den Aufhebungsvertrag "wegen Personaleinkauf" geschlossen, die Arbeitgeberin habe ihn unter Druck gesetzt.

Mit Bescheid vom 08.02.2010 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 01.02. bis 25.04.2010 fest. Der Kläger habe sein Arbeitsverhältnis selbst gelöst, einen wichtigen Grund habe er nicht angegeben. Dem Bescheid war eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung beigefügt. Mit weiterem Bescheid vom 08.02.2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit nach Ablauf der Sperrzeit, ab dem 26.04.2010, Alg mit einem täglichen Leistungssatz von EUR 26,59.

Der Kläger erhob Klage vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe gegen die Arbeitgeberin, die am 12.02.22010 anhängig wurde, und begehrte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehe (4 Ca 59/10). Ihm sei ein arbeitsvertragswidriges Verhalten vorgeworfen worden. Ihm sei angedroht worden, er werde fristlos gekündigt, bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und müsse das Weihnachtsgeld zurückzahlen, wenn er den vorgefertigten Aufhebungsvertrag nicht sofort unterschreibe. Am 19.02.2010 teilte der Kläger dem Arbeitsgericht mit, er und die Arbeitgeberin hätten sich außergerichtlich dahin verglichen, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2010 "aus betrieblichen Gründen" einvernehmlich ende und der Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von EUR 500,00 brutto erhalte. Diesen Vergleich stellte sodann das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 03.03.2010 fest.

Nach Erhalt dieses Vergleichs änderte die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.2010 die Bewilligung vom 08.02.2010 dahin ab, dass der Anspruch auf Alg am 01. und 02.02.2010 auch - neben der fortbestehenden Sperrzeit - wegen Erhalts einer Entlassungsentschädigung geruht habe.

Am 18.03.2010 legte der Kläger "gegen den Bescheid vom 11.03.2010" Widerspruch ein. Darin begehrte er die Aufhebung der Sperrzeit. Das Arbeitsverhältnis habe aus betriebsbedingten Grün¬den auf Veranlassung des Arbeitgebers geendet.

Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, die Sperrzeit sei bereits mit dem Bescheid vom 08.02.2010 festgestellt worden und der Widerspruch daher verfristet, nahm der Kläger den Widerspruch zurück und beantragte am 01.04.2010 die Überprüfung des Sperrzeitbescheids. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom selben Tage ab. Der Sperrzeitbescheid sei nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen, da er zu Recht ergangen sei. Das Arbeitsverhältnis habe in gegenseitigem Einvernehmen geendet, dies sei durch den Vergleich nur nochmals bestätigt worden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2010 zurück.

Ab dem 01.07.2010 war der Kläger wieder versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 29.04.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er habe sich die Vorwürfe seiner Arbeitgeberin nicht erklären können. Er habe keine reifliche Zeit zur Überlegung vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags gehabt. Der Aufhebungsvertrag sei nicht nur wegen erfolgter Anfechtung und Sittenwidrigkeit nichtig, sondern auch wegen erfolgten Widerrufs nach § 23 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Baden-Württemberg (EH-MTV BW). Die ihm damals vorgeworfenen Pflichtverletzungen hätten nicht in seinem Verantwortungsbereich gelegen. Der später geschlossene Vergleich habe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf eine neue Grundlage gestellt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Einvernehmlichkeit des Aufhebungsvertrags sei durch den Vergleich nicht beseitigt worden. Dass der Kläger trotz 15-jähriger Betriebszugehörigkeit nur eine Abfindung von EUR 500,00 erhalten habe, spreche nicht dafür, dass das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage große Erfolgsaussichten eingeräumt habe.

Mit Urteil vom 28.04.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sowohl mit dem Aufhebungsvertrag als auch mit dem arbeitsgerichtlichen Vergleich aktiv an der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mitgewirkt. Eine fünf Monate vor Erschöpfung der Kündigungsfrist herbeigeführte Arbeitslosigkeit mit vernachlässigenswerter Abfindung sei als Versuch der Gesetzesumgehung einzustufen. Sollte das Arbeitsverhältnis tatsächlich betriebsbedingt geendet haben, sei es nicht zu tolerieren, dass sich der Kläger auf ein sofortiges Ende der Beschäftigung zum 31.01.2010 eingelassen haben. Sollte er sich tatsächlich arbeitsvertragswidrig verhalten und dadurch die Voraussetzungen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung erfüllt haben, sei die Sperrzeit ohnehin zu Recht festgestellt worden.

Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 18.05.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 31.05.2011 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt ergänzend vor, er habe einen wichtigen Grund für den Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs gehabt. Durch die Vorgänge am 19.01.2010 sei sein Vertrauen zu seiner Arbeitgeberin erschüttert gewesen, sodass vielmehr er das Arbeitsverhältnis hätte außerordentlich kündigen können. Auch für den Aufhebungsvertrag selbst habe ein wichtiger Grund bestanden, denn es sei bei der gegebenen Drucksituation nicht zumutbar gewesen, eine Arbeitgeberkündigung abzuwarten. Ein Prozessvergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie er ihn geschlossen habe, könne nach den Fachlichen Hinweisen der Beklagten keine Sperrzeit auslösen.

Der Kläger beantragt bei sachgerechter Auslegung seines Vorbringens,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. April 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2010 zu verpflichten, den Sperrzeitbescheid vom 08. Februar 2010 ganz und den Bewilligungsbescheid vom 08. Februar 2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. März 2010 teilweise zurückzunehmen und sie zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Februar 2010 bis zum 25. April 2010 Arbeitslosengeld nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und ihre Entscheidungen.

Der Berichterstatter des Senats hat den EH-MTV BW beigezogen. Nach dessen § 23 Satz 2 ist dem Arbeitnehmer nach Vorlage eines Aufhebungsvertrags auf seinen Wunsch hin eine Be-denk¬zeit von einem Tag einzuräumen, wobei der Tag der Aushändigung nicht mitzähle.

Der Berichterstatter hat den Kläger persönlich angehört. Dieser hat angegeben, es sei bei seiner früheren Arbeitgeberin seit langem üblich, dass die Mitarbeiter die ihnen zustehenden Mitarbeiterrabatte von 10 % bei Personaleinkäufen an Dritte weitergäben. Wie üblich sei er mit einem Bekannten zur Kasse gegangen und habe seine Mitarbeiterkarte vorgelegt, der Bekannte habe sodann eine Stichsäge mit Mitarbeiterrabatt gekauft. Nachdem die Stichsäge defekt gewesen sei, habe der Bekannte direkt und allein reklamiert, ohne vorher zu ihm - dem Kläger - zu kommen. Daraufhin sei das Gespräch vom 19.01.2010 anberaumt worden. Dort hätten zwei Mitarbeiter der Arbeitgeberin, darunter der Zeuge O., die schriftsätzlich vorgetragenen Drohungen ausgesprochen und den vorgefertigten Aufhebungsvertrag vorgelegt. Sie hätten eine Liste mit allen seinen - des Klägers - Mitarbeitereinkäufen der letzten 16 Jahre dabei gehabt. Wegen der weiteren Angaben des Klägers wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 21.11.2011 verwiesen.

Auf Anfrage des Senats hat die Arbeitgeberin unter dem 14.03.2012 schriftlich mitgeteilt, der Mitarbeitereinkauf bei ihr laufe über Personalkaufkarten. Deren Benutzung sei in Managementrichtlinien und Nutzungsrichtlinien geregelt, die die Mitarbeiter bei Aushändigung der Karten unterschrieben. Die Arbeitgeberin sei nicht tarifgebunden. Eine Regelung über den Personaleinkauf hat die Arbeitgeberin beigefügt.

Der Berichterstatter des Senats hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen O ... Dieser hat bekundet, er sei als Geschäftsleiter der Karlsruher Niederlassung der Arbeitgeberin an dem Gespräch beteiligt gewesen und habe den Aufhebungsvertrag für die Arbeitgeberin unterschrieben. Der Vertrag sei wegen vieler Kleinigkeiten zu Stande gekommen. Der Kläger sei zu spät oder alkoholisiert zur Arbeit erschienen oder Tage lang abwesend gewesen. Er - der Zeuge - habe sich daraufhin an die Rechtsabteilung der Arbeitgeberin gewandt, die den Aufhebungsvertrag vorformuliert und übersandt habe. Bei dem Gespräch seien dem Kläger die Verfehlungen vorgehalten worden. Auf Nachfrage zu dem Stichwort Personaleinkauf hat der Zeuge angegeben, auch dies sei eine der vorgehaltenen Verfehlungen gewesen. Die Mitarbeiter hätten für ihre Einkäufe bestimmte Jahresfreibeträge gehabt. Der Kläger habe Personaleinkäufe über hochwertige Maschinen getätigt. Dies habe ihn - den Zeugen - stutzig gemacht, da der Kläger eher finanzielle Probleme gehabt habe. Der Kläger habe dann in einem, womöglich weiteren Gespräch gesagt, er habe diese Maschinen für Freunde und Bekannte gekauft, die Rabatte an diese weitergegeben und dann anscheinend Nahrungsmittel oder Geld erhalten. Es sei tatsächlich eine mit Rabatt verkaufte defekte Maschine von einem Kunden, der kein Mitarbeiter gewesen sei, zurückgegeben worden. Eine Weitergabe an Dritte sei bei der Arbeitgeberin unzulässig gewesen. Die Richtlinien hätten eine Weitergabe nur an Verwandte ersten Grades und Lebensgefährten zugelassen. Auf die Einhaltung der Regeln sei durchaus geachtet worden. Es sei jedoch vorstellbar, dass richtlinienwidrige Weitergaben auch bei anderen Mitarbeitern vorgekommen seien. Es sei auch denkbar, dass der Vorfall mit der zurückgegebenen Maschine zum Anlass für den Aufhebungsvertrag genommen worden sei, eventuell im Hinblick auf die anderen Vorwürfe. Befragt zur konkreten Gesprächssituation hat der Zeuge bekundet, der Kläger sei sehr aufgewühlt und aufgeregt gewesen, man habe ihn beruhigen wollen, er habe in gewisser Weise Drohungen gegen ihn - den Zeugen - und den anderen Gesprächsteilnehmer ausgesprochen. Drohungen von Seiten der Arbeitgeberin habe es nicht gegeben. Weder seien eine Strafanzeige noch ein Entzug des Weihnachtsgeldes angesprochen worden. Eine fristlose Kündigung sei nicht angedroht worden. In Fällen wie diesen würden nicht abgeschlossene Aufhebungsverträge an die Rechtsabteilung zurückgegeben und von dort aus ggfs. weitere Entscheidungen getroffen. Wegen der weiteren Aussagen des Zeugen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 25.05.2012 verwiesen.

Der Senat hat die Akte des Arbeitsgerichts Karlsruhe beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Die Beklagte hat unter dem 06.08.2012, der Kläger mit Schriftsatz vom 03.08.2012 auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen beider Beteiligter ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungspflichtig. Zwar ist auch ein Bescheid über die Feststellung einer Sperrzeit ein Leistungsbescheid im Sinne dieser Vorschrift, weil er den Anspruch auf Alg betrifft. Jedoch ist der Kläger um mehr als EUR 750,00 beschwert, nachdem sein Anspruch auf Alg bei einem täglichen Leistungssatz von EUR 26,59 in der zwölfwöchigen Sperrzeit EUR 2.233,56 betragen hätte.

Die Klage betrifft in zweiter Linie - in erster richtet sie sich gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid und den Widerspruchsbescheid vom 20.04.2010 - nicht nur der Sperrzeitbescheid vom 08.02.2010, sondern auch der Bewilligungsbescheid vom gleichen Tage in Form des Änderungsbescheids vom 11.03.2010. Der Kläger hat den Sperrzeit in erster Linie deswegen angegriffen, um auch für die ersten zwölf Wochen seiner Arbeitslosigkeit Alg zu erhalten. In solchen Fällen bilden der Sperrzeitbescheid und der insoweit ablehnende Bewilligungsbescheid eine untrennbare Einheit (vgl. auch BSG, Urt. v. 02.05.2012, B 11 AL 6/11 R, Juris Rn. 12). Bei einer unmittelbaren Anfechtung des Sperrzeitbescheids ist dann - ausschließlich - eine Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (Karmanski, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 144 Rn. 181). In einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGB X wie hier, kann der Kläger entsprechend - nur - eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage erheben. Der Antrag des Klägers war daher so zu fassen wie im Tatbestand geschehen.

Die Berufung ist aber auch mit dieser Maßgabe nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den - bestandskräftigen - Sperrzeitbescheid vom 08.02.2010 und die Bewilligungsbescheide zurückzunehmen und im Nachgang Alg zu gewähren.

Grundlage des klägerischen Begehrens ist § 44 Abs. 1 SGB X. Diese Norm begründet - im Gegensatz zu § 44 Abs. 2 SGB X - einen gebundenen, nicht ermessensabhängigen Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, wenn wegen dieses Verwaltungsakts Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Norm erfasst auch Verwaltungsakte, die nur mittelbar für die Versagung einer Sozialleistung ursächlich waren (Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 44 Rn. 13). Hierzu gehört auch der angegriffene Sperrzeit, denn auf seiner Grundlage konnte die Beklagte mit dem weiteren Bescheid vom 08.02.2010 den Anspruch des Klägers auf Alg für zwölf Wochen ablehnen, weil dieser ruhte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F., gleichermaßen § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit dem 01.04.2012 geltenden, hier noch nicht einschlägigen Fassung [n.F.]).

Ein Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X setzt voraus, dass der Leistungsträger bei Erlass des angegriffenen Bescheids von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist oder das Recht unrichtig angewandt hat. Die materielle Beweislast für diese Voraussetzungen bei einer Unaufklärbarkeit der zu Grunde liegenden Tatsachen trifft den Anspruchsteller, auch wenn die Beweislast nach den angewandten Rechtsnormen ursprünglich anders verteilt war (vgl. Schütze, a.a.O., Rn. 12 a.E.).

Die Beklagte hat jedoch bei Erlass des Sperrzeitbescheids vom 08.02.2010 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Zwar hat die Beklagte in dem Sperrzeitbescheid selbst nur auf den Aufhebungsvertrag des Klägers mit der Arbeitgeberin vom 19.01.2010 abgehoben. Den arbeitsgerichtlichen Vergleich, festgestellt durch Beschluss vom 03.03.2010, konnte sie dagegen noch nicht berücksichtigen, nachdem er erst nach Erlass des Bescheids geschlossen wurde. Dies schadet jedoch nicht. Entscheidungen der Arbeitsgerichte und auch arbeitsgerichtliche Vergleiche binden die Beklagte und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht (Karmanski, a.a.O., Rn. 55). Die Bundesagentur für Arbeit ist an solchen Vergleichen nicht beteiligt, daher kann ihr ein Versicherter nicht entgegenhalten, durch einen solchen Vergleich habe er sich mit dem Arbeitgeber über bestimmte Grundlagen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt, wenn diese tatsächlich gar nicht vorgelegen hatten (Karmanski, a.a.O.). Bei der Beurteilung des Sperrzeittatbestandes ist immer auf die ursprünglichen Vorgänge abzustellen, sei es eine arbeitgeberseitige Kündigung, sei es ein später zivilrechtlich angefochtener Aufhebungsvertrag. Diese Rechtslage ist gemeint, wenn die Beklagte in ihren fachlichen Hinweisen ausführt, dass ein arbeitsgerichtlicher Vergleich - allein - keine Sperrzeit auslösen kann. Nur wenn mit dem Vergleich - erstmals - die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden ist, dann ist auf diesen Vergleich abzustellen und es tritt auch insoweit eine Sperrzeit ein, wenn es für den Abschluss des Vergleichs keinen wichtigen Grund gab (Karmanski, a.a.O., Rn. 31). Unabhängig davon ist die Beklagte in dem hier streitigen Überprüfungsverfahren in ihrem Bescheid vom 01.04.2010 und vor allem in dem Widerspruchsbescheid vom 20.04.2010 auch auf die Auswirkungen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs eingegangen und hat eine Rücknahme des Sperrzeitbescheids auch unter diesem Blickwinkel geprüft und abgelehnt.

Der Kläger hat sich im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. versicherungswidrig verhalten, denn er hat im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 SGB III a.F. sein Beschäftigungsverhältnis bei der Arbeitgeberin durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags selbst gelöst. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags ist immer eine solche Lösung (Karmanski, a.a.O., Rn. 30). Dies gilt sogar dann, wenn der Vertrag zivilrechtlich unwirksam ist, zumindest dann, wenn die Unwirksamkeit aus formellen Gesichtspunkten wie einem Verstoß gegen das Schriftformerfordernis folgt (Karmanski, a.a.O.). Bei einer materiellen Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags und einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses kann dagegen die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 SGB III a.F. zu verneinen sein. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Eine Nichtigkeit nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Verstoßes gegen § 23 EH-MTV BW liegt nicht vor, unabhängig davon, dass dieser Tarifvertrag hier gar nicht anwendbar war, da die Arbeitgeberin nicht tarifgebunden war. Zwar hatte die Arbeitgeberin dem Kläger bei Aushändigung des vorgefertigten Aufhebungsvertrags keine eintägige Bedenkfrist eingeräumt. Jedoch hat der Kläger auch nicht vorgetragen, um eine solche Frist gebeten zu haben, was aber nach der genannten tarifvertraglichen Norm vorausgesetzt ist. Und auch nach § 142 Abs. 1 BGB ist der Aufhebungsvertrag nicht unwirksam (geworden). Zwar hat ihn der Kläger mit der arbeitsgerichtlichen Klage innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB angefochten. Es lag jedoch kein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB vor. Insbesondere hatte die Arbeitgeberin den Kläger nicht durch widerrechtliche Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags genötigt. Hierbei kann offen bleiben, ob im konkreten Fall die Drohung mit einer Strafanzeige und einer fristlosen Kündigung überhaupt widerrechtlich gewesen wäre, dies hängt unter anderem davon ab, ob die dem Kläger vorgeworfenen Mitarbeitereinkäufe tatsächlich ein arbeitsvertragswidriges Verhalten und ggfs. - möglicherweise - strafbares Verhalten dargestellt hatten. Aber die Beweisaufnahme hat den Vortrag des Klägers, er sei in dieser Weise bedroht worden, nicht bestätigt. Der Zeuge O., der das Gespräch am 19.01.2010 für die Arbeitgeberin geführt hatte, hat eine solche Drohung bestritten. Seiner Aussage kann gefolgt werden. Er hat in anderem Rahmen durchaus Günstiges für den Kläger ausgesagt, nämlich eingeräumt, dass Mitarbeitereinkäufe zu Gunsten Dritter doch vorgekommen sein mögen und dass möglicherweise auch andere Erwägungen dem vorgeschlagenen Aufhebungsvertrag zu Grunde lagen. Aber eine Drohung hat er vehement bestritten. Dies erscheint glaubhaft, nachdem er selbst eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch gar nicht in Aussicht stellen konnte, denn er hätte zunächst, wäre der Aufhebungsvertrag nicht zu Stande gekommen, erst Rücksprache mit der Rechtsabteilung halten müssen, die auch den Aufhebungsvertrag vorgefertigt hatte.

Der Kläger hat durch sein Verhalten auch grob fahrlässig im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F. seine Arbeitslosigkeit zum 01.02.2010 verursacht, denn er hatte keine nahtlose Anschlussbeschäftigung in Aussicht, als er den Aufhebungsvertrag schloss.

Der Kläger hatte auch keinen wichtigen Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. für den Abschluss des Aufhebungsvertrags. Ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann unter Umständen vorliegen, wenn der Versicherte eine wirksame ordentliche Kündigung, die ihm aber Nachteile brächte, vermeiden möchte (Karmanski, a.a.O., Rn. 130) oder in dieser Situation Vorteile erfährt, etwa die Gewährung einer Abfindung, die aber die Grenzen des § 1a Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht übersteigt (BSG, a.a.O., Rn. 16). Dies betrifft jedoch nur angedrohte ordentliche Kündigungen. Droht ein Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung an, kann ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorliegen, weil eine Kündigung eher mit Makeln behaftet ist und daher Nachteile für das berufliche Fortkommen bedingen kann (Karmanski, a.a.O., Rn. 131). In diesen Fällen ist aber die Rechtmäßigkeit der angedrohten Kündigung zu prüfen. Nur, wenn sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigung nicht wehren könnte, kann ein wichtiger Grund für einen Aufhebungsvertrag vorliegen, z. B. das Interesse am Erhalt einer Abfindung (Karmanski, a.a.O.). Selbst wenn diese Voraussetzung vorliegt, besteht ein wichtiger Grund jedoch nur dann, wenn kein arbeitsvertragswidriges Verhalten der Grund für die angedrohte Kündigung ist, denn in diesem Falle würde auch im Falle einer Arbeitgeberkündigung eine Sperrzeit ausgelöst (Karmanski, a.a.O., Rn. 128). Auf diese Voraussetzungen kann sich der Kläger nicht berufen, ihm stand kein wichtiger Grund für die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zur Seite. Wie ausgeführt, geht der Senat davon aus, dass in dem Gespräch am 19.01.2010 keine (außerordentliche) Kündigung angedroht worden ist, die der Kläger mit dem Aufhebungsvertrag vermeiden wollte. Und selbst wenn eine solche Drohung ausgesprochen worden wäre, hätte kein wichtiger Grund bestanden. Wenn die fragliche Kündigung unwirksam gewesen wäre, etwa weil der vorgeworfene Mitarbeitereinkauf keine schwere Verletzung des Arbeitsvertrags dargestellt hätte, dann hätte sich der Kläger gegen sie wehren können. Wäre sie dagegen wirksam gewesen, dann hätte dies auf einem eigenen Verhalten des Klägers beruht, womöglich auch auf den anderen, vom Zeugen O. genannten Vertragsverstößen des Klägers, das schon für sich selbst zu einer Sperrzeit geführt hätte. Ein Interesse des Klägers an einer Abfindung konnte in der gegebenen Situation keinen wichtigen Grund bilden, denn eine Abfindung war in dem Aufhebungsvertrag nicht vereinbart worden. Erst in dem späteren arbeitsgerichtlichen Vergleich war eine Abfindung enthalten, dieser Vergleich räumte jedoch nicht Ungewissheiten über die Wirksamkeit einer (außerordentlichen) Kündigung aus, sondern Ungewissheiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags.

Gegen die Lage und die Dauer der Sperrzeit sind Einwände nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich (§ 144 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III a.F.).

Wegen der Rechtmäßigkeit des Sperrzeitbescheids ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, den Bewilligungsbescheid (teilweise) zurückzunehmen und für die Dauer der Sperrzeit Alg zu gewähren. Da der Anspruch des Klägers auf Alg wegen der Sperrzeit ab dem 01.02.2010 ruhte, ist nicht relevant, ob er zumindest bis zum 03.02.2010 auch wegen der im arbeitsgerichtlichen Verfahren erstrittenen Entlassungsentschädigung ruhte.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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