L 3 U 5057/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 239/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5057/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Bescheid vom 27.12.2005 zurückzunehmen und festzustellen, dass die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) darstellt.

Der am 09.01.1966 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1984 bis 31.08.1986 eine Ausbildung als LKW-Mechaniker bei der Firma M. Freiburg. Vom 01.09.1986 bis 15.10.1988 war er als LKW-Mechaniker bei der M. in Weil am Rhein in der Werkstatt beschäftigt. Vom 18.10.1988 bis 12.04.2004 war er im elterlichen Betrieb bei der Firma F. Transporte GmbH als LKW-Mechaniker in der Werkstatt, im Lager, als Staplerfahrer und als Ersatzfahrer eines LKW tätig. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch den Wehrdienst vom 02.01.1990 bis 09.08.1990.

Wegen einer Lumboischialgie S1 rechts war der Kläger vom 27.08.2001 bis 01.12.2001 arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit bezog er erneut Krankengeld vom 27.01.2003 bis 14.04.2003, sodann während einer Rehabilitationsmaßnahme vom 15.04.2003 bis 13.05.2003 Übergangsgeld und vom 14.05.2003 bis 14.09.2003 erneut Krankengeld. Vom 19.04.2004 bis 05.12.2004 absolvierte der Kläger eine Umschulungsmaßnahme zum Bürokaufmann, die er aus gesundheitlichen Gründen abbrach. Daran anschließend bezog er vom 06.12.2004 bis 07.04.2005 erneut Krankengeld. Am 31.03.2005 wurde eine Spondylodese L5/S1 durchgeführt.

Am 05.07.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung einer Berufskrankheit wegen seines Bandscheibenleidens. Nach Beiziehung von Befundberichten und Röntgenbildern bei den behandelnden Ärzten des Klägers holte die Beklagte bei dem Chirurgen Dr. B. eine beratungsärztliche Stellungnahme ein. In der Stellungnahme vom 17.11.2005 führte dieser aus, die Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule in zwei Ebenen vom 18.05.2005 und vom 25.07.2005 zeigten eine großbogige linkskonvexe Seitausbiegung ohne Verschiebung von Wirbeln untereinander, ohne Deckplatteneinbrüche und ohne spondylotische Kantenveränderungen. Die Zwischenwirbelräume kämen sämtlich ohne Höhenminderung zur Darstellung. Die präoperative MRT-Aufnahme vom 28.04.2004 zeige einen monosegmentalen degenerativen Bandscheibenschaden mit Protrusion L5/S1. Es sei von einer schicksalhaften Bandscheibenerkrankung an typischer Stelle aus körpereigener Ursache auszugehen. Bei Fehlen belastungsadaptiver degenerativer Veränderungen im Bereich der übrigen LWS und Fehlhaltung sei ein belastungskonformes Schadensbild nicht erkennbar. Eine berufsbedingte Verursachung sei nicht wahrscheinlich. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.12.2005 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach den Nummern 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) und 2110 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen) ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 24.01.2008 stellte der Kläger den Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 27.12.2005 mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Weiter vorgelegt wurde der Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 29.09.2006, mit welchem dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Vergleichs vom 27.07.2006 für die Zeit vom 01.08.2006 bis 31.03.2007 bewilligt wurde.

Die Beklagte zog die Entlassungsberichte über stationäre Rehabilitationsverfahren vom 08.04. bis 29.04.2005 und 12.04. bis 17.05.2006 bei. Weiter wurden die im Rentenverfahren erstatteten Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 18.10.2005, des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 24.10.2005 und des Internisten Dr. M. vom 19.12.2005 beigezogen. Auf den Inhalt der Gutachten wird insoweit Bezug genommen. In der ärztlichen Stellungnahme vom 25.02.2008 gab der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin W. H. an, der Kläger, der seit 1981 in seiner hausärztlichen Behandlung stehe, habe ihn erstmals im Jahr 2001 wegen Wirbelsäulenbeschwerden in Form massivster Symptomatik im Bereich der LWS mit Ausstrahlung in das linke Bein aufgesucht. Zum Zeitpunkt des ersten Auftretens sei eine Ursache für die Beschwerden nicht festgestellt worden. Seitdem sei der Kläger in vielfältiger fachorthopädischer, neurologischer, psychiatrischer und psychosomatischer Behandlung und in diversen Kurkliniken behandelt worden. Es bestehe seither Arbeitsunfähigkeit, durch Fixierung des Beschwerdebildes sei eine Verschlechterung eingetreten.

Mit Bescheid vom 04.04.2008 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.04.2008 Widerspruch mit der Begründung, die Erkrankung könne in die Fallgruppe B 2 der Konsensempfehlungen - Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule - eingeordnet werden.

Die Beklage veranlasste daraufhin eine Untersuchung der Belastungen an den Arbeitsplätzen durch den Technischen Aufsichtsdienst (TAD). In der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 20.11.2008 führte Dipl.-Ing. E., u.a. gestützt auf die Angaben des Klägers vom 04.11.2008 zu den beruflichen Belastungen, aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer gefährdenden Belastung im Sinne der BK Nr. 2110 seien nicht gegeben, jedoch die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer gefährdenden Belastung im Sinne der BK Nr. 2108. Eine Belastungsdosis nach dem modifizierten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) habe mit 13,1 MNh ausgewiesen werden können. Die gefährdende Belastung habe 14,3 Jahre im Zeitraum vom 18.10.1988 bis 12.04.2004 bestanden. Auf die entsprechenden Berechnungen (Blatt 262 bis 318) der Verwaltungsakten wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat sodann Dr. M. mit der Erstattung eine fachorthopädischen Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 09.07.2009 hat dieser ausgeführt, im März 2005 sei wegen einer Bandscheibenprotrusion eine Ausräumung der Bandscheibe L5/S1 im St. Josefs-Krankenhaus Freiburg mit anschließender Spondylodese L5/S1 durchgeführt worden. Der Kläger beziehe Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 01.08.2006. Es bestehe ein chronisches Lumboischialgiesyndrom nach operativer Spondylodese L5/S1 wegen einer Bandscheibenprotrusion, derzeit ohne Hinweis auf Nervenwurzelreiz. An der übrigen Wirbelsäule und den gesamten Bewegungsorganen bestünden keine weiteren Erkrankungen. Gemäß TAD-Berechnungen sei der Kläger von 1988 bis 2004 einer Belastung von 13,1 MNh ausgesetzt gewesen, umgerechnet auf die Jahre 1988 bis 2001 ergebe sich ein Wert von nur 10,6 MNh. Die beruflichen Einwirkungen seien nicht wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung. Gegen das Vorliegen der Voraussetzungen der Konstellation B2 spreche, dass diese eine mindestens zweitgradige Osteochondrose L4/5 oder L5/S1 bzw. kernspintomographisch einen Prolaps fordere. Es liege jedoch kein Prolaps, sondern nur eine Protrusion vor. Auch sei das Zusatzkriterium einer sog. Black Disc in mindestens zwei angrenzenden Segmenten nicht erfüllt. Alle übrigen Bandscheiben außer L5/S1 zeigten ein normales Signalverhalten, hätten somit einen normalen Wassergehalt und seien von degenerativen Veränderungen nicht betroffen. Auch seien keine Hinweise für eine Begleitspondylose erkennbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2009, auf den Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die hiergegen am 12.01.2010 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage, die nicht weiter begründet worden ist, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 14.10.2011 unter Bezugnahme auf das von Dr. M. erstattete Gutachten abgewiesen.

Gegen den am 21.10.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.11.2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, bei ihm habe nicht nur eine Bandscheibenprotrusion, sondern auch ein Bandscheibenvorfall vorgelegen, wie sich dem Bericht von Dr. K. vom 29.10.2004 entnehmen lasse. Die Erkrankung sei unter die Konstellation B 2 einzuordnen. Insbesondere sei das Zusatzkriterium B 2.2., nämlich "besonders intensive Belastungen durch das Erreichen der Mindestbelastungsdosis", erfüllt. Zudem habe eine berufliche Belastung von 1983 bis 2004 und nicht wie von Dr. M. angegeben lediglich von 1988 bis 2001 bestanden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2009 zu verurteilen, den Bescheid vom 27. Dezember 2005 zurückzunehmen und festzustellen, dass seine Wirbelsäulenerkrankung Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

In der Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 18.02.2010 hatte Dipl.-Ing. E. ausgeführt, besonders intensive Belastungen im Sinne der BK Nr. 2108 hätten nicht vorgelegen, da der Richtwert der Lebensbelastungsdosis von 25 MNh nicht in weniger als zehn Jahren erreicht worden sei und die Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes von 5500 Nh nicht durch hohe Belastungsspitzen (Bandscheibendruckkraft ab 6000 N) erreicht worden sei.

Nachdem der Kläger hierzu vorgetragen hatte, nach den Vorgaben des BSG sei schon bei Erreichen der Hälfte des Wertes von 25 MNh in weniger als 10 Jahren davon auszugehen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule bestehe, auch sei er während seiner Tätigkeit bei der Firma F. Transporte Bandscheibendruckkräften bis 7,1 kN ausgesetzt gewesen, hat die Beklagte eine erneute Stellungnahme von Dipl. Ing. E. vom 25.04.2012 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Nachdem der Kläger daraufhin vorgetragen hat, die von ihm während seiner beruflichen Tätigkeit zu tragenden Teile seien wesentlich schwerer als die bei der Berechnung zugrunde gelegten Werte gewesen, hat die Beklagte eine erneute Stellungnahme von Dipl.-Ing. E. vom 29.05.2012 vorgelegt. Dieser hat darin ausgeführt, bei der Erhebung durch den TAD am 04.11.2008 seien bereits die komplexen Belastungsabschnitte des Klägers als LKW-Mechaniker und Kraftfahrer aufgenommen worden. Darin enthalten seien Lastenmanipulationen von Fahrzeugteilen mit Lastgewichten von 20 bis 70 kg. Weiter vorgelegt wurde eine Stellungnahme der BG Metall Nord-Süd vom 25.02.2010, wonach die Zusatzkriterien 2 und 3 der Fallkonstellation B 2 nach den Konsensempfehlungen im von dort zu beurteilenden Beschäftigungszeitraum (01.08.1983 bis 15.10.1988) nicht gegeben seien. In diesem Zeitraum hätten besonders intensive Belastungen oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen nicht vorgelegen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich noch die Feststellung einer BK Nr. 2108, nachdem der Kläger die Überprüfung und Feststellung bezüglich der BK Nr. 2110 nicht weiterverfolgt hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 27.12.2005, mit dem die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 abgelehnt hat, und Verurteilung der Beklagten zur Feststellung einer entsprechenden BK.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, soweit sich im Einzelfall ergibt, das bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Vorschrift ist zwar entsprechend auf die Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit anzuwenden. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme sind jedoch nicht gegeben.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII -). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer dem Versicherungsschutz nach den §§ 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) erlassen, in der derzeit als BK Nr. 2108 folgende als Berufskrankheiten anerkannte Krankheiten aufgeführt sind: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Zur Feststellung einer Berufskrankheit muss generell die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 4 U 9/08 R - juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, eine bloße Möglichkeit ist dagegen nicht ausreichend. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität ist auch im Recht der Berufskrankheiten der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität zu bezeichnen (vgl. BSG, a.a.O.). Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung".

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 68 m.w.N.; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, § 9 Rn. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 43, 110, 112).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV gerichtete Klage nicht begründet.

Beim Kläger liegt zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK Nr. 2108 vor in Form eines chronischen Lumboischialgiesyndroms nach operativer Spondylodese im Segment L5/S1.

Auch ist die Einwirkungskausalität der versicherten Tätigkeiten des Klägers für eine BK Nr. 2108 zu bejahen. Die Belastungsdosis des Klägers betrug in der Zeit vom 01.08.1983 bis zum 15.10.1988 2,5 MNh und vom 18.10.1988 bis zum 12.04.2004 13,102 MNh, somit insgesamt 15,602 MNh. Der Senat stützt sich hierbei auf die Berechnungen des TAD der Beklagten. damit lag die Gesamtbelastungsdosis des Klägers während der versicherten Tätigkeiten über dem nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts maßgeblichen Grenzwert von 12,5 MNh (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - juris Rn. 25).

Die für eine BK Nr. 2108 erforderliche haftungsbegründende Kausalität ist jedoch nicht gegeben, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berufsbedingten Einwirkungen und der bandscheibenbedingten Erkrankung des Klägers nicht zumindest wahrscheinlich ist. Unter bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule sind solche Erkrankungen der Bewegungssegmente der Lendenwirbelsäule zu verstehen, die ursächlich auf eine Bandscheibenschädigung zurückzuführen sind oder mit solchen in einer kausalen Wechselbeziehung stehen. Den Tatbestand der BK Nr. 2108 erfüllen nur solche Schäden der Wirbelsäule, die sich als das Resultat einer langjährigen schädigenden Einwirkung auf die Lendenwirbelsäule darstellen. Ein morphologisch objektivierbares Schadenssubstrat ist daher zwingend erforderlich. Die ausgelösten degenerativen Prozesse - zu denen anlagebedingte Wirbelsäulenstörungen und Fehlhaltungen nicht gehören - finden sich in durch bildgebende Verfahren objektivierbaren Formen wieder, die auch gemeinsam auftreten können: Chondrose, Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose, Bandscheibenprotrusion und Bandscheibenprolaps.

In den am 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinische Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 2011 ff. - Konsensempfehlungen -) entsprechen die im vollen Konsens aller Teilnehmer verabschiedeten Kriterien zur Überzeugung des Senats der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris Rn. 15) trägt die Orientierung an den einschlägigen Konsensempfehlungen dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand Rechnung.

Danach ist Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, bei ausreichender beruflicher Belastung mit plausibler zeitlicher Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (vgl. Konsensempfehlungen Nr. 1.4). Danach spricht eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule eher für einen Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Belastung, während ein Befall der Halswirbelsäule und/oder der Brustwirbelsäule je nach Fallkonstellation gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen kann. Für den Vergleich zwischen Lendenwirbelsäule und darüber gelegenen Wirbelsäulenabschnitten sind Chondrosen und Vorfälle maßgeblich.

Beim Kläger besteht eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L5/S1. Zwar liegt keine Chondrose mindestens Grad II vor, jedoch ein Vorfall. Der Senat entnimmt dies dem Attest des Orthopäden M. vom 18.02.2003 sowie dem Arztbrief des Radiologen K. vom 15.01.2003, wonach sich im Computertomogramm ein medianer Bandscheibenvorfall im Segment L 5/S1 gegenüber seiner Ausprägung im August 2001 als strukturell regredient dargestellt hat.

Bandscheibenschäden an der HWS bestehen beim Kläger nicht. Auch liegt keine Begleitspondylose vor. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. M. am 09.07.2009 erstattete Gutachten, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird. In Betracht kommt vorliegend deshalb allein die Fallkonstellation B 2 der Konsensempfehlungen.

Allen Fallgruppen der Kategorie B ist eine bestimmte Lokalisation und Ausprägung des Bandscheibenschadens gemeinsam. Die bandscheibenbedingte Erkrankung muss die Segmente L5/S1 und/oder L 4 /L5 betreffen und die Ausprägung des Bandscheibenschadens muss in Form einer Chondrose Grad II oder höher und/oder in einem Vorfall bestehen. Für die Annahme der Konstellation B 2 der Konsensempfehlungen ist darüber hinaus Voraussetzung, dass keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren erkennbar sind und bei fehlender Begleitspondylose - wie beim Kläger - zusätzlich mindestens eins der folgenden Kriterien erfüllt ist: - Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten - Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren - Besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 ½ kN; Männer ab 6 kN).

Das erstgenannte Kriterium ist nicht erfüllt, da ein Prolaps lediglich an einer Bandscheibe im Segment L5/S1 vorliegt und auch das Kriterium einer sog. black disc in mindestens zwei angrenzenden Segmenten nicht erfüllt ist. Auch hierbei macht sich der Senat die Beurteilung von Dr. M. im Gutachten vom 09.07.2009 zu eigen.

Nicht erfüllt ist auch das Kriterium einer besonders intensiven Belastung durch Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.

Die von der Beklagten zugrunde gelegten Belastungs-Dosiswerte sind zutreffend ermittelt. Soweit der Kläger vorgetragen hat, zumindest während seiner Tätigkeit bei der Firma F. Transporte sei er Bandscheibendruckkräften bis 7,1 kN ausgesetzt gewesen, stehen dem die unter Zugrundelegung seiner Angaben bei der Befragung durch den TAD am 04.11.2008 gemachten Angaben entgegen. In den Berechnungen des TAD sind danach nämlich auch Lastenmanipulationen von Fahrzeugteilen mit Lastgewichten bis 70 kg enthalten. Hohe Belastungsspitzen setzen nach den Konsensempfehlungen bei Männern eine Druckkraft auf L5/S1 von mindestens 6 kN voraus. Diese Druckkraft wird erst bei Lasten über 50 kg erreicht. Der Kläger hat zwar entsprechende Lasten mit Gewichten von 60 bis 70 kg getragen, jedoch nicht in einem solchen Umfang, dass hierdurch bereits die Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes erreicht worden wäre. Dies ergibt sich aus der Dosisberechnung von Dipl.-Ing. E. vom 18.02.2010 (Blatt 44 bis 48 der Senats-Akten).

Auch liegt keine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums der Konstellation B 2 vor, wonach der Richtwert für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren erreicht werden muss. Selbst wenn auch hier eine Halbierung des Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh zugrunde gelegt wird, wie sie das BSG für die Gesamtbelastung als Grenzwert zugrunde legt, wenn also eine besonders intensive Belastung bereits dann angenommen werden kann, wenn die Dosis von 12,5 MNh in weniger als zehn Jahren erreicht wird, ist dieses Kriterium hier nicht erfüllt. Ausweislich der Berechnungen der Beklagten (Bl. 294 und 315 der Verwaltungsakten), gegen die keine durchgreifenden Einwände erhoben worden sind und die der Senat für zutreffend erachtet, betrug die Gesamtdosis in der Zeit der Ausbildung vom 01.08.1983 bis 31.08.1986 1,5 MNh, in der Zeit vom 01.09.1986 bis 15.10.1988 1,0 MNh, in der Zeit vom 18.10.1988 bis 01.01.1990 1,103988 MNh, in der Zeit vom 01.08.1990 bis 08.10.2001 10,231291 MNh, in der Zeit vom 04.12.2001 bis 26.01.2003 1,048913 MNh und in der Zeit vom 01.07.2003 bis 12.04.2004 0,718468 MNh. Es lässt sich somit kein Belastungszeitraum von 10 Jahren bilden, innerhalb dessen eine Belastung von mehr als 12,5 MNh erreicht worden ist. Damit ist auch die Hälfte des Richtwertes für die Lebensdosis (12,5 MNh) nicht in weniger als 10 Jahren erreicht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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