Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 7569/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5379/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50.
Die 1950 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige, wohnt in S. und ist seit 1990 zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Für sie wurde zuletzt mit Bescheid vom 04.07.2007 ein GdB von 20 wegen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, einer seelischen Störung, funktioneller Organbeschwerden, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) und einer Arthrose festgestellt. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2007) und Klage (Sozialgericht Stuttgart, S 6 SB 6594/07) hatten keinen Erfolg (Gerichtsbescheid vom 12.09.2008).
Am 23.03.2009 beantragte die Klägerin eine Änderung der bisherigen Entscheidung. Dazu gab sie an, ihre Beschwerden hätten sich verschlimmert. Außerdem sei ein Bluthochdruck und eine Fettstoffwechselstörung sowie eine Störung der Transaminasen hinzugekommen. Dazu legte sie eine Bescheinigung des Orthopäden Dr. P. vom 13.03.2009 vor, der mitteilte, dass die Klägerin sich seit 2005 bei ihm vor allem wegen Rückenschmerzen in Behandlung befinde. Dr. P. teilte folgende Bewegungsmaße mit: Halswirbelsäule (HWS), Vor-/Rückneigung 40/0/40, Rechts-/Linksrotation 40/0/50. BWS Ott 30/33, Schober 10/13. Es bestünden abgeschwächte Reflexe in den oberen Extremitäten ohne motorische Ausfälle. Lasègue und Bragard seien angedeutet positiv. Im Bereich der Schultern seiten Impingement-Rotatoren-Gelenkzeichen angedeutet positiv, die Beweglichkeit sei bis 130° erhalten. An beiden Kniegelenken bestehe ein retropatellarer Verschiebe- und Druckschmerz mit Reibephänomen. Die Bewegung sei bis 100° möglich. Er habe außerdem eine postmenopausale beginnende Osteoporose festgestellt.
Der Neurologe und Psychiater Dr. P. erstattete am 20.03.2009 einen Befundbericht. Die Klägerin habe diffuse, tagsüber stressbedingt zunehmende dumpf-drückende holocephale Kopfschmerzen angegeben, die leicht bis mittelstark seien und stundenlang bis über den ganzen Tag dauerten. Neurologisch bestehe eine leichte Muskelverspannung in der Wirbelsäule. Es bestehe ein linksbetonter Tinnitus. Koordination und Sensibilität seien regelrecht. Der Kontakt und Rapport seien erschwert, es bestehe Hoffnungslosigkeit und eine drückende innere Leere, die Klägerin sei entschlusslos, in ihrer Affektivität verflacht, depressiv gestimmt, habe das Interesse verloren, sei freudlos, Konzentration und Aufmerksamkeit seien vermindert. Es bestehe ein reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, negative Zukunftsperspektiven, suizidale Gedanken. Sie sei schlaflos und reagiere rigide auf freudige Ereignisse. Sie empfinde eine ausgeprägte Müdigkeit und Schuldgefühle mit zu erwartender verdienter Bestrafung im Sinne einer wahnhaften Vorstellung. Es bestehe der Verdacht auf einen depressiven Stupor.
Die HNO Ärztin Dr. S. gab auf Nachfrage des Beklagten unter dem 14.04.2009 an, die Klägerin trage eine Hörhilfe bei mittelgradiger Innenohrschwerhörigkeit. Der Hörverlust für Zahlen betrage 55dB beidseits, für Worte 70dB beidseits. Außerdem bestünden Ohrgeräusche, die mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen einhergingen und trotz verschiedener Behandlungsversuche nicht zu bewältigen seien. Der Tinnitus werde durch chronische Nackenschmerzen und Verspannungen der HWS verstärkt. Dr. S. übersandte ein Tonaudiogramm vom 09.01.2007.
Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. erstattete am 11.05.2009 einen Befundbericht. Der Blutdruck sei gegenwärtig gut eingestellt. Es bestehe eine mittelgradige Fettstoffwechselstörung mit erhöhten Cholesterinwerten. Eine Schilddrüsenunterfunktion sei mit L-Thyroxin ausreichend eingestellt.
Nach Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. C., 27.05.2009) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2009 einen GdB von 30 fest. Die Behinderungen bezeichnete er wie folgt: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) Nervenwurzelreizerscheinungen, Arthrose, Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, Seelische Störung, Depression, Funktionelle Organbeschwerden, Bluthochdruck. Die Schilddrüsenunterfunktion und die Fettstoffwechselstörung bedingten keinen GdB von wenigstens 10.
Dagegen erhob die Klägerin am 31.07.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung sie geltend machte, dass die orthopädischen und psychischen Beschwerden nicht ausreichend berücksichtigt seien.
Nach erneuter Anhörung seines ärztlichen Dienstes (Dr. H., 06.08.2009) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 11.11.2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung sie einen Entlassungsbericht des K.-O.-Krankenhauses S. vom 24.06.2009 über eine stationäre Behandlung vom 22.06.2009 bis 25.06.2009 vorlegte, bei der ihr die Gallenblase wegen einer wiederholten Entzündung bei Gallensteinen entfernt wurde. Sie führte aus, dass ihre Wirbelsäulenbeschwerden mit einem GdB von mindestens 30 bis 40 zu bewerten seien. Zu Unrecht habe die Arthrose in den Kniegelenken bisher nicht zur Berücksichtigung eines GdB geführt. Insofern seien mindestens 20 anzusetzen. Deshalb sei auch der GesamtGdB zu erhöhen.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2010 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einstufung durch den Beklagten, insbesondere im Bereich der psychischen und orthopädischen Beschwerden sei nicht zu beanstanden. Die Beschwerden hätten sich seit der Entscheidung der 6. Kammer vom September 2008 nicht geändert. Eine Bewertung der Wirbelsäulenbeschwerden mit 20, der psychischen Beschwerden mit 20, der Schwerhörigkeit mit 20 und des Bluthochdrucks mit 10 sei zutreffend.
Gegen den ihr am 04.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19.11.2010 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung führt sie aus, das SG habe seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügt. Bereits drei Monate nach Eingang der Klage habe es mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt seien. Sachverständige Zeugenaussagen habe es nicht eingeholt. Außerdem habe es den Gesamt-GdB nicht zutreffend gebildet. Sie bezieht sich auf eine fachärztliche Bescheinigung von Dr. P. vom 18.04.2011 und von Dr. T. vom 06.08.2012, der als zusätzliche Diagnose ein Fibromyalgiesyndrom mitgeteilt hat. Richtig sei es, für das Wirbelsäulenleiden einen GdB von 20 anzunehmen. Zu Unrecht seien aber die Arthralgien nicht berücksichtigt worden. Es handele sich insofern um Schmerzen bei Arthrose. Dazu hat sie einen MRT Befund der LWS von Dr. K. vom 01.06.2011 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.Oktober 2010 wird aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung seines Bescheids vom 29.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2009 verurteilt, einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide und schließt sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid an. Er hat versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. W. vom 08.07.2011 und 18.01.2012 sowie von Dr. K. vom 15.03.2012 vorgelegt.
Der Senat hat Dr. P. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Er hat mit Schreiben vom 30.06.2011 ausgesagt, dass am 06.04.2010 die Operation einer Hammerzehe und eines Hallux valgus in der Paulinenhilfe durchgeführt worden sei. Es sei eine Umstellungsosteotomie sowie eine Teilresektion am proximalen Phalax Kopf Dig. II durchgeführt worden. Betreffend die Wirbelsäule hat er dieselben Befunde wie in seiner Bescheinigung vom 13.03.2009 angegeben. Im Röntgen sei eine Deck- und Grundplattensklerosierung C5/6 mit Zwischenwirbelraumverengung, beginnend auch an der BWS Th6/7 zu erkennen. An der Schulter bestünden degenerative Veränderungen des AC Gelenks. Am 3. Lendenwirbelkörper fänden sich eine Wirbelkörpereindellung und eine beginnende Fischwirbelbildung bei typischer osteoporotischer knöcherner Umstrukturierung. An L5/S1 sei eine Bandscheibenauflösung zu sehen. An den Kniegelenken bestehe eine Sklerosierung. In den letzten paar Jahren sei keine wesentliche Änderung eingetreten.
Dr. P. hat die Anfrage des Senats mit Schreiben vom 26.11.2011 beantwortet. Die Klägerin sei kontaktfähig bei noch adäquatem aufgestautem Affekt. Der Antrieb sei wechselhaft, es bestehe keine sichere Suizidalität. Es imponiere die Unruhe, ein Phlegma liege nicht vor. Eine gedrückte Gestimmtheit herrsche vor, die Klägerin sei eher skeptisch als pessimistisch. Sie grüble, suche und finde immer die Kehrseite. Sie stöhne und zeige körperliche Schmerzen, sei ewig unzufrieden mit sich. Sie sei so sehr in ihrem eigenen Egoismus eingekesselt, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ihr Jammern als für die anderen belästigend wahrzunehmen. Selbst wenn sie es wahrnehme, habe sie nicht die Kraft sich dabei zu helfen. Es bestehe ein gesamter Teil-GdB von 30. Eine nennenswerte Befundänderung habe sich in den letzten Jahren nicht ergeben.
Die Berichterstatterin hat den Sachstand am 03.08.2012 mit den Beteiligten erörtert. Sie haben zu einem Vergleich verhandelt. Der Beklagte hat geltend gemacht, dass eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart einschließlich der Akte zum Rechtsstreit S 6 SB 6594/07 und die Akten des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach diesen Kriterien ist eine Änderung der bisherigen Entscheidung nicht möglich. Der Senat bezieht sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 27.10.2010, § 153 Abs. 2 SGG.
Auch aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren und aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse. Sowohl Dr. P. als auch Dr. P. haben keine Änderung in den Befunden seit Jahren mitgeteilt. Die Entfernung der Gallenblase im Juni 2009 führt nicht zu Zuerkennung einer weiteren Behinderung, Nr. 10.3.5 Teil B VG. Eine wesentliche Störung ist in diesem Zusammenhang nicht eingetreten.
Auch die Operation der Hammerzehe und des Hallux valgus bedingt keine Erhöhung der Behinderung. Die Operation dieser Störungen diente deren Beseitigung. Aus der Zeugenaussage von Dr. P. und aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Operation nicht erfolgreich war.
Die Behinderungen der Klägerin bedingen insgesamt keinen höheren GdB als 30. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Bei der Klägerin liegt ein GdB von 20 für die psychischen Beschwerden einschließlich des Tinnitus, 20 für die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule, 20 für die Schwerhörigkeit und 10 für den Bluthochdruck vor. Ausgehend vom Einzel-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit ist der GdB wegen des GdB von 20 für die Wirbelsäulenbeschwerden um 10 auf 30 zu erhöhen. Der GdB von 20 für die Wirbelsäule ist bei nur minimaler Bewegungseinschränkung, allenfalls geringgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen (vgl. Stellungnahme von Dr. W. vom 08.07.2011) und geringer Behandlungsfrequenz auch zur Überzeugung des Senats weitreichend bemessen und nur durch die von der Klägerin geklagten (Wirbelsäulen-)Schmerzen gerechtfertigt. Eine weitere Erhöhung durch den GdB von 20 für die psychischen Einschränkungen ergibt sich nicht, denn die psychischen Einschränkungen sind auch nach der letzten Auskunft von Dr. P. vor allem durch "Wehen" d.h. Schmerzen und Jammern bestimmt, aus dem die Klägerin nicht mehr herauskommt. Bei einer weiteren Erhöhung des GdB auf 40 würden diese Schmerzen entgegen § 69 Abs. 3 SGB IX doppelt berücksichtigt. Der GdB von 10 für den Bluthochdruck wirkt nicht erhöhend.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50.
Die 1950 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige, wohnt in S. und ist seit 1990 zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Für sie wurde zuletzt mit Bescheid vom 04.07.2007 ein GdB von 20 wegen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, einer seelischen Störung, funktioneller Organbeschwerden, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) und einer Arthrose festgestellt. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2007) und Klage (Sozialgericht Stuttgart, S 6 SB 6594/07) hatten keinen Erfolg (Gerichtsbescheid vom 12.09.2008).
Am 23.03.2009 beantragte die Klägerin eine Änderung der bisherigen Entscheidung. Dazu gab sie an, ihre Beschwerden hätten sich verschlimmert. Außerdem sei ein Bluthochdruck und eine Fettstoffwechselstörung sowie eine Störung der Transaminasen hinzugekommen. Dazu legte sie eine Bescheinigung des Orthopäden Dr. P. vom 13.03.2009 vor, der mitteilte, dass die Klägerin sich seit 2005 bei ihm vor allem wegen Rückenschmerzen in Behandlung befinde. Dr. P. teilte folgende Bewegungsmaße mit: Halswirbelsäule (HWS), Vor-/Rückneigung 40/0/40, Rechts-/Linksrotation 40/0/50. BWS Ott 30/33, Schober 10/13. Es bestünden abgeschwächte Reflexe in den oberen Extremitäten ohne motorische Ausfälle. Lasègue und Bragard seien angedeutet positiv. Im Bereich der Schultern seiten Impingement-Rotatoren-Gelenkzeichen angedeutet positiv, die Beweglichkeit sei bis 130° erhalten. An beiden Kniegelenken bestehe ein retropatellarer Verschiebe- und Druckschmerz mit Reibephänomen. Die Bewegung sei bis 100° möglich. Er habe außerdem eine postmenopausale beginnende Osteoporose festgestellt.
Der Neurologe und Psychiater Dr. P. erstattete am 20.03.2009 einen Befundbericht. Die Klägerin habe diffuse, tagsüber stressbedingt zunehmende dumpf-drückende holocephale Kopfschmerzen angegeben, die leicht bis mittelstark seien und stundenlang bis über den ganzen Tag dauerten. Neurologisch bestehe eine leichte Muskelverspannung in der Wirbelsäule. Es bestehe ein linksbetonter Tinnitus. Koordination und Sensibilität seien regelrecht. Der Kontakt und Rapport seien erschwert, es bestehe Hoffnungslosigkeit und eine drückende innere Leere, die Klägerin sei entschlusslos, in ihrer Affektivität verflacht, depressiv gestimmt, habe das Interesse verloren, sei freudlos, Konzentration und Aufmerksamkeit seien vermindert. Es bestehe ein reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, negative Zukunftsperspektiven, suizidale Gedanken. Sie sei schlaflos und reagiere rigide auf freudige Ereignisse. Sie empfinde eine ausgeprägte Müdigkeit und Schuldgefühle mit zu erwartender verdienter Bestrafung im Sinne einer wahnhaften Vorstellung. Es bestehe der Verdacht auf einen depressiven Stupor.
Die HNO Ärztin Dr. S. gab auf Nachfrage des Beklagten unter dem 14.04.2009 an, die Klägerin trage eine Hörhilfe bei mittelgradiger Innenohrschwerhörigkeit. Der Hörverlust für Zahlen betrage 55dB beidseits, für Worte 70dB beidseits. Außerdem bestünden Ohrgeräusche, die mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen einhergingen und trotz verschiedener Behandlungsversuche nicht zu bewältigen seien. Der Tinnitus werde durch chronische Nackenschmerzen und Verspannungen der HWS verstärkt. Dr. S. übersandte ein Tonaudiogramm vom 09.01.2007.
Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. erstattete am 11.05.2009 einen Befundbericht. Der Blutdruck sei gegenwärtig gut eingestellt. Es bestehe eine mittelgradige Fettstoffwechselstörung mit erhöhten Cholesterinwerten. Eine Schilddrüsenunterfunktion sei mit L-Thyroxin ausreichend eingestellt.
Nach Anhörung des ärztlichen Dienstes (Dr. C., 27.05.2009) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2009 einen GdB von 30 fest. Die Behinderungen bezeichnete er wie folgt: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) Nervenwurzelreizerscheinungen, Arthrose, Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, Seelische Störung, Depression, Funktionelle Organbeschwerden, Bluthochdruck. Die Schilddrüsenunterfunktion und die Fettstoffwechselstörung bedingten keinen GdB von wenigstens 10.
Dagegen erhob die Klägerin am 31.07.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung sie geltend machte, dass die orthopädischen und psychischen Beschwerden nicht ausreichend berücksichtigt seien.
Nach erneuter Anhörung seines ärztlichen Dienstes (Dr. H., 06.08.2009) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 11.11.2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), zu deren Begründung sie einen Entlassungsbericht des K.-O.-Krankenhauses S. vom 24.06.2009 über eine stationäre Behandlung vom 22.06.2009 bis 25.06.2009 vorlegte, bei der ihr die Gallenblase wegen einer wiederholten Entzündung bei Gallensteinen entfernt wurde. Sie führte aus, dass ihre Wirbelsäulenbeschwerden mit einem GdB von mindestens 30 bis 40 zu bewerten seien. Zu Unrecht habe die Arthrose in den Kniegelenken bisher nicht zur Berücksichtigung eines GdB geführt. Insofern seien mindestens 20 anzusetzen. Deshalb sei auch der GesamtGdB zu erhöhen.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2010 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einstufung durch den Beklagten, insbesondere im Bereich der psychischen und orthopädischen Beschwerden sei nicht zu beanstanden. Die Beschwerden hätten sich seit der Entscheidung der 6. Kammer vom September 2008 nicht geändert. Eine Bewertung der Wirbelsäulenbeschwerden mit 20, der psychischen Beschwerden mit 20, der Schwerhörigkeit mit 20 und des Bluthochdrucks mit 10 sei zutreffend.
Gegen den ihr am 04.11.2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19.11.2010 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung führt sie aus, das SG habe seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügt. Bereits drei Monate nach Eingang der Klage habe es mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt seien. Sachverständige Zeugenaussagen habe es nicht eingeholt. Außerdem habe es den Gesamt-GdB nicht zutreffend gebildet. Sie bezieht sich auf eine fachärztliche Bescheinigung von Dr. P. vom 18.04.2011 und von Dr. T. vom 06.08.2012, der als zusätzliche Diagnose ein Fibromyalgiesyndrom mitgeteilt hat. Richtig sei es, für das Wirbelsäulenleiden einen GdB von 20 anzunehmen. Zu Unrecht seien aber die Arthralgien nicht berücksichtigt worden. Es handele sich insofern um Schmerzen bei Arthrose. Dazu hat sie einen MRT Befund der LWS von Dr. K. vom 01.06.2011 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.Oktober 2010 wird aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung seines Bescheids vom 29.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2009 verurteilt, einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide und schließt sich dem angefochtenen Gerichtsbescheid an. Er hat versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. W. vom 08.07.2011 und 18.01.2012 sowie von Dr. K. vom 15.03.2012 vorgelegt.
Der Senat hat Dr. P. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Er hat mit Schreiben vom 30.06.2011 ausgesagt, dass am 06.04.2010 die Operation einer Hammerzehe und eines Hallux valgus in der Paulinenhilfe durchgeführt worden sei. Es sei eine Umstellungsosteotomie sowie eine Teilresektion am proximalen Phalax Kopf Dig. II durchgeführt worden. Betreffend die Wirbelsäule hat er dieselben Befunde wie in seiner Bescheinigung vom 13.03.2009 angegeben. Im Röntgen sei eine Deck- und Grundplattensklerosierung C5/6 mit Zwischenwirbelraumverengung, beginnend auch an der BWS Th6/7 zu erkennen. An der Schulter bestünden degenerative Veränderungen des AC Gelenks. Am 3. Lendenwirbelkörper fänden sich eine Wirbelkörpereindellung und eine beginnende Fischwirbelbildung bei typischer osteoporotischer knöcherner Umstrukturierung. An L5/S1 sei eine Bandscheibenauflösung zu sehen. An den Kniegelenken bestehe eine Sklerosierung. In den letzten paar Jahren sei keine wesentliche Änderung eingetreten.
Dr. P. hat die Anfrage des Senats mit Schreiben vom 26.11.2011 beantwortet. Die Klägerin sei kontaktfähig bei noch adäquatem aufgestautem Affekt. Der Antrieb sei wechselhaft, es bestehe keine sichere Suizidalität. Es imponiere die Unruhe, ein Phlegma liege nicht vor. Eine gedrückte Gestimmtheit herrsche vor, die Klägerin sei eher skeptisch als pessimistisch. Sie grüble, suche und finde immer die Kehrseite. Sie stöhne und zeige körperliche Schmerzen, sei ewig unzufrieden mit sich. Sie sei so sehr in ihrem eigenen Egoismus eingekesselt, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ihr Jammern als für die anderen belästigend wahrzunehmen. Selbst wenn sie es wahrnehme, habe sie nicht die Kraft sich dabei zu helfen. Es bestehe ein gesamter Teil-GdB von 30. Eine nennenswerte Befundänderung habe sich in den letzten Jahren nicht ergeben.
Die Berichterstatterin hat den Sachstand am 03.08.2012 mit den Beteiligten erörtert. Sie haben zu einem Vergleich verhandelt. Der Beklagte hat geltend gemacht, dass eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart einschließlich der Akte zum Rechtsstreit S 6 SB 6594/07 und die Akten des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach diesen Kriterien ist eine Änderung der bisherigen Entscheidung nicht möglich. Der Senat bezieht sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 27.10.2010, § 153 Abs. 2 SGG.
Auch aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren und aus den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse. Sowohl Dr. P. als auch Dr. P. haben keine Änderung in den Befunden seit Jahren mitgeteilt. Die Entfernung der Gallenblase im Juni 2009 führt nicht zu Zuerkennung einer weiteren Behinderung, Nr. 10.3.5 Teil B VG. Eine wesentliche Störung ist in diesem Zusammenhang nicht eingetreten.
Auch die Operation der Hammerzehe und des Hallux valgus bedingt keine Erhöhung der Behinderung. Die Operation dieser Störungen diente deren Beseitigung. Aus der Zeugenaussage von Dr. P. und aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Operation nicht erfolgreich war.
Die Behinderungen der Klägerin bedingen insgesamt keinen höheren GdB als 30. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Bei der Klägerin liegt ein GdB von 20 für die psychischen Beschwerden einschließlich des Tinnitus, 20 für die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule, 20 für die Schwerhörigkeit und 10 für den Bluthochdruck vor. Ausgehend vom Einzel-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit ist der GdB wegen des GdB von 20 für die Wirbelsäulenbeschwerden um 10 auf 30 zu erhöhen. Der GdB von 20 für die Wirbelsäule ist bei nur minimaler Bewegungseinschränkung, allenfalls geringgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen (vgl. Stellungnahme von Dr. W. vom 08.07.2011) und geringer Behandlungsfrequenz auch zur Überzeugung des Senats weitreichend bemessen und nur durch die von der Klägerin geklagten (Wirbelsäulen-)Schmerzen gerechtfertigt. Eine weitere Erhöhung durch den GdB von 20 für die psychischen Einschränkungen ergibt sich nicht, denn die psychischen Einschränkungen sind auch nach der letzten Auskunft von Dr. P. vor allem durch "Wehen" d.h. Schmerzen und Jammern bestimmt, aus dem die Klägerin nicht mehr herauskommt. Bei einer weiteren Erhöhung des GdB auf 40 würden diese Schmerzen entgegen § 69 Abs. 3 SGB IX doppelt berücksichtigt. Der GdB von 10 für den Bluthochdruck wirkt nicht erhöhend.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
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