Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 32/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Abgrenzung zwischen einem außergewöhnlich umfangreichen Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit gutachtlicher Äußerung und einem Sachverständigengutachten im Rahmen der Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen
Die Entschädigung für die Auskunft des Antragstellers vom 22.11.2010 wird auf 86,80 EUR sechsundachtzig 80/100 festgesetzt.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist zugelassen.
Gründe:
Gegenstand der richterlichen Festsetzung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 JVEG ist hier in erster Linie die Frage, ob die auf Anforderung des Gerichts vom 11.10.2010 erteilte Auskunft des Antragstellers vom 22.11.2010 als Sachverständigengutachten nach § 9 JVEG oder als Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter gutachtlicher Äußerung nach § 10 Abs. 1 und Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu vergüten ist. Unter einem medizinischen Sachverständigengutachten ist die fachkundige Ermittlung und Zusammenfassung medizinischer Tatsachen und deren Bewertung in Bezug auf eine sozialmedizinische Fragestellung zu verstehen. Die Erteilung einer schriftlichen Auskunft nach Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG referiert dagegen schwerpunktmäßig dem sachverständigen Zeugen präsente medizinische Tatsachen, wobei eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme gemäß Nr. 202 und 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG der Auskunft insgesamt noch nicht den Charakter eines Sachverständigengutachtens verleiht. Zu diesen, dem sachverständigen Zeugen präsenten Fakten, die im Rahmen einer Auskunft nach Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG erfragt werden können, gehören als sog. innere Tatsache auch die Gründe, die einen Arzt zu einer bestimmten, tatsächlich getroffenen Therapieentscheidung bewogen haben. Das Gericht beurteilt die Auskunft vom 22.11.2010 nicht als Sachverständigengutachten, sondern als außergewöhnlich umfangreiches Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter kurzer gutachtlicher Äußerung im Sinne der Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG. Entscheidend hierfür ist, dass das Gericht mit dem Antragsteller keinen unabhängigen Gutachter herangezogen hat, der erstmals die ihm kraft seines besonderen Sachverstandes zugänglichen Tatsachen festzustellen oder sich mit ihm vom Gericht unterbreiteten Tatsachen auseinanderzusetzen und daraus Wertungen abzuleiten hat. Vielmehr handelt es sich um die Ärzte, die dem Kläger das Hauptsacheverfahrens das streitgegenständliche Hilfsmittel verordnet und der ärztlichen Verordnung therapeutische Erwägungen zu Grunde gelegt haben, die entweder an Hand der Patientendokumentation abgerufen oder als innere Tatsache an Hand des den Ärzten bereits präsenten Wissens abgefragt werden können. Zu den Fragen des Gerichts im Einzelnen: 1. Seit wann befindet sich der Patient in Ihrer Behandlung? Wann hat sich der Patient das letzte Mal vorgestellt? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die Vorstellungen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 2. Welche Diagnosen haben Sie gestellt (möglichst nach ICD-10)? Welcher Schweregrad liegt vor? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die Diagnosen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 3. Welche Befunde haben Sie wann erhoben? Welche Behandlungen sind zuletzt erfolgt? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass Befunde und angeordnete Behandlungen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 4. Welche Behinderungen im Alltag resultieren gegenwärtig daraus? Welche Fähigkeiten sind eingeschränkt? In welchem Ausmaß? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die krankheitsbedingten Defizite in den Krankenunterlagen dokumentiert oder aus den Vorstellungen des Patienten bekannt sind. 5. Ist der Patient in der Lage, sich mit Begleitperson aktiv mit einem Therapietandem fortzubewegen? Ist er zur dauerhaften aktiven Fortbewegung mit dem Tandem motiviert bzw. motivierbar? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevanten Frage, ob der Patient zur Nutzung des Tandems in der Lage ist, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. 6. Welche konkreten Funktionskomplexe (Muskelgruppen, Gelenke, neurophysiologische Funktionen u.s.w.) können durch Fahren mit einem Therapie-Tandem beübt werden? Welches Therapieziel wird dabei jeweils angestrebt? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten zu therapeutischen Zwecken ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevanten Frage, welche therapeutischen Effekte hierdurch erzielt werden können, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Ist die Verordnung dagegen nicht zu therapeutischen Zwecken erfolgt, würde es sich ebenfalls um eine mitzuteilende Tatsache handeln, bei der die weitere Antwort entfällt. 7. Ärztliche Vorgaben für den therapeutischen Einsatz: (a) wann, (b) wie oft, (c) wie lange, (d) wo, (e) unter wessen Anleitung und Aufsicht soll der Patient mit dem Tandem fahren, damit ein nachhaltiger Therapieerfolg gewährleistet ist? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten zu therapeutischen Zwecken ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevante Frage, unter welchen Bedingungen die angestrebten therapeutischen Effekte erzielt werden können, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt und sich mit den Eltern des Klägers über das Therapieregime verständigt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Ist dagegen ein konkretes Therapieregime nicht vorgegeben, die Nutzung also in die Eigenverantwortung des Patienten gestellt, würde es sich ebenfalls um eine mitzuteilende Tatsache handeln, bei der die weitere Antwort entfällt. 8. Können die Therapieziele auch durch Laufen/Gehen/Wandern erreicht werden? Ggf. warum nicht? Welche Bewegungsübungen (ohne Tandem) sind sonst geeignet und vergleichbar aussichtsreich? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevante Frage, ob und welche Alternativen in Betracht kommen und wie effektiv sie sind oder aus welchen Gründen sie ausscheiden, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Hat der Antragsteller dagegen ihre Verordnung nicht mit den in Frage kommenden Alternativen abgewogen, widerspricht dies zwar dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach Leistungserbringer Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht bewirken dürfen, in diesem Fall hätte die Antwort auf die Frage aber ohne Weiteres unter Hinweis auf die Tatsache, dass diese Frage nicht geprüft worden sei, beantwortet werden dürfen. 9. a) Können die Therapieziele durch Heilmittel nach Heilmittelkatalog erreicht werden? b) Kann Krankengymnastik gezielter und vielseitiger die körperliche und seelische Verfassung des Patienten verbessern als Fahren mit dem Therapietandem? Warum bzw. warum nicht? Welche konkreten Vor- und Nachteile weisen Krankengymnastik bzw. Tandem jeweils auf? Für diese Fragen gelten die Frage 8 zu Grunde liegenden Erwägungen entsprechend. c) Welche Art von Heilmitteln nach Heilmittelkatalog müsste in welchem Umfang und welcher Frequenz verordnet werden, um einen mindestens vergleichbaren Therapieerfolg zu erreichen? Für diese Fragen gelten die Frage 8 zu Grunde liegenden Erwägungen entsprechend. Ob die Quantifizierung der Therapiealternative eine erstmalige gutachtliche Bewertung voraussetzt, kann dahin gestellt bleiben, weil der Antragsteller in seiner Antwort eine solche Quantifizierung gerade nicht vorgenommen, sondern auf die Tatsache Bezug genommen hat, dass er Heilmittel nicht als therapeutische Alternative eingeschätzt habe. 10. Ist das in der Anlage abgebildete Therapietandem Fun2Go geeignet, um diese Therapieziele zu erreichen? Bitte berücksichtigen Sie dabei insbesondere folgende Ausstattung: ( ) Ist diese Ausstattung insbesondere hinsichtlich der evtl. therapeutisch relevanten Aspekte geeignet: Aktivität, kontinuierliche Bewegung, Ruhepausen, Motivation/Compliance, Koordination, Gleichgewicht? Welche Ausstattung müsste ein geeignetes Therapietandem gegebenenfalls aufweisen? Die Beurteilung der therapeutischen Eignung des Therapietandems in der vom Patienten gewählten Ausstattung, beinhaltet zwar eine sachverständige Bewertung. Tatsächlich muss diese Beurteilung aber bereits getroffen worden sein und kann deshalb Gegenstand eines Auskunftsersuchens über Tatsachen sein. Der Antragsteller hat das Therapietandem vom Typ F. selbst verordnet. Gefordert ist demnach lediglich ein Vergleich von Tatsachen, nämlich ob das Hilfsmittel mit der vom Patienten gewählten Ausstattung der Verordnung entspricht. Letztlich wird also nach den Merkmalen gefragt, die das Hilfsmittel nach der ärztlichen Verordnung aufweisen oder nicht aufweisen sollte. Das Gericht geht davon aus, dass diese mitgedanklich Gegenstand der therapeutischen Entscheidung für die Verordnung des Hilfsmittels gewesen sein müssen. Als der Verordnung vorausgegangene Überlegungen müssen sie entweder dokumentiert oder als innere Tatsache präsent sein. Sie sind damit zulässiger Gegenstand eines Auskunftsersuchens, ohne dass dem Antragsteller die erstmalige Bewertung neuer Tatsachen abverlangt wird. Ebenso zielt die Frage nach der notwendigen Ausstattung lediglich auf eine Konkretisierung der streitgegenständlichen Verordnung im Sinne der bereits vor deren Ausstellung getroffenen Therapieentscheidung ab. Auch damit wird also nur ein als präsent vorausgesetzter Fakt erfragt. 11. Bitte nehmen Sie kurz Stellung zur beiliegenden Einschätzung des MDK vom 17.11.2009. Schließen Sie sich der Auffassung der MDK-Prüfärztin an? Ggf. in welchen Punkten nicht? Bei dieser Frage handelt es sich um eine gutachtliche Zusatzfrage, die dem Antragsteller eine inhaltliche Auseinandersetzung und Bewertung mit der Stellungnahme des MDK abverlangt. Über die Ausstellung eines Befundscheins oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne nähere gutachtliche Äußerung im Sinne der Nr. 200 und 201 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG geht die geforderte Antwort hinaus. Da die geforderte Stellungnahme jedoch nur ergänzende Bedeutung hat und dabei lediglich eine schlagwortartige Darstellung der wesentlichen Erwägungen ohne wissenschaftliche Vertiefung der Begründung erwartet wird, verleiht die Frage dem Auskunftsersuchen insgesamt noch nicht den Charakter eines Sachverständigengutachtens. Vielmehr handelt es sich bei der geforderten Stellungnahme um eine kurze gutachtliche Äußerung im Sinne der Nr. 202 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG. Weil der Fragenkatalog des Gerichts sehr umfangreich und die Auskunft der befragten Ärzte sehr ausführlich und gründlich ausgefallen sind, ist es gerechtfertigt, die Auskunft als außergewöhnlich umfangreich im Sinne der Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu beurteilen und deshalb dem Antragsteller das maximale Honorar nach dieser Vorschrift in Höhe von 75,00 EUR zu gewähren. Es bedarf keiner vertieften Erörterungen, ob damit die Leistung des Antragstellers im vorliegenden Einzelfall angemessen vergütet ist. Bei den Sätzen nach Nr. 200 bis 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG handelt es sich um Pauschalen, die sich mit Rücksicht auf den Regelfall gerichtlicher Anfragen im Rahmen des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers halten. Eine Abgeltung sämtlicher mit der Beantwortung des Auskunftsersuchens verbundener Kosten in jedem Einzelfall ist nicht geboten, wie auch umgekehrt den Auskunftspersonen anders als Sachverständigen nicht der Nachweis tatsächlicher Aufwendungen in Höhe des Honorars abverlangt wird. Da es sich bei dem in Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG genannten betrag von 75,00 EUR um eine zwingende gesetzliche Obergrenze für das Honorar handelt, ist dem Gericht eine hiervon abweichende Festsetzung wegen der Bindung an das Gesetz verwehrt. Aus dem Honorar nach Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG (75,00 EUR) sowie der Entschädigung für die Schreibauslagen und Porto nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG (0,55 EUR Porto sowie 0,75 EUR Schreibauslagen je angefangene 1.000 Zeichen, insgesamt 11,25 EUR) ergibt sich der Entschädigungsbetrag von 86,80 EUR. Gemessen an der mit Antrag vom 21.11.2010 geltend gemachten Vergütung von 371,80 EUR ist gegen diesen Beschluss die Beschwerde gemäß § 4 Abs. 3 JVEG kraft Gesetzes gegeben, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt; vorsorglich hat das Gericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen, nach welchen Kriterien ein außergewöhnlich umfangreiches Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit gutachtlicher Äußerung gegenüber einem Sachverständigengutachten abzugrenzen ist.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist zugelassen.
Gründe:
Gegenstand der richterlichen Festsetzung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 JVEG ist hier in erster Linie die Frage, ob die auf Anforderung des Gerichts vom 11.10.2010 erteilte Auskunft des Antragstellers vom 22.11.2010 als Sachverständigengutachten nach § 9 JVEG oder als Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter gutachtlicher Äußerung nach § 10 Abs. 1 und Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu vergüten ist. Unter einem medizinischen Sachverständigengutachten ist die fachkundige Ermittlung und Zusammenfassung medizinischer Tatsachen und deren Bewertung in Bezug auf eine sozialmedizinische Fragestellung zu verstehen. Die Erteilung einer schriftlichen Auskunft nach Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG referiert dagegen schwerpunktmäßig dem sachverständigen Zeugen präsente medizinische Tatsachen, wobei eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme gemäß Nr. 202 und 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG der Auskunft insgesamt noch nicht den Charakter eines Sachverständigengutachtens verleiht. Zu diesen, dem sachverständigen Zeugen präsenten Fakten, die im Rahmen einer Auskunft nach Abschnitt 2 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG erfragt werden können, gehören als sog. innere Tatsache auch die Gründe, die einen Arzt zu einer bestimmten, tatsächlich getroffenen Therapieentscheidung bewogen haben. Das Gericht beurteilt die Auskunft vom 22.11.2010 nicht als Sachverständigengutachten, sondern als außergewöhnlich umfangreiches Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter kurzer gutachtlicher Äußerung im Sinne der Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG. Entscheidend hierfür ist, dass das Gericht mit dem Antragsteller keinen unabhängigen Gutachter herangezogen hat, der erstmals die ihm kraft seines besonderen Sachverstandes zugänglichen Tatsachen festzustellen oder sich mit ihm vom Gericht unterbreiteten Tatsachen auseinanderzusetzen und daraus Wertungen abzuleiten hat. Vielmehr handelt es sich um die Ärzte, die dem Kläger das Hauptsacheverfahrens das streitgegenständliche Hilfsmittel verordnet und der ärztlichen Verordnung therapeutische Erwägungen zu Grunde gelegt haben, die entweder an Hand der Patientendokumentation abgerufen oder als innere Tatsache an Hand des den Ärzten bereits präsenten Wissens abgefragt werden können. Zu den Fragen des Gerichts im Einzelnen: 1. Seit wann befindet sich der Patient in Ihrer Behandlung? Wann hat sich der Patient das letzte Mal vorgestellt? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die Vorstellungen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 2. Welche Diagnosen haben Sie gestellt (möglichst nach ICD-10)? Welcher Schweregrad liegt vor? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die Diagnosen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 3. Welche Befunde haben Sie wann erhoben? Welche Behandlungen sind zuletzt erfolgt? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass Befunde und angeordnete Behandlungen in den Krankenunterlagen dokumentiert sind. 4. Welche Behinderungen im Alltag resultieren gegenwärtig daraus? Welche Fähigkeiten sind eingeschränkt? In welchem Ausmaß? Erfragt werden Tatsachen. Das Gericht geht davon aus, dass die krankheitsbedingten Defizite in den Krankenunterlagen dokumentiert oder aus den Vorstellungen des Patienten bekannt sind. 5. Ist der Patient in der Lage, sich mit Begleitperson aktiv mit einem Therapietandem fortzubewegen? Ist er zur dauerhaften aktiven Fortbewegung mit dem Tandem motiviert bzw. motivierbar? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevanten Frage, ob der Patient zur Nutzung des Tandems in der Lage ist, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. 6. Welche konkreten Funktionskomplexe (Muskelgruppen, Gelenke, neurophysiologische Funktionen u.s.w.) können durch Fahren mit einem Therapie-Tandem beübt werden? Welches Therapieziel wird dabei jeweils angestrebt? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten zu therapeutischen Zwecken ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevanten Frage, welche therapeutischen Effekte hierdurch erzielt werden können, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Ist die Verordnung dagegen nicht zu therapeutischen Zwecken erfolgt, würde es sich ebenfalls um eine mitzuteilende Tatsache handeln, bei der die weitere Antwort entfällt. 7. Ärztliche Vorgaben für den therapeutischen Einsatz: (a) wann, (b) wie oft, (c) wie lange, (d) wo, (e) unter wessen Anleitung und Aufsicht soll der Patient mit dem Tandem fahren, damit ein nachhaltiger Therapieerfolg gewährleistet ist? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten zu therapeutischen Zwecken ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevante Frage, unter welchen Bedingungen die angestrebten therapeutischen Effekte erzielt werden können, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt und sich mit den Eltern des Klägers über das Therapieregime verständigt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Ist dagegen ein konkretes Therapieregime nicht vorgegeben, die Nutzung also in die Eigenverantwortung des Patienten gestellt, würde es sich ebenfalls um eine mitzuteilende Tatsache handeln, bei der die weitere Antwort entfällt. 8. Können die Therapieziele auch durch Laufen/Gehen/Wandern erreicht werden? Ggf. warum nicht? Welche Bewegungsübungen (ohne Tandem) sind sonst geeignet und vergleichbar aussichtsreich? Erfragt werden Tatsachen. Der Antragsteller hat dem Patienten ein Therapietandem verordnet. Das Gericht geht davon aus, dass sie sich deshalb mit der für die Verordnung relevante Frage, ob und welche Alternativen in Betracht kommen und wie effektiv sie sind oder aus welchen Gründen sie ausscheiden, in Kenntnis der Befunde und Diagnosen bereits vor Ausstellung der Verordnung auseinandergesetzt haben. Die Antwort auf die Frage muss deshalb entweder in den Krankenunterlagen dokumentiert oder den Ärzten als innere Tatsache bekannt sein. Hat der Antragsteller dagegen ihre Verordnung nicht mit den in Frage kommenden Alternativen abgewogen, widerspricht dies zwar dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach Leistungserbringer Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht bewirken dürfen, in diesem Fall hätte die Antwort auf die Frage aber ohne Weiteres unter Hinweis auf die Tatsache, dass diese Frage nicht geprüft worden sei, beantwortet werden dürfen. 9. a) Können die Therapieziele durch Heilmittel nach Heilmittelkatalog erreicht werden? b) Kann Krankengymnastik gezielter und vielseitiger die körperliche und seelische Verfassung des Patienten verbessern als Fahren mit dem Therapietandem? Warum bzw. warum nicht? Welche konkreten Vor- und Nachteile weisen Krankengymnastik bzw. Tandem jeweils auf? Für diese Fragen gelten die Frage 8 zu Grunde liegenden Erwägungen entsprechend. c) Welche Art von Heilmitteln nach Heilmittelkatalog müsste in welchem Umfang und welcher Frequenz verordnet werden, um einen mindestens vergleichbaren Therapieerfolg zu erreichen? Für diese Fragen gelten die Frage 8 zu Grunde liegenden Erwägungen entsprechend. Ob die Quantifizierung der Therapiealternative eine erstmalige gutachtliche Bewertung voraussetzt, kann dahin gestellt bleiben, weil der Antragsteller in seiner Antwort eine solche Quantifizierung gerade nicht vorgenommen, sondern auf die Tatsache Bezug genommen hat, dass er Heilmittel nicht als therapeutische Alternative eingeschätzt habe. 10. Ist das in der Anlage abgebildete Therapietandem Fun2Go geeignet, um diese Therapieziele zu erreichen? Bitte berücksichtigen Sie dabei insbesondere folgende Ausstattung: ( ) Ist diese Ausstattung insbesondere hinsichtlich der evtl. therapeutisch relevanten Aspekte geeignet: Aktivität, kontinuierliche Bewegung, Ruhepausen, Motivation/Compliance, Koordination, Gleichgewicht? Welche Ausstattung müsste ein geeignetes Therapietandem gegebenenfalls aufweisen? Die Beurteilung der therapeutischen Eignung des Therapietandems in der vom Patienten gewählten Ausstattung, beinhaltet zwar eine sachverständige Bewertung. Tatsächlich muss diese Beurteilung aber bereits getroffen worden sein und kann deshalb Gegenstand eines Auskunftsersuchens über Tatsachen sein. Der Antragsteller hat das Therapietandem vom Typ F. selbst verordnet. Gefordert ist demnach lediglich ein Vergleich von Tatsachen, nämlich ob das Hilfsmittel mit der vom Patienten gewählten Ausstattung der Verordnung entspricht. Letztlich wird also nach den Merkmalen gefragt, die das Hilfsmittel nach der ärztlichen Verordnung aufweisen oder nicht aufweisen sollte. Das Gericht geht davon aus, dass diese mitgedanklich Gegenstand der therapeutischen Entscheidung für die Verordnung des Hilfsmittels gewesen sein müssen. Als der Verordnung vorausgegangene Überlegungen müssen sie entweder dokumentiert oder als innere Tatsache präsent sein. Sie sind damit zulässiger Gegenstand eines Auskunftsersuchens, ohne dass dem Antragsteller die erstmalige Bewertung neuer Tatsachen abverlangt wird. Ebenso zielt die Frage nach der notwendigen Ausstattung lediglich auf eine Konkretisierung der streitgegenständlichen Verordnung im Sinne der bereits vor deren Ausstellung getroffenen Therapieentscheidung ab. Auch damit wird also nur ein als präsent vorausgesetzter Fakt erfragt. 11. Bitte nehmen Sie kurz Stellung zur beiliegenden Einschätzung des MDK vom 17.11.2009. Schließen Sie sich der Auffassung der MDK-Prüfärztin an? Ggf. in welchen Punkten nicht? Bei dieser Frage handelt es sich um eine gutachtliche Zusatzfrage, die dem Antragsteller eine inhaltliche Auseinandersetzung und Bewertung mit der Stellungnahme des MDK abverlangt. Über die Ausstellung eines Befundscheins oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne nähere gutachtliche Äußerung im Sinne der Nr. 200 und 201 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG geht die geforderte Antwort hinaus. Da die geforderte Stellungnahme jedoch nur ergänzende Bedeutung hat und dabei lediglich eine schlagwortartige Darstellung der wesentlichen Erwägungen ohne wissenschaftliche Vertiefung der Begründung erwartet wird, verleiht die Frage dem Auskunftsersuchen insgesamt noch nicht den Charakter eines Sachverständigengutachtens. Vielmehr handelt es sich bei der geforderten Stellungnahme um eine kurze gutachtliche Äußerung im Sinne der Nr. 202 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG. Weil der Fragenkatalog des Gerichts sehr umfangreich und die Auskunft der befragten Ärzte sehr ausführlich und gründlich ausgefallen sind, ist es gerechtfertigt, die Auskunft als außergewöhnlich umfangreich im Sinne der Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu beurteilen und deshalb dem Antragsteller das maximale Honorar nach dieser Vorschrift in Höhe von 75,00 EUR zu gewähren. Es bedarf keiner vertieften Erörterungen, ob damit die Leistung des Antragstellers im vorliegenden Einzelfall angemessen vergütet ist. Bei den Sätzen nach Nr. 200 bis 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG handelt es sich um Pauschalen, die sich mit Rücksicht auf den Regelfall gerichtlicher Anfragen im Rahmen des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers halten. Eine Abgeltung sämtlicher mit der Beantwortung des Auskunftsersuchens verbundener Kosten in jedem Einzelfall ist nicht geboten, wie auch umgekehrt den Auskunftspersonen anders als Sachverständigen nicht der Nachweis tatsächlicher Aufwendungen in Höhe des Honorars abverlangt wird. Da es sich bei dem in Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG genannten betrag von 75,00 EUR um eine zwingende gesetzliche Obergrenze für das Honorar handelt, ist dem Gericht eine hiervon abweichende Festsetzung wegen der Bindung an das Gesetz verwehrt. Aus dem Honorar nach Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG (75,00 EUR) sowie der Entschädigung für die Schreibauslagen und Porto nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG (0,55 EUR Porto sowie 0,75 EUR Schreibauslagen je angefangene 1.000 Zeichen, insgesamt 11,25 EUR) ergibt sich der Entschädigungsbetrag von 86,80 EUR. Gemessen an der mit Antrag vom 21.11.2010 geltend gemachten Vergütung von 371,80 EUR ist gegen diesen Beschluss die Beschwerde gemäß § 4 Abs. 3 JVEG kraft Gesetzes gegeben, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt; vorsorglich hat das Gericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen, nach welchen Kriterien ein außergewöhnlich umfangreiches Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit gutachtlicher Äußerung gegenüber einem Sachverständigengutachten abzugrenzen ist.
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved