L 3 U 65/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 96/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 65/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSN IV) erforderlich. Weiterhin kann ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die betreffende Störung hervorzurufen.
Eine leichtgradige Halswirbelsäulen-Distorsion und Brustwirbelsäulenprellung bei dem frontalen Erfassen eines Rehs mit dem PKW ist regelmäßig nicht unfallursächlich für eine chronische Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4).
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.11.2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 18.08.2005 Heilbehandlung über den 26.01.2006 hinaus sowie die Bewilligung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.

Der 1970 geborene Kläger war als Fuhrunternehmer selbständig tätig, als er am 18.08.2005 gegen 3.30 Uhr nahe U. in Oberösterreich mit dem PKW ein Reh frontal erfasste. Bei dem Aufprall verspürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Unmittelbar danach bekam er nach seinen eigenen Angaben starke Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen sowie weitere Beschwerden wie Übelkeit und Schwindel.

Prof.Dr.K. (Klinikum T.) beschrieb mit Durchgangsarztbericht vom 19.08.2005 eine paravertebral langstreckig schmerzhafte Halswirbelsäule (HWS) und Brustwirbelsäule (BWS). Nach Röntgenuntersuchung wurde eine Fraktur ausgeschlossen und eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Die Augenärzte Dres.D. und Koll. schlossen mit Augenarztbericht vom 24.08.2005 Gesichtsfeldausfälle aus und diagnostizierten eine Akkomodationsstörung und eine Commotio cerebri. Dr.H., Oberarzt am Klinikum T., beschrieb mit Verlaufsbericht vom 23.09.2005 eine schwere HWS-Distorision und BWS-Prellung mit protrahiertem Heilungsverlauf und Schmerzen. Die vorbestehenden minimalen Bandscheibenprotrusionen im unteren HWS-Bereich seien möglicherweise durch das Unfallereignis verstärkt worden. Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) werde bis 30.09.2005 angesetzt. Eine MdE im rentenberechtigenden Grade werde wahrscheinlich nicht verbleiben.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) der Radiologischen Gemeinschaftspraxis T. vom 22.09.2005 ergab eine leichte degenerative Diskopathie der unteren HWS und der mittleren bis unteren BWS, links mediolaterale Protrusion C5/6, leichte Einengung des Neuroforamens in dieser Höhe linksseitig, diskrete Uncovertebralarthrose, keinen Anhalt für eine posttraumatische Myelonläsion im Bereich der HWS und BWS. Prof.Dr.K. bestätigte dies aus unfallchirurgischer Sicht mit Arztbrief vom 13.10.2005. Wegen des protrahierten Heilverlaufs sei der Kläger voraussichtlich noch für weitere zwei Wochen arbeitsunfähig. Prof.Dr.B. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) diagnostizierte mit Arztbrief vom 05.12.2005 eine HWS-Distorsion und BWS-Prellung infolge des Unfalles vom 18.08.2005 sowie unfallunabhängig eine Bandscheibenprotrusion C5/C6. Wegen anhaltender Beschwerden wurde eine BGSW-Maßnahme (Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung) ab 14.12.2005 mit dem Ziel veranlasst, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Sollte nach Abschluss der Maßnahme keine Arbeitsfähigkeit erreicht werden, seien die Beschwerden danach als unfallunabhängig zu werten. Mit Abschlussbericht vom 31.01.2006 bestätigte Prof.Dr.B. das Fortbestehen der Schmerzsymptomatik, wertete diese als unfallunabhängig und teilte mit, es bestehe bei dem Kläger ab dem 27.01.2006 wieder Arbeitsfähigkeit.

Dr.L. kam mit fachneurologischem Zusammenhangsgutachten vom 05.05.2006 zu dem Ergebnis, bei dem Unfall sei es aus neurologischer Sicht zu einer leichtgradigen Beschleunigungsverletzung der HWS und BWS gekommen, welche passagäre Kribbelparästhesien in den Händen verursacht hätten. Diese seien innerhalb weniger Wochen abgeklungen. Vor dem Unfall habe eine Migräne ohne Aura bestanden. Sie sei durch den Unfall nicht wesentlich verschlimmert worden. Dr.F. führte mit fachorthopädischem Gutachten vom 14.06.2006 aus, der Kläger habe bei dem Unfallereignis vom 18.08.2005 eine Halswirbelsäulen- und Brustwirbelsäulenzerrung erlitten, die eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis 30.09.2005 verursacht habe. Das myofasciale Schmerzsyndrom im Bereich der Wirbelsäule bei geringgradiger Rundrückenbildung sowie initialer Bandscheibendegeneration verbunden mit flacher Bandscheibenvorwölbung am Segment C5/C6 sei unfallfremd.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11.07.2006 einen Anspruch auf Rente ab und stellte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit vom 18.08.2005 bis 26.01.2006 fest. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2007 zurückgewiesen.

Nachdem der Kläger aufgrund seiner erheblichen Beschwerden sein Gewerbe zum 31.07.2006 abgemeldet hatte, stellte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 20.07.2007 Antrag auf Erlass einer Zugunstenentscheidung. Nach Ansicht des Klägers bestehe unfallbedingt eine weitere Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit über den 26.01.2006 hinaus. Gleichzeitig werde die Gewährung einer Verletztenrente beantragt. Bei dem Kläger bestünden nach wie vor starke Schmerzen aufgrund einer Überdehnung der Rückenmarkhaut. Beigefügt war u.a. der Bericht des Klinikums T., Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie vom 16.03.2007 mit den schmerzbezogenen somatischen Diagnosen myofasciales Schmerzsyndrom der thorakalen Rücken-, Schulter- und Nackenmuskulatur, chronische Spannungskopfschmerzen und Migräne ohne Aura.

Mit Bescheid vom 17.09.2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 11.07.2006 ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2008 zurückgewiesen. Die vorgelegten Arztbriefe des Klinikums T. enthielten keine Gesichtspunkte, um einen Zugunstenbescheid zu erlassen.

Der Prozessbevollmächtigte hat am 19.02.2008 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und mit Schriftsatz vom 19.03.2008 beantragt, die Beklagte im Wege einer Zugunstenentscheidung zu verurteilen, Heilbehandlung über den 26.01.2006 hinaus zu gewähren sowie dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von mindestens 20 v.H. zuzusprechen. Die Schmerztherapie bei Dr.G. (Klinikum T.) habe keine Besserung gebracht. Ergänzend hat der Kläger die ihm vorliegenden einschlägigen Röntgen- und MRT-Aufnahmen zur Verfügung gestellt. Dr.B. hat mit Befundbericht vom 12.04.2008 auf das Fortbestehen von Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule hingewiesen und die ihm vorliegenden Fremdbefunde übermittelt.

Die Sachverständigen Prof.Dr.M.M.W. und Prof.Dr.F.W. (Max-Planck-Institut für Psychiatrie) sind mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 17.11.2008 zu dem Ergebnis gekommen, bei dem Kläger habe Arbeitsunfähigkeit vom 18.08.2005 bis zum 26.01.2006 bestanden. Anschließend habe sich unfallbedingt eine chronifizierte Schmerzstörung entwickelt, die eine MdE von 20 v.H. bedinge. Seit dem 16.09.2008 sei der Kläger in der Lage, 20 Stunden pro Woche zu arbeiten, so dass sich eine Besserung der chronischen Schmerzstörung abzeichne. Hierbei haben die Sachverständigen das psychologische Zusatzgutachten der Dr.B. vom 01.10.2008 mitberücksichtigt. Bei dem Kläger hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Störung oder Angststörung ergeben, was für die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung eher untypisch sei.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.E. vom 27.01.2009 vorgelegt. Die Schlussfolgerung der Sachverständigen, dass es keine durch den Unfall verursachten strukturellen Veränderungen in der klinischen neurologischen und in den technischen Untersuchungen gebe, der Kläger jedoch im beruflichen und sozialen Bereich eingeschränkt sei und aus diesem Grunde von einer somatoformen Schmerzstörung im Sinne der ICD 10 F.45.4 auszugehen sei, sei in keiner Weise nachvollziehbar. Gerade das psychologische Zusatzgutachten betone, dass es sich um keine psychische Störung handele. Dort sei lediglich differenzialdiagnostisch die Diskussion einer Schmerzstörung mit psychischen Faktoren angeregt worden.

Mit Stellungnahme vom 11.03.2009 haben Prof.Dr.M.M.W. und Prof.Dr.F.W. an ihrer Auffassung festgehalten, die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung begründe die vorgeschlagene MdE von 20 v.H., weil sich im Rahmen des strukturierten klinischen Interviews kein Anhalt für das Vorliegen von affektiven Störungen, psychotischen oder asoziierten Symptomen, Missbrauch oder Abhängigkeit von psychotropen Substanzen, einer Angststörung, Essstörung oder einer Persönlichkeitsstörung gefunden habe. Dr.E. erwiderte am 04.06.2009, dass bei einer somatoformen Schmerzstörung der Schmerz in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen auftrete.

Das SG hat mit Urteil vom 20.11.2009 die Bescheide der Beklagten vom 16.09.2006 (richtig: 11.07.2006) und 17.09.2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.02.2007 und 29.01.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu leisten sowie Heilbehandlung über den 26.01.2006 hinaus. Hierbei hat sich das SG auf die gutachterlichen Ausführungen der Prof.Dr.M.M.W. und Prof.Dr.F.W. gestützt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 16.02.2010. Entsprechend dem Abschlussbericht des Prof.Dr.B. vom 31.01.2006, dem Gutachten des Dr.L. vom 05.05.2006 und des Dr.F. vom 14.06.2006 hätten bei dem Kläger unfallbedingt Arbeitsunfähigkeit und Heilbehandlungsbedürftigkeit nur bis einschließlich 26.01.2006 ohne Anspruch auf Bewilligung einer Verletztenrente bestanden. Die gutachterlichen Ausführungen der Prof.Dr.M.M.W. und Prof.Dr.F.W. seien durch die beratungsärztlichen Stellungnahmen der Dr.E. vom 27.01.2009 und 04.06.2009 widerlegt.

Der Sachverständige Prof.Dr.C. (I.-Klinikum) kommt mit psychiatrischem Gutachten vom 08.11.2010 zu dem Ergebnis, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur bis zum 26.01.2006 (Beendigung der stationären Maßnahme in der Unfallklinik M.) bestanden habe. Über diesen Zeitraum hinaus habe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mehr bestanden, jedoch aufgrund der Entwicklung der chronischen Schmerzerkrankung eine unfallbedingte Heilbehandlungsbedürftigkeit. Die unfallbedingt ausgelöste chronische Schmerzerkrankung bedinge eine MdE von 20 v.H. Im Übrigen sei der neurologische Befund unauffällig, so dass Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet nicht festzustellen seien.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr.Dr.W. vom 15.03.2011 vorgelegt. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Prof.Dr.C. sei er der Ansicht, dass der Unfall vom Jahre 2005 eine gewisse Auslöserfunktion in Bezug auf die nachfolgend eingetretene somatoforme Schmerzstörung gehabt habe. Tatsächlich fehle es an einer überzeugenden Begründung dafür, dass ein im Prinzip minderschwerer Unfallhergang mit dem Überfahrtrauma eines Rehs mit dem PKW allgemein geeignet gewesen sein solle, für den Rest des Lebens des Klägers eine somatoforme Schmerzstörung ursächlich zu bedingen. Insoweit enthalte das Gutachten des Prof.Dr.C. vom 08.11.2010 keine weiterführenden Aussagen zur Kausalität.

Prof.Dr.C. hält mit Stellungnahme vom 19.05.2011 daran fest, dass das Trauma vom 18.08.2005 als entscheidender ursächlicher somatischer Faktor für die weitere Entwicklung der chronischen Schmerzstörung zu betrachten sei.

Die Sachverständige Dr.D. kommt mit nervenärztlichem Gutachten vom 03.11.2011 zu dem Ergebnis, dass die bei dem Kläger bestehende Schmerzsymptomatik nicht kausal auf den Unfall vom 18.08.2005 zurückgeführt werden könne. Die wechselhafte schulische und berufliche Biographie des Klägers zeige deutliche Versagenserlebnisse und Ambivalenzen zwischen Autonomie und Selbstbestätigung einerseits, aber doch den Wunsch nach Absicherung und auch Anerkennung durch die Eltern andererseits bei finanziellen Schwierigkeiten als Fuhrunternehmer ohne regelmäßigen und ausreichenden Verdienst. In Berücksichtigung auch schon vor dem Unfall klinisch manifester mit entsprechenden Diagnosen und Behandlungen spätestens seit Beginn des Jahres 2005 gesicherter Schmerzen habe der Unfall vom 18.082005 mit leichten Zerrungen im Bereich der paravertebralen Muskulatur allenfalls nur zu einer vorübergehenden Verschlimmerung geführt. Dann wäre üblicherweise ein Dekrescendo-Charakter der Beschwerden zu erwarten gewesen, der aber so dauerhaft nicht eintrat. Deshalb habe schon Dr.F. im Juni 2006 den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung geäußert. Eine solche hätte aufgrund der damaligen Situation des Klägers durch jede andere Gelegenheitsursache in Gang gebracht werden können. Damit sei die Anerkennung einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Heilbehandlungsbedürftigkeit bis zum 26.01.2006 ausgesprochen großzügig. Die darüber hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit seien jedoch nicht mehr den Unfallfolgen vom 18.08.2005 anzulasten. Eine unfallbedingte MdE messbaren Grades liege nicht vor.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.11.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Unerlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Die chronische Schmerzerkrankung ist nicht dem Unfall vom 18.08.2005 ursächlich anzulasten. Unfallbedingt liegt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) messbaren Grades vor. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Heilbehandlungsbedürftigkeit hat bei dem Kläger längstens bis zum 26.01.2006 bestanden.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", d.h. mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d.h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen inneren Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG); vgl. zuletzt BSG mit Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr.17; BSG mit Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R in SozR 4-2700 § 8 Nr.31).

Danach ist zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSN IV) erforderlich. Weiterhin kann ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die betreffende Störung hervorzurufen (BSG mit Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei dem Kläger bestehende chronische Schmerzstörung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4) durch das Unfallereignis vom 18.08.2005 nicht wesentlich ursächlich entstanden ist, sondern sich nur gelegentlich dieses Unfalles auf Dauer manifestiert hat. Somatoforme Störungen im Sinne der ICD-10: F 45 sind dadurch definiert, dass von Probanden körperliche Symptome hartnäckig geschildert werden trotz wiederholter negativer Ergebnisse und der Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F 45.4) ist durch einen länger anhaltenden schweren und bleibenden Schmerz in einer Körperregion gekennzeichnet, ohne dass eine angemessene körperliche Störung gesichert werden kann. Somatoforme Symptome können vielmehr aufgefasst werden als symbolische Darstellung eines unbefristeten Konflikts oder als ein unter Umständen gelerntes Äquivalent eines psychischen Konflikts, mit dem eine angemessene Auseinandersetzung nicht ausreichend möglich ist (Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl., 2000, S. 509).

Der Senat folgt dem nervenärztlichen Gutachten der Sachverständigen Dr.D. vom 03.11.2011, die sich eingehend mit der Vorgeschichte des Klägers auseinandergesetzt hat. Vorbestehend ist auch eine unfallunabhängige Migräne aktenkundig, außerdem eine initiale Bandscheibendegeneration verbunden mit flacher Bandscheibenvorwölbung am Segment C5/C6. Es sind auch belastende soziale Faktoren aktenkundig: Der Kläger hat 1989 eine Ausbildung zum Justizbeamten begonnen, diese jedoch vorzeitig beendet. 1991 ist er für vier Jahre zur Bundeswehr gegangen und hat nach der Grundausbildung eine Ausbildung zum Wartungsmechaniker absolviert, wegen einer Sinnkrise nach vier Jahren jedoch nicht verlängert. Im Folgenden hat er noch mit Förderung der Bundeswehr 1996 einen Abschluss als Fluggerätemechaniker erworben, aber diesen Berufsweg nicht mehr weiter verfolgt. Anschließend hat er sich mit seiner früheren Freundin (Floristin) im Frühjahr 1996 mit einem Blumen-Einzelhandel in Bad R. selbständig gemacht, ist jedoch wegen Auseinanderbrechen der Beziehung im Jahr 2002 aus dem Geschäft ausgeschieden. Nach einer Episode als Tauchlehrer in Afrika hat er sich als Fuhrunternehmer selbständig gemacht. Das Problem bei dieser Tätigkeit seien die unregelmäßigen Aufträge gewesen. Er hat nur Geld verdient, wenn er gefahren ist, manchmal 2.800,00 EUR, aber auch mal nur 600,00 EUR im Monat. Er hat ab März oder April 2005 nur noch Nachtfahrten ausgeführt. Diese Tätigkeit ist für ihn der "pure Stress" gewesen. Er hat nach eigenen Angaben "alles im Dauerlauf erledigen müssen und sei ständig unter Strom gestanden".

In Berücksichtigung dieser Gesamtumstände führt Dr.D. mit Gutachten vom 03.11.2011 schlüssig und überzeugend aus, dass die organischen Teilfaktoren für die bei dem Kläger bestehende Schmerzsymptomatik nicht Folge des Unfalls vom 18.08.2005 sind, sondern in den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule objektivierbar sind. Im Übrigen bietet der Kläger die typischen biographischen Charakteristika von Patienten mit chronischen Schmerzstörungen. Diese Schmerzen sind hier auch schon vor dem Unfall vom 18.08.2005 klinisch manifest gewesen mit entsprechenden Diagnosen und Behandlungen. Der insgesamt eher leichte Unfall vom 18.08.2005 mit leichten Zerrungen im Bereich der paravertebralen Muskulatur hat hier nur zu einer allenfalls vorübergehenden Verschlimmerung geführt. Dann wäre üblicherweise ein Dekrescendo-Charakter der Beschwerden zu erwarten gewesen, der aber so nicht dauerhaft eingetreten ist. Die diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung hätte aufgrund der damaligen Situation des Klägers auch durch jede andere Gelegenheitsursache in Gang gebracht werden können.

Auch Dr.L. hat im Rahmen seiner nervenärztlichen Begutachtung vom 24.04.2008 darauf hingewiesen, dass bei dem Unfall vom 18.08.2005 es aus neurologischer Sicht nur zu einer leichtgradigen Beschleunigungsverletzung der HWS und BWS gekommen ist, welche passagere Kribbelparästhesien in den Händen verursacht hat. Diese sind innerhalb weniger Wochen abgeklungen. Daneben hat bereits vor dem Unfall eine Migräne ohne Aura bestanden. Diese unfallunabhängig bestehende Migräne ist durch den Unfall nicht wesentlich verschlimmert worden. Dr.F. hat im Folgenden mit fachorthopädischem Gutachten vom 14.06.2006 schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass in Berücksichtigung der vorbestehenden initialdegenerativen Bandscheibenveränderungen am Segment C5/C6 das myofasciale Schmerzsyndrom nicht dem angeschuldigten Ereignis vom 18.08.2005 zugeordnet werden kann. Nicht auszuschließen ist eine unfallunabhängige somatoforme Schmerzstörung aufgrund der ausgeprägten Schmerzsymptomatik ohne entsprechend strukturelles Korrelat.

Die Ausführungen des Dr.F. korrespondieren mit dem psychologischen Zusatzgutachten der Dr.B. vom 01.10.2008. Danach haben sich bei dem Kläger keine Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Störung oder Angststörung gezeigt, was für die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung eher untypisch ist, da diese in der Regel eine hohe Überlappung mit depressiven Störungen und Angststörungen aufweist. Differenzialdiagnostisch sei die Diagnose einer Schmerzstörung in Verbindung mit sowohl psychischen Faktoren wie einem medizinischen Faktor zu diskutieren. Die hierauf aufbauenden gutachterlichen Ausführungen der Prof.Dr.M.M.W. und Prof.Dr.F.W. vom 17.11.2008 überzeugen nicht, dass nach dem Unfall ein chronisches Schmerzsyndrom im HWS- und BWS-Bereich aufgetreten sei, das weiterhin persistiert, so dass von einer anhaltenden Verschlimmerung der vorbestehenden Beschwerden auszugehen sei. Denn allein das zeitliche Zusammentreffen mit dem Unfallereignis vom 18.08.2005 bedingt noch nicht dessen Ursächlichkeit im sozialrechtlich-unfallrechtlichen Sinne.

Auch die gutachterlichen Ausführungen des Prof.Dr.C. mit Gutachten vom 08.11.2010 sind insoweit ungenügend, weil sie sich mit konkurrierenden Faktoren nicht ausreichend auseinandersetzen. Vielmehr hat Dr.Dr.W. mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 15.03.2011 (in Bestätigung der Ausführungen der Dr.E. vom 04.06.2009) zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Unfallereignis vom 18.08.2005 allenfalls eine Auslöserfunktion in Bezug auf die nachfolgend eingetretene somatoforme Schmerzstörung zukommt. Denn es hat sich um einen minderschweren Unfallhergang mit dem Überfahrtrauma eines Rehs gehandelt. Ein solcher Vorgang ist nicht allgemein geeignet, für den Rest des Lebens eine somatoforme Schmerzstörung im ursächlichen Sinne hervorzurufen, selbst wenn es wie hier zu einer HWS-Distorsion und BWS-Prellung gekommen ist.

Zusammenfassend haben die begutachtenden Ärzte zwar die Diagnose ICD-10: F 45.4 bzw. F 45.41 gestellt. Aber nur Dr.D. hat sich eingehend und überzeugend damit auseinandergesetzt, dass in Berücksichtigung der konkurrierenden Ursachen, vorbestehenden Symptomen und anderweitigen Kausalgefügen das bei dem Kläger bestehende chronische Schmerzsyndrom nicht dem Unfallereignis vom 18.08.2005 im unfallrechtlichen Sinne angelastet werden kann.

Nach alledem war das Urteil des SG vom 20.11.2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 17.09.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2008 abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SG

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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