L 8 R 630/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 547/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 630/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 14.6.2012 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.522,98 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wehrt sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.3.2012, mit dem diese eine Beitragsnachforderung von 6.091,93 Euro einschließlich Säumniszuschlägen von 428,00 Euro für den Prüfzeitraum 16.7.2007 bis 1.4.2009 festgesetzt hat, und ein Schreiben der Antragsgegnerin vom selben Tag an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), demzufolge die Antragstellerin habe für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2009 eine um 808,00 Euro zu geringe Lohnsumme gemeldet.

Die Antragstellerin betreibt gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. In ihren Arbeitsverträgen verwies sie auf die zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit (CGZP) und dem Arbeitnehmerverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) geschlossenen Tarifverträge. Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der CGZP kündigte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.11.2011, der Antragsgegnerin zugegangen am 23.11.2011, eine Betriebsprüfung für den 2.12.2011 an. Die Antragstellerin bat mit Schreiben vom 25.11.2011 um Anberaumung eines neuen Prüftermins, da ihr Geschäftsführer, der die Administration des Unternehmens allein erledige, auf Grund der Kurzfristigkeit den Termin am 2.12.2011 nicht wahrnehmen könne. Zugleich wies sie darauf hin, dass ihr Antragsteller im Anschluss an eine beabsichtigte Reha-Maßnahme erst Mitte Januar 2012 wieder im Büro zur Verfügung stehen werde. Die Antragsgegnerin führte die Betriebsprüfung vom 30.1. bis 2.2.2012 durch. Die dabei festgesetzte Nachforderung sowie die festgestellte Entgeltdifferenz in der gesetzlichen Unfallversicherung errechnete sie auf der Grundlage der von der Antragstellerin nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte.

Die Antragstellerin erhob gegen den Bescheid sowie das Schreiben vom 29.3.2012 Widerspruch und beantragte einstweiligen Rechtsschutz durch das Sozialgericht (SG) Duisburg. Das SG lehnte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide ab (Beschluss v. 14.6.2012). Hinsichtlich des Schreibens vom 29.3.2012 sei der Antrag bereits unzulässig, da es sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 86b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handele, sondern lediglich um eine Prüfmitteilung nach § 28p Abs. 1b Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV); die Erteilung eines Bescheides sei insoweit ausdrücklich der VBG vorbehalten (§ 28p Abs. 1b Satz 2 SGB IV). Im Übrigen hat das SG keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29.3.2012 gehabt und sich zur Begründung u.a. auf den Beschluss des erkennenden Senates vom 10.5.2012 (L 8 R 164/12 B ER) gestützt.

Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluss vertieft die Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie trägt insbesondere vor, die Nachforderung sei verwirkt, denn Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit hätten die Inbezugnahme von unter Beteiligung der CGZP geschlossenen Tarifverträgen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) für "unproblematisch" gehalten oder sogar empfohlen. Für das Jahr 2007 erhebt die Antragstellerin zudem die Einrede der Verjährung. Diese sei nicht nach § 25 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 5 SGB IV gehemmt worden, weil die ursprüngliche Prüfankündigung zu kurzfristig ergangen sei und die Antragsgegnerin die Durchführung der Prüfung erst ab Januar 2012 zu vertreten habe.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Duisburg vom 14.6.2012 die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 29.3.2012 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie schließt sich der Entscheidung des SG an und verweist ergänzend auf den angefochtenen Bescheid sowie ihren erstinstanzlichen Vortrag.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid und das Schreiben der Antragsgegnerin vom 29.3.2012 anzuordnen.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das SG entschieden, dass das der Amtragstellerin lediglich zur Kenntnis gegebene Schreiben der Antragsgegnerin an die VBG kein Verwaltungsakt im Sinne von § 86b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG ist, sodass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht kommt. Der Senat schließt sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung an und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

2. Ebenfalls zu Recht hat das SG es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.3.2012 anzuordnen.

a) Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER, juris).

b) Auf dieser Grundlage hat das SG zunächst mit zutreffender Begründung dargelegt, aus welchen Gründen an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 29.3.2012 derzeit keine ernstlichen Zweifel bestehen. Der Senat nimmt hierauf Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und verweist ergänzend auf seinen Beschluss v. 25.6.2012 (L 8 R 382/12 B ER, juris). Auch im vorliegenden Fall ist im Anschluss an den Beschluss des Berlin-Brandenburg v. 9.1.2012 (24 TaBV 1285/11 u.a., DB 2012, 69), der inzwischen rechtskräftig ist (BAG, Beschluss v. 22.5.2012, 1 ABN 27/12, juris), davon auszugehen, dass die CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzung v. 5.12.2005 und damit im gesamten hier streitbefangenen Zeitraum nicht tariffähig war (BAG, Beschluss v. 23.5.2012, 1 AZB 58/11, NZA 2012, 623).

c) Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

aa) Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht entgegen. Das gilt auch, falls sich der - bislang nicht mit den im einstweiligen Rechtsschutz üblichen Beweismitteln glaubhaft gemachte - Vortrag der Antragstellerin bestätigen sollte, Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit hätten ihr im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung die Anwendung der unter Beteiligung der CGZP geschlossenen Tarifverträge empfohlen.

(1) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 AÜG bestimmt, dass die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu versagen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer das equal-pay-Arbeitsentgelt nicht gewährt. Allerdings können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung abweichender tarifvertraglicher Regelungen vereinbaren (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 i.V.m. Satz 3 AÜG). Für die Durchführung des Gesetzes ist die Bundesagentur für Arbeit zuständig (§ 17 AÜG).

Vor dem Hintergrund dieser Regelung kann der durch eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit ausgelöste Vertrauensschutz nicht weiter reichen als der Schutz einer bestandskräftigen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 2 AÜG, bei deren Erteilung die Versagungsgründe des § 3 AÜG zu prüfen sind. Die Erlaubnis oder ihre Verlängerung darf dabei schon aus Gründen der Rechtssicherheit erst dann auf die Unwirksamkeit eines Tarifvertrages im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Sätze 3 und 4 AÜG gestützt werden, wenn diese rechtskräftig festgestellt ist (Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl. 2010, § 3 Rdnr. 161). Das gilt umso mehr, wenn die Unwirksamkeit - wie hier - auf der Tarifunfähigkeit einer vertragschließenden Gewerkschaft beruht, die nur im Rahmen eines speziellen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens festgestellt werden kann (§§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 5 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz).

(2) Hinzu kommt, dass Feststellungen zu Versicherungspflicht und Beitragshöhe außerhalb eines Betriebsprüfungsverfahrens im Allgemeinen nicht von der Bundesagentur für Arbeit, sondern von der Einzugsstelle getroffen werden (§ 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesagentur eine hiervon abweichende Feststellung treffen wollte, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil heißt es im von der Antragstellerin selbst überreichten Schreiben vom 23.5.2007: "Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich noch darauf hinweisen, dass meine Behörde selbstverständlich nicht Instanz arbeitsrechtlicher Entscheidungsfindung ist. Meine Feststellungen haben daher außerhalb des Erlaubnisverfahrens, z.B. in arbeitsrechtlichen Verfahren, keine rechtliche Verbindlichkeit."

bb) Die Beitragsforderung ist nach summarischer Prüfung auch nicht verjährt, soweit sie sich auf das Jahr 2007. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren nämlich erst in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).

(1) Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 10.5.und 25.6.2012 (a.a.O.) unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7) bereits entschieden, dass § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV auch dann zum Tragen kommt, wenn der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bei ihrer Fälligkeit noch nicht vorlag, jedoch bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2006, hinsichtlich dessen die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV am 31.12.2010 und damit kurz nach Verkündung des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 abgelaufen ist, hat er gleichwohl die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Beitragsnachforderungen angeordnet, weil die jeweiligen prüfenden Rentenversicherungsträger bislang keinerlei einzelfallbezogene Feststellungen zu den Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes getroffen hatten.

(2) An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch eingedenk der daran geäußerten Kritik (vgl. Diepenbrock, jurisPR-ArbR 27/2012 Anm. 6) fest, mit der auf die bereits im Laufe des Jahres 2010 geführte Diskussion zu möglichen beitragsrechtlichen Konsequenzen einer Tarifunfähigkeit der CGZP hingewiesen worden ist. Die Reichweite des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 war am 31.12.2010 insbesondere hinsichtlich rückwirkender Forderungen noch nicht geklärt, zumal die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vorlagen. Vor diesem Hintergrund ist bis zu einer Klärung in der Hauptsache für das Jahr 2006 von ernstlichen Zweifeln am bedingten Vorsatz auszugehen, sofern im angefochtenen Bescheid keine abweichenden einzelfallbezogenen Feststellungen getroffen worden sind bzw. im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz getroffen werden können.

(3) Anderes gilt hingegen für das Jahr 2007. Zwar müssen auch hier gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren noch einzelfallbezogene Feststellungen getroffen werden. Angesichts des gerichtskundigen (§ 202 SGG i.V.m. § 291 Zivilprozessordnung) Verlaufs, den die Diskussion um rückwirkende Beitragsforderungen wegen der Tarifunfähigkeit der CGZP im Laufe des Jahres 2011 genommen hat, insbesondere im Hinblick auf die zahlreichen bereits seinerzeit durchgeführten und auch im vorliegenden Fall angekündigten Betriebsprüfungen erscheint es jedoch zumindest nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die zuständigen Organe eines Unternehmens der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung bis zum Ende des Jahres 2011 noch keine Kenntnis von einer möglichen Beitragsverpflichtung auch für das Jahr 2007 hatten. Umstände, die Zweifel an einer dahingehenden Kenntnis im vorliegenden Fall begründen könnten, sind weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen worden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz. Angesichts der geringen Höhe der voraussichtlich aus der unterbliebenen Entgeltmeldung zur VBG zu erwartenden Nachforderung hält der Senat eine Erhöhung des sich aus einem Viertel der Nachforderung ergebenen Streitwerts nicht für angemessen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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