L 2 R 12/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 RJ 4667/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 12/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 204/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente über die Zulässigkeit der Berufung.

Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Erwerbsminderungsrente vom 10. September 2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2003 ab, sein hiergegen erhobener Widerspruch blieb erfolglos.

Mit Telefax vom 22. Dezember 2003 bestellte sich der Rechtsanwalt, der den Kläger schon im Verwaltungsverfahren vertreten hatte, als Bevollmächtigter des Klägers und erhob in dessen "Namen und in Vollmacht" die nicht näher begründete Klage gegen die ablehnenden Verwaltungsbescheide. Mit richterlichem Schreiben vom 28. Juni 2006 an den Rechtsanwalt wies das Sozialgericht u. a. darauf hin, dass mangels Vorlage einer wirksamen Prozessvollmacht im Original eine zulässige Klageerhebung nicht vorliege. Es beabsichtige daher, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und räumte die Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zugang des gerichtlichen Schreibens ein.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2007 wies das Sozialgericht die Klage als unzulässig ab. Eine wirksame Prozessvollmacht sei trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht vorgelegt worden, die aus dem Verwaltungsverfahren der Beklagten stammende Vollmacht reiche nach ihrem Inhalt für eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung im Klageverfahren nicht aus. Ausweislich des in den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses ist der Gerichtsbescheid dem Rechtsanwalt am 17. Juli 2007 zugestellt worden.

Am 7. Januar 2011 haben die heutigen Prozessbevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei dem Kläger nicht (wirksam) zugestellt worden, die Berufungsfrist durch die Zustellung an den vom Sozialgericht für vollmachtlos gehaltenen Rechtsanwalt nicht in Gang gesetzt worden. Der Kläger, der seinen Bevollmächtigten aus dem Verwaltungsverfahren auch zur Klageerhebung beauftragt und ordnungsgemäß bevollmächtigt habe, habe sich über die Jahre immer wieder bei ihm über den Fortgang des Klageverfahrens unterrichtet, sei aber unter Hinweis auf lange Laufzeiten bei Gericht eins um andere mal vertröstet worden. Erst am 8. Dezember 2010 habe er in einem anderen sozialgerichtlichen Verfahren zufällig von dem unter dem 10. Juli 2007 ergangenen Gerichtsbescheid erfahren.

Hilfsweise beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist, ganz hilfsweise genehmigte er die Prozesshandlungen seines Bevollmächtigten aus der ersten Instanz.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2007 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Frankfurt am Main zurückzuverweisen,
hilfsweise unter vorheriger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den Inhalt des richterlichen Hinweises des Gerichts vom 2. März 2012, in dem zur Zulässigkeit der Berufung ausgeführt wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 27. März 2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist wegen Versäumung der Berufungsfrist nach § 151 Abs. 1 SGG unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht.

Der mit der Berufung angegriffene Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2007 ist rechtskräftig. Er wurde dem Rechtsanwalt, der im Namen und in Vollmacht des Klägers die Klage bei dem Sozialgericht erhoben hatte, am 17. Juli 2007 wirksam zugestellt. Dies gilt unabhängig davon, ob er durch den Kläger tatsächlich bevollmächtigt war oder vollmachtlos handelte.

Dies ergibt sich aus folgendem: Ein Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung besteht für einen Kläger grundsätzlich nur dann, wenn die Prozessvoraussetzungen hierfür vorliegen. Zu diesen von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen zählt nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. d. hier maßgeblichen Fassung vom 2. Dezember 2006 (a. F.) der Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des in fremdem Namen klagenden Prozessbevollmächtigten. Gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG a. F. ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen und zu den Akten "bis zur Verkündung der Entscheidung einzureichen", wobei hiermit die nächstfolgende Entscheidung in der betreffenden Instanz gemeint ist. Die Prozessvoraussetzungen müssen also spätestens am Schluss der mündlichen Verhandlung der jeweiligen Tatsacheninstanz gegeben sein, bei Entscheidungen durch Gerichtsbescheid bis unmittelbar vor dessen Absendung (vgl. BSG, NJW 2001, 2652).

Entspricht das Vorgehen eines Bevollmächtigten in einem Rechtsstreit nicht den vorgenannten gesetzlichen Anforderungen und reicht dieser eine Klageschrift ohne schriftliche Prozessvollmacht ein, sind alle Prozesshandlungen zunächst schwebend unwirksam, die Klage ist unzulässig.

Dies gilt unabhängig davon, dass sich im gerichtlichen Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt hat. Hat sich ein Bevollmächtigter bestellt, sind alle Mitteilungen und Entscheidungen des Gerichts an ihn zu richten, § 73 Abs. 3 S. 1 SGG a. F. Das gilt auch, wie sich aus § 73 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 2 SGG a. F. ergibt, wenn dem Gericht die angeforderte schriftliche Vollmacht – noch – nicht vorliegt. Dabei folgt aus der aufgezeigten Rechtslage nicht, dass ein Gericht vor Vorliegen einer schriftlichen Prozessvollmacht verpflichtet oder gehalten wäre, mit dem Vertretenen und nicht mit dem vollmachtlosen Vertreter zu korrespondieren. Vielmehr kann ein solcher Bevollmächtigter vor Beibringung der Vollmacht zur Prozessführung einstweilen und konkludent zugelassen werden, auch ohne dass dies durch Beschluss geschehen müsste (vgl. BSG, SozSich 86, 189; NJW 2001, 2652). Es kann dahinstehen, ob dieses Ergebnis aus § 89 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG folgt (so noch BSG SozR 1500 § 73 Nr 5 S 12 unter Hinweis auf BSG SozR Nr 1 zu § 14 OVAO; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 73 SGG RN 18 mwN), oder eher daraus, dass § 73 Abs 2 Satz 1 SGG a. F. eine formgerechte Prozessvollmacht erst bei Verkündung der Entscheidung voraussetzt (so Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage 2002, Kap. V RN 45; Bley in SGB-SozVers-GesKomm, Bd 8, § 73 SGG Anm 5c).

Nach Ablauf einer angemessenen Frist und dem Hinweis auf die Folgen des erfolglosen Fristablaufs ist der vollmachtlose Vertreter entweder durch besonderen Beschluss oder in den Gründen des (Prozess)Urteils zurückzuweisen. Eine von ihm eingelegte Klage ist als unzulässig abzuweisen, ein von ihm erhobenes Rechtsmittel zu verwerfen.

Handelt ein vorgeblich Bevollmächtigter, der sich mit Klageerhebung selbst bestellt hatte, ohne Vertretungsmacht für einen Dritten, so ist dem vorgeblich Bevollmächtigten das klageabweisende Urteil auch zuzustellen, denn darin wird ihm die Unzulässigkeit seiner Klageerhebung für den Dritten, durch den er nicht bevollmächtigt war, beschieden. Handelte der Bevollmächtigte hingegen mit Vollmacht des Vollmachtgebers und hat er es lediglich durch eine nachlässige Prozessführung versäumt, die vom Gericht geforderte Vollmacht vorzulegen, dann muss sich der Vollmachtgeber dies bis zur instanzabschließenden Entscheidung nach § 73 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGG a. F., danach über § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen. Auch in diesem Fall ist das Urteil dem Bevollmächtigten zuzustellen.

Unter Beachtung dieser als gesichert zu betrachtenden Rechtslage ist der angegriffene Gerichtsbescheid dem Rechtsanwalt am 17. Juli 2007 wirksam zugestellt worden, mit dem seine Klage als unzulässig abgewiesen wurde, gleichgültig, ob er durch den Kläger tatsächlich bevollmächtigt war oder nicht. Folglich begann in diesem Zeitpunkt die Frist des § 151 Abs. 1 SGG zu laufen. Mit Einlegung der Berufung am 7. Januar 2011 war sie verstrichen.

Eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist kommt vorliegend aus den Gründen des § 67 Abs. 3 SGG nicht in Betracht, da die Frist des § 151 Abs. 1 SGG bereits seit mehr als einem Jahr abgelaufen ist und Gründe höherer Gewalt nicht vorliegen. Sollte der Rechtsanwalt von dem Kläger tatsächlich bevollmächtigt worden sein und ihm eine Vollmachtsurkunde unterschrieben haben, müsste der Kläger sich die versäumte Vorlage der Vollmacht beim Sozialgericht Frankfurt durch den Rechtsanwalt als Verschulden des Bevollmächtigten nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen.

Nur der Vollständigkeit halber und mit Blick auf den Sachvortrag wird darauf hingewiesen, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR 1500 § 73 Nr 5 S 12 f (für das Verhältnis Klage- und Berufungsverfahren); vgl BSG SozR 3 1500 § 72 Nr 2 S 5 f) wie der des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. GemSOBG vom 17. April 1984 – 2/83 = SozR 1500 § 73 Nr. 4) der Mangel der nicht nachgewiesenen Vollmacht in der nächst höheren Instanz auch nicht rückwirkend geheilt werden kann, wenn die Klage vollmachtlos eingelegt war und eine Vollmacht bis zum Abschluss der vorangegangenen Instanz hierfür nicht vorgelegt, sondern erst nach Abweisung der Klage als unzulässig erteilt und vorgelegt oder die vorangegangene Prozessführung auf andere Weise genehmigt werden würde.

Dies gilt schon mit Blick auf die gebotene Straffung und Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens, die nicht durch gewillkürtes Verhalten eines Beteiligten unterlaufen werden können. Die zugunsten des Gegners des vollmachtlos Vertretenen bzw. zugunsten von zum Rechtsstreit Beigeladenen wirkende Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erfordern gleichermaßen, dass nicht durch einfache nachträgliche Genehmigung einer vollmachtlos erhobenen Klage im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren einem ansonsten prozessual ordnungsgemäß ergangenen Urteil wieder die Grundlage entzogen werden könnte.

Aber selbst wenn man die rückwirkende Genehmigung der Prozesshandlungen zum jetzigen Verfahrenszeitpunkt zulassen wollte, könnte nicht einseitig die Klageerhebung damit legitimiert, aber andererseits die Zustellungsbevollmächtigung von einer solchen Genehmigung ausgespart werden.

In Anwendung dieser Grundsätze musste die Berufung erfolglos bleiben. Sie ist mit der Kostenfolge des § 193 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
Rechtskraft
Aus
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