L 8 SB 4504/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 836/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4504/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 1. September 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "G" (erhebliche Gehbehinderung) streitig.

Bei der 1948 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt E. - Sozial- und Versorgungsamt - (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 14.07.2009 wegen Schwerhörigkeit beidseitig (Teil-GdB 50), einer Depression (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Kniegelenksendoprothese rechts und Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 40), einer Fingerpolyarthrose, Sehminderung beidseitig und Allergie (Teil-GdB jeweils 10) den GdB mit 80 seit 23.04.2009 neu sowie das Merkzeichen "RF" weiterhin fest.

Am 16.07.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Feststellung des Merkzeichens "G". Sie machte ein Knie- und Wirbelsäulenleiden geltend. Das LRA holte die Befundbeschreibung von Dr. W. vom 23.11.2009 ein (Diagnosen: Gonarthralgie beidseits b. Z. n. K-TEP rechts sowie Gonarthrose links mit AM-Läsion, chronisch rezidivierendes cervikal betontes Wirbelsäulensyndrom), der das Gangbild der Klägerin mit kurzschrittig beschrieb. Dr. W. legte seinen Befundbericht vom 15.05.2009 sowie den Bericht des Radiologischen Zentrums P. vom 28.05.2009 über ein MRT des linken Kniegelenkes vor. In der vom LRA veranlassten gutachtlichen Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes vom 01.12.2009 verneinte Dr. B.- v. F. die Voraussetzungen für das Merkzeichens "G". Das LRA entsprach daraufhin mit Bescheid vom 02.12.2009 dem Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "G" nicht.

Gegen den Bescheid vom 02.12.2009 legte die Klägerin am 07.12.2009 Widerspruch ein, der vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2010 zurückgewiesen wurde.

Am 26.02.2010 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie machte zur Begründung geltend, die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht zutreffend beurteilt worden. Insbesondere die Erkrankung an beiden Knien sei so stark, dass eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliege.

Das SG hörte den Facharzt für Neurochirurgie Dr. H., den Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Dr. W. und den Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. O. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. H. teilte in seiner Stellungnahme vom 03.02.2011 den Behandlungsverlauf, die geklagten Beschwerden, die Diagnosen (Knieschmerzen, Verdacht auf Somatisierungsstörung) sowie die Befunde mit. Die Frage nach einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr hielt er für nicht beurteilbar. Dr. W. teilte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 17.02.2011 unter Vorlage weiterer ärztlicher Berichte den Behandlungsverlauf, die geklagten Beschwerden der Klägerin sowie die Befunde mit und bejahte eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr. Dr. O. teilte in seiner Stellungnahme vom 12.04.2011 den Behandlungsverlauf, die geklagten Beschwerden sowie die Befunde mit und hielt eine Begutachtung zu der Frage einer Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr für erforderlich.

Anschließend holte das SG (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. J. vom 31.05.2011 ein. Dr. J. gelangte in seinem Gutachten zu der Bewertung, auf orthopädischem Gebiet bestünden bei der Klägerin an Gesundheitsstörungen eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkung oder neurologische Ausfälle, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom (Teil-GdB 10), eine Fingerpolyarthrose beidseits mit geringer Funktionseinschränkung der Finger (Teil-GdB 10), eine regelrecht einliegende Endoprothese rechtes Kniegelenk mit endgradiger Beugehemmung und leichter Knieinnenbandinstabilität rechts, ein chronischer Knieschmerz links unklarer Genese (Teil-GdB 30) sowie ein leichter Spreizfuß beidseits mit Abflachung des Fußquergewölbes (Teil-GdB unter 10). Die von der Klägerin angegebene Beschwerdesymptomatik im Bereich beider Kniegelenke lasse sich klinisch und bildgebend nicht ausreichend objektivieren. Nach den Vorgaben in der "Versorgungsmedizin-Verordnung" seien die geforderten Voraussetzungen zur Anerkennung des Merkzeichens "G" bei der Klägerin nicht gegeben.

Mit Urteil vom 01.09.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen der Versorgungsmedizin-Verordnung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 15.09.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am Montag, den 17.10.2011 Berufung eingelegt. Sie hat sich zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen berufen und eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht. Sie habe sehr große Schmerzen sowohl beim Laufen, beim Sitzen und beim Liegen. Es sei beabsichtigt, beide Knie zu operieren. Auch die Arthrose in beiden Händen habe sich verstärkt. Insbesondere durch die Beschwerden in beiden Knien sei sie in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ganz erheblich beeinträchtigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 1. September 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "G" seit 16. Juli 2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Dr. W. zu Veränderungen des Gesundheitszustandes der Klägerin schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. W. hat in seiner Stellungnahme vom 24.05.2012 mitgeteilt, seit Mai 2011 habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin nicht nennenswert verschlechtert oder gebessert. Dr. W. hat den MRT-Befundbericht des Radiologischen Zentrums P. vom 30.08.2011 vorgelegt.

Die Beteiligten sind mit richterlichem Hinweisschreiben und Verfügung vom 19.07.2012 auf die Möglichkeit einer Entscheidung des Senats nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 19.07.2012 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigen Verfahren Stellung zu nehmen.

Der Senat hat den Berufungsantrag der Klägerin nach ihrem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage - im Ergebnis - zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G". Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG (jetzt § 30 Abs. 16 BVG) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Allerdings kann sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht auf die VG (Teil D 1) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 17 BVG (jetzt: Abs. 16), der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich G sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de) und dem ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständigen 6. Senat des LSG Baden-Württemberg (vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.

Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (grundlegend BSG Urt. vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 -, SozR 3870 § 60 Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 -, SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) die Bewältigung von Wegstrecken von zwei km in einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall. Sowohl die Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1979 als auch die AHP 1983 (Seite 123, 127f ) enthielten keine Festlegung zur Konkretisierung des Begriffs der im Ortsverkehr üblichen Wegstrecke. Diese Festlegung geht auf eine in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegriffene Größe von 2 km zurück, die als allgemeine Tatsache, welche zur allgemeingültigen Auslegung der genannten Gesetzesvorschrift herangezogen wurde, durch verschiedene Studien (vgl. die Nachweise in BSG Urt. vom 10.12.1987 a.a.O.) bestätigt worden ist. Der außerdem hinzukommende Zeitfaktor enthält den in ständiger Rechtsprechung bestätigten Ansatz einer geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit als die von fünf bis sechs km pro Stunde zu erwartende Gehgeschwindigkeit rüstiger Wanderer, da im Ortsverkehr in der Vergleichsgruppe auch langsam Gehende, die noch nicht so erheblich behindert sind wie die Schwerbehinderten, denen das Recht auf unentgeltliche Beförderung zukommt, zu berücksichtigen sind (vgl. BSG Urteil vom 10.12.1987, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass infolge des Zeitablaufs sich die Tatsachengrundlage geändert haben könnte, hat der Senat nicht. Der Senat legt daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) diese Erkenntnisse weiter der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ortsüblichen Wegstrecken i.S.v. § 146 Abs. 1 SGB IX zugrunde, auch wenn die entsprechenden Regelungen der VG zu dem Nachteilsausgleich "G" unwirksam sind, wie oben ausgeführt (ebenso der 3. und 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 17.07.2012 a.a.O. und vom 04.11.2010 a.a.O.).

Hiervon ausgehend steht für den Senat fest, dass bei der Klägerin keine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorliegt. Die Klägerin ist durch die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen nicht gehindert, Wegstrecken im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat insbesondere aufgrund des im Klageverfahren eingeholten Gutachtens des Dr. J. vom 31.05.2011

Funktionseinschränkungen, die das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr plausibel machen, liegen nicht vor. Zwar beschreibt Dr. J. in seinem Gutachten vom 31.05.2011 einen auf ebener Erde verhaltenen Barfußgang bei mäßigem Hinken rechts und leicht verkürzter Schrittlänge rechts gegenüber links und eine mäßig eingeschränkte Abrollbewegung des rechten Fußes. Hieraus lässt sich zur Überzeugung des Senats jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ableiten. Dem steht entgegen, dass bei der Klägerin eine auffällige Muskelverschmächtigung im Beinbereich beidseits, die auf ein - schmerzbedingtes - Schonverhalten beim Gehen hindeuten könnte, von Dr. J. nicht festgestellt worden ist. Auch die Fußsohlenbeschwielung ist seitengleich. Zudem hat die Klägerin die ihr mögliche Gehstrecke widersprüchlich angegeben (bei Dr. W. wenige Meter - 20 Meter - und bei Dr. J. 500 Meter). Auch sonst beschreibt Dr. J. in seinem Gutachten keine Funktionseinbußen an den unteren Extremitäten, die auf eine relevante Limitierung der Gehfähigkeit der Klägerin schließen ließen. So ist die Hüftgelenksbeweglichkeit seitengleich frei. Im Bereich der Kniegelenke ist der innere Knieseitenbandapparat rechts gegenüber links zwar leicht gelockert, der äußere Knieseitenbandapparat jedoch seitengleich stabil. Einen Reizzustand im Bereich der Kniegelenke entsprechend einer Überwärmung, Ergussbildung oder Kapselschwellung hat Dr. J. weiter nicht festgestellt. Die Meniskuszeichen sind seitengleich negativ. Die Kniegelenksbeweglichkeit beträgt Beugung/Streckung (aktiv) rechts 100-0-0° und links 120-0-0° und ist damit allein von der Beweglichkeit her nach den VG noch nicht GdB-relevant eingeschränkt. Ein Riss im Außenmeniskusvorderhorn ist klinisch asymptomatisch. Der Verdacht auf eine Lockerung des Kniegelenksimplantates hat sich nicht bestätigt. Auch die Sprunggelenke sind klinisch unauffällig. Eine Minderung der Gefühlsempfindung im Beinbereich beidseits sowie Paresen bestehen nicht. Eine von der Klägerin geklagte massive Beschwerdesymptomatik im Bereich beider Kniegelenke (starke Dauerschmerzen, Schwellneigung, häufig eingeschränkte Kniegelenksbeweglichkeit, beim Bewegen Knarren vorne links, schmerzbedingte Begrenzung der Gehstrecke auf 500 m) lässt sich nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. J. klinisch und bildgebend nicht objektivieren. Weiter besteht bei der Klägerin eine altersentsprechend freie Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Über von der Lendenwirbelsäule ausstrahlende Schmerzen in die Beine hat die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. J. nicht geklagt. Damit ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr zur Überzeugung des Senats nicht erwiesen.

Der abweichenden Ansicht von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 17.02.2011 folgt der Senat nicht. Dr. W. stützt seine Ansicht auf das nicht ausreichend objektivierbare subjektive Beschwerdeempfinden der Klägerin. Einen objektiven Befund, der seine Ansicht plausibel macht, beschreibt Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft nicht, weshalb seine Ansicht nicht überzeugt.

Eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt bei der Klägerin - entgegen ihrem Berufungsvorbringen - nach der vom Senat eingeholten weiteren schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. W. vom 24.05.2012 nicht vor. Vielmehr hat Dr. W. eine Verschlechterung (oder Besserung) des Gesundheitszustandes der Klägerin verneint.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch die vom SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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