L 7 AS 432/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 610/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 432/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 7 AS 188/08
durch Vergleich beendet wurde.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Kläger begehren vom Beklagten verschiedene Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Kläger zu 1 ist mit der Klägerin zu 2 verheiratet, Kläger zu 3 ist der gemeinsame Sohn. Sie beziehen sei Mai 2005 laufende Leistungen vom Beklagen und führten in diesem Zusammenhang zahlreiche Widerspruchs- und Gerichtsverfahren.

Am 29.09.2011 erfolgte eine öffentlichen Sitzung des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) zu dem Berufungsverfahren L 7 AS 188/08 und den weiteren Berufungsverfahren L 7 AS 468/08, L 7 AS 33/09 und L 7 AS 856/10. In diesen Verfahren waren vor allem die Kosten der Unterkunft streitig. Die drei Kläger waren zur Sitzung ohne ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt erschienen. Dieser hatte zuvor schriftlich sein Nichterscheinen mitgeteilt und dass die Kläger ohne ihn verhandeln wollten.

Am 29.09.2011 wurde von den Beteiligten folgender Vergleich geschlossen:

"Die Beteiligten einigen sich auf folgenden

V e r g l e i c h:

1. Der Beklagte zahlt den Klägern eine Einmalsumme von 4.000,- EUR und verzichtet auf die Rückforderung der bereits für die Heizungsreparatur ausbezahlten 1.213,13 EUR. Darüber hinaus erkennt der Beklagte für einen Umzug in A-Stadt eine Bruttokaltmiete von 418,- EUR für 2 Personen als angemessen an. Auf dieser Grundlage wird über künftige KdU sowie eine Zusicherung bei einem Umzug innerhalb A-Stadt entschieden.

2. Die Kläger nehmen das Angebot unter 1. an und erklären sämtliche offenen Verfahren für sämtliche Bewilligungszeiträume ab Leistungsbezug bei der Beklagten bis einschließlich 31.03.2012 für erledigt. Dies betrifft u. a. offene Widerspruchsverfahren, offene Verfahren vor dem Sozialgericht und auch die offenen Verfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht.

3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

4. Die Beteiligten erklären übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt, ebenso alle unter Ziffer 2 des Vergleichs genannten Verfahren.

- vorgelesen und genehmigt -"

Das Protokoll wurde vorgelesen und vom Vorsitzenden Richter und der Urkundsbeamtin unterzeichnet.

Am 01.06.2012 haben die Kläger einen Antrag auf Weiterführung des Berufungsverfahrens L 7 AS 188/08 gestellt. Es fehle an einem gerichtlichen Beschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO, es fehle an der nach § 126 BGB erforderlichen Schriftform und die Willenserklärung zum Vergleich werde nach § 119 Abs. 2, § 123 Abs. 1 BGB angefochten.

Als Anfechtungsgrund wurde vorgetragen, dass die Kläger ihre Zustimmung zu dem Vergleich an eine zukünftige Rücksichtnahme des Beklagten auf die herabgesetzte psychische Belastbarkeit der Klägerin zu 2 gebunden hätten, zu der der Beklagte bereit gewesen sei. Nach dem Beginn des Studiums des Klägers zu 3 habe das Ehepaar im Februar 2012 eine neue Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 450,- Euro gefunden und um Zustimmung zum Abschluss des neuen Mietvertrags gebeten. Dies habe der Beklagte abgelehnt. Die neue Wohnung habe nicht angemietet werden können. Außerdem hätten sie dem Vergleich nicht zugestimmt, wenn sie gewusst hätten, dass alle zurückliegenden Rechtsfragen erneut geprüft werden müssten.

Die Kläger beantragen,
den Vergleich vom 29.09.2011 für rechtsunwirksam zu erklären, das Berufungsverfahren L 7 AS 188/08 fortzuführen und die in diesem Verfahren beantragten weiteren Leistungen zuzusprechen.

Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren L 7 AS 188/08 durch Vergleich beendet wurde.



Entscheidungsgründe:
:

Streitgegenstand ist die von den Klägern begehrte Fortführung des Berufungsverfahrens L 7 AS 188/08, die Änderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Regensburg vom 23. April 2008, Az. S 13 AS 610/06, und die Gewährung der in diesem Verfahren beantragten Leistungen.

Das Gericht hat vorab zu prüfen, ob der ursprüngliche Rechtsstreit durch den Vergleich beendet wurde oder nicht (vgl. Urteil des BSG vom 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R). Wenn der Rechtsstreit beendet wurde, ist dies festzustellen und eine materielle Prüfung der geltend gemachten Leistungsansprüche ist ausgeschlossen.

Dies ist hier der Fall. Es ist daher festzustellen, dass der Rechtsstreit L 7 AS 188/08 durch den Vergleich vom 29.09.2011 gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vollständig erledigt und damit beendet wurde. Der Vergleich ist wirksam zustande gekommen und es liegen weder prozess- noch materiellrechtliche Gründe vor, die den Vergleich unwirksam machen würden.

Ein Prozessvergleich hat nach h. M. eine Doppelnatur: Er ist einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, die die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 101 Rn.3).

Der Vergleich ist wirksam zustande gekommen. Vor dem mit der Sache befassten Gericht haben die Kläger und der Beklagte sich deckende Erklärungen abgegeben und eine zwischen den Beteiligten bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt (vgl. § 54 SGB X und § 779 BGB).

Die Kläger waren beim Abschluss des Vergleichsvertrages anwesend und haben wirksame Willenserklärungen zum Abschluss des Vergleichs gegeben. Dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt nicht zugegen war, ist unschädlich. Wie der Bevollmächtigte zuvor angekündigt hatte, wollten die Kläger alleine erscheinen und die Verhandlung ohne ihren Bevollmächtigten führen. Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist nur beim BSG erforderlich (§ 73 Abs. 1 SGG).

Die von den Klägern geltend gemachte Schriftform nach § 126 BGB gilt nicht für einen Vergleichsvertrag. Materiell-rechtlich kann ein Vergleich auch mündlich geschlossen werden.

Der Vergleich entspricht auch dem einschlägigen Prozessrecht. Die Erklärungen der Beteiligten wurden entsprechend § 101 Abs. 1 SGG in die Sitzungsniederschrift aufgenommen, vorgelesen und genehmigt (§ 122 SGG i.V.m. § 162 Abs. 1 Satz 1, § 160 Abs. 3 Nr. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Dies wurde im Protokoll vermerkt (§ 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO), das unterschrieben wurde (§ 163 ZPO).

§ 278 Abs. 6 ZPO ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Diese Norm regelt lediglich die Form eines Vergleichsabschlusses im schriftlichen Verfahren, also gerade nicht einen Vergleich, der in der mündlichen Verhandlung protokolliert wurde.

Der Vergleich wurde auch nicht in der Folgezeit unwirksam, insbesondere wurde er nicht wirksam angefochten. Es liegen keine Anfechtungsgründe nach §§ 119 ff BGB vor.

Die Erwartungen der Kläger, künftig in Hinblick auf die behauptete Erkrankung der Klägerin zu 2 besonderes Entgegenkommen erwarten zu dürfen, ist ein unbeachtlicher Motivirrtum.

Soweit die Kläger vortragen, sie hätten eine Zusicherung für eine neue Wohnung (vgl. § 22 Abs. 4 SGB II) mit einer Bruttokaltmiete von 450,- Euro erwartet, steht dies in offensichtlichem Widerspruch zum Inhalt des Vergleichs. In dem Vergleich wurde ausdrücklich geregelt, dass der Beklagte für einen Umzug in A-Stadt eine Bruttokaltmiete von 418,- Euro für zwei Personen als angemessen anerkennt und dass auf dieser Grundlage über künftige Kosten der Unterkunft sowie eine Zusicherung für einen Umzug innerhalb A-Stadt entschieden wird. Wie die Kläger dann auf die Idee kommen, ihnen stünde eine Zusicherung für eine Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 450,- Euro zu, erschließt sich dem Gericht nicht. Insoweit besteht offensichtlich kein Anfechtungsgrund.

Was die Kläger damit meinen, dass sie dem Vergleich nicht zugestimmt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass alles erneut rechtlich geprüft werden müsse, erschließt sich dem Gericht ebenfalls nicht. Einen Anfechtungsgrund stellt dies jedenfalls nicht dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SG ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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