Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 12 AS 508/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 450/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 36/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006.
Die Klägerin zu 1. beantragte erstmals im Mai 1989 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). In der Folgezeit stand sie zumindest bis April 1997 im BSHG-Leistungsbezug.
Am 22. Februar 2006 beantragte die Klägerin zu 1. einen Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz beim Wohnungsamt der Beklagten. Mit Schreiben vom 23. Februar 2006 wies das Wohnungsamt die Klägerin zu 1. darauf hin, dass die von ihr angegebenen Einnahmen den monatlichen Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von mindestens 1.088,15 Euro um 376,87 Euro unterschritten. Die Klägerin zu 1. werde daher um Stellungnahme gebeten, wie es ihr möglich sei und gewesen sei, den Lebensunterhalt mit derart geringen Einnahmen zu bestreiten. Die Klägerin zu 1. legte daraufhin Nachweise u. a. über eine steuerfreie Aufwandsentschädigung und ein Sparguthaben über 6.249,91 Euro vor. Die der Klägerin zu 1. außerdem in der Zeit von Februar 2006 bis einschließlich August 2006 von Herrn QQ. in bar ausgezahlten Darlehn (zwischen 200,00 Euro und 450,00 Euro monatlich) gab die Klägerin gegenüber dem Wohnungsamt nicht an. Mit Bescheid vom 23. März 2006 bewilligte das Wohnungsamt der Beklagten der Klägerin zu 1. für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2007 Wohngeld in Höhe von 298,00 Euro monatlich.
Am 1. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 6. September 2006 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 1. Arbeitslosengeld in Höhe von 242,77 Euro monatlich für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 30. August 2007.
Am 4. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 9. Oktober 2006, vom 25. April 2007, vom 18. Mai 2007 und vom 30. Mai 2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II ab 4. September 2006.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25. Juli 2007, bei der Beklagten am selben Tage eingegangen, beantragten die Kläger u. a., ihnen bereits ab Antragstellung bei der Arbeitsagentur bzw. bei der Wohngeldstelle Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vor dem 4. September 2006 mit Bescheid vom 14. September 2007 ab. Dagegen legten die Kläger mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17. Oktober 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte vorgetragen, das Schreiben der Wohngeldstelle vom 23. Februar 2006 enthalte keinerlei Hinweise dazu, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt hätten. In dem Schreiben sei lediglich von Mindestbedarfssätzen nach dem SGB die Rede. Es sei nicht ersichtlich, wie ein betroffener Bürger, der sich mit der Materie des SGB überhaupt nicht auskenne, aus diesem Schreiben hätte entnehmen können, dass er bei einer anderen Behörde höhere Leistungen hätte beanspruchen können. Da sich Leistungen auf Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II gegenseitig ausschlössen, hätte die Wohngeldstelle den Wohngeldantrag an den SGB II-Leistungsträger weiterleiten müssen, zumindest aber über weitere Ansprüche aufklären und beraten müssen. Da dies nicht geschehen sei, greife zu Gunsten der Kläger der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Dieser ersetze die fehlende ausdrückliche Antragstellung nach dem SGB II. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Kläger haben am 23. Juni 2008 beim Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben. Zur Begründung haben sie ergänzend vorgetragen, die Klägerin zu 1. habe bereits vor dem 4. September 2006 bei der Bundesagentur für Arbeit einen Leistungsantrag gestellt. Der genaue Zeitpunkt der Antragstellung sei der Klägerin zu 1. jedoch nicht mehr bekannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umfasse ein bei der Agentur für Arbeit gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld auch den Antrag auf Arbeitslosengeld II mit. Auch die Wohngeldstelle sei verpflichtet gewesen, den Antrag der Kläger nach § 16 Abs. 2 SGB I an die Grundsicherungsstelle weiterzuleiten. Ungeachtet dessen greife zu Gunsten der Kläger der sozialrechtliche Herstellungsanspruch.
Die Beklagte ist dem Begehren der Kläger entgegengetreten. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die gestellten Anträge beim Wohnungsamt bzw. der Agentur für Arbeit auch Leistungen nach dem SGB II mit umfassten. Insbesondere beschränke sich der Antrag auf Wohngeld auf den beantragten Zuschuss zur Miete (§ 1 Wohngeldgesetz - WoGG -). Wohngeld diene nicht dazu, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu decken. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II lasse sich ebenso wenig aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten. Das Wohnungsamt sei weder organisatorisch noch inhaltlich mit dem SGB II-Träger verbunden, so dass ein Herstellungsanspruch gegen den Grundsicherungsträger ausscheide.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Juli 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei unbegründet, die angefochtenen Bescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden. § 37 SGB II normiere das so genannte Antragsprinzip (vgl. § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -). Im vorliegenden Fall sei festzustellen, dass die Kläger vor dem 4. September 2006 keinen Antrag auf SGB II-Leistungen gestellt hätten. Ein früherer Leistungsbeginn komme daher nur in Betracht, wenn aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine frühere Antragstellung fingiert werden könne. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden. Er setze voraus, dass der Leistungsträger eine gesetzliche oder aus einem konkreten Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung, die ihm gerade gegenüber dem Betroffenen oblegen habe, objektiv rechtswidrig verletzt habe. Diese Pflichtverletzung müsse als nicht hinwegdenkbare Bedingung - zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen - ursächlich einen Nachteil des Betroffenen herbeigeführt haben. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch komme grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn nicht die für die Leistungsgewährung zuständige Behörde, sondern ein anderes Amt im Zusammenhang mit dem in Frage kommenden Anspruch seine Beratungspflicht verletzt habe. Voraussetzung für die Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei, dass zwischen der die Pflichtverletzung begehenden und der in Anspruch genommenen Stelle eine sogenannte Funktionseinheit bestehe. Dies könne der Fall sein, wenn mehrere Behörden mit einer Aufgabe arbeitsteilig betraut seien, also eine andere Behörde in die Abwicklung eines konkreten Versicherungsverhältnisses mit eingeschaltet sei oder wenn zwei Sozialleistungen eng miteinander verknüpft seien. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Erwägungen sei festzustellen, dass zwischen dem Wohnungsamt und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten keine Funktionseinheit in diesem Sinne bestehe. Das Wohnungsamt sei nicht in die gesetzliche Aufgabenzuweisung des Verwaltungsverfahrens des Amtes für Soziale Arbeit eingeschaltet; die eine Behörde wirke nicht am Verwaltungsverfahren der anderen Behörde mit. Dies ergebe sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 WoGG in der hier gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juli 2005, wonach Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II vom Wohngeld ausgeschlossen seien. Es bestehe also ein Ausschlussverhältnis zwischen Wohngeld einerseits und Arbeitslosengeld II andererseits. Damit scheide eine Haftung des Amtes für Soziale Arbeit der Beklagten für eine mögliche Pflichtverletzung des Wohnungsamtes bereits aus Rechtsgründen aus. Anders sei jedoch grundsätzlich das Verhältnis zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten zu beurteilen. Hier bestehe zumindest eine enge Verknüpfung der jeweils gewährten Sozialleistungen, so dass dem Grunde nach ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht kommen könne. Aber auch dann, wenn man eine Pflichtverletzung der Bundesagentur für Arbeit, d. h. eine fehlerhafte Beratung der Kläger in Bezug auf andere Sozialleistungsansprüche annähme, scheide ein Herstellungsanspruch vorliegend aus. Denn die Klägerin zu 1. habe drei Tage nach der Antragstellung bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag bei der Beklagten auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und diese Leistungen auch ab diesem Tag erhalten. Die Klägerin zu 1. als langjährige Leistungsbezieherin habe selbst gewusst, welche Anträge zu stellen seien. Eine möglicherweise fehlende Beratung durch einen anderen Leistungsträger sei damit nicht ursächlich für die verspätete Antragstellung geworden. Auch sei festzustellen, dass der Klägerin ein nennenswerter Nachteil nicht entstanden sei. Im besten Fall hätten sie ab dem 1. September 2006, also für weitere drei Tage, Anspruch auf Arbeitslosengeld II-Leistungen gehabt.
Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 15. Juli 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 4. August 2010 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte ausgeführt, soweit das Sozialgericht bezüglich des von den Klägern am 22. Februar 2006 beim Wohnungsamt der Beklagten gestellten Antrags auf Wohngeld das Bestehen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verneint habe, gelte Folgendes: Nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage sei es so, dass in der Sache vor der möglichen Anwendung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bereits die Vorschrift des § 28 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) greife. Es sei nämlich so, dass die Kläger Leistungen nach dem WoGG deshalb beantragt hätten, da noch ein Spargutachten in Höhe von 6.249,91 Euro vorhanden gewesen sei. Die Kläger seien davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für sie im Hinblick auf das vorhandene Sparguthaben nicht bestehe. Nach § 28 Satz 2 SGB X wirke ein nachgeholter Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen unterlassen worden sei und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre. Diese Voraussetzungen lägen vor. Aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen der Leistungen nach dem SGB II hätten die Kläger am 22. Februar 2006 lediglich Wohngeld beantragt. Wohngeld sei gegenüber den Leistungen nach dem SGB II nachrangig. Der am 4. September 2006 nachträglich gestellte Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wirke auch bis zum 22. Februar 2006 zurück. Selbst wenn man hierzu anderer Auffassung sein sollte, und eine Anwendung des § 28 SGB X in der Sache zu verneinen wäre, so bleibe jedenfalls zu Gunsten der Kläger entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Soweit das Sozialgericht hierzu die Auffassung vertreten habe, ein Fehlverhalten der Wohngeldstelle sei der Beklagten nicht zuzurechnen, so gehe dies fehl. Zu den Fallgruppen, in denen das BSG in ständiger Rechtsprechung vom Grundsatz der Verantwortlichkeit nur für eigene Fehler Ausnahmen gemacht habe, und einem Leistungsträger die Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers wie eine eigene Pflichtverletzung zurechne, gehöre nämlich auch die, dass zwischen bestehenden Sozialleistungen ein Konkurrenzverhältnis bestehe, sodass die jeweiligen Sozialleistungsträger Beratungspflichten über die andere - in Konkurrenz stehende - Sozialleistung träfen. So liege die Sache auch hier. Zwischen Leistungen nach dem Wohngeldgesetz und Leistungen nach dem SGB II bestehe ein entsprechendes Konkurrenzverhältnis, was die jeweiligen Leistungsträger dazu verpflichte, einen Betroffenen auch eingehend über die Anspruchsvoraussetzungen der Konkurrenzleistungen zu beraten. Selbst wenn man auch dies anders sehe, hätten die Kläger jedenfalls einen Leistungsanspruch ab dem 1. September 2006. An diesem Tage hätten sie nämlich bei der Bundesagentur für Arbeit Leistungen wegen Erwerbslosigkeit begehrt. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sei hiervon auch ein Leistungsantrag nach dem SGB II mit umfasst.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern laufende Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung ihres Antrages auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sowie auf ihren bisherigen Vortrag. Soweit der Klägervertreter nunmehr zur Begründung des Anspruchs auf § 28 SGB X hinweise, sei weder Satz 1 noch Satz 2 dieser Vorschrift einschlägig. Auch § 28 Satz 2 SGB X setze voraus, dass der Antragsteller bei Unkenntnis der Sach- und Rechtslage eine an sich vorrangige Leistung begehre, diese aber abgelehnt werde oder zu erstatten sei. Die Kläger hätten jedoch das von ihnen beantragte Wohngeld erhalten. Abgesehen davon sei die nach § 28 SGB X sechs Monate betragende Frist für die Nachholung des Antrags nicht eingehalten. Die SGB II-Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum seien erst am 27. Juli 2007 beantragt worden. Wie bereits vorgetragen, habe die Klägerin zu 1. jahrelange Erfahrung im Umgang mit Sozialleistungsträgern. Dass sie sich nicht an den SGB II-Träger, sondern an das Wohnungsamt gewandt habe, sei sicherlich eine bewusste Entscheidung gewesen. Die Tatsache, dass die Klägerin zu 1. vom Wohnungsamt mit Schreiben vom 23. Februar 2006 explizit auf die Bedarfsunterdeckung hingewiesen worden sei und in ihrer Stellungnahme auf das vorhandene Sparguthaben verwiesen habe, unterstreiche diese Entscheidung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 14. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2008 sind rechtmäßig, so dass die Kläger nicht beschwert sind (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006.
Nach § 37 Abs. 1 SGB II in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung (BGBl. I 2954) werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht. Sie werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Treten die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag ein, an dem der zuständige Träger von Leistungen nach diesem Buch nicht geöffnet hat, wirkt ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Nach § 16 Abs. 2 SGB I sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.
Die Kläger haben vor dem 4. September 2006 keinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Die Antragstellung erfolgte erst am 25. Juli 2007. Der am 22. Februar 2006 bei der Wohngeldstelle der Beklagten gestellte Antrag war allein auf die Gewährung von Wohngeld nach dem WoGG gerichtet. Dem Formularantrag lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass zugleich auch Leistungen nach dem SGB II beantragt werden sollten.
Der am 1. September 2006 bei der Agentur für Arbeit gestellte Antrag war nicht zugleich auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gerichtet. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt nach der Rechtsprechung des BSG dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. Urteile vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 3/09 R - und vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistungen begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 37 Rdnr. 21; Kretschmer in GK-SGB I, 3. Aufl 1996, § 16 Rdnr. 17). Dabei kann in einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II liegen. Ob dies bereits dann gilt, wenn der Betroffene nur deutlich macht, er begehre Leistungen bei Arbeitslosigkeit (so z.B. OVG Bremen, Urteil vom 8. Juni 2010 - S 2 A 492/07 - im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe, vgl. Urteil vom 21. Juli 1977 - 7 RAr 132/75 - BSGE 44, 164, 166 f.) oder ob zusätzlich erforderlich ist, dass der Antragsteller zumindest zu erkennen gibt, er sei wegen fehlenden Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Klägerin zu 1. hat im Erörterungstermin des Berichterstatters angegeben, sie sei am 1. September 2006 fristlos gekündigt worden. Sie sei daraufhin am selben Tage noch bei der Agentur für Arbeit gewesen und habe Arbeitslosengeld beantragt. Mit der dortigen Bescheinigung sei sie dann am nächsten Werktag, dem 4. September 2006, bei der Beklagten gewesen und habe einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Die Klägerin zu 1. hatte daher bereits im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Arbeitslosengeld bei der Agentur für Arbeit die Absicht, einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem zuständigen Leistungsträger - der Beklagten - zu stellen. Der bei der Agentur für Arbeit gestellte Antrag beschränkte sich daher auf die Beanspruchung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III.
Der am 25. Juli 2007 gestellte Antrag wirkt auch nicht nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 28 SGB X auf den streitgegenständlichen Zeitraum zurück. Die Vorschrift lautet: Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Satz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre. § 28 SGB X ist zwar im Rahmen des SGB II anwendbar (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 s.o.), die Vorschrift greift aber nicht zugunsten der Kläger ein.
Die Voraussetzungen des § 28 Satz 1 SGB X liegen ungeachtet der Frage der Einhaltung der Frist (vgl. § 40 Abs. 3 SGB II) schon deshalb nicht vor, weil das von der Klägerin zu 1. geltend gemachte Wohngeld nicht versagt, sondern mit Bescheid vom 23. März 2006 bewilligt wurde. Auch die Voraussetzungen des § 28 Satz 2 SGB X sind vorliegend nicht gegeben. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine beantragte Sozialleistung versagt worden oder zu erstatten ist, die, wenn sie rechtswirksam erbracht worden wäre, Vorrang vor der zunächst nicht beantragten Leistung gehabt hätte (Hauck/Noftz, SGB X, Stand August 2011, § 28 Rdnr. 7 m.w.N. zum Gesetzgebungsverfahren). § 28 Satz 2 SGB X erfordert daher wie § 28 Satz 1 SGB X, dass die zunächst beantragte Sozialleistung abgelehnt wurde oder zu erstatten ist (Pickel/Marschner, SGB X, Stand Dezember 2011, § 28 Rdnr. 10). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das von der Klägerin zu 1. beantragte Wohngeld ist weder abgelehnt worden noch war es zu erstatten. Scheidet die Anwendbarkeit des § 28 Satz 2 SGB X bereits aus diesem Grunde aus, bedarf die Frage, ob zwischen Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II rechtlich ein Vorrang-/Nachrangverhältnis besteht, keiner Entscheidung. Diese Frage dürfte aber zumindest für die hier in Rede stehende, den streitgegenständlichen Zeitraum betreffende Gesetzeslage zu verneinen sein (vgl. Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 5 Rdnr. 31). Dies ergibt sich bereits aus den Bestimmungen des Wohngeldgesetzes. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WoGG in der Fassung des Gesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I 2029) normiert den Grundsatz, dass Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes nach dem SGB II, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind, vom Wohngeld nach diesem Gesetz ausgeschlossen sind. Der Ausschluss greift nicht ein, wenn die Leistungen ausschließlich als Darlehen gewährt werden (§ 1 Abs. 2 Satz 4 WoGG). Ein Verzicht auf SGB II-Leistungen, um Wohngeld zu beantragen, ist möglich (§ 1 Abs. 5 WoGG). Aus den Vorschriften des SGB II ergibt sich keine andere Beurteilung. Das SGB II regelt ausdrücklich in § 5 Abs. 2 lediglich das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II zu solchen nach dem SGB XII. Im Übrigen enthält es zu dem Verhältnis des SGB II zu anderen Leistungen lediglich die allgemeine Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II, dass auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, durch dieses Buch nicht berührt werden. Es dürfte daher kein Vorrang-/Nachrangverhältnis im rechtlichen Sinne zwischen Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II bestehen. Allerdings wird der grundsätzliche rechtliche Vorrang anderer Leistungen in § 9 Abs. 1 SGB II unterstellt, der aber direkt lediglich den faktischen Nachrang der SGB II-Leistungen regelt (Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 5 Rdnr. 8 f. m.w.N.).
Die Kläger können Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006 auch nicht im Wege des Herstellungsanspruchs beanspruchen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (ständ. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2010 s.o.; Urteil vom 6. November 2008 - B 1 KR 8/08 R - USK 2008-128; Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R - BSGE 99, 180). Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob – wie das Sozialgericht meint – der Herstellungsanspruch schon deshalb ausscheidet, weil zwischen dem Wohnungsamt und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten keine Funktionseinheit bestehe. Das BSG bejaht eine solche Zurechnung insbesondere, wenn zwei Leistungsträger im Sinne einer Funktionseinheit mit einer Aufgabenerfüllung arbeitsteilig betraut sind oder ein Leistungsträger einen anderen Leistungsträger oder einen Dritten in die Abwicklung eines Versicherungsverhältnisses mit einbezogen hat und wenn spezifische Beratungspflichten aufgrund der Verknüpfung zweier Leistungsträger oder seitens eines Leistungsträgers aufgrund besonderer Aufgaben bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 31/09 R - BSGE 106, 296 m.w.N.).
Vorliegend fehlt es jedenfalls an einer Pflichtverletzung.
Eine Pflichtverletzung der Bundesagentur für Arbeit hat die Klägerin zu 1. weder behauptet noch sind dahingehende Anhaltspunkte erkennbar. Eine Pflichtverletzung besteht nicht wegen einer unzutreffenden Beratung der Klägerin zu 1. durch das Wohnungsamt der Beklagten. Die Klägerin zu 1. hat von dem Wohnungsamt weder eine (dann unterbliebene) Beratung erbeten noch ist daraufhin eine Fehlberatung seitens des Wohnungsamtes erfolgt.
Eine Beratung der Klägerin zu 1. ist auch nicht pflichtwidrig unterblieben. In der Rechtsprechung des BSG ist allerdings anerkannt, dass der Leistungsträger unabhängig von einem ausdrücklichen Beratungsbegehren gehalten ist, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (sog. Spontanberatung, vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2007 s.o.; Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5; Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 VJ 2/02 R - BSGE 92, 34; Urteil vom 5. August 1999 - B 7 AL 38/98 R - SozR 3-4100 § 110 Nr 2; Urteil vom 26. Oktober 1994 - 11 RAr 5/94 - SozR 3 1200 § 14 Nr 16; Urteil vom 6. Mai 1992 - 12 RK 45/91 - SozR 3-1200 § 14 Nr 6, alle m.w.N.). Eine solche Spontanberatung kann geboten sein, wenn sich aus dem Verhalten eines Antragstellers bzw. Versicherten ergibt, dass er über die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichend informiert ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1979 3 RK 64/77 - SozR 2200 § 182 Nr 57). Das setzt aber voraus, dass dem Wohnungsamt der Beklagten als einem zu berücksichtigenden Dritten ein solcher Informationsbedarf überhaupt erkennbar gewesen ist. Schon daran fehlt es.
Ein Informationsbedarf der Klägerin zu 1. kommt von vornherein nur hinsichtlich der Frage des zu berücksichtigenden Vermögens und der vom Vermögen abzusetzenden Freibeträge (§ 12 Abs. 1 und 2 SGB II) in Betracht. Denn das Leistungssystem des SGB II war der Klägerin zu 1., die bereits über viele Jahre im Leistungsbezug nach dem BSHG gestanden hatte, nach ihren Angaben im Erörterungstermin des Berichterstatters bekannt. Auch über die Höhe des Bedarfs und die Anrechnung von Einkommen war die Klägerin zu 1. durch die Berechnung im Schreiben des Wohnungsamtes der Beklagten vom 23. Februar 2006 informiert. Mit diesem Schreiben hat das Wohnungsamt der Beklagten die Klägerin zu 1. darauf hingewiesen, dass die von ihr angegebenen Einnahmen den monatlichen Bedarf nach dem SGB XII in Höhe von mindestens 1.088,15 Euro um 376,87 Euro unterschritten. Die Klägerin zu 1. legte daraufhin Nachweise u. a. über eine steuerfreie Aufwandsentschädigung und ein Sparguthaben über 6.249,91 Euro vor. Einen Informations- oder Beratungsbedarf hinsichtlich der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II hat die Klägerin zu 1. dabei weder geltend gemacht noch war ein solcher Informationsbedarf für das Wohnungsamt der Beklagten erkennbar. Denn die Klägerin zu 1. hat nicht vorgetragen, mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ihren Lebensunterhalt und den des Klägers zu 2. nicht bestreiten zu können. Auch hat die Klägerin zu 1. gegenüber dem Wohnungsamt der Beklagten ihre subjektive Vorstellung, wegen vorhandenen Vermögens keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu haben, nicht geäußert. Das Wohnungsamt der Beklagten hatte daher keine Veranlassung, von sich aus zu prüfen, ob den Klägern möglicherweise Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II zustehen, zumal es grundsätzlich diesen obliegt zu entscheiden, ob und ggf. welche Sozialleistungen sie in Anspruch nehmen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beratungspflicht von Behörden auch nicht so weit gehen kann, dass umfassende, die Prüfung sämtlicher Voraussetzungen des Leistungsanspruchs erfassende Berechnungen eines in die Zuständigkeit einer anderen Behörde fallenden Leistungssystems durchgeführt werden. Eine Beratungspflicht kann sich vielmehr nur allgemein auf die Existenz anderer Leistungssysteme und die Zuständigkeit der Leistungsträger beziehen. Das Wohnungsamt der Beklagten war daher entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Kläger nicht verpflichtet, im Einzelnen zu prüfen, ob das vorhandene Vermögen der Kläger nach § 12 SGB II ganz oder teilweise anrechnungsfrei gewesen ist.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von dem Bevollmächtigten der Kläger reklamierte umfassende Beratungspflicht mit der Verpflichtung der Kläger korrespondiert, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen, um die Behörde, deren Beratung gefordert wird, in die Lage zu versetzen, eine solche umfassende Beratung durchzuführen. Auch daran fehlt es vorliegend. Denn die Klägerin zu 1. hat gegenüber dem Wohnungsamt der Beklagten die von Herrn QQ. erhaltenen monatlichen Barzahlungen nicht angegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006.
Die Klägerin zu 1. beantragte erstmals im Mai 1989 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). In der Folgezeit stand sie zumindest bis April 1997 im BSHG-Leistungsbezug.
Am 22. Februar 2006 beantragte die Klägerin zu 1. einen Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz beim Wohnungsamt der Beklagten. Mit Schreiben vom 23. Februar 2006 wies das Wohnungsamt die Klägerin zu 1. darauf hin, dass die von ihr angegebenen Einnahmen den monatlichen Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von mindestens 1.088,15 Euro um 376,87 Euro unterschritten. Die Klägerin zu 1. werde daher um Stellungnahme gebeten, wie es ihr möglich sei und gewesen sei, den Lebensunterhalt mit derart geringen Einnahmen zu bestreiten. Die Klägerin zu 1. legte daraufhin Nachweise u. a. über eine steuerfreie Aufwandsentschädigung und ein Sparguthaben über 6.249,91 Euro vor. Die der Klägerin zu 1. außerdem in der Zeit von Februar 2006 bis einschließlich August 2006 von Herrn QQ. in bar ausgezahlten Darlehn (zwischen 200,00 Euro und 450,00 Euro monatlich) gab die Klägerin gegenüber dem Wohnungsamt nicht an. Mit Bescheid vom 23. März 2006 bewilligte das Wohnungsamt der Beklagten der Klägerin zu 1. für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2007 Wohngeld in Höhe von 298,00 Euro monatlich.
Am 1. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 6. September 2006 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 1. Arbeitslosengeld in Höhe von 242,77 Euro monatlich für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 30. August 2007.
Am 4. September 2006 beantragte die Klägerin zu 1. bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 9. Oktober 2006, vom 25. April 2007, vom 18. Mai 2007 und vom 30. Mai 2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II ab 4. September 2006.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25. Juli 2007, bei der Beklagten am selben Tage eingegangen, beantragten die Kläger u. a., ihnen bereits ab Antragstellung bei der Arbeitsagentur bzw. bei der Wohngeldstelle Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vor dem 4. September 2006 mit Bescheid vom 14. September 2007 ab. Dagegen legten die Kläger mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17. Oktober 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte vorgetragen, das Schreiben der Wohngeldstelle vom 23. Februar 2006 enthalte keinerlei Hinweise dazu, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt hätten. In dem Schreiben sei lediglich von Mindestbedarfssätzen nach dem SGB die Rede. Es sei nicht ersichtlich, wie ein betroffener Bürger, der sich mit der Materie des SGB überhaupt nicht auskenne, aus diesem Schreiben hätte entnehmen können, dass er bei einer anderen Behörde höhere Leistungen hätte beanspruchen können. Da sich Leistungen auf Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II gegenseitig ausschlössen, hätte die Wohngeldstelle den Wohngeldantrag an den SGB II-Leistungsträger weiterleiten müssen, zumindest aber über weitere Ansprüche aufklären und beraten müssen. Da dies nicht geschehen sei, greife zu Gunsten der Kläger der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Dieser ersetze die fehlende ausdrückliche Antragstellung nach dem SGB II. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Kläger haben am 23. Juni 2008 beim Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben. Zur Begründung haben sie ergänzend vorgetragen, die Klägerin zu 1. habe bereits vor dem 4. September 2006 bei der Bundesagentur für Arbeit einen Leistungsantrag gestellt. Der genaue Zeitpunkt der Antragstellung sei der Klägerin zu 1. jedoch nicht mehr bekannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umfasse ein bei der Agentur für Arbeit gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld auch den Antrag auf Arbeitslosengeld II mit. Auch die Wohngeldstelle sei verpflichtet gewesen, den Antrag der Kläger nach § 16 Abs. 2 SGB I an die Grundsicherungsstelle weiterzuleiten. Ungeachtet dessen greife zu Gunsten der Kläger der sozialrechtliche Herstellungsanspruch.
Die Beklagte ist dem Begehren der Kläger entgegengetreten. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die gestellten Anträge beim Wohnungsamt bzw. der Agentur für Arbeit auch Leistungen nach dem SGB II mit umfassten. Insbesondere beschränke sich der Antrag auf Wohngeld auf den beantragten Zuschuss zur Miete (§ 1 Wohngeldgesetz - WoGG -). Wohngeld diene nicht dazu, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu decken. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II lasse sich ebenso wenig aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten. Das Wohnungsamt sei weder organisatorisch noch inhaltlich mit dem SGB II-Träger verbunden, so dass ein Herstellungsanspruch gegen den Grundsicherungsträger ausscheide.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Juli 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei unbegründet, die angefochtenen Bescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden. § 37 SGB II normiere das so genannte Antragsprinzip (vgl. § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -). Im vorliegenden Fall sei festzustellen, dass die Kläger vor dem 4. September 2006 keinen Antrag auf SGB II-Leistungen gestellt hätten. Ein früherer Leistungsbeginn komme daher nur in Betracht, wenn aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine frühere Antragstellung fingiert werden könne. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden. Er setze voraus, dass der Leistungsträger eine gesetzliche oder aus einem konkreten Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung, die ihm gerade gegenüber dem Betroffenen oblegen habe, objektiv rechtswidrig verletzt habe. Diese Pflichtverletzung müsse als nicht hinwegdenkbare Bedingung - zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen - ursächlich einen Nachteil des Betroffenen herbeigeführt haben. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch komme grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn nicht die für die Leistungsgewährung zuständige Behörde, sondern ein anderes Amt im Zusammenhang mit dem in Frage kommenden Anspruch seine Beratungspflicht verletzt habe. Voraussetzung für die Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei, dass zwischen der die Pflichtverletzung begehenden und der in Anspruch genommenen Stelle eine sogenannte Funktionseinheit bestehe. Dies könne der Fall sein, wenn mehrere Behörden mit einer Aufgabe arbeitsteilig betraut seien, also eine andere Behörde in die Abwicklung eines konkreten Versicherungsverhältnisses mit eingeschaltet sei oder wenn zwei Sozialleistungen eng miteinander verknüpft seien. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Erwägungen sei festzustellen, dass zwischen dem Wohnungsamt und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten keine Funktionseinheit in diesem Sinne bestehe. Das Wohnungsamt sei nicht in die gesetzliche Aufgabenzuweisung des Verwaltungsverfahrens des Amtes für Soziale Arbeit eingeschaltet; die eine Behörde wirke nicht am Verwaltungsverfahren der anderen Behörde mit. Dies ergebe sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 WoGG in der hier gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juli 2005, wonach Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II vom Wohngeld ausgeschlossen seien. Es bestehe also ein Ausschlussverhältnis zwischen Wohngeld einerseits und Arbeitslosengeld II andererseits. Damit scheide eine Haftung des Amtes für Soziale Arbeit der Beklagten für eine mögliche Pflichtverletzung des Wohnungsamtes bereits aus Rechtsgründen aus. Anders sei jedoch grundsätzlich das Verhältnis zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten zu beurteilen. Hier bestehe zumindest eine enge Verknüpfung der jeweils gewährten Sozialleistungen, so dass dem Grunde nach ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht kommen könne. Aber auch dann, wenn man eine Pflichtverletzung der Bundesagentur für Arbeit, d. h. eine fehlerhafte Beratung der Kläger in Bezug auf andere Sozialleistungsansprüche annähme, scheide ein Herstellungsanspruch vorliegend aus. Denn die Klägerin zu 1. habe drei Tage nach der Antragstellung bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag bei der Beklagten auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und diese Leistungen auch ab diesem Tag erhalten. Die Klägerin zu 1. als langjährige Leistungsbezieherin habe selbst gewusst, welche Anträge zu stellen seien. Eine möglicherweise fehlende Beratung durch einen anderen Leistungsträger sei damit nicht ursächlich für die verspätete Antragstellung geworden. Auch sei festzustellen, dass der Klägerin ein nennenswerter Nachteil nicht entstanden sei. Im besten Fall hätten sie ab dem 1. September 2006, also für weitere drei Tage, Anspruch auf Arbeitslosengeld II-Leistungen gehabt.
Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 15. Juli 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 4. August 2010 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte ausgeführt, soweit das Sozialgericht bezüglich des von den Klägern am 22. Februar 2006 beim Wohnungsamt der Beklagten gestellten Antrags auf Wohngeld das Bestehen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verneint habe, gelte Folgendes: Nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage sei es so, dass in der Sache vor der möglichen Anwendung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bereits die Vorschrift des § 28 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) greife. Es sei nämlich so, dass die Kläger Leistungen nach dem WoGG deshalb beantragt hätten, da noch ein Spargutachten in Höhe von 6.249,91 Euro vorhanden gewesen sei. Die Kläger seien davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für sie im Hinblick auf das vorhandene Sparguthaben nicht bestehe. Nach § 28 Satz 2 SGB X wirke ein nachgeholter Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen unterlassen worden sei und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre. Diese Voraussetzungen lägen vor. Aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen der Leistungen nach dem SGB II hätten die Kläger am 22. Februar 2006 lediglich Wohngeld beantragt. Wohngeld sei gegenüber den Leistungen nach dem SGB II nachrangig. Der am 4. September 2006 nachträglich gestellte Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wirke auch bis zum 22. Februar 2006 zurück. Selbst wenn man hierzu anderer Auffassung sein sollte, und eine Anwendung des § 28 SGB X in der Sache zu verneinen wäre, so bleibe jedenfalls zu Gunsten der Kläger entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Soweit das Sozialgericht hierzu die Auffassung vertreten habe, ein Fehlverhalten der Wohngeldstelle sei der Beklagten nicht zuzurechnen, so gehe dies fehl. Zu den Fallgruppen, in denen das BSG in ständiger Rechtsprechung vom Grundsatz der Verantwortlichkeit nur für eigene Fehler Ausnahmen gemacht habe, und einem Leistungsträger die Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers wie eine eigene Pflichtverletzung zurechne, gehöre nämlich auch die, dass zwischen bestehenden Sozialleistungen ein Konkurrenzverhältnis bestehe, sodass die jeweiligen Sozialleistungsträger Beratungspflichten über die andere - in Konkurrenz stehende - Sozialleistung träfen. So liege die Sache auch hier. Zwischen Leistungen nach dem Wohngeldgesetz und Leistungen nach dem SGB II bestehe ein entsprechendes Konkurrenzverhältnis, was die jeweiligen Leistungsträger dazu verpflichte, einen Betroffenen auch eingehend über die Anspruchsvoraussetzungen der Konkurrenzleistungen zu beraten. Selbst wenn man auch dies anders sehe, hätten die Kläger jedenfalls einen Leistungsanspruch ab dem 1. September 2006. An diesem Tage hätten sie nämlich bei der Bundesagentur für Arbeit Leistungen wegen Erwerbslosigkeit begehrt. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sei hiervon auch ein Leistungsantrag nach dem SGB II mit umfasst.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern laufende Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung ihres Antrages auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sowie auf ihren bisherigen Vortrag. Soweit der Klägervertreter nunmehr zur Begründung des Anspruchs auf § 28 SGB X hinweise, sei weder Satz 1 noch Satz 2 dieser Vorschrift einschlägig. Auch § 28 Satz 2 SGB X setze voraus, dass der Antragsteller bei Unkenntnis der Sach- und Rechtslage eine an sich vorrangige Leistung begehre, diese aber abgelehnt werde oder zu erstatten sei. Die Kläger hätten jedoch das von ihnen beantragte Wohngeld erhalten. Abgesehen davon sei die nach § 28 SGB X sechs Monate betragende Frist für die Nachholung des Antrags nicht eingehalten. Die SGB II-Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum seien erst am 27. Juli 2007 beantragt worden. Wie bereits vorgetragen, habe die Klägerin zu 1. jahrelange Erfahrung im Umgang mit Sozialleistungsträgern. Dass sie sich nicht an den SGB II-Träger, sondern an das Wohnungsamt gewandt habe, sei sicherlich eine bewusste Entscheidung gewesen. Die Tatsache, dass die Klägerin zu 1. vom Wohnungsamt mit Schreiben vom 23. Februar 2006 explizit auf die Bedarfsunterdeckung hingewiesen worden sei und in ihrer Stellungnahme auf das vorhandene Sparguthaben verwiesen habe, unterstreiche diese Entscheidung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Juli 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 14. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2008 sind rechtmäßig, so dass die Kläger nicht beschwert sind (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006.
Nach § 37 Abs. 1 SGB II in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung (BGBl. I 2954) werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht. Sie werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Treten die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag ein, an dem der zuständige Träger von Leistungen nach diesem Buch nicht geöffnet hat, wirkt ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Nach § 16 Abs. 2 SGB I sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.
Die Kläger haben vor dem 4. September 2006 keinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Die Antragstellung erfolgte erst am 25. Juli 2007. Der am 22. Februar 2006 bei der Wohngeldstelle der Beklagten gestellte Antrag war allein auf die Gewährung von Wohngeld nach dem WoGG gerichtet. Dem Formularantrag lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass zugleich auch Leistungen nach dem SGB II beantragt werden sollten.
Der am 1. September 2006 bei der Agentur für Arbeit gestellte Antrag war nicht zugleich auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gerichtet. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt nach der Rechtsprechung des BSG dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. Urteile vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 3/09 R - und vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistungen begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 37 Rdnr. 21; Kretschmer in GK-SGB I, 3. Aufl 1996, § 16 Rdnr. 17). Dabei kann in einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II liegen. Ob dies bereits dann gilt, wenn der Betroffene nur deutlich macht, er begehre Leistungen bei Arbeitslosigkeit (so z.B. OVG Bremen, Urteil vom 8. Juni 2010 - S 2 A 492/07 - im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe, vgl. Urteil vom 21. Juli 1977 - 7 RAr 132/75 - BSGE 44, 164, 166 f.) oder ob zusätzlich erforderlich ist, dass der Antragsteller zumindest zu erkennen gibt, er sei wegen fehlenden Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Klägerin zu 1. hat im Erörterungstermin des Berichterstatters angegeben, sie sei am 1. September 2006 fristlos gekündigt worden. Sie sei daraufhin am selben Tage noch bei der Agentur für Arbeit gewesen und habe Arbeitslosengeld beantragt. Mit der dortigen Bescheinigung sei sie dann am nächsten Werktag, dem 4. September 2006, bei der Beklagten gewesen und habe einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Die Klägerin zu 1. hatte daher bereits im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Arbeitslosengeld bei der Agentur für Arbeit die Absicht, einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem zuständigen Leistungsträger - der Beklagten - zu stellen. Der bei der Agentur für Arbeit gestellte Antrag beschränkte sich daher auf die Beanspruchung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III.
Der am 25. Juli 2007 gestellte Antrag wirkt auch nicht nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 28 SGB X auf den streitgegenständlichen Zeitraum zurück. Die Vorschrift lautet: Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Satz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre. § 28 SGB X ist zwar im Rahmen des SGB II anwendbar (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 s.o.), die Vorschrift greift aber nicht zugunsten der Kläger ein.
Die Voraussetzungen des § 28 Satz 1 SGB X liegen ungeachtet der Frage der Einhaltung der Frist (vgl. § 40 Abs. 3 SGB II) schon deshalb nicht vor, weil das von der Klägerin zu 1. geltend gemachte Wohngeld nicht versagt, sondern mit Bescheid vom 23. März 2006 bewilligt wurde. Auch die Voraussetzungen des § 28 Satz 2 SGB X sind vorliegend nicht gegeben. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine beantragte Sozialleistung versagt worden oder zu erstatten ist, die, wenn sie rechtswirksam erbracht worden wäre, Vorrang vor der zunächst nicht beantragten Leistung gehabt hätte (Hauck/Noftz, SGB X, Stand August 2011, § 28 Rdnr. 7 m.w.N. zum Gesetzgebungsverfahren). § 28 Satz 2 SGB X erfordert daher wie § 28 Satz 1 SGB X, dass die zunächst beantragte Sozialleistung abgelehnt wurde oder zu erstatten ist (Pickel/Marschner, SGB X, Stand Dezember 2011, § 28 Rdnr. 10). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das von der Klägerin zu 1. beantragte Wohngeld ist weder abgelehnt worden noch war es zu erstatten. Scheidet die Anwendbarkeit des § 28 Satz 2 SGB X bereits aus diesem Grunde aus, bedarf die Frage, ob zwischen Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II rechtlich ein Vorrang-/Nachrangverhältnis besteht, keiner Entscheidung. Diese Frage dürfte aber zumindest für die hier in Rede stehende, den streitgegenständlichen Zeitraum betreffende Gesetzeslage zu verneinen sein (vgl. Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 5 Rdnr. 31). Dies ergibt sich bereits aus den Bestimmungen des Wohngeldgesetzes. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WoGG in der Fassung des Gesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I 2029) normiert den Grundsatz, dass Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes nach dem SGB II, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind, vom Wohngeld nach diesem Gesetz ausgeschlossen sind. Der Ausschluss greift nicht ein, wenn die Leistungen ausschließlich als Darlehen gewährt werden (§ 1 Abs. 2 Satz 4 WoGG). Ein Verzicht auf SGB II-Leistungen, um Wohngeld zu beantragen, ist möglich (§ 1 Abs. 5 WoGG). Aus den Vorschriften des SGB II ergibt sich keine andere Beurteilung. Das SGB II regelt ausdrücklich in § 5 Abs. 2 lediglich das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II zu solchen nach dem SGB XII. Im Übrigen enthält es zu dem Verhältnis des SGB II zu anderen Leistungen lediglich die allgemeine Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II, dass auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, durch dieses Buch nicht berührt werden. Es dürfte daher kein Vorrang-/Nachrangverhältnis im rechtlichen Sinne zwischen Wohngeld und Leistungen nach dem SGB II bestehen. Allerdings wird der grundsätzliche rechtliche Vorrang anderer Leistungen in § 9 Abs. 1 SGB II unterstellt, der aber direkt lediglich den faktischen Nachrang der SGB II-Leistungen regelt (Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 5 Rdnr. 8 f. m.w.N.).
Die Kläger können Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 22. Februar 2006 bis zum 3. September 2006 auch nicht im Wege des Herstellungsanspruchs beanspruchen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (ständ. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2010 s.o.; Urteil vom 6. November 2008 - B 1 KR 8/08 R - USK 2008-128; Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R - BSGE 99, 180). Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob – wie das Sozialgericht meint – der Herstellungsanspruch schon deshalb ausscheidet, weil zwischen dem Wohnungsamt und dem Amt für Soziale Arbeit der Beklagten keine Funktionseinheit bestehe. Das BSG bejaht eine solche Zurechnung insbesondere, wenn zwei Leistungsträger im Sinne einer Funktionseinheit mit einer Aufgabenerfüllung arbeitsteilig betraut sind oder ein Leistungsträger einen anderen Leistungsträger oder einen Dritten in die Abwicklung eines Versicherungsverhältnisses mit einbezogen hat und wenn spezifische Beratungspflichten aufgrund der Verknüpfung zweier Leistungsträger oder seitens eines Leistungsträgers aufgrund besonderer Aufgaben bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 31/09 R - BSGE 106, 296 m.w.N.).
Vorliegend fehlt es jedenfalls an einer Pflichtverletzung.
Eine Pflichtverletzung der Bundesagentur für Arbeit hat die Klägerin zu 1. weder behauptet noch sind dahingehende Anhaltspunkte erkennbar. Eine Pflichtverletzung besteht nicht wegen einer unzutreffenden Beratung der Klägerin zu 1. durch das Wohnungsamt der Beklagten. Die Klägerin zu 1. hat von dem Wohnungsamt weder eine (dann unterbliebene) Beratung erbeten noch ist daraufhin eine Fehlberatung seitens des Wohnungsamtes erfolgt.
Eine Beratung der Klägerin zu 1. ist auch nicht pflichtwidrig unterblieben. In der Rechtsprechung des BSG ist allerdings anerkannt, dass der Leistungsträger unabhängig von einem ausdrücklichen Beratungsbegehren gehalten ist, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (sog. Spontanberatung, vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2007 s.o.; Urteil vom 27. Juli 2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5; Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 VJ 2/02 R - BSGE 92, 34; Urteil vom 5. August 1999 - B 7 AL 38/98 R - SozR 3-4100 § 110 Nr 2; Urteil vom 26. Oktober 1994 - 11 RAr 5/94 - SozR 3 1200 § 14 Nr 16; Urteil vom 6. Mai 1992 - 12 RK 45/91 - SozR 3-1200 § 14 Nr 6, alle m.w.N.). Eine solche Spontanberatung kann geboten sein, wenn sich aus dem Verhalten eines Antragstellers bzw. Versicherten ergibt, dass er über die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichend informiert ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1979 3 RK 64/77 - SozR 2200 § 182 Nr 57). Das setzt aber voraus, dass dem Wohnungsamt der Beklagten als einem zu berücksichtigenden Dritten ein solcher Informationsbedarf überhaupt erkennbar gewesen ist. Schon daran fehlt es.
Ein Informationsbedarf der Klägerin zu 1. kommt von vornherein nur hinsichtlich der Frage des zu berücksichtigenden Vermögens und der vom Vermögen abzusetzenden Freibeträge (§ 12 Abs. 1 und 2 SGB II) in Betracht. Denn das Leistungssystem des SGB II war der Klägerin zu 1., die bereits über viele Jahre im Leistungsbezug nach dem BSHG gestanden hatte, nach ihren Angaben im Erörterungstermin des Berichterstatters bekannt. Auch über die Höhe des Bedarfs und die Anrechnung von Einkommen war die Klägerin zu 1. durch die Berechnung im Schreiben des Wohnungsamtes der Beklagten vom 23. Februar 2006 informiert. Mit diesem Schreiben hat das Wohnungsamt der Beklagten die Klägerin zu 1. darauf hingewiesen, dass die von ihr angegebenen Einnahmen den monatlichen Bedarf nach dem SGB XII in Höhe von mindestens 1.088,15 Euro um 376,87 Euro unterschritten. Die Klägerin zu 1. legte daraufhin Nachweise u. a. über eine steuerfreie Aufwandsentschädigung und ein Sparguthaben über 6.249,91 Euro vor. Einen Informations- oder Beratungsbedarf hinsichtlich der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II hat die Klägerin zu 1. dabei weder geltend gemacht noch war ein solcher Informationsbedarf für das Wohnungsamt der Beklagten erkennbar. Denn die Klägerin zu 1. hat nicht vorgetragen, mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ihren Lebensunterhalt und den des Klägers zu 2. nicht bestreiten zu können. Auch hat die Klägerin zu 1. gegenüber dem Wohnungsamt der Beklagten ihre subjektive Vorstellung, wegen vorhandenen Vermögens keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu haben, nicht geäußert. Das Wohnungsamt der Beklagten hatte daher keine Veranlassung, von sich aus zu prüfen, ob den Klägern möglicherweise Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II zustehen, zumal es grundsätzlich diesen obliegt zu entscheiden, ob und ggf. welche Sozialleistungen sie in Anspruch nehmen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beratungspflicht von Behörden auch nicht so weit gehen kann, dass umfassende, die Prüfung sämtlicher Voraussetzungen des Leistungsanspruchs erfassende Berechnungen eines in die Zuständigkeit einer anderen Behörde fallenden Leistungssystems durchgeführt werden. Eine Beratungspflicht kann sich vielmehr nur allgemein auf die Existenz anderer Leistungssysteme und die Zuständigkeit der Leistungsträger beziehen. Das Wohnungsamt der Beklagten war daher entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Kläger nicht verpflichtet, im Einzelnen zu prüfen, ob das vorhandene Vermögen der Kläger nach § 12 SGB II ganz oder teilweise anrechnungsfrei gewesen ist.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von dem Bevollmächtigten der Kläger reklamierte umfassende Beratungspflicht mit der Verpflichtung der Kläger korrespondiert, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen, um die Behörde, deren Beratung gefordert wird, in die Lage zu versetzen, eine solche umfassende Beratung durchzuführen. Auch daran fehlt es vorliegend. Denn die Klägerin zu 1. hat gegenüber dem Wohnungsamt der Beklagten die von Herrn QQ. erhaltenen monatlichen Barzahlungen nicht angegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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