L 5 KR 49/12 B ER

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 13 KR 13/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 49/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Entscheidung über den Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung obliegt nicht dem einweisenden Vertragsarzt oder dem Krankenhaus, sondern der Krankenkasse. Der Versicherte bzw. der einweisende Vertragsarzt hat keine freie Wahl unter den zugelassenen Krankenhäusern (Anschluss an BSG 02.11.2007 - B 1 KR 11/07 R, juris Rn 13)
2. Die Krankenkasse ist grundsätzlich berechtigt, den Versicherten auf eine kostengünstigere Behandlung in einem anderen Krankenhaus zu verweisen. Dies gilt erst recht im Verhältnis zu einem Krankenhaus in der Schweiz.
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 30.1.2012 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:
I.
Umstritten ist, ob das Sozialgericht (SG) die Antragsgegnerin zu Recht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Antragstellerin eine stationäre Krankenhausbehandlung in der H D W (Schweiz) zu gewähren.
Die 1960 geborene Antragstellerin leidet seit Jahren an einem schweren steroidabhängigen Asthma bronchiale mit intrinsischer Komponente. Wegen dieser Erkrankung war sie mehrfach, zuletzt im Oktober und November 2009, in der H D W behandelt worden. Im Juni 2011 verordnete ihr behandelnder Arzt, der Internist und Pneumologe Dr K , eine weitere Krankenhausbehandlung in dieser Klinik. Zwischen dieser und der Antragsgegnerin besteht eine Vereinbarung über Krankenhausbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen vom 24.6.1985. Mit Schreiben vom 30.6.2011 beantragte die Antragstellerin die schnellstmögliche Durchführung einer stationären Heilbehandlung in D , da die Therapiemöglichkeiten vor Ort ausgeschöpft seien.
Der Arzt Dr H vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in seiner Stellungnahme vom 19.7.2011 aus, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine stationäre Krankenhausbehandlung nicht auch in einer Fachklinik in Deutschland möglich sein solle. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 20.7.2011 den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einer stationären Krankenhausbehandlung in D ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin im Hinblick auf eine Stellungnahme des Arztes im MDK G vom 11.8.2011 mit Bescheid vom 15.8.2011 eine Krankenhausbehandlung in der Fachklinik K G in S. Auch gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Zur Begründung legte sie ein Attest des Dr K vom 26.8.2011 vor und führte aus, S liege mit 400 Metern über dem Meeresspiegel nur unwesentlich höher als ihr Wohnort M ; D biete dagegen mit seiner Höhe von 1650 Metern das für eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderliche Klima. Unter Berücksichtigung einer Stellungnahme von Dr H /Dr L vom MDK vom 2.9.2011 wies die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011 den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.7.2011 zurück.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 16.11.2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben (S 13 KR 643/11) und bei diesem am 6.1.2012 einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt. Sie hat ein Arztschreiben des S -S A über die dortige stationäre Behandlung vom 4.1. bis 6.1.2012 vorgelegt, worin es ua heißt: Ursache der klinischen Symptomatik sei eine Exazerbation der obstruktiven Lungenerkrankung gewesen. Bei der Aufnahme habe sich klinisch und laborchemisch kein Hinweis auf einen Infekt gezeigt; der Lungenfunktionstest habe einen unauffälligen Befund ergeben. Von Theophyllingaben werde abgeraten; empfohlen würden eine "lipilmod Kost" und die Erhöhung der Therapie mit CSE-Hemmern auf 20 mg; eine Rehabilitationsmaßnahme in allergenarmem Umweltmilieu sei zu befürworten.
Das SG Koblenz hat durch Beschluss vom 30.1.2012 die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung der Antragstellerin in der H D W zu übernehmen, und zur Begründung ausgeführt: Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache seien offen. Sie hingen von einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren ab. Den aktenkundigen Krankenhausentlassungsberichten aus dem letzten halben Jahr sei zu entnehmen, dass eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes inzwischen nur noch mit einer erheblichen Höherdosierung der Medikation erreicht werden könne. Diese Höherdosierung könne zahlreiche Folgeerkrankungen nach sich ziehen bzw habe solche bereits verursacht. Aus den Berichten der H D W über frühere Behandlungen gehe hervor, dass dort ein sehr schneller und einigermaßen dauerhafter Behandlungserfolg gelungen sei. Nicht umsonst habe die Antragsgegnerin bis 2009 immer wieder die Kosten von Behandlungen in D übernommen. Der Einwand der Antragstellerin, dass S nur wenig höher liege als ihr Wohnort und lediglich das Hochgebirgsklima ihr Asthma positiv beeinflussen könne, erscheine berechtigt. Der Antragstellerin sei ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 17.2.2012 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, die vorträgt: An dem erforderlichen Anordnungsgrund fehle es schon deshalb, weil sie der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt die notwendige Krankenhausbehandlung verweigert habe. Angesichts der hohen Zahl von Behandlungen der Antragstellerin in deutschen Kliniken dränge sich der Eindruck auf, dass die Behandlungen in D wenig erfolgreich gewesen seien. Die Antragstellerin müsse dringend medikamentös neu eingestellt werden, und zwar so, dass sie mit den Umweltbedingungen in Deutschland zurecht komme. Deshalb erscheine eine Behandlung in einer Fachklinik in Deutschland erfolgversprechender als im Ausland. Krankenhausbehandlungen in D seien deutlich teurer als solche in Deutschland. Es sei auch nicht erkennbar, welche gravierenden Folgen es für die Antragstellerin haben könne, wenn sie sich 21 Tage lang (durchschnittliche Verweildauer) in der Klinik in S behandeln ließe. Sollte diese Behandlung keinen Erfolg haben, könnte die Antragstellerin immer noch auf einer Behandlung in D bestehen. Dauere die Behandlung in D 42 Tage, betrügen die Mehrkosten gegenüber der Behandlung in einer deutschen Spezialklinik ca 3.500 EUR.
Die Antragstellerin trägt vor: Da sich ihr Krankheitsbild nicht verändert habe und die früheren Behandlungen in D erfolgreich gewesen seien, könne die Antragsgegnerin sie nicht ohne weiteres auf eine Behandlung in der Fachklinik K verweisen. Die Behauptung der Antragsgegnerin, nach der letzten Behandlung in D seien mindestens weitere 11 Krankenhausbehandlungen erfolgt, sei unzutreffend. Die Antragsgegnerin habe nicht berücksichtigt, dass die Fachklinik K nur wenige Meter höher gelegen sei als ihr Wohnort und deutlich niedriger als die Hochgebirgsklinik D W. Das bei ihr wegen ihrer Allergien erforderliche allergenarme Klima zur Heilbehandlung sei in der Klinik K nicht gesichert. Dieses Krankenhaus sei nicht auf die Behandlung des bei ihr vorliegenden Krankheitsbildes (Asthma bronchiale) spezialisiert. Die wirtschaftlichen Berechnungen der Antragsgegnerin seien nicht nachvollziehbar. Nicht verständlich sei auch, warum die Antragsgegnerin von einer Behandlungsdauer in D von 42 Tagen ausgehe. Zu beachten sei ferner, dass im täglichen Pflegesatz der Klinik in D Zusatzleistungen enthalten seien. Bei ihr sei nicht eine Rehabilitationsbehandlung erforderlich, sondern eine Krankenhausbehandlung. Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des SG komme auch deshalb nicht in Betracht, weil sie bereits einen Antrag auf Vollstreckung des erstinstanzlichen Beschlusses gestellt habe. Die Antragstellerin hat den Bericht des S A vom Februar 2012 über eine stationäre Behandlung in der Zeit vom 12. bis 16.2.2012 vorgelegt. Darin heißt es ua, ein Reha-Aufenthalt in einer Hochgebirgsregion sollte sicher zu einer langfristigen Stabilität der Antragstellerin beitragen.

II.
Die nach §§ 171, 172 Sozialgerichtsgesetz SGG zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die begehrte einstweilige Anordnung; der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.
Eine einstweilige Anordnung (§ 86b Abs 2 SGG) erfordert neben einem An¬ordnungsgrund einen Anordnungsanspruch. Sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht abschätzbar, etwa weil dort die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erforderlich ist, ist eine Interessenabwägung erforderlich. Bei dieser sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn 12f). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die beantragte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.
Ein Sachleistungsanspruch auf eine Behandlung in der Hochgebirgsklinik D W ist nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil diese im Ausland erfolgen würde. Die Antragsgegnerin hat mit der Klinik in D einen Vertrag ge¬schlossen, der die Voraussetzungen des § 140e SGB V erfüllt. Durch solche Verträge wird das deutsche Sachleistungssystem über die territorialen Grenzen hinaus erweitert (Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, K § 140e Rn 7; Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 13 Rn 310). Dies hat aber nicht zur Folge, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine stationäre Krankenhausbehandlung in D gewähren müsste.
Die Entscheidung über den Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung obliegt nicht dem Vertragsarzt oder dem Krankenhaus, sondern der Krankenkasse. Der Versicherte bzw der die Krankenhauseinweisung verordnende Vertragsarzt hat auch keine freie Wahl unter den zugelassenen Krankenhäusern (BSG 2.11.2007 B 1 KR 11/07 R, juris Rn 13; vgl hierzu Höfler in Kasseler Kommentar, § 39 Rn 94 ff; aA Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, K § 39 Rn 114). Deshalb ist die Krankenkasse grundsätzlich berechtigt, den Versicherten auf eine kostengünstigere Behandlung in einem anderen Krankenhaus zu verweisen. Dies gilt erst recht im Verhältnis zu einem Krankenhaus in der Schweiz, das nicht kraft Gesetzes, sondern nur wegen eines mit der Krankenkasse geschlossenen Vertrages, der ausdrücklich ein vorheriges Prüfungsrecht durch diese vorsieht, zur Behandlung auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips berechtigt ist. Wegen des Wirtschaftlichkeitsprinzips (§§ 2 Abs 1, 12 Abs 1 SGB V) muss die Antragsgegnerin deshalb Versicherten eine Heilbehandlung in D nicht als Sachleistung gewähren, wenn die Behandlung auch in Deutschland möglich und hier kostengünstiger ist.
Zwischen den Beteiligten ist nicht umstritten, dass bei der Antragstellerin die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) besteht. Die Behandlung in D wäre für die Antragsgegnerin teurer als eine vergleichbare Behandlung in Deutschland. Dies räumt letztlich auch die Antragstellerin ein, die von Mehrkosten in D in Höhe von 1.461,86 EUR ausgeht.
Daher hätte die Antragstellerin in Anbetracht des Wirtschaftlichkeitsprinzips nur dann Anspruch auf die Behandlung in D , wenn diese aus gesundheitlichen Gründen gerade dort erfolgen müsste. Auch wenn insoweit ein weiterer Ermittlungsbedarf im Hauptsacheverfahren bestehen sollte, sprechen die überwiegenden Gründe gegen die Notwendigkeit der Behandlung gerade in D. Die Ärzte des MDK haben eine Behandlung in Deutschland für ausreichend angesehen. Auch die aktenkundigen ärztlichen Äußerungen behandelnder Ärzte der Antragstellerin belegen die Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung speziell in D nicht. Der Arzt Dr K hat in seinem Attest vom August 2011 zwar angeführt, zur Behandlung biete sich die Klinik in D an, weil diese Einrichtung entsprechend spezialisiert sei und sich bei der Antragstellerin früher gut bewährt habe. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine gleichwertige Behandlung in Deutschland nicht möglich ist. Dies geht auch aus den Entlassungsberichten des S A vom Januar und Februar 2012 nicht hervor. Die Empfehlung einer Rehabilitationsmaßnahme in "allergenarmem Umweltmilieu" im Bericht vom Januar 2012 impliziert nicht zwingend, dass eine Behandlung nicht in Deutschland stattfinden könnte. In dem Bericht vom Februar 2012 wird zwar ein Rehabilitationsaufenthalt in einer Hochgebirgsregion empfohlen. Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme, sondern um eine stationäre Krankenhausbehandlung. Entscheidend ist zudem, dass es der Antragstellerin zumutbar ist, zunächst den Erfolg einer stationären Behandlung in Schmallenberg, welche die Antragsgegnerin ihr bewilligt hat, abzuwarten. Falls diese Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt, wird die Antragsgegnerin auf einen Antrag der Antragstellerin erneut über die Bewilligung einer Behandlung in D zu entscheiden haben.
Die frühere Bewilligung von Krankenbehandlungen in D durch die Antragsgegnerin führt nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auch für zukünftige Behandlungen. Dafür, dass den Ärzten der Klinik K die erforderliche Kompetenz zur Behandlung der Antragstellerin fehlt, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Letztlich führt auch der Hinweis der Antragstellerin auf das allergenfreie Klima in D nicht zum Erfolg ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz. Konkrete Anhaltspunkte, dass eine Behandlung der Antragstellerin in der Klinik K mit einer unzumutbaren Allergenbelastung verbunden ist, sind nicht ersichtlich. Die Auffassung der Antragstellerin, wegen ihres Vollsteckungsantrags sei die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des SG ausgeschlossen, trifft nicht zu.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 13 Abs 5 iVm Abs 4 SGB V erfolgreich. Hiernach ist der Versicherte berechtigt, eine Behandlung im Ausland durchführen zu lassen und danach einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen, wobei er die durch die Auslandsbehandlung entstehenden Mehrkosten zu tragen hat (§ 13 Abs 4 Satz 3 SGB V). Dies setzt aber die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Behandlung im Ausland voraus (§ 13 Abs 5 SGB V), an der es vorliegend fehlt. Die Zustimmung darf nach § 13 Abs 5 Satz 2 SGB V versagt werden, wenn für den Versicherten eine ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung im Inland möglich ist, wovon vorliegend bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes auszugehen ist. Im Übrigen ist ein Kostenerstattungsanspruch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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