S 1 KA 67/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 1 KA 67/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Honorarbescheid vom 21. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2010 wird abgeändert und die Beklagte verpflichtet, über die vertragsärztliche Vergütung der vom Kläger im 3. Quartal 2009 erbrachten Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen 01756 und 01757 des EBM nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Sprungrevision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf ... EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung des vertragsärztlichen Honorars.

Der Kläger ist niedergelassener Facharzt für Pathologie und mit eigener Praxis in ... in der vertragsärztlichen Versorgung tätig. Mit Honorarbescheid vom 20. Januar 2010 vergütete die Beklagte dem Kläger die im 3. Quartal 2009 erbrachten Leistungen ( ... EUR). Zuvor nahm sie eine sachlich-rechnerische Richtigstellung der Honoraranforderung in Höhe von ... EUR vor, indem sie in 37 Fällen Leistungen nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 01756 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) und in 36 Fällen Leistungen nach der GOP 01757 absetzte.

Die GOP haben folgenden Leistungsinhalt:

01756 Histologische Untersuchung eines durch eine Biopsie gewonnenen Materials gemäß § 20 der Anlage 9.2 der Bundesmantelverträge

Obligater Leistungsinhalt

- Histologische Untersuchung eines durch eine Biopsie gewonnenen Materials

je 3 Stanzen 290 Punkte

01757 Zuschlag zu der Gebührenordnungsposition 01756 für die Aufarbeitung eines durch eine Biopsie gewonnenen Materials der weiblichen Brust im Rahmen des Programms zur Früherkennung von Brustkrebs

Obligater Leistungsinhalt

- Aufarbeitung eines durch eine Biopsie gewonnenen Materials der weiblichen Brust

je 3 Stanzen 315 Punkte.

Gegen die Berichtigung legte der Kläger am 28. Januar 2010 bei der Beklagten Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Die Legende der streitgegenständlichen GOP lasse es zu, dass die Leistung auch bei einer Untersuchung von weniger als jeweils drei Stanzen voll vergütet werden muss. Deshalb dürfe er z. B. bei vier untersuchten Stanzen die GOP zweimal oder bei acht Stanzen die GOP dreimal ansetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, eine Vergütung nach den genannten GOP könne nur erfolgen, wenn deren Leistungsinhalt vollständig erfüllt sei. Dies setze voraus, dass der Arzt mindestens drei Stanzen untersucht habe. Bei einer Untersuchung von z. B. sieben Stanzen dürfe daher die GOP lediglich zweimal in Ansatz gebracht werden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 21. Mai 2010 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage. Seiner Ansicht nach sei die Leistungslegende der streitigen GOP missverständlich. Bliebe die Untersuchung der jeweils vierten und fünften bzw. siebten und achten Stanze unvergütet, verstieße der EBM gegen den Grundsatz der leistungsäquivalenten Honorarverteilung, zumal die Beurteilung des Materials im Mammographiescreening hohe ärztliche Anforderungen stelle. Darum könne es sich nur um ein offenkundiges redaktionelles Versehen handeln, welches gedanklich mit dem ergänzenden Zusatz "bis zu" beseitigt werden müsse. Dies bestätige auch eine ihm vorliegende Antwort der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf eine entsprechende Anfrage der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. Die KBV habe darin die Auffassung vertreten, dass trotz des Wortlauts der Leistungslegende die Abrechnung der GOP 01756 aus pragmatischen Gründen auch bei weniger als drei Stanzen möglich sei. Der Kläger hält die diese Handhabung auch deshalb für angemessen, weil die Anzahl der Stanzen nicht etwa von dem untersuchenden Facharzt für Pathologie vorgegeben werde, sondern von dem Radiologen oder Gynäkologen, der die Proben entnehme. An Beispielüberweisungen könne er belegen, dass zum Teil weniger als drei Stanzen gewonnen worden seien, so dass seine sich der Biopsie anschließende Untersuchung der Proben vollständig unvergütet geblieben sei.

Der Kläger beantragt,

den Honorarbescheid vom 21. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2010 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten,

die von ihm im 3. Quartal 2009 erbrachten Leistungen nach der Gebührenordnungsposition 01756 des EBM in 37 Fällen und nach der Gebührenordnungsposition 01757 des EBM in 36 Fällen nachträglich zu vergüten, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über die vertragsärztliche Vergütung der von ihm im 3. Quartal 2009 erbrachten Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen 01756 und 01757 des EBM nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei in erster Linie der Wortlaut der Legende der GOP im EBM maßgeblich. Ergänzend könne zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen erfolgen, jedenfalls aber dürfe der Wortlaut nicht ausdehnend oder analog angewendet werden. Die Legende der streitigen GOP sei aber nicht missverständlich, sondern beinhalte lediglich die einschränkende Anweisung, dass die GOP nur dann mehrfach angesetzt werden dürfe, wenn der Arzt mindestens drei weitere Stanzen untersucht habe. Der Pathologe müsse es hinnehmen, wenn nach Gewinnung von nur zwei Stanzen durch den überweisenden Vertragsarzt die Untersuchung der Proben durch den Pathologen nicht abrechnungsfähig sei. Dies sei bei der streitgegenständlichen Berichtigung der Vergütung des Klägers aber nur zweimal geschehen.

Das Sozialgericht hat beim Institut des Bewertungsausschusses eine Stellungnahme eingeholt. In dessen Auftrag hat die KBV mitgeteilt, die medizinischen Gründe für die Festlegung der Abrechenbarkeit von je drei Stanzen leiteten sich aus den Leitlinien zur Brustkrebsfrüherkennung ab. Dabei seien die Graduierung der medizinischen Notwendigkeit und die internen Kalkulationsvorgaben berücksichtigt worden. Es werde von der Empfehlung ausgegangen, dass bei der interventionellen Stanzbiopsie die Entnahme von vier und mehr Proben und bei der Vakuumbiopsie 12 oder mehr Proben notwendig sind. Nach Ansicht der KBV dürften die GOP 01756 bzw. 01757 EBM aber in medizinisch begründeten Ausnahmefällen abweichend von der wortlautgetreuen Anwendung auch bei einer Untersuchung von weniger als drei Stanzen berechnet werden, wenn dies für die Diagnosestellung ausreichend sei und für die Patienten eine geringere Belastung bedeute.

Der Kläger trägt hierzu vor, es sei im Massengeschäft des Mammographiescreenings nicht zumutbar, nach den Vorgaben "medizinisch begründeten Ausnahmefällen", "ausreichender Diagnosestellung" und "geringerer Belastung für die Patientin" zu unterscheiden.

Die Kammer hat eine Beiladung der KBV und des Spitzenverbandes der Krankenkassen Bund als Partner des den EBM gestaltenden Bewertungsausschusses gemäß § 75 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für entbehrlich gehalten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24.9.2003 – B 6 KA 37/02 R).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer entscheidet gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der für die Angelegenheiten der Vertragsärzte vorgesehenen Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte.

Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist im Sinne des Hilfsantrags begründet.

Die Entscheidung der Beklagten, das Honorar des Klägers für das 3. Quartal 2009 hinsichtlich der GOP 01756 und 01757 sachlich-rechnerisch zu berichtigen, ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte ist gemäß § 106a Abs. 1 und 2 SGB V in Verbindung mit § 45 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä)/§ 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) berechtigt, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Honorarabrechnungen der Vertragsärzte zu prüfen und die angeforderte Vergütung korrigiert festzustellen (BSG, Urteile vom 17.9.2008 – B 6 KA 51/07 R, und vom 5.11.2008 – B 6 KA 1/08 R, SozR 4-2500 § 106a Nr 4 und www.bsg.bund.de). Die im Streit stehende sachlich-rechnerische Berichtigung erfolgte zu Unrecht.

Nach Nr. 1 seiner Allgemeinen Bestimmungen (Stand 3. Quartal 2009, einsehbar bei www.kbv.de) bestimmt der EBM den Inhalt der berechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis untereinander. Der Katalog der berechnungsfähigen GOP ist abschließend und einer analogen Berechnung nicht zugänglich. Eine GOP ist nach Nr. 2.1 der Allgemeinen Bestimmungen des o. g. EBM nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden ist. Die Vollständigkeit der Leistungserbringung ist gegeben, wenn die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten - auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation (z. B. OPS, ICD 10 GM) – erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind. Eine GOP, deren Leistungsinhalt nicht vollständig erbracht wurde, kann nicht berechnet werden (Allgemeine Bestimmungen Nr. 2.1.2 EBM).

Nach dem Wortlaut der GOP 01756 und der Zuschlagsposition 01757 wird die Leistung des Pathologen vergütet, wenn er ein durch eine Biopsie gewonnenes Material histologisch untersucht und gfls. im Rahmen des Mammographie-Screening-Programms aufarbeitet. Die hierfür ausgewiesenen Punkte können nach dem Wortlaut der GOP für "je 3 Stanzen" angefordert werden. Nach Auffassung der Kammer ist diese Vorgabe im Lichte der verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Honorarverteilungsgerechtigkeit nur so zu verstehen, dass die o. g. GOP im Sinne einer Abstaffelungsregelung in "Dreiergruppen" abgerechnet werden dürfen. Das bedeutet, dass die histologische Untersuchung des durch Biopsie gewonnenen Materials bereits ab der ersten Stanze vergütet wird, eine zweite und eine weitere dritte Stanze jedoch hiermit ebenfalls abgegolten ist. Erst mit der Untersuchung einer vierten Probe und nach jedem weiteren Dreierschritt darf die GOP ein weiteres Mal erneut abgerechnet werden, wobei aber die Untersuchung bzw. Aufarbeitung der fünften und sechsten sowie achten und neunten Stanze ebenfalls abgegolten ist. Nach Ansicht der Kammer ist diese Herangehensweise weder eine analoge noch eine ausdehnende Auslegung der GOP, sondern sie stellt sicher, dass einerseits die Leistung des Pathologen in jedem Behandlungsfall vergütet wird, andererseits jedoch einer gewissen Mengensteuerung Rechnung getragen wird. Der wegen der Förderung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung zulässige Leitgedanke eine mengen- oder fallzahlbegrenzenden Steuerung durch die Gestaltung des EBM (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Mai 2001 – B 6 KA 20/00 R, www.juris.de und BSGE 88, 126 ff.) hat allerdings bei der Auslegung der Leistungslegenden der streitgegenständlichen GOP deswegen ein geringeres Gewicht, weil nicht der abrechnende Pathologe, sondern der für die Biopsie allein fachlich zuständige Facharzt für Chirurgie, Diagnostische Radiologie oder Gynäkologie die notwendige Anzahl der Probeentnahmen und damit der zu beurteilenden Stanzen bestimmt (vgl. für die Versorgung bei Früherkennung von Brustkrebs durch Mammographie §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 und 27 Abs. 3 a) der Anlage 9.2 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte). Das hier vertretene Verständnis der GOP wirkt nach Ansicht der Kammer nicht nur einer denkbaren abrechnungsorientierten Leistungserbringung entgegen, sondern verhindert zudem die damit verbundene Gefahr einer unnötigen zusätzlichen Belastung der Patientinnen.

Die Beklagte hat bei dem Honorar des Klägers für das 3. Quartal 2009 diese Maßstäbe nicht angelegt. Ihr insoweit angefochtener Honorarbescheid vom 21. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2010 wird daher abgeändert und sie verpflichtet, über die vertragsärztliche Vergütung der vom Kläger im 3. Quartal 2009 erbrachten Leistungen nach den GOP 01756 und 01757 nach der Rechtsauffassung der Kammer neu zu entscheiden.

Die Abweisung des Hauptantrages ist dem Umstand geschuldet, dass das Gericht die Vergütung des Klägers für die streitigen Behandlungsfälle nicht selbst bestimmen kann, weil hierfür die übrigen, im Rahmen der Honorarabrechnung außerdem zu berücksichtigenden Voraussetzungen zu beachten sind (z. B. Dokumentationspflichten etc.), so dass das Gericht der Beklagten für die neue Festsetzung der Vergütung lediglich seine Rechtsauffassung über die Abrechnung nach den GOP 01756 und 01757 zur Beachtung vorgeben kann.

Die Beklagte hat gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG in Verbindung mit der entsprechenden Anwendung der §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie im Rechtsstreit im Wesentlichen unterlegen ist.

Die Kammer hat gemäß §§ 161 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit 160 Abs 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits die Sprungrevision zugelassen.

Der Streitwert wird gemäß §§ 40, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) in Höhe der angefochtenen sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Vergütung von ... EUR festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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