L 5 RS 789/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 37 RS 137/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RS 789/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Arbeitsentgelt -
Jahresendprämie - Glaubhaftmachung - Zeugenaussagen

1. Die bloße Darstellung eines allgemeinen Ablaufs und einer allgemeinen Verfahrensweise wie auch der Hinweis, dass in anderen Fällen möglicherweise Jahresendprämien berücksichtigt worden sind - etwa weil dort anderweitige Unterlagen vorgelegt werden konnten -, genügen nicht, den Nachweis oder die Glaubhaftmachung auch für die Zahlung von Jahresendprämien im konkreten Einzelfall zu erbringen.

2. Um zusätzliche Arbeitsentgelte in Form behaupteter Jahresendprämienzahlungen festzustellen, ist erforderlich, dass in jedem einzelnen Jahr des geltend gemachten Gesamtzeitraums der Zufluss einer konkreten Jahresendprämie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, und zwar nicht nur hinsichtlich des
Zeitraums, sondern auch hinsichtlich der tatsächlichen Höhe.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 1. November 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten – im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens – über die Verpflichtung der Beklagten weitere Entgelte des Klägers für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für die Jahre 1971 bis 1989 in Form jährlicher Jahresendprämien festzustellen.

Der Kläger ist seit 28. April 1970 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Er war vom 1. April 1970 bis 31. August 1970 als Kontrollingenieur im volkseigenen Betrieb (VEB) Elektroschaltgeräte G und vom 1. September 1970 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Ingenieur für Partnerbeziehungen, Ingenieur für Auftragsleitung im Territorium, erster Mitarbeiter für Investitionskoordinierung, erster Mitarbeiter für Maschinentechnik, erster Mitarbeiter für den Abschnitt Außenanlagen, erster Mitarbeiter für den Abschnitt Förder- und Maschinentechnik und Fachgebietsleiter Außenanlagen/Bau im VEB Kraftwerke "Völkerfreundschaft" H beschäftigt. Er war zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen.

Mit Bescheid vom 14. August 2001 stellte die Beklagte die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. April 1970 bis 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte, die mit Bescheinigung der Vereinigten Energiewerke Aktiengesellschaft (VEAG) Kraftwerk H /H vom 16. April 1993 bestätigt wurden, fest. Darüber hinausgehende Entgelte, insbesondere in Form von Treueprämien und Jahresendprämien, wurden nicht festgestellt. Hierzu war in der Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993 ausgeführt, dass zusätzlich zum Jahresbruttoverdienst die Gewährung einer Jahresendprämie von ca. 95 Prozent eines durchschnittlichen Monatsdienstes erfolgt sei und Treueprämien in den Jahren 1977 und 1978 in Höhe von 5 Prozent vom Jahresbruttolohn, in den Jahren 1979 bis 1989 in Höhe von 8 Prozent vom Jahresbruttolohn und im Jahr 1990 in Höhe von 100 Prozent einer durchschnittlichen Monatsvergütung, die am Ende eines Geschäftsjahres erreicht wurde, gewährt worden sei. Dabei waren in der Bescheinigung die zusätzlichen Treueprämien für die Jahre 1977 bis 1990 jeweils mit einem konkreten Betrag ausgewiesen. Einzelbeträge zu den gewährten Jahresendprämien oder eine Differenzierung nach einzelnen Jahren erfolgte nicht.

Am 25. September 2007 beantragte der Kläger eine Überprüfung der im Bescheid vom 14. August 2001 festgestellten Arbeitsentgelte mit dem Begehren, die ihm jährlich gezahlten Prämien, insbesondere die Jahresendprämien, einzubeziehen. Im Rahmen des Antragsverfahrens fragte die Beklagte mit Schreiben vom 22. April 2008 jeweils die Rechtsnachfolger der Beschäftigungsbetriebe des Klägers nach vorhandenen Nachweisen hinsichtlich der begehren Prämien an. Der Rechtsnachfolger der VEAG, die Firma biq, teilte mit Schreiben vom 28. Mai 2008 erneut die Bruttoverdienste des Klägers im Zeitraum vom 1. September 1970 bis 30. Juni 1990 mit, legte die Bescheinigung der VEAG vom 16. April 1993 bei und führte aus, dass in den bescheinigten Bruttoverdiensten keine Prämien oder Jahresendprämien enthalten sind, da Nachweise hierzu nicht mehr vorliegen. Die Rhenus Office Systems GmbH teilte mit Schreiben vom 5. Mai 2008 mit, dass Lohnunterlagen für den Rechtsnachfolger des VEB Elektroschaltgeräte G nicht vorhanden oder ermittelbar sind.

In nochmaliger Auswertung der Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993 erließ die Beklagte am 14. August 2008 einen neuen Bescheid, mit dem sie das Vorliegen der Voraussetzungen von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten vom 1. April 1970 bis 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte, unter Berücksichtigung höherer Entgelte für die Jahre 1977 bis 1990, unter Einbeziehung der dem Kläger im VEB Kraftwerke "Völkerfreundschaft" H gewährten Treueprämien, feststellte und den Bescheid vom 14. August 2001, soweit er entgegenstand, aufhob. Im Übrigen, bezüglich der Jahresendprämien, lehnte die Beklagte den Antrag – auch mit bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2009 – ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Zufluss von Jahresendprämien sei weder nachgewiesen, noch glaubhaft gemacht. Sowohl der Anspruch, als auch die Höhe der Jahresendprämien sei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die ohne schriftliche Nachweise nicht mehr nachvollzogen werden könnten.

Hiergegen erhob der Kläger am 23. Januar 2009 Klage und verwies zur Glaubhaftmachung der begehrten Jahresendprämien auf die Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993, aus der sich die Höhe der Zahlungen ergeben würde. Das Sozialgericht Dresden hat mit Urteil vom 1. November 2010, nach Einholung einer weiteren schriftlichen Auskunft des Rechtsnachfolgers der VEAG, der Firma biq, vom 31. August 2010, in der mitgeteilt wurde, dass keine Unterlagen über die Zahlung von Jahresendprämien im Kraftwerk "Völkerfreundschaft" H vorliegen würden und nachdem es im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Zeugen F , K und P vernommen hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 14. August 2008 verurteilt, die in den Jahren 1972 bis 1990 zugeflossenen Jahresendprämien als zusätzlichen Verdienst festzustellen, indem das jeweils im Vorjahr im Bescheid vom 14. August 2008 festgestellte Arbeitsentgelt durch zwölf geteilt werde und dann zu 85 Prozent als glaubhaft gemachter Verdienst (fünf Sechstel von 85 Prozent) zusätzlich zu berücksichtigen sei. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch auf die in den Jahren 1972 bis 1990 zugeflossenen Jahresendprämien zu fünf Sechsteln, da er den Zufluss glaubhaft gemacht habe. Aus den Angaben der Zeugen F und P , sowie aus den eigenen Angaben des Klägers, ergebe sich, dass in jedem Jahr an jeden einzelnen Beschäftigten Jahresendprämien wenigstens in Höhe von 85 Prozent eines Bruttomonatsverdienstes gezahlt worden seien. Dies stehe im Einklang mit der Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993, die eine Höhe von ca. 95 Prozent ausweise.

Gegen das ihr am 3. Dezember 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Dezember 2010 Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Das Urteil sei fehlerhaft, da Aussagen allgemeiner Art, im Betrieb seien Prämien gezahlt worden, diese hätten etwa einem Monatslohn entsprochen und der Kläger habe diese Prämien erhalten, nicht geeignet seien, die Zahlung von Prämien nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Denn mit derartigen Aussagen werde eine Prämienzahlung allenfalls dem Grunde nach glaubhaft gemacht, jedoch nicht der Höhe nach. Für die Berücksichtigung von Prämien seien diese im Rahmen der objektiven Beweislast des Klägers sowohl dem Grunde, als auch der Höhe nach nachzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 1. November 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, die er für zutreffend hält und bittet um Beachtung der Arbeitgeberauskunft vom 16. April 1993. Dort sei von der VEAG noch sehr zeitnah zu den zu beurteilenden Sachverhalten bestätigt worden, dass zusätzlich zum Bruttoverdienst die Gewährung einer Jahresendprämie von ca. 95 Prozent eines durchschnittlichen Monatsdienstes erfolgt sei. Die Bezifferung der Jahresendprämie mit einem konkreten Geldbetrag sei bei dieser besonderen Sachlage für die Glaubhaftmachung nicht erforderlich.

Mit Schriftsätzen vom 16. Juli 2012 und 1. August 2012 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil das Sozialgericht Dresden der Klage zu Unrecht stattgegeben hat. Der Neufeststellungs- und Teilablehnungsbescheid der Beklagten vom 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2009 ist rechtmäßig, weil mit dem Feststellungsbescheid vom 14. August 2001, soweit er nicht durch den Neufeststellungs- und Teilablehnungsbescheid vom 14. August 2008 eine inhaltliche Abänderung erfuhr, weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (§ 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch [SGB X]). Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Arbeitsentgelte im Zeitraum von 1972 bis 1990 in Form der begehrten Jahresendprämien im Rahmen der bereits anerkannten Beschäftigungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz.

Gemäß § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 SGB VI) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit den Feststellungsbescheiden vom 14. August 2001 und 14. August 2008 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Jahresendprämien hat sie jedoch zu Recht nicht berücksichtigt.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Das Bundessozialgericht hat mit seiner Entscheidung vom 23. August 2007 (- B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokuemnte, RdNr. 21 ff.) festgestellt, dass auch die in der DDR an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlten Jahresendprämien Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV und damit des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG darstellen, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die von dem Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankomme, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG besage, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter anderen das "erzielte Arbeitsentgelt" zugrunde zu legen sei. Aus dem Wort "erzielt" folge im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln müsse, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden, sei. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten. Sie waren im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft und sollten eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben. Lohn und Prämien waren "Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung". Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert; die Voraussetzungen ihrer Gewährung mussten in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden. Über ihre Gewährung und Höhe entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prämienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR [AGB-DDR]) und damit auch für die Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 AGB-DDR). Die Jahresendprämie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben; sie war auf das Planjahr bezogen und hatte den Charakter einer Erfüllungsprämie. Nach § 117 Abs. 1 AGB-DDR bestand ein "Anspruch" auf Jahresendprämie, wenn - die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war, - der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und - der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war. Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämien gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 AGB-DDR erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die objektive Beweislast (sog. Feststellungslast im sozialgerichtlichen Verfahren).

Mithin wird deutlich, dass die Zahlung von Jahresendprämien von mehreren Voraussetzungen abhing. Der Kläger hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, also tatsächlich gezahlt worden, ist. Dies ist dem Kläger nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend nicht gelungen.

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend neben dem Vollbeweis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden. Danach wird, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt.

Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben oder Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen konnte dieser nicht vorlegen. Der Kläger selbst verfügt über keine Unterlagen, mit denen er die Höhe der Jahresendprämie belegen könnte, zumal er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Dresden am 1. November 2010 selbst angegeben hatte, bei der Baraushändigung der Prämie in den Beschäftigungsjahren keine Quittung oder einen ähnlichen Nachweis über den Erhalt der Jahresendprämie erhalten zu haben. Aus der Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993 (Bl. 8-10, 23-25 der Verwaltungsakte und Bl. 6-7 der Gerichtsakte) ergibt sich – entgegen der Ansicht des Klägers – kein Nachweis des Zuflusses einer regelmäßig wiederkehrend gezahlten Jahresendprämie in jedem der einzelnen Beschäftigungsjahre. Der Erklärungswert der Bescheinigung beschränkt sich auf die Mitteilung, dass zusätzlich zum Jahresbruttoverdienst die "Gewährung einer Jahresendprämie von ca. 95 Prozent eines durchschnittlichen Monatsverdienstes" erfolgte. Die Bescheinigung ist unkonkret und unspezifisch, weil sie zum einen nur einen Circa-Wert, also einen geschätzten Wert, angibt und weil sie zum anderen weder zwischen den einzelnen Beschäftigungsjahren, noch den, in den jeweiligen Jahren gezahlten konkreten Beträgen differenziert. Die Bescheinigung operiert hinsichtlich der Jahresendprämien nicht mit konkreten Werten und basiert, wie sich um Umkehrschluss zu den sowohl ausgewiesenen Jahresbruttoverdiensten als auch angegebenen Treueprämien, die jeweils für die jeweiligen einzelnen Jahren in ihrer konkreten, jährlich differierenden Höhe beziffert sind, ergibt, nicht auf entsprechenden schriftlichen Lohnunterlagen; anderenfalls wäre es ein Leichtes gewesen auch die Jahresendprämien genauso wie die anderen Lohnbestandteile exakt beziffert auszuweisen, zumal im Jahr 1993 noch zeitnah zu den Auszahlungen eine Bezifferung möglich gewesen wäre, hätten Unterlagen hierüber existiert. Dass der unspezifischen Angabe keinerlei schriftliche Lohnbelege zu Grunde lagen, ergibt sich auch aus den nachfolgenden Bescheinigungen der Rechtsnachfolger des Beschäftigungsbetriebes: Die Firma "biq" hatte – im Auftrag der Vattenfall Europe AG – sowohl im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 28. April 2008 (Bl. 22 der Verwaltungsakte) als auch im sozialgerichtlichen Verfahren mit Schreiben vom 31. August 2010 (Bl. 32 der Gerichtsakte) jeweils mitgeteilt, dass Nachweise oder Unterlagen über an den Kläger gezahlte Jahresendprämien nicht mehr vorliegen.

Auch im Übrigen sind keine Prämienzahlungen hinreichend dokumentiert. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die "gute Möglichkeit" aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5)

Dies zu Grunde gelegt, ist festzustellen, dass weder vom Kläger noch von den Rechtsnachfolgern der Beschäftigungsbetriebe irgendwelche Gehaltsunterlagen hinsichtlich der Zahlung von Jahresendprämien an den Kläger vorgelegt werden konnten. Entsprechende Nachforschungen der Beklagten und des Sozialgerichts blieben, wie erwähnt, erfolglos. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts Dresden sind auch die Angaben des Klägers und der Zeugen nicht geeignet, die Glaubhaftmachung über einen bestimmten, jährlich an den Kläger wiederkehrend als Jahresendprämie gezahlten Entgeltbestandteil zu erbringen. Den Angaben der vom Sozialgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 1. November 2010 einvernommenen Zeugen F und P kann ebenso wie den Angaben des Klägers selbst sowie der bereits erwähnten Verdienstbescheinigung der VEAG vom 16. April 1993 nur entnommen werden, dass im Beschäftigungsbetrieb des Klägers vermutlich regelmäßig jährlich eine Jahresendprämie an die Mitarbeiter Anfang des Jahres für das vorangegangene Jahr oder gegen Ende des Jahres für das laufende Jahr gezahlt wurde, deren Höhe jährlich schwankte, die von der Betriebsleitung jeweils jährlich neu entsprechend der Vorgaben der Erfüllung des Betriebsergebnisses und abhängig vom Grad der erreichten Planerfüllung festgelegt wurde. Weiterhin ergibt sich aus der Aussage des Zeugen F , dass die Erfüllung des Planes in jedem Jahr von einer Vielzahl von Faktoren abhängig war, beispielsweise ob im Betrieb Brände oder Störfälle auftraten. Wegen solcher Ursachen war es vorgekommen, dass in den einzelnen Jahren der Gesamtbetrag, der zur Verteilung als Jahresendprämie im gesamten Betrieb zur Verfügung stand, nicht bei 100 Prozent der Gesamtsumme der Bruttomonatsverdienste lag, sondern durchaus zwischen 85 bis 95 Prozent schwankte. Aus den Aussagen der Zeugen K und P folgt des Weiteren, dass die konkrete Höhe der an die einzelnen Mitarbeiter gezahlten Jahresendprämie differierte, weil einerseits die Arbeitsaufgaben unterschiedlich waren und andererseits auch individuelle Ausschluss- oder Minderungsgründe, wie schuldhafte Begehung grober Pflichtverletzungen oder längere Krankheitszeiten, maßgebend waren. Eine einheitliche und an die Beschäftigten in gleicher Höhe gezahlte Prämie ist vor diesem Hintergrund nicht plausibel. Glaubhaft gemacht ist unter Würdigung der Zeugenaussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Dresden am 1. November 2010 damit allenfalls, dass regelmäßig im Betrieb Jahresendprämien gezahlt wurden, obwohl auch diesbezüglich noch Zweifel verbleiben, mit denen sich das Sozialgericht nicht hinreichend auseinander gesetzt hat. Denn im Ergebnis der Gesamtwürdigung aller Zeugenaussagen verbleiben selbst Zweifel an der behaupteten jeweils jährlichen, also durchgängig die Zeiträume aller vom Kläger geltenden gemachten Beschäftigungsjahre (1971 bis 1990) betreffenden, Zahlung deshalb, weil der Zeuge K gerade nicht sicher angeben konnte, ob in jedem Jahr der Plan dergestalt erfüllt wurde, dass die Jahresendprämien in jedem Jahr gezahlt wurden. Soweit das Sozialgericht diese Aussage als unergiebig bewertete, kann dem nicht gefolgt werden, weil es mit diesem Hinweis aufkommende Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussagen der anderen Zeugen von vornherein außer Betracht gelassen hat.

Welche konkreten Jahresendprämien an den Kläger geflossen sind, ist zudem weder nachgewiesen, noch glaubhaft gemacht worden. Die Zeugen selbst konnten nur ungefähre Angaben tätigen, die zudem schwankten. Der Zeuge F berichtete von einer Schwankung zwischen 85 bis 100 Prozent der Gesamtsumme des Bruttomonatsverdienstes. Der Zeuge K erwähnte Prämienzahlungen ebenfalls zwischen 85 und 100 Prozent, konnte sich aber nicht erinnern, auf was sich diese Prozentzahlen bezogen. Der Zeuge P gab an, 90 bis 100 Prozent seien als Jahresendprämie, bezogen auf den Bruttomonatsverdienst, gezahlt worden, wobei es möglicherwiese auch Abweichungen nach unten gegeben habe. Weitergehende oder konkrete Angaben konnten die Zeugen im Übrigen ohnehin nicht tätigen, was in Anbetracht des erheblichen Zeitablaufs auch nicht weiter verwunderlich ist. Auch werden durch die Zeugenaussagen lediglich allgemeine Hinweise zu einem allgemeinen Vorgang gegeben, die keinerlei Rückschluss auf die konkrete Höhe der in den einzelnen Jahren gewährten Jahresendprämien gerade an den Kläger geben. Berücksichtigt man diesen Aspekt in Kombination mit dem weiteren, dass nach den Angaben der Zeugen die konkrete Höhe der Jahresendprämien jährlichen, nicht kalkulierbaren Schwankungen unterlag, läuft die vom Sozialgericht Dresden im angefochtenen Urteil ausgeurteilte zusätzliche Feststellung von Arbeitsentgelt in Höhe von 85 Prozent des in den jeweils für das Vorjahr gezahlten Prämien zu fünf Sechsteln im Ergebnis nicht auf eine Berechenbarkeit, sondern auf eine Schätzung hinaus.

Die Kriterien, nach denen der Beweis oder eine hinreichende Glaubhaftmachung erfolgt, sind demnach nicht erfüllt. Die bloße Darstellung eines allgemeinen Ablaufs und einer allgemeinen Verfahrensweise wie auch der Hinweis, dass in anderen Fällen möglicherweise Jahresendprämien berücksichtigt worden sind – etwa weil dort anderweitige Unterlagen vorgelegt werden konnten –, genügen nicht, den Nachweis oder die Glaubhaftmachung auch für die Zahlung einer bestimmten Summe von Jahresendprämien konkret an den Kläger zu erbringen. Denn hierfür wäre – wie ausgeführt – erforderlich, dass in jedem einzelnen Jahr des vom Kläger geltend gemachten Zeitraumes eine entsprechende Jahresendprämie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden wäre, und zwar nicht nur hinsichtlich des Zeitraumes, sondern auch hinsichtlich der tatsächlichen Höhe.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Jacobi Lübke Dr. Schnell
Rechtskraft
Aus
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