Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 17 R 46/08
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 127/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Versagung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund fehlender Mitwirkung setzt grundsätzlich die Ausübung von Ermessen voraus.
2. Zu den Anforderungen des Ausnahmefalles einer Ermessensreduzierung auf null.
2. Zu den Anforderungen des Ausnahmefalles einer Ermessensreduzierung auf null.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 31. Mai 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Feststellungsklage wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren nur noch gegen die Versagung der von ihm beantragten Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung seiner Mitwirkung im Verwaltungsverfahren und begehrt die Feststellung der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I).
Der am 16. Mai 1960 geborene Kläger informierte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Juni 2006 darüber, dass das Dienstleistungszentrum Neumünster seinem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom 1. Juni 2006 wegen der Annahme von Erwerbsunfähigkeit nicht entsprochen habe. Es werde davon ausgegangen, dass er schon seit 1994 berufsunfähig sei. Der Kläger bat um Prüfung des Rentenanspruchs ab diesem Zeitpunkt. Auf sein Erinnerungsschreiben vom 14. Oktober 2006 bat die Beklagte vergeblich um erneute Übersendung des Schreibens vom 24. Juni 2006, da dieses bei ihr nicht eingegangen sei.
Der Kläger stellte am 17. September 2006 einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei der Stadt Neumünster als zuständigem Sozialhilfeträger. Dieser leitete zur Feststellung, ob dauerhaft volle Erwerbsminderung vorliegt, mit Ersuchen vom 30. Oktober 2006, das bei der Beklagten am 8. November 2006 einging, eine Überprüfung nach § 45 SGB XII ein. Mit Schreiben vom 8. Januar 2007 forderte die Beklagte den Kläger daraufhin vergeblich auf, die ihn behandelnden Ärzte zu benennen und von der Schweigepflicht zu entbinden. Nachdem die Beklagte den Sozialhilfeträger hiervon in Kenntnis gesetzt hatte, zog dieser seinen Antrag auf Feststellung der Leistungsfähigkeit des Klägers zurück.
Die Beklagte wertete das Ersuchen des Sozialhilfeträgers als Antrag des Klägers auf eine entsprechende Rentenleistung und forderte ihn mit Schreiben vom 11. April 2007 unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I auf, den Rentenformantrag auszufüllen und einen Befundbericht des behandelnden Arztes einzureichen. Der auf den 18. April 2007 datierte Antrag ging am 23. April 2007 mit dem Schreiben des Klägers vom 19. April 2007 bei der Beklagten ein, mit dem er nochmals das Schreiben vom 24. Juni 2006 übersandte und unter Hinweis auf die Beratungs- und Auskunftspflicht der Beklagten erneut um Beantwortung bat. Zugleich wandte er ein, sein behandelnder Arzt müsse keinen Befundbericht über sämtliche Erkrankungen seit seiner Arbeitsaufgabe vor 13 Jahren erstatten, wenn die Beklagte sich durch einen geringeren Aufwand selbst die erforderlichen Kenntnisse verschaffen könne. In diesem Zusammenhang bat der Kläger um Mitteilung, welche Unterlagen der Beklagten vorlägen, damit diese gegebenenfalls durch ihn ergänzt werden könnten. Danach könne sein behandelnder Arzt abschließende konkrete Informationen an die Beklagte weitergeben bzw. werde er – der Kläger – im Einzelfall erforderliche Schweigepflichtentbindungserklärungen erteilen.
In seinem Rentenantrag vom 23. April 2007 gab der Kläger an, er sei wegen eines Lendenwirbelsäulenleidens vom 15. Februar bis 17. März 2006 stationär in Bad Bramstedt und Neumünster behandelt worden. Die Berichte lägen der Beklagten vor. Er sei wegen seiner eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit sowie starker Nervenschmerzen gehindert, außerhalb von Neumünster zur ärztlichen Untersuchung zu kommen.
Mit Schreiben vom 5. und 21. Juni 2007 sowie 15. und 28. August 2007 forderte die Beklagte den Kläger jeweils unter Beifügung eines Auszuges aus dem Sozialgesetzbuch über seine Mitwirkungspflicht vergeblich auf, sich beim Sozialmedizinischen Dienst in der Dienststelle Itzehoe zur ärztlichen Begutachtung vorzustellen. Die Einladungsschreiben vom 21. Juni und 28. August 2007 enthielten zudem den ausdrücklichen Hinweis, dass mangelnde Mitwirkung zur Ablehnung des Antrags nach § 66 SGB I führen könne. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 6. Juni 2007 mit, dass er weder dorthin reisen noch an einer Begutachtung teilnehmen werde. Mit Schreiben vom 22. Juli 2007 bat er um Mitteilung, welche Untersuchungen noch beabsichtigt seien und machte geltend, erst dann prüfen zu können, ob trotz Vorlage von schriftlichen Untersuchungsbefunden noch eine Mitwirkungspflicht für ihn bestehe. Gegebenenfalls könne sein Hausarzt oder ein Facharzt an seinem Wohnort die Untersuchung durchführen, weil er nicht reisefähig sei. Mit Schreiben vom 16. August 2007 bat der Kläger nochmals um Mitteilung, ob zusätzliche oder doppelte Untersuchungen gemacht werden sollten, weil er keine Antwort auf sein Schreiben vom 22. Juli 2007 erhalten habe.
Zuvor hatte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17. Juli 2007 davon in Kenntnis gesetzt, dass vom Recht des § 66 SGB I Gebrauch gemacht und die Leistung im vollen Umfang versagt bzw. entzogen werde, wenn er – ohne, dass ein Ausschließungsgrund nach § 65 SGB I gegeben sei – der Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen, wiederum nicht nachkomme.
Nachdem der Facharzt für Allgemeinmedizin E in seinem Befundbericht vom 12. August 2007 Reisefähigkeit für öffentliche Verkehrsmittel bejaht hatte, versagte die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2007 die am 30. Oktober 2006 beantragte Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung der Mitwirkung.
Der Kläger erhob am 2. Oktober 2007 Widerspruch. Zur Begründung stützte er sich auf sein Schreiben vom 22. Juli 2007. Im Widerspruchsverfahren wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass eine Begutachtung durch den Sozialmedizinischen Dienst zwingend erforderlich sei, um das Leistungsvermögen feststellen und über den Rentenantrag entscheiden zu können. Sie gab dem Kläger nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme, ob er nunmehr bereit sei, sich untersuchen zu lassen. Laut Gesprächsnotiz vom 20. November 2007 informierte der zuständige Richter des zu diesem Zeitpunkt beim Sozialgericht Kiel anhängigen Verfahrens S 17 R 376/07 die Beklagte am selben Tag telefonisch darüber, dass sich aus dem dort vorliegenden Aktenvorgang ergebe, dass der Kläger sein Haus nicht mehr verlasse. Es schienen hier gegebenenfalls nervenärztliche Aspekte eine Rolle zu spielen. Durch eine Zurückweisung des Widerspruchs würde das Problem nicht gelöst und die Beklagte dem Kläger wohl nicht gerecht werden. Es werde empfohlen, über eine Begutachtung des Klägers in dessen Wohnung nachzudenken. Die daraufhin erfolgte Rücksprache mit der Sozialmedizinischen Dienststelle Itzehoe ergab, dass ein Hausbesuch nur durch externe Gutachter erfolgen könne. Die Beklagte holte zur Erforderlichkeit einer Begutachtung und der Reisefähigkeit des Klägers die Stellungnahme des Leitenden Medizinaldirektors des Sozialmedizinischen Dienstes der Dienststelle Itzehoe Dr. S vom 29. November 2007 ein.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass eine ärztliche Untersuchung ein angemessenes Mittel sei, um die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten beurteilen zu können. Die hierzu beabsichtigte Untersuchung sei sowohl geeignet als auch erforderlich und verhältnismäßig gewesen. Der Kläger sei zur Mitwirkung verpflichtet. Gründe, die die Mitwirkungspflichten einschränkten, seien nicht erkennbar. Da der behandelnde Arzt eine Einschränkung der Reise- und Wegefähigkeit nicht bestätigt habe, lägen mithin keine Gründe vor, die es dem Kläger unmöglich machten, zur sozialmedizinischen Untersuchungsstelle zu erscheinen.
Der Kläger hat am 5. Februar 2008 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben. Er hat vorgebracht, seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt zu haben. Er habe der Beklagten am 25. Juni 2007 ärztliche Befundunterlagen und Gutachten zugesandt. Sie habe ihm bisher nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen konkret zu welchem Zweck zusätzlich erforderlich seien, um über den Rentenantrag entscheiden zu können. Die Behauptung der Beklagten, sein behandelnder Arzt E habe eine Einschränkung der Reise- und Wegefähigkeit nicht bestätigt, sei unwahr. Dieser habe mangels Entbindung von der Schweigepflicht keine Auskünfte erteilen dürfen und zudem mit der von ihm – dem Kläger – im Gerichtsverfahren vorgelegten Bescheinigung vom 22. Januar 2008 bestätigt, dass er bis auf Weiteres krankheitsbedingt nicht reisefähig sei. Allerdings sei die Behauptung seines früheren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt G im Schriftsatz vom 30. Januar 2009, er sei aufgrund seines Gesundheitszustandes, insbesondere wegen starker Phobien, nicht in der Lage, seine Wohnung zu verlassen, unwahr. Er habe stets erklärt, an einer sachgerechten Begutachtung durch einen in Neumünster ortsansässigen Facharzt teilzunehmen. Dies sei von der Beklagten nicht ermöglicht worden. Deshalb könne ihm auch keine schuldhafte Unterlassung einer Mitwirkung vorgeworfen werden. Zudem würden Mitwirkungspflichten erst durch eine Aufforderung der Beklagten ausgelöst, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen. Die Aufforderung der sozialmedizinischen Untersuchungsstelle reiche hierfür nicht aus. Außerdem seien die angefochtenen Bescheide auch deshalb rechtswidrig, weil sie sich auf einen Antrag vom 30. Oktober 2006 bezögen, den er nicht gestellt habe. Er habe mit Einschreiben vom 24. Juni 2006 einen formlosen Antrag auf Leistungsprüfung gestellt und um Auskünfte gebeten. Insoweit sei die Beklagte jedoch untätig gewesen und habe auch ihre Beratungs- und Auskunftspflicht verletzt.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen wegen voller Minderung der Erwerbsfähigkeit seit dem Jahr 1994 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass die Einlassung des Klägers angesichts des beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht anhängigen weiteren Verfahrens L 1 R 40/09/S 17 R 376/07 nicht nachvollzogen werden könne. In diesem Verfahren wende sich der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 19. Januar 2009, mit dem seine Untätigkeitsklage abgewiesen worden sei. Das Sozialgericht habe festgestellt, dass es an einem Antrag auf Leistungen gegenüber der Beklagten gefehlt habe. Diese Feststellung beziehe sich auf den im Jahr 2006 abgelaufenen Schriftwechsel. Mit dem jetzt angefochtenen Bescheid vom 20. Sep¬tember 2007 sei der Rentenantrag vom 23. April 2007 wegen fehlender Mitwirkung zu Recht abgelehnt worden. Der Kläger habe den mehrfachen Einladungen der Untersuchungsstelle nicht Folge geleistet und im Schreiben vom 6. Juni 2007 auch deutlich gemacht, dass er nicht bereit sei, an einer Begutachtung teilzunehmen, in dem er wörtlich ausgeführt habe: "Zu dem Schreiben von ihrem Sozialmedizinischen Dienst vom 5. Juni 2007 teile ich Ihnen mit, dass ich weder dorthin reisen werde noch an einer Begutachtung teilnehmen werde."
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2011 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger eine Untätigkeits- oder Leistungsklage erhoben habe. Soweit sich der Kläger gegen die angefochtenen Bescheide wende, sei die Klage zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Die Untersuchung sei für die Entscheidung über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich gewesen, weil andernfalls das genaue Ausmaß von Funktionsstörungen und deren Auswirkung in ihrer Gesamtheit auf das Leistungsvermögen des Klägers nicht vollständig hätten beurteilt werden können. Dem stünde insbesondere nicht die vom Kläger angeführte Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit aus dem Jahre 2006 entgegen, denn der Rentenversicherungsträger sei hieran nicht gebunden, sondern habe selbst von Amts wegen eigene Ermittlungen durchzuführen. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I nicht nachgekommen, obwohl aus ihrem Schreiben vom 5. Juni 2007 deutlich hervorgegangen sei, dass die Einladung zu der Untersuchung von ihr stamme. Sie sei Absenderin des Schreibens gewesen. Es sei für einen objektiven Empfänger, auf dessen Horizont hier abzustellen sei, auch erkennbar gewesen, welchem Zweck die Untersuchung habe dienen sollen. Durch die Nichtteilnahme an der Untersuchung habe der Kläger die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Zudem sei der Leistungsanspruch nicht nachgewiesen, denn ohne Untersuchung habe die Beklagte das Leistungsvermögen des Klägers nicht überprüfen und damit auch nicht über die Frage der Erwerbsfähigkeit entscheiden können. Der Kläger sei mehrfach auf die Mitwirkungspflichten hingewiesen worden. Ein erster umfassender Hinweis sei bereits mit dem Rentenformantrag erfolgt. Auch dem Schreiben vom 5. Juni 2007 sei ein Auszug der maßgeblichen Vorschriften beigefügt gewesen. Mit Schreiben vom 17. Juli 2007 sei er erneut auf die Folgen einer fehlenden Mitwirkung hingewiesen und ihm sei angekündigt worden, dass die Leistung versagt werde, wenn er seine Bereitschaft zur Mitwirkung nicht binnen zehn Tage erkläre. Es liege auch kein Ausschlussgrund nach § 65 SGB I vor. Der Kläger habe zwar geltend gemacht, nicht reisefähig zu sein, dies jedoch im Laufe des Verwaltungsverfahrens nicht substantiiert. Erst mit Schriftsatz vom 1. April 2008 habe er im Gerichtsverfahren die ärztliche Bescheinigung vom 22. Januar 2008 vorgelegt, nach der er bis auf Weiteres krankheitsbedingt nicht reisefähig sei. Der bescheinigende Arzt habe jedoch gegenüber der Beklagten im laufenden Verwaltungsverfahren zuvor mitgeteilt, dass nach seiner Ansicht Reisefähigkeit gegeben sei. Das Nichtvorliegen der Reisefähigkeit im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung sei daher nicht erkennbar gewesen. Eine gegebenenfalls erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Reiseunfähigkeit führe nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide, denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung sei bei der hier vorliegenden Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides.
Gegen diesen seinem früheren Prozessbevollmächtigten am 27. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die am 26. Juli 2011 beim Sozialgericht Kiel eingegangen ist. Der Kläger rügt weiterhin die Rechtswidrigkeit der Versagungsentscheidung und begehrt die gerichtliche Feststellung der Mitwirkungspflichten, die für ihn und andere Leistungsberechtigte aus den §§ 60 ff. SGB I resultieren.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 31. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufzuheben, die Unrechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. September 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 festzustellen und festzustellen, welche Mitwirkungspflichten er – der Kläger – und Leistungsberechtigte nach den §§ 60 ff. SGB I haben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogenen Verfahrensakten L 7 R 74/12 nebst Beiakten und die Gerichtsakten verwiesen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die Versagung der vom Kläger beantragten Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung seiner Mitwirkung im Verwaltungsverfahren wendet. Im Übrigen ist sie unbegründet. Die Feststellungsklage ist als unzulässig zu verwerfen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 12. Juli 2012 und den dort ausdrücklich gestellten Anträgen nur die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 sowie das Feststellungsbegehren hinsichtlich der Unrechtmäßigkeit dieser Bescheide und der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I. Soweit der Kläger die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide begehrt, ist die Berufung begründet. Die Bescheide verstoßen gegen § 66 Abs. 3 Satz 1 SGB I. Sie sind daher rechtswidrig und aufzuheben. Der klagabweisende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 31. Mai 2011 hält insoweit einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Gemäß § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf die Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Der in § 66 Abs. 3 SGB I vorgesehene vorherige Hinweis ist eine zwingende Voraussetzung der Versagung. Er soll sicherstellen, dass der Betroffene in Kenntnis der ihm drohenden Folgen seine Haltung überdenkt und durch die spätere Entscheidung nach § 66 SGB I nicht überrascht wird. Der Hinweis darf sich daher nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder Belehrungen allgemeiner Art beschränken (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1980 – 7 RAr 21/79 - SozR 4100 § 132 Nr. 1). Er muss vielmehr anhand der dem Leistungsträger durch § 66 Abs. 1 und 2 SGB I eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt (BSG, a.a.O., m.w.N.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen einer Versagungsentscheidung hat das Sozialgericht zwar zutreffend bejaht, insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage Bezug auf die entsprechenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides, denen er inhaltlich uneingeschränkt folgt.
Das Sozialgericht hat jedoch verkannt, dass § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I dem Leistungsträger grundsätzlich einen Ermessensspielraum einräumt, ob und gegebenenfalls - sofern die Leistung teilbar ist - in welchem Umfang er die Leistung versagen will (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 B 1 KR 4/02 R -, SozR 4 1200 § 66 Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Mai 1983 10 RKG 13/02 -, SozR 1200 § 66 Nr. 10; BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 – 4 RA 44/94 -, BSGE 76, 16, veröffentlicht in juris). Der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, dem Sozialleistungsträger stünde bei der Versagung nach § 66 SGB I kein Ermessen zu, soweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht bewiesen seien (vgl. KassKomm Seewald, Stand April 2010, § 66 SGB I Rn. 23, 24) folgt der erkennende Senat nicht.
Die Beklagte hat von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Sie hat weder im Bescheid vom 20. September 2007 noch im Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2008 zu erkennen gegeben, dass ihr das ihr zustehende Ermessen überhaupt bewusst war noch lässt sich den angefochtenen Verwaltungsakten entnehmen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. Der Ausgangsbescheid wurde unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten und des fehlenden Ausschlussgrundes nach § 65 SGB I lediglich damit begründet, dass der Kläger der Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen, nicht nachgekommen sei. Auch im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte Ermessenserwägungen nicht nachgeholt, obwohl sie aufgrund des zuvor erteilten telefonischen Hinweises des Sozialgerichts Kiel im Verfahren S 17 R 376/07 sogar noch weitere Ermittlungen zur Reisefähigkeit des Klägers und der Zumutbarkeit der beabsichtigten Begutachtung beim Sozialmedizinischen Dienst in der Dienststelle Itzehoe durchgeführt hatte. Der Widerspruchsbescheid stellt in seiner Begründung maßgeblich darauf ab, dass der behandelnde Arzt eine Einschränkung der Reise- oder Wegefähigkeit nicht bestätigt habe und deshalb Gründe, die die Mitwirkungspflichten einschränkten, nicht erkennbar seien. Ergänzend führte die Beklagte aus, dass die ärztliche Begutachtung ein angemessenes Mittel und im Falle des Klägers geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei, um die Erwerbsfähigkeit beurteilen zu können. Damit hat die Beklagte zwar zum Ausdruck gebracht, dass sie vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Versagungsentscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I ausgeht. Dies vermag die hier gebotene einzelfallbezogene Ermessensausübung aber nicht zu ersetzen, sie ist vielmehr deren Voraussetzung.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist – sofern die Aufklärung nicht unmöglich ist - darüber zu befinden, in welchem Umfang weitere Ermittlungen angestellt werden können und sollen bzw. eine Nachfrist für die Mitwirkung eingeräumt wird, sofern die Leistungsvoraussetzungen noch nicht nachgewiesen sind. Hier können auch individuelle Gesichtspunkte Bedeutung erlangen, die tatbestandlich mangels Erforderlichkeit eines Verschuldens des Pflichtverstoßes außer Betracht bleiben. Insoweit sind die Gründe zu beachten, derentwegen der zur Mitwirkung grundsätzlich Verpflichtete seine Mitwirkung verweigert. Dies hat die Beklagte bei ihrer Versagungsentscheidung nicht beachtet. Es liegt auch kein Ausnahmefall der Ermessensreduzierung auf Null zu Lasten des Klägers vor, der die Beklagte von Ermessenserwägungen entbunden hätte.
Selbst wenn unterstellt wird, dass entsprechend der Bestätigung des behandelnden Arztes E noch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Reisefähigkeit des Kläger gegeben und es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht unzumutbar war, die angebotenen Untersuchungstermine beim Sozialmedizinischen Dienst in Itzehoe wahrzunehmen, hätten doch der gesamte Verfahrensablauf und die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers hinreichend Anlass geboten, Ermessenserwägungen anzustellen. Der Kläger hat mehrfach Auskunft begehrt, welche konkreten Untersuchungen trotz der vorhandenen medizinischen Befundunterlagen noch erfolgen sollten. Es hätten sich daher Ermessenserwägungen angeboten, ob nicht bei Erteilung entsprechender Auskünfte – zumindest auf welchem medizinischen Fachgebiet der Schwerpunkt der Begutachtung liegen sollte – die Verweigerungshaltung positiv hätte beeinflussen werden können. Ermessensbetätigung wäre aber auch im Hinblick auf das Angebot einer fachärztlichen Begutachtung des Klägers an dessen Wohnort und im Hinblick auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen erforderlich gewesen. Schließlich war der Beklagten bekannt, dass sich der Kläger – wie bereits mit Rentenformantrag vorgebracht – wegen starker Nervenschmerzen und einer eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit subjektiv gesundheitlich nicht in der Lage sah, an einer ärztlichen Untersuchung außerhalb Neumünsters mitzuwirken. Diese subjektive Einschätzung entbehrte auch nicht jeglicher objektiven Grundlage. Wegen der klinischen Symptomatik des Lendenwirbelsäulenleidens war offensichtlich am 8. August 2007 ein MRT veranlasst worden, dessen Befund dem Hausarzt bei Abfassung seines Berichtes vom 12. August 2007 noch nicht vorlag. Aus dem Akteninhalt erschließt sich für den Senat auch nicht, dass die Beklagte diesen Befund vor der Versagung der beantragten Leistung angefordert hatte oder dass er Gegenstand des Telefonats mit Dr. S am 27. November 2007 war. Der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 29. November 2007 lässt sich lediglich die Mitteilung des behandelnden Arztes entnehmen, dass wegen der anhaltenden Beschwerden des Klägers bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation am 1. August 2006 eine Untersuchung durch den Nervenarzt Dr. Sa durchgeführt worden sei. Dabei seien ein Wurzelreiz-Syndrom und eine Gro߬zehenheberschwäche links festgestellt worden. Der MRT-Befund vom 8. August 2007 findet in diesem Zusammenhang keine Erwähnung.
Weil sich die Beklagte trotz der einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen stehenden Gesamtumstände offenbar verpflichtet fühlte, die beantragte Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung im Verwaltungsverfahren zu versagen, liegt ein rechtswidriger Nichtgebrauch des Ermessens vor, der zur Aufhebung der Versagungsentscheidung führt.
Soweit der Kläger mit seinem schriftlichen Antrag im Berufungsverfahren allerdings neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide auch die gesonderte Feststellung deren Rechtswidrigkeit begehrt, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis. Gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Feststellungsklage nur zulässig, wenn neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen auch der Gegenstand der begehrten Feststellung unter § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 oder Abs. 2 SGG fällt und der Kläger außerdem ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat. Am Feststellungsinteresse fehlt es, wenn – wie hier - bereits im Rahmen einer anhängigen Anfechtungsklage über die Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 55 Rn. 19a m.w.N.). Ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse hat der Kläger weder dargelegt noch ist für den erkennenden Senat ersichtlich, welches weitergehende Interesse der Kläger mit seinem Begehren verfolgt. Die Feststellungsklage ist daher gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die gerichtliche Feststellung seiner persönlichen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I begehrt, fehlt ihm ebenfalls das Feststellungsinteresse. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten sind in den §§ 65 ff. SGB I gesetzlich geregelt. Insofern bedarf es keiner gerichtlichen Feststellung. Die hier konkret zu erfüllende Mitwirkungspflicht ist Gegenstand der Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid, die wiederum Vorrang gegenüber der Feststellungsklage hat. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren die Feststellung der Mitwirkungspflichten anderer Leistungsempfänger begehrt, fehlt dem Feststellungsbegehren unabhängig von der Frage, ob insoweit überhaupt eine zulässige Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG vorliegt, bereits deshalb das Feststellungsinteresse, weil es sich um eine unzulässige Popularklage handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt das Ausmaß des Unterliegens des Klägers in erster Instanz im Hinblick auf die zunächst erhobene Leistungsklage und in der Berufungsinstanz hinsichtlich des Feststellungsbegehrens.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren nur noch gegen die Versagung der von ihm beantragten Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung seiner Mitwirkung im Verwaltungsverfahren und begehrt die Feststellung der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I).
Der am 16. Mai 1960 geborene Kläger informierte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Juni 2006 darüber, dass das Dienstleistungszentrum Neumünster seinem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom 1. Juni 2006 wegen der Annahme von Erwerbsunfähigkeit nicht entsprochen habe. Es werde davon ausgegangen, dass er schon seit 1994 berufsunfähig sei. Der Kläger bat um Prüfung des Rentenanspruchs ab diesem Zeitpunkt. Auf sein Erinnerungsschreiben vom 14. Oktober 2006 bat die Beklagte vergeblich um erneute Übersendung des Schreibens vom 24. Juni 2006, da dieses bei ihr nicht eingegangen sei.
Der Kläger stellte am 17. September 2006 einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei der Stadt Neumünster als zuständigem Sozialhilfeträger. Dieser leitete zur Feststellung, ob dauerhaft volle Erwerbsminderung vorliegt, mit Ersuchen vom 30. Oktober 2006, das bei der Beklagten am 8. November 2006 einging, eine Überprüfung nach § 45 SGB XII ein. Mit Schreiben vom 8. Januar 2007 forderte die Beklagte den Kläger daraufhin vergeblich auf, die ihn behandelnden Ärzte zu benennen und von der Schweigepflicht zu entbinden. Nachdem die Beklagte den Sozialhilfeträger hiervon in Kenntnis gesetzt hatte, zog dieser seinen Antrag auf Feststellung der Leistungsfähigkeit des Klägers zurück.
Die Beklagte wertete das Ersuchen des Sozialhilfeträgers als Antrag des Klägers auf eine entsprechende Rentenleistung und forderte ihn mit Schreiben vom 11. April 2007 unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I auf, den Rentenformantrag auszufüllen und einen Befundbericht des behandelnden Arztes einzureichen. Der auf den 18. April 2007 datierte Antrag ging am 23. April 2007 mit dem Schreiben des Klägers vom 19. April 2007 bei der Beklagten ein, mit dem er nochmals das Schreiben vom 24. Juni 2006 übersandte und unter Hinweis auf die Beratungs- und Auskunftspflicht der Beklagten erneut um Beantwortung bat. Zugleich wandte er ein, sein behandelnder Arzt müsse keinen Befundbericht über sämtliche Erkrankungen seit seiner Arbeitsaufgabe vor 13 Jahren erstatten, wenn die Beklagte sich durch einen geringeren Aufwand selbst die erforderlichen Kenntnisse verschaffen könne. In diesem Zusammenhang bat der Kläger um Mitteilung, welche Unterlagen der Beklagten vorlägen, damit diese gegebenenfalls durch ihn ergänzt werden könnten. Danach könne sein behandelnder Arzt abschließende konkrete Informationen an die Beklagte weitergeben bzw. werde er – der Kläger – im Einzelfall erforderliche Schweigepflichtentbindungserklärungen erteilen.
In seinem Rentenantrag vom 23. April 2007 gab der Kläger an, er sei wegen eines Lendenwirbelsäulenleidens vom 15. Februar bis 17. März 2006 stationär in Bad Bramstedt und Neumünster behandelt worden. Die Berichte lägen der Beklagten vor. Er sei wegen seiner eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit sowie starker Nervenschmerzen gehindert, außerhalb von Neumünster zur ärztlichen Untersuchung zu kommen.
Mit Schreiben vom 5. und 21. Juni 2007 sowie 15. und 28. August 2007 forderte die Beklagte den Kläger jeweils unter Beifügung eines Auszuges aus dem Sozialgesetzbuch über seine Mitwirkungspflicht vergeblich auf, sich beim Sozialmedizinischen Dienst in der Dienststelle Itzehoe zur ärztlichen Begutachtung vorzustellen. Die Einladungsschreiben vom 21. Juni und 28. August 2007 enthielten zudem den ausdrücklichen Hinweis, dass mangelnde Mitwirkung zur Ablehnung des Antrags nach § 66 SGB I führen könne. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 6. Juni 2007 mit, dass er weder dorthin reisen noch an einer Begutachtung teilnehmen werde. Mit Schreiben vom 22. Juli 2007 bat er um Mitteilung, welche Untersuchungen noch beabsichtigt seien und machte geltend, erst dann prüfen zu können, ob trotz Vorlage von schriftlichen Untersuchungsbefunden noch eine Mitwirkungspflicht für ihn bestehe. Gegebenenfalls könne sein Hausarzt oder ein Facharzt an seinem Wohnort die Untersuchung durchführen, weil er nicht reisefähig sei. Mit Schreiben vom 16. August 2007 bat der Kläger nochmals um Mitteilung, ob zusätzliche oder doppelte Untersuchungen gemacht werden sollten, weil er keine Antwort auf sein Schreiben vom 22. Juli 2007 erhalten habe.
Zuvor hatte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17. Juli 2007 davon in Kenntnis gesetzt, dass vom Recht des § 66 SGB I Gebrauch gemacht und die Leistung im vollen Umfang versagt bzw. entzogen werde, wenn er – ohne, dass ein Ausschließungsgrund nach § 65 SGB I gegeben sei – der Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen, wiederum nicht nachkomme.
Nachdem der Facharzt für Allgemeinmedizin E in seinem Befundbericht vom 12. August 2007 Reisefähigkeit für öffentliche Verkehrsmittel bejaht hatte, versagte die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2007 die am 30. Oktober 2006 beantragte Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung der Mitwirkung.
Der Kläger erhob am 2. Oktober 2007 Widerspruch. Zur Begründung stützte er sich auf sein Schreiben vom 22. Juli 2007. Im Widerspruchsverfahren wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass eine Begutachtung durch den Sozialmedizinischen Dienst zwingend erforderlich sei, um das Leistungsvermögen feststellen und über den Rentenantrag entscheiden zu können. Sie gab dem Kläger nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme, ob er nunmehr bereit sei, sich untersuchen zu lassen. Laut Gesprächsnotiz vom 20. November 2007 informierte der zuständige Richter des zu diesem Zeitpunkt beim Sozialgericht Kiel anhängigen Verfahrens S 17 R 376/07 die Beklagte am selben Tag telefonisch darüber, dass sich aus dem dort vorliegenden Aktenvorgang ergebe, dass der Kläger sein Haus nicht mehr verlasse. Es schienen hier gegebenenfalls nervenärztliche Aspekte eine Rolle zu spielen. Durch eine Zurückweisung des Widerspruchs würde das Problem nicht gelöst und die Beklagte dem Kläger wohl nicht gerecht werden. Es werde empfohlen, über eine Begutachtung des Klägers in dessen Wohnung nachzudenken. Die daraufhin erfolgte Rücksprache mit der Sozialmedizinischen Dienststelle Itzehoe ergab, dass ein Hausbesuch nur durch externe Gutachter erfolgen könne. Die Beklagte holte zur Erforderlichkeit einer Begutachtung und der Reisefähigkeit des Klägers die Stellungnahme des Leitenden Medizinaldirektors des Sozialmedizinischen Dienstes der Dienststelle Itzehoe Dr. S vom 29. November 2007 ein.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass eine ärztliche Untersuchung ein angemessenes Mittel sei, um die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten beurteilen zu können. Die hierzu beabsichtigte Untersuchung sei sowohl geeignet als auch erforderlich und verhältnismäßig gewesen. Der Kläger sei zur Mitwirkung verpflichtet. Gründe, die die Mitwirkungspflichten einschränkten, seien nicht erkennbar. Da der behandelnde Arzt eine Einschränkung der Reise- und Wegefähigkeit nicht bestätigt habe, lägen mithin keine Gründe vor, die es dem Kläger unmöglich machten, zur sozialmedizinischen Untersuchungsstelle zu erscheinen.
Der Kläger hat am 5. Februar 2008 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben. Er hat vorgebracht, seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt zu haben. Er habe der Beklagten am 25. Juni 2007 ärztliche Befundunterlagen und Gutachten zugesandt. Sie habe ihm bisher nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen konkret zu welchem Zweck zusätzlich erforderlich seien, um über den Rentenantrag entscheiden zu können. Die Behauptung der Beklagten, sein behandelnder Arzt E habe eine Einschränkung der Reise- und Wegefähigkeit nicht bestätigt, sei unwahr. Dieser habe mangels Entbindung von der Schweigepflicht keine Auskünfte erteilen dürfen und zudem mit der von ihm – dem Kläger – im Gerichtsverfahren vorgelegten Bescheinigung vom 22. Januar 2008 bestätigt, dass er bis auf Weiteres krankheitsbedingt nicht reisefähig sei. Allerdings sei die Behauptung seines früheren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt G im Schriftsatz vom 30. Januar 2009, er sei aufgrund seines Gesundheitszustandes, insbesondere wegen starker Phobien, nicht in der Lage, seine Wohnung zu verlassen, unwahr. Er habe stets erklärt, an einer sachgerechten Begutachtung durch einen in Neumünster ortsansässigen Facharzt teilzunehmen. Dies sei von der Beklagten nicht ermöglicht worden. Deshalb könne ihm auch keine schuldhafte Unterlassung einer Mitwirkung vorgeworfen werden. Zudem würden Mitwirkungspflichten erst durch eine Aufforderung der Beklagten ausgelöst, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen. Die Aufforderung der sozialmedizinischen Untersuchungsstelle reiche hierfür nicht aus. Außerdem seien die angefochtenen Bescheide auch deshalb rechtswidrig, weil sie sich auf einen Antrag vom 30. Oktober 2006 bezögen, den er nicht gestellt habe. Er habe mit Einschreiben vom 24. Juni 2006 einen formlosen Antrag auf Leistungsprüfung gestellt und um Auskünfte gebeten. Insoweit sei die Beklagte jedoch untätig gewesen und habe auch ihre Beratungs- und Auskunftspflicht verletzt.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen wegen voller Minderung der Erwerbsfähigkeit seit dem Jahr 1994 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass die Einlassung des Klägers angesichts des beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht anhängigen weiteren Verfahrens L 1 R 40/09/S 17 R 376/07 nicht nachvollzogen werden könne. In diesem Verfahren wende sich der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 19. Januar 2009, mit dem seine Untätigkeitsklage abgewiesen worden sei. Das Sozialgericht habe festgestellt, dass es an einem Antrag auf Leistungen gegenüber der Beklagten gefehlt habe. Diese Feststellung beziehe sich auf den im Jahr 2006 abgelaufenen Schriftwechsel. Mit dem jetzt angefochtenen Bescheid vom 20. Sep¬tember 2007 sei der Rentenantrag vom 23. April 2007 wegen fehlender Mitwirkung zu Recht abgelehnt worden. Der Kläger habe den mehrfachen Einladungen der Untersuchungsstelle nicht Folge geleistet und im Schreiben vom 6. Juni 2007 auch deutlich gemacht, dass er nicht bereit sei, an einer Begutachtung teilzunehmen, in dem er wörtlich ausgeführt habe: "Zu dem Schreiben von ihrem Sozialmedizinischen Dienst vom 5. Juni 2007 teile ich Ihnen mit, dass ich weder dorthin reisen werde noch an einer Begutachtung teilnehmen werde."
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2011 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger eine Untätigkeits- oder Leistungsklage erhoben habe. Soweit sich der Kläger gegen die angefochtenen Bescheide wende, sei die Klage zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Die Untersuchung sei für die Entscheidung über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich gewesen, weil andernfalls das genaue Ausmaß von Funktionsstörungen und deren Auswirkung in ihrer Gesamtheit auf das Leistungsvermögen des Klägers nicht vollständig hätten beurteilt werden können. Dem stünde insbesondere nicht die vom Kläger angeführte Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit aus dem Jahre 2006 entgegen, denn der Rentenversicherungsträger sei hieran nicht gebunden, sondern habe selbst von Amts wegen eigene Ermittlungen durchzuführen. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I nicht nachgekommen, obwohl aus ihrem Schreiben vom 5. Juni 2007 deutlich hervorgegangen sei, dass die Einladung zu der Untersuchung von ihr stamme. Sie sei Absenderin des Schreibens gewesen. Es sei für einen objektiven Empfänger, auf dessen Horizont hier abzustellen sei, auch erkennbar gewesen, welchem Zweck die Untersuchung habe dienen sollen. Durch die Nichtteilnahme an der Untersuchung habe der Kläger die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Zudem sei der Leistungsanspruch nicht nachgewiesen, denn ohne Untersuchung habe die Beklagte das Leistungsvermögen des Klägers nicht überprüfen und damit auch nicht über die Frage der Erwerbsfähigkeit entscheiden können. Der Kläger sei mehrfach auf die Mitwirkungspflichten hingewiesen worden. Ein erster umfassender Hinweis sei bereits mit dem Rentenformantrag erfolgt. Auch dem Schreiben vom 5. Juni 2007 sei ein Auszug der maßgeblichen Vorschriften beigefügt gewesen. Mit Schreiben vom 17. Juli 2007 sei er erneut auf die Folgen einer fehlenden Mitwirkung hingewiesen und ihm sei angekündigt worden, dass die Leistung versagt werde, wenn er seine Bereitschaft zur Mitwirkung nicht binnen zehn Tage erkläre. Es liege auch kein Ausschlussgrund nach § 65 SGB I vor. Der Kläger habe zwar geltend gemacht, nicht reisefähig zu sein, dies jedoch im Laufe des Verwaltungsverfahrens nicht substantiiert. Erst mit Schriftsatz vom 1. April 2008 habe er im Gerichtsverfahren die ärztliche Bescheinigung vom 22. Januar 2008 vorgelegt, nach der er bis auf Weiteres krankheitsbedingt nicht reisefähig sei. Der bescheinigende Arzt habe jedoch gegenüber der Beklagten im laufenden Verwaltungsverfahren zuvor mitgeteilt, dass nach seiner Ansicht Reisefähigkeit gegeben sei. Das Nichtvorliegen der Reisefähigkeit im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung sei daher nicht erkennbar gewesen. Eine gegebenenfalls erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Reiseunfähigkeit führe nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide, denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung sei bei der hier vorliegenden Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides.
Gegen diesen seinem früheren Prozessbevollmächtigten am 27. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die am 26. Juli 2011 beim Sozialgericht Kiel eingegangen ist. Der Kläger rügt weiterhin die Rechtswidrigkeit der Versagungsentscheidung und begehrt die gerichtliche Feststellung der Mitwirkungspflichten, die für ihn und andere Leistungsberechtigte aus den §§ 60 ff. SGB I resultieren.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 31. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufzuheben, die Unrechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. September 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 festzustellen und festzustellen, welche Mitwirkungspflichten er – der Kläger – und Leistungsberechtigte nach den §§ 60 ff. SGB I haben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogenen Verfahrensakten L 7 R 74/12 nebst Beiakten und die Gerichtsakten verwiesen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die Versagung der vom Kläger beantragten Rente wegen Erwerbsminderung bis zur Nachholung seiner Mitwirkung im Verwaltungsverfahren wendet. Im Übrigen ist sie unbegründet. Die Feststellungsklage ist als unzulässig zu verwerfen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 12. Juli 2012 und den dort ausdrücklich gestellten Anträgen nur die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 20. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 sowie das Feststellungsbegehren hinsichtlich der Unrechtmäßigkeit dieser Bescheide und der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I. Soweit der Kläger die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide begehrt, ist die Berufung begründet. Die Bescheide verstoßen gegen § 66 Abs. 3 Satz 1 SGB I. Sie sind daher rechtswidrig und aufzuheben. Der klagabweisende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 31. Mai 2011 hält insoweit einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Gemäß § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf die Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Der in § 66 Abs. 3 SGB I vorgesehene vorherige Hinweis ist eine zwingende Voraussetzung der Versagung. Er soll sicherstellen, dass der Betroffene in Kenntnis der ihm drohenden Folgen seine Haltung überdenkt und durch die spätere Entscheidung nach § 66 SGB I nicht überrascht wird. Der Hinweis darf sich daher nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder Belehrungen allgemeiner Art beschränken (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1980 – 7 RAr 21/79 - SozR 4100 § 132 Nr. 1). Er muss vielmehr anhand der dem Leistungsträger durch § 66 Abs. 1 und 2 SGB I eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt (BSG, a.a.O., m.w.N.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen einer Versagungsentscheidung hat das Sozialgericht zwar zutreffend bejaht, insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage Bezug auf die entsprechenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides, denen er inhaltlich uneingeschränkt folgt.
Das Sozialgericht hat jedoch verkannt, dass § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I dem Leistungsträger grundsätzlich einen Ermessensspielraum einräumt, ob und gegebenenfalls - sofern die Leistung teilbar ist - in welchem Umfang er die Leistung versagen will (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 B 1 KR 4/02 R -, SozR 4 1200 § 66 Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Mai 1983 10 RKG 13/02 -, SozR 1200 § 66 Nr. 10; BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 – 4 RA 44/94 -, BSGE 76, 16, veröffentlicht in juris). Der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, dem Sozialleistungsträger stünde bei der Versagung nach § 66 SGB I kein Ermessen zu, soweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht bewiesen seien (vgl. KassKomm Seewald, Stand April 2010, § 66 SGB I Rn. 23, 24) folgt der erkennende Senat nicht.
Die Beklagte hat von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Sie hat weder im Bescheid vom 20. September 2007 noch im Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2008 zu erkennen gegeben, dass ihr das ihr zustehende Ermessen überhaupt bewusst war noch lässt sich den angefochtenen Verwaltungsakten entnehmen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. Der Ausgangsbescheid wurde unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten und des fehlenden Ausschlussgrundes nach § 65 SGB I lediglich damit begründet, dass der Kläger der Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchungsmaßnahme zu unterziehen, nicht nachgekommen sei. Auch im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte Ermessenserwägungen nicht nachgeholt, obwohl sie aufgrund des zuvor erteilten telefonischen Hinweises des Sozialgerichts Kiel im Verfahren S 17 R 376/07 sogar noch weitere Ermittlungen zur Reisefähigkeit des Klägers und der Zumutbarkeit der beabsichtigten Begutachtung beim Sozialmedizinischen Dienst in der Dienststelle Itzehoe durchgeführt hatte. Der Widerspruchsbescheid stellt in seiner Begründung maßgeblich darauf ab, dass der behandelnde Arzt eine Einschränkung der Reise- oder Wegefähigkeit nicht bestätigt habe und deshalb Gründe, die die Mitwirkungspflichten einschränkten, nicht erkennbar seien. Ergänzend führte die Beklagte aus, dass die ärztliche Begutachtung ein angemessenes Mittel und im Falle des Klägers geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei, um die Erwerbsfähigkeit beurteilen zu können. Damit hat die Beklagte zwar zum Ausdruck gebracht, dass sie vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Versagungsentscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I ausgeht. Dies vermag die hier gebotene einzelfallbezogene Ermessensausübung aber nicht zu ersetzen, sie ist vielmehr deren Voraussetzung.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist – sofern die Aufklärung nicht unmöglich ist - darüber zu befinden, in welchem Umfang weitere Ermittlungen angestellt werden können und sollen bzw. eine Nachfrist für die Mitwirkung eingeräumt wird, sofern die Leistungsvoraussetzungen noch nicht nachgewiesen sind. Hier können auch individuelle Gesichtspunkte Bedeutung erlangen, die tatbestandlich mangels Erforderlichkeit eines Verschuldens des Pflichtverstoßes außer Betracht bleiben. Insoweit sind die Gründe zu beachten, derentwegen der zur Mitwirkung grundsätzlich Verpflichtete seine Mitwirkung verweigert. Dies hat die Beklagte bei ihrer Versagungsentscheidung nicht beachtet. Es liegt auch kein Ausnahmefall der Ermessensreduzierung auf Null zu Lasten des Klägers vor, der die Beklagte von Ermessenserwägungen entbunden hätte.
Selbst wenn unterstellt wird, dass entsprechend der Bestätigung des behandelnden Arztes E noch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Reisefähigkeit des Kläger gegeben und es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht unzumutbar war, die angebotenen Untersuchungstermine beim Sozialmedizinischen Dienst in Itzehoe wahrzunehmen, hätten doch der gesamte Verfahrensablauf und die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers hinreichend Anlass geboten, Ermessenserwägungen anzustellen. Der Kläger hat mehrfach Auskunft begehrt, welche konkreten Untersuchungen trotz der vorhandenen medizinischen Befundunterlagen noch erfolgen sollten. Es hätten sich daher Ermessenserwägungen angeboten, ob nicht bei Erteilung entsprechender Auskünfte – zumindest auf welchem medizinischen Fachgebiet der Schwerpunkt der Begutachtung liegen sollte – die Verweigerungshaltung positiv hätte beeinflussen werden können. Ermessensbetätigung wäre aber auch im Hinblick auf das Angebot einer fachärztlichen Begutachtung des Klägers an dessen Wohnort und im Hinblick auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen erforderlich gewesen. Schließlich war der Beklagten bekannt, dass sich der Kläger – wie bereits mit Rentenformantrag vorgebracht – wegen starker Nervenschmerzen und einer eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit subjektiv gesundheitlich nicht in der Lage sah, an einer ärztlichen Untersuchung außerhalb Neumünsters mitzuwirken. Diese subjektive Einschätzung entbehrte auch nicht jeglicher objektiven Grundlage. Wegen der klinischen Symptomatik des Lendenwirbelsäulenleidens war offensichtlich am 8. August 2007 ein MRT veranlasst worden, dessen Befund dem Hausarzt bei Abfassung seines Berichtes vom 12. August 2007 noch nicht vorlag. Aus dem Akteninhalt erschließt sich für den Senat auch nicht, dass die Beklagte diesen Befund vor der Versagung der beantragten Leistung angefordert hatte oder dass er Gegenstand des Telefonats mit Dr. S am 27. November 2007 war. Der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 29. November 2007 lässt sich lediglich die Mitteilung des behandelnden Arztes entnehmen, dass wegen der anhaltenden Beschwerden des Klägers bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation am 1. August 2006 eine Untersuchung durch den Nervenarzt Dr. Sa durchgeführt worden sei. Dabei seien ein Wurzelreiz-Syndrom und eine Gro߬zehenheberschwäche links festgestellt worden. Der MRT-Befund vom 8. August 2007 findet in diesem Zusammenhang keine Erwähnung.
Weil sich die Beklagte trotz der einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen stehenden Gesamtumstände offenbar verpflichtet fühlte, die beantragte Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung im Verwaltungsverfahren zu versagen, liegt ein rechtswidriger Nichtgebrauch des Ermessens vor, der zur Aufhebung der Versagungsentscheidung führt.
Soweit der Kläger mit seinem schriftlichen Antrag im Berufungsverfahren allerdings neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide auch die gesonderte Feststellung deren Rechtswidrigkeit begehrt, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis. Gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Feststellungsklage nur zulässig, wenn neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen auch der Gegenstand der begehrten Feststellung unter § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 oder Abs. 2 SGG fällt und der Kläger außerdem ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat. Am Feststellungsinteresse fehlt es, wenn – wie hier - bereits im Rahmen einer anhängigen Anfechtungsklage über die Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 55 Rn. 19a m.w.N.). Ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse hat der Kläger weder dargelegt noch ist für den erkennenden Senat ersichtlich, welches weitergehende Interesse der Kläger mit seinem Begehren verfolgt. Die Feststellungsklage ist daher gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die gerichtliche Feststellung seiner persönlichen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I begehrt, fehlt ihm ebenfalls das Feststellungsinteresse. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten sind in den §§ 65 ff. SGB I gesetzlich geregelt. Insofern bedarf es keiner gerichtlichen Feststellung. Die hier konkret zu erfüllende Mitwirkungspflicht ist Gegenstand der Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid, die wiederum Vorrang gegenüber der Feststellungsklage hat. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren die Feststellung der Mitwirkungspflichten anderer Leistungsempfänger begehrt, fehlt dem Feststellungsbegehren unabhängig von der Frage, ob insoweit überhaupt eine zulässige Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG vorliegt, bereits deshalb das Feststellungsinteresse, weil es sich um eine unzulässige Popularklage handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt das Ausmaß des Unterliegens des Klägers in erster Instanz im Hinblick auf die zunächst erhobene Leistungsklage und in der Berufungsinstanz hinsichtlich des Feststellungsbegehrens.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
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