L 11 KR 19/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2783/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 19/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Von einer (illegalen) Arbeitnehmerüberlassung und nicht von einem Werkvertrag ist auszugehen, wenn sich der tatsächliche Geschäftsinhalt auf die Überlassung von Arbeitskräften beschränkt und der angebliche Werkunternehmer schon aufgrund seiner betrieblichen Organisation gar nicht in der Lage wäre, das (angeblich) versprochene Werk zu erstellen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25.11.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, zu tragen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig in Höhe von 19.950,44 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für polnische Beschäftigte im Zeitraum vom 22.09.2003 bis 20.10.2003.

Die Klägerin ist ein Bauunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie hatte den Auftrag erhalten am Gebäude des Gymnasiums in Sch. einen Anbau zu errichten. Das Verfugen des Kalksandstein-Sichtmauerwerks der Zwischenwände führten fünf polnische Bauarbeiter aus, die über die Firma S. Bau Dienstleistungsgesellschaft mbH zum Einsatz kamen. Nach den Feststellungen des Hauptzollamts L. hatte die Firma S. keine Erlaubnis zur Verleihung von Arbeitnehmern und verfügte nicht über einen eigenen Geschäftsbetrieb, Bauhof oder Fuhrpark. Die Verfugungsarbeiten wurden mit dem Material und Werkzeug der Klägerin ausgeführt. Die Firma S. stellte der Klägerin Rechnungen für die Tätigkeit der polnischen Bauarbeiter aus. Die Abrechnung erfolgte wöchentlich auf Grundlage der geleisteten Arbeitsstunden. Es war ein Stundensatz von 21,50 EUR vereinbart. Der Rechnungsbetrag wurde in bar bezahlt.

Unter dem 18.01.2006 erließ das Hauptzollamt L. gegen die Klägerin einen Bußgeldbescheid wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot illegaler Entleihung von Arbeitnehmern. Auf ihren Einspruch hin wurde die Klägerin vom Amtsgericht L. wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Verbot illegaler Entleihung von Arbeitnehmern zu einer Geldbuße verurteilt (Urteil vom 10.07.2006, 31 OWi 84 Js 7014/06). Die Rechtsbeschwerde der Klägerin beim Oberlandesgericht Karlsruhe führte zur Einstellung des Verfahrens, da die fahrlässige Begehung der Ordnungswidrigkeit bereits verjährt war (Beschluss vom 22.11.2007, 2 Ss 244/06).

Mit Schreiben vom 27.12.2007 (abgesandt am selben Tag) hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung im Rahmen der Beitragsüberwachung nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) für die Zeit vom 22.09.2003 bis 20.10.2003 in Höhe von insgesamt 19.950,44 EUR (davon Säumniszuschläge in Höhe von 6.651,50 EUR) an. Zur Begründung wurde angegeben, das Hauptzollamt L. habe festgestellt, dass eine illegale Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe. In einem solchen Fall habe der Entleiher die vollen Arbeitgeberpflichten und damit auch die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die betroffenen Leiharbeitnehmer seien der Einzugsstelle nicht gemeldet worden. Die Klägerin werde aufgefordert, für alle Arbeitnehmer vollständige und prüffähige Lohnaufzeichnungen vorzulegen; andernfalls sei beabsichtigt, für die namentlich nicht bekannten Leiharbeitnehmer die Beiträge nachzuberechnen und diese in Form eines Summenbeitragsbescheids festzusetzen. Der Berechnung der Beiträge lägen die aus den Rechnungsbeträgen ermittelten Gesamtlohnsummen (zwei Drittel der Rechnungsbeträge) zugrunde. Die Klägerin reagierte auf das Anhörungsschreiben nicht. Mit Bescheid vom 31.01.2008 setzte die Beklagte wie angekündigt die Beitragsnachforderung in Form eines Summenbeitragsbescheids fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 14.02.2008 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, sofern überhaupt ein Gesetzesverstoß bejaht werden könne, sei dieser nur in fährlässiger Form gegeben, so dass die geltend gemachten Beitragsansprüche verjährt seien. Ein Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) liege jedoch nicht vor, da sich die Klägerin nicht fünf polnische Arbeitnehmer entliehen habe. Sie habe vielmehr mit der Firma S. einen Werkvertrag abgeschlossen, der die Verfugungsarbeiten im Gebäude des Gymnasiums zum Gegenstand gehabt habe. Die Klägerin habe vor der Beauftragung der Firma S. eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes und Arbeitserlaubnisse angefordert. Dass die vorgelegten Unterlagen teilweise gefälscht gewesen seien, habe die Klägerin nicht bemerkt und auch nicht bemerken können. Die polnischen Arbeiter seien zu keinem Zeitpunkt wie eigene Stammarbeitnehmer der Klägerin eingesetzt gewesen. Sie hätten ausschließlich auf Anweisung der Firma S. gearbeitet. Der vereinbarte Stundenlohn habe deutlich über dem Mindestlohn von 10,36 EUR gelegen. Sämtliche Lohnnebenkosten der Firma S. seien damit abgedeckt worden. Zusätzlich sei der Firma ein Gewinn verblieben. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde unter anderem angegeben, Verjährung sei nicht eingetreten. Die Verjährung sei für die Dauer der Arbeitgeberprüfung, die spätestens mit der Anhörung mit Schreiben vom 27.12.2007 begonnen habe, gehemmt.

Am 05.06.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat vorgetragen, die Klägerin habe mit der Firma S. einen Werkvertrag abgeschlossen. Die Klägerin habe zunächst die Firma M. GmbH als Subunternehmen durch schriftlichen Werkvertrag beauftragt, einen Teil der ihr selbst übertragenen Arbeiten auszuführen. Dazu habe auch das Verfugen von rund 900 qm Sichtmauerwerk gehört. Diese Firma habe sich aber als ungeeignet erwiesen, weshalb der Werkvertrag gekündigt worden sei. Einen Teil dieser Arbeiten habe die Klägerin dann selbst ausgeführt. Für das Verfugen hätten der Klägerin zahlenmäßig und fachlich qualifizierte Arbeiter gefehlt. Sie habe sich deshalb an den ihr bekannten Herrn E. aus V.-S. gewandt, der Firmen als Subunternehmer vermittle. Aufgrund dessen Tätigkeit habe die Klägerin ein Angebot der Firma S. erhalten. Es seien qualifizierte Baufacharbeiter für alle anfallenden Bauarbeiten für einen kurzen oder auch für einen längeren Zeitraum sowie eine pünktliche und fachliche Ausführung der Arbeiten angeboten worden. Die Klägerin habe daraufhin Kontakt zur Firma S. aufgenommen. Es habe sich herausgestellt, dass diese Firma die Verfugungsarbeiten zeit- und fachgerecht ausführen könne. Die Firma habe sich lediglich nicht auf die von der Klägerin gewünschte und gewollte Abrechnung nach Quadratmetern eingelassen, sondern eine Abrechnung nach Stundenaufwand gefordert. Eine solche Abrechnungsweise sei in der Baubranche nicht ungewöhnlich. Da der Klägerin die Firma nicht bekannt gewesen sei, habe sie sich verschiedene Unterlagen vorlegen lassen (Unbedenklichkeitsbescheinigungen, Bescheinigungen des Finanzamtes, Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug und Arbeitserlaubnisse). Wäre eine Arbeitnehmerüberlassung beabsichtigt gewesen, hätte die Klägerin auch die Vorlage der Genehmigung gefordert. Inhalt und Umfang des an die Firma S. erteilten Auftrags sei von Anfang an exakt definiert gewesen. Die Arbeiter der Firma seien nicht für andere Tätigkeiten eingesetzt worden. Zunächst seien nur zwei Arbeiter geschickt worden. Als absehbar gewesen sei, dass diese die Arbeiten nicht innerhalb des Zeitrahmens bewerkstelligen konnten, seien von der Firma S. drei weitere Arbeiter eingesetzt worden. Die Klägerin habe den Arbeitern lediglich die Sichtmauern gezeigt, an denen die Verfugungsarbeiten durchzuführen waren. Im Übrigen hätten die Arbeiter die Verfugungen selbständig ausgeführt und selbst entschieden, in welchen Zeiten und auf welche Art die Arbeiten ausgeführt werden. Die durchgeführten Arbeiten seien von der Klägerin nur vor Ort kontrolliert und soweit notwendig sofort beanstandet worden. Dass die Klägerin das Material zur Verfügung stellte, sei durchaus üblich und mit der Firma S. vereinbart gewesen. Die Klägerin habe lediglich durch ihren vor Ort anwesenden Bauleiter die Anzahl der von den Arbeitern angegebenen Stundenzahl und nach Fertigstellung auch die Qualität der Arbeit kontrolliert. Mängel seien sofort gerügt und von den Arbeitern der Firma S. nachgebessert worden. Soweit die vorgelegten Rechnungen nicht korrekt gewesen seien, habe die Klägerin sie korrigiert. Eine qualifizierte Rechnungsstellung und/oder Schlussabrechnung sei aufgrund der Vereinbarung mit der Firma S. nicht notwendig gewesen. Im Falle einer mangelhaften Ausführung hätte die Klägerin Gewährleistungsansprüche geltend gemacht. Die Arbeitsvergütung sei auf Verlangen der Firma ausnahmsweise in bar bezahlt worden. Die Vergütung sei jedoch nicht an die einzelnen Arbeiter, sondern an eine von der Firma S. genannte Person ausbezahlt worden.

Das SG hat den Polier der Klägerin, G. B., und den verantwortlichen Bauleiter, R. Ec., als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Aussagen wird auf den Inhalt der Sozialgerichtsakte verwiesen.

Mit Urteil vom 25.11.2010 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 31.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2008 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, es habe keine illegale Entleihung von Arbeitnehmern vorgelegen. Die Klägerin habe einen Werkvertrag mit der Firma S. abgeschlossen. Widersprüchlichkeiten zwischen der Vernehmung beim Hauptzollamt und dem Vortrag im sozialgerichtlichen Verfahren seien im Rahmen der Zeugenvernehmung hinreichend aufgeklärt worden. So sei glaubhaft, dass die Klägerin nicht zwei Arbeiter angefordert habe, sondern lediglich auf die Frage der Firma S., wie viele Arbeiter die Subunternehmerin schicken müsse, um die 900 qm Mauerwerk terminlich rechtzeitig auszufugen, die Vorstellung geäußert, dass man mit zwei Arbeitern hinkommen könne. Es seien dann zunächst zwei Arbeiter geschickt worden. Später habe sich herausgestellt, dass dies nicht ausreiche, und habe weitere Kräfte "angefordert". Dass nach Stundenanzahl vergütet und Material der Klägerin verwendet worden sei, spreche nicht gegen einen Werkvertrag. Vor dem Hintergrund des Termindrucks der Klägerin sei verständlich, dass sie sich auf die Vereinbarung mit der Firma S. eingelassen habe.

Gegen das am 13.12.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.01.2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung vorgetragen, das SG sei zu Unrecht von einem Werkvertrag ausgegangen. Die Feststellungen belegten eine illegale Arbeitnehmerüberlassung. Die Firma S. habe nicht die Herstellung eines Werks, sondern das Tätigwerden der eigenen Arbeitnehmer geschuldet. Die Klägerin habe das unmittelbare Weisungs- bzw Direktionsrecht des Arbeitgebers ausgeübt und sowohl die Arbeiten als auch die Stundenanzahl überwacht. Auch die vom SG aufgeklärte "Anforderung" von Arbeitskräften spreche für einen Dienstverschaffungsvertrag. Bei Schlechtleistung sei der Entgeltanspruch nicht verloren gegangen. Ein Termin zur Fertigstellung sei nicht vereinbart gewesen. Bei der Firma S. handele es sich nicht um eine reguläre Baufirma. Der eigentliche Zweck bestehe allein in der Überlassung von Arbeitskräften. Die Firma weise keine Betriebsstruktur auf, die zur Erfüllung eines Werkes geeignet gewesen sei. Die Weisungen vor Ort, die Überwachung der Arbeitsleistung und der Arbeitszeiten seien allein durch die Klägerin erfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25.11.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich den Ausführungen des SG angeschlossen und ihre Argumentation nochmals wiederholt. Ergänzend hat sie auf den Vortrag der Beklagten erwidert, die Mitarbeiter der Firma S. seien nicht in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen. Diese hätten die ihnen übertragenen Arbeiten selbständig ausgeführt und selbst entschieden, in welchen Zeiten und auf welche Art die Arbeiten verrichtet werden. Sie seien ausschließlich den Weisungen ihrer Arbeitgeberin unterworfen gewesen. Auf eine Stundenlohnvereinbarung, die durchaus zulässig sei und die Qualifikation als Werkvertrag nicht ausschließe, habe sich die Klägerin aufgrund des bestehenden Zeitdrucks eingelassen. Üblich sei es auch, dass der Auftraggeber das zur Durchführung der Arbeiten benötigte Material und die Gerätschaften zur Verfügung stelle. Die Firma S. sei durchaus in der Lage gewesen, die übertragenen Arbeiten auszuführen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ist § 28p Abs 1 Sätze 1 und 5 SGB IV in der ab 15.06.2007 geltenden Fassung iVm § 28e Abs 1, 2 und 4 SGB IV in der ab 01.04.2006 geltenden Fassung. Nach § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung nach § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Nach § 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV hat "der Arbeitgeber" den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Arbeitgeber ist dabei zum einen derjenige, der unmittelbar mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag geschlossen hat und damit ein Beschäftigungsverhältnis iSv § 7 Abs 1 SGB IV eingegangen ist. Im Falle der Arbeitnehmerüberlassung ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht zudem der Entleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr 1 AÜG, dh wegen Fehlens der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 AÜG, unwirksam ist (§ 10 Abs 1 Satz 1 AÜG). Der illegale Verleiher und sein Entleiher haften auf gleicher Stufe für die Erfüllung der Zahlungspflichten, da sie nach § 28e Abs 2 Satz 4 SGB IV Gesamtschuldner im Sinne des § 421 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind.

Die Klägerin haftet für die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Die Firma S. Bau Dienstleistungsgesellschaft mbH war nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Dies entnimmt der Senat dem Schlussbericht des Hauptzollamts L. Die Klägerin hatte im Zeitraum vom 22.09.2003 bis 20.10.2003 fünf polnische Arbeitnehmer der Firma S. entliehen. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin und der Ermittlungen des Hauptzollamts L. fest. Von einer nochmaligen Vernehmung der Zeugen G. B. und R. Ec. hat der Senat abgesehen, da keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen bestehen.

Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag ist der tatsächliche Geschäftsinhalt des Vertragsverhältnisses (vgl dazu und im Folgenden: BSG 11.02.1988, 7 RAr 5/86; 19.03.1992, 7 RAr 34/91; 29.04.2004, B 11 AL 3/04 R, jeweils juris mwN). Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist auf die entgeltliche Zurverfügungstellung von Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung bei einem Dritten gerichtet. Gegenstand eines Werkvertrages kann gemäß § 631 Abs 2 BGB demgegenüber sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein. Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt. Ihm steht ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern zu. Diese sind voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert. Beim Werkvertrag wird der Unternehmer oder Subunternehmer für einen anderen tätig und organisiert die zur Erreichung des wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Vorstellungen. Dabei hat der Arbeitnehmer als sein Erfüllungsgehilfe vor allem nach seinen, des Werkunternehmers, Weisungen zu handeln. Der Erfüllungsgehilfe ist nicht in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert. Der Werkbesteller kann nur Anweisungen im Hinblick auf das in Auftrag gegebene Werk insgesamt geben. Über die rechtliche Einordnung eines Vertrages als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag oder als Werk- oder Dienstvertrag entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Vertragsparteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht (BAG 30.01.1991, 7 AZR 497/89, juris).

Unter Anwendung dieser Abgrenzungskriterien ist vorliegend von einer Arbeitnehmerüberlassung und nicht von einem Werkvertrag zwischen der Klägerin und der Firma S. auszugehen. Schriftliche Verträge wurden nicht abgeschlossen, so dass die tatsächliche Durchführung maßgeblich ist. Danach übersieht der Senat nicht, dass die ausgeführten Arbeiten grundsätzlich einem Werkvertrag zugänglich sind. Es handelte sich um eine abgrenzbare, klar definierte Tätigkeit (Verfugung von 900 qm Sichtmauerwerk), die Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung sein kann. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte sie auch zunächst die Arbeiten an die Firma M. GmbH als Subunternehmen vergeben. Nach Kündigung des Werkvertrages ist sie dann aber an die Firma S. geraten, die als bloße Dienstleistungsgesellschaft weder über einen eigenen Geschäftsbetrieb, Bauhof noch Fuhrpark verfügt. Nach den Ermittlungen des Hauptzollamts L. war alleiniger Gegenstand der Firma die Überlassung von Arbeitskräften. Die Firma S. konnte demnach die hier im Streit stehenden Bauarbeiten mit eigenen Mittel überhaupt nicht ausführen. Sie war nicht einmal in der Lage einzuschätzen, wie viele Arbeiter für Verfugungsarbeiten im Umfang von 900 qm benötigt werden. Dementsprechend nahm die Klägerin die Planungen vor und stellte sowohl das Material als auch die Gerätschaften zur Verfügung. Damit war denknotwendig eine Eingliederung in die Arbeitsabläufe der Klägerin verbunden. Die Leistungspflicht der Firma S. erschöpfte sich in der Zurverfügungstellung der benötigten Arbeitskräfte. Bestätigt wird dies durch ihren eigenen Vortrag, wonach der Klägerin von der Firma S. "qualifizierte Baufacharbeiter für alle anfallenden Bauarbeiten angeboten" wurden. Dieses Angebot nahm die Klägerin an, womit ein Vertrag zur Arbeitnehmerüberlassung zu Stande kam. Auch die Abrechnung der Arbeiten spricht gegen einen Werkvertrag. Im Fall eines Werkvertrages erfolgt die Vergütung üblicherweise nach Maßgabe des erzielten Erfolges und nicht – wie hier – nach der Zahl der dazu benötigten Arbeitsstunden (BSG 11.02.1988, 7 RAr 5/86, juris). Dass die Klägerin die Absicht hatte nach Quadratmetern abzurechnen, ihre Vorstellungen aber nicht durchsetzen konnte, spielt keine Rolle. Allein das zustande gekommene Vertragsverhältnis ist als Beurteilungsgrundlage maßgeblich. Schließlich spricht auch die Kontrolle der Arbeitnehmer durch die Klägerin in Bezug auf die Qualität der Arbeit und die erbrachten Arbeitsstunden gegen einen Werkvertrag. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin wurden die Arbeiten unmittelbar vor Ort regelmäßig kontrolliert und soweit notwendig sofort beanstandet. Auch wenn die Arbeiter frei entscheiden konnten, in welcher Art sie die Arbeiten ausführen, hatte die Klägerin offenbar die Möglichkeit direkt (dh ohne Umweg über die Firma S.) auf die Arbeiter einzuwirken und ihnen Weisungen zu erteilen. Dementsprechend sagte der Geschäftsführer der Klägerin, H. J. Bl., gegenüber dem Hauptzollamt aus (Vernehmungsprotokoll vom 06.12.2005), dass der Polier der Klägerin für die Firma S. die Anweisungen auf der Baustelle gab und die Arbeitnehmer einteilte. Auch der Polier der Klägerin, G. B., sagte gegenüber dem SG aus, dass er die Arbeiten der polnischen Arbeitnehmer "am Abend abgenommen" und kontrolliert habe.

Nach Wertung aller für und gegen eine Arbeitnehmerüberlassung sprechenden Gesichtspunkte überwiegen somit zur Überzeugung des Senats die Anhaltspunkte für eine (illegale) Arbeitnehmerüberlassung. Damit haftet auch die Klägerin als Gesamtschuldnerin für die Beitragsansprüche, die für die polnischen Arbeitnehmer als gegen Arbeitsentgelt beschäftigte und damit versicherungspflichtige Personen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung entstanden waren (§ 5 Abs 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Satz 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 25 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch).

Die Beklagte durfte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28 f Abs 2 SGB IV in einem Summenbescheid geltend machen. Nach dieser Regelung, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist (Urteil des Senats vom 20.04.2010, L 11 R 5269/08, juris), kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Die Klägerin hat gegen die aus § 28a Abs 1, § 28e Abs 1 SGB IV folgenden Pflichten zur Meldung und Beitragszahlung verstoßen (vgl hierzu auch die besondere Aufzeichnungspflicht im Baugewerbe nach § 28f Abs 1a SGB IV). Deshalb konnte das Arbeitsentgelt nicht einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden. Satz 2 des § 28f Abs 2 SGB IV stand dem Erlass eines Summenbescheides hier nicht entgegen. Danach gilt Satz 1 nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Der Beklagten waren dahingehende Ermittlungen unter Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht möglich. Die Klägerin hat im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren keinerlei Angaben gemacht, die für die individuelle Beitragsfeststellung erforderlichen wären. Der Beklagten selbst waren aus dem Schlussbericht des Hauptzollamts zwar die Namen der polnischen Arbeitnehmer, nicht aber die vollständigen Adressen bekannt. Auch über die Firma S. konnten die an die Arbeitnehmer ausbezahlten Löhne nicht ermittelt werden. Dies war schon dem Hauptzollamt L. nicht gelungen.

Gegen die Höhe der Beitragsforderung und die diesbezügliche Berechnung wendet sich die Klägerin nicht. Etwaige Anhaltspunkte für Fehler bei der Berechnung der Beiträge sind nicht ersichtlich. Die Forderung ist auch nicht verjährt. Nach § 25 Abs 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen und der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt entstanden ist. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB IV werden laufende Beiträge, die geschuldet werden, entsprechend den Regelungen der Satzung der Kranken- und Pflegekasse fällig. Nach der bis 31.12.2003 gültigen Fassung des § 23 Abs 1 Satz 2 SGB IV wurden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sind, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Damit begann die Verjährungsfrist der Beiträge für die im Zeitraum vom 22.09.2003 bis 20.10.2003 ausgeübte Beschäftigung am 01.01.2004 zu laufen und hätte am 31.12.2007 geendet. Nach § 25 Abs 2 Satz 2 SGB IV ist die Verjährung allerdings für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt. Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Betriebsprüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung (§ 25 Abs 2 Satz 4 SGB IV). Die Einleitung der Betriebsprüfung erfolgte spätestens mit Zugang des Schreibens vom 27.12.2007, das nach Aktenvermerk der Beklagten noch am selben Tag an die Klägerin abgesandt wurde. Nach entsprechender Anwendung des § 37 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gilt das Schreiben am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also am 30.12.2007 als zugegangen (zur entsprechenden Anwendung vgl LSG Niedersachsen-Bremen 14.06.2007, L 12 AL 127/06, juris, dort zum Zugang eines Vermittlungsvorschlags der Bundesagentur für Arbeit). Ein Zugang erst nach dem 31.12.2007 wird von der Klägerin im Übrigen nicht behauptet.

Schließlich hat die Beklagte auch zu Recht Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV erhoben. Die Erhebung von Säumniszuschlägen scheidet nicht wegen § 24 Abs 2 SGB IV aus. Danach ist ein auf eine durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellte Beitragsforderung entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Das Verschulden beurteilt sich entsprechend § 276 BGB und umfasst damit neben Vorsatz auch die Fahrlässigkeit. Die Klägerin beruft sich sinngemäß auf einen Rechtsirrtum dahingehend, dass sie angenommen habe, mit der Firma S. einen Werkvertrag abgeschlossen zu haben. An den Entlastungsbeweis sind bei Rechtsirrtümern strenge Anforderungen zu stellen. Der Schuldner hat sich sorgfältig über die Rechtslage zu informieren und ggf kundigen Rat einzuholen und im Zweifel eine Einzugsstelle einzuschalten (vgl Segebrecht in jurisPK-SGB IV, § 24 RdNr 34). Der Klägerin hätte sich die Notwendigkeit zumindest einer weiteren Abklärung aufdrängen müssen. Sie hätte zur Qualifizierung des Rechtsgeschäfts einen Rechtsrat einholen, sich an eine Krankenkasse als Einzugsstelle oder an einen prüfenden Rentenversicherungsträger wenden müssen und sodann von der Firma S. die Vorlage der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung fordern müssen. Berechnungsfehler sind bei der Festsetzung der Säumniszuschläge nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder sie noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 3) sind ihr nicht aufzuerlegen, weil diese keine Anträge gestellt und damit auch kein Prozessrisiko auf sich genommen haben (§ 197a Abs 1 SGG iVm §§ 154 Abs 3, 162 Abs 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert ist in Höhe der geforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 19.950,44 EUR festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
Saved