Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2713/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 392/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Leidet ein Versicherter zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung , ist der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Hs 2 SGB 6 idR nicht erfüllt.
Wird die Ehe nach Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung auch aus erbrechtlichen und steuerrechtlichen Gründen eingegangen, spricht dies nicht gegen, sondern für eine Versorgungsehe.
Wird die Ehe nach Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung auch aus erbrechtlichen und steuerrechtlichen Gründen eingegangen, spricht dies nicht gegen, sondern für eine Versorgungsehe.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28.07.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen A. T. (im Folgenden: Versicherter).
Die 1957 geborene Klägerin hatte den Versicherten nach ihren eigenen Angaben im Alter von 18 Jahren kennengelernt und lebte mit ihm seit 1980 in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Am 30.05.1981 wurde der Sohn, S. A. (im Folgenden: Zeuge A), geboren. Im gemeinsamen Haushalt lebte außerdem die Tochter der Klägerin, S. (im Folgenden: Zeugin S). Die Klägerin betreibt seit 1988 ein Autohaus.
Der 1945 in Tunesien geborene Versicherte hatte drei weitere Kinder, die bei ihren Müttern aufwuchsen. Er war im Autohaus der Klägerin beschäftigt. Wegen allgemeiner Mattigkeit und Atemnot suchte er im Juli 2006 seinen Hausarzt Dr. K. auf. Am 11.07.2006 wurde der Versicherte wegen starker Atemnot und Schmerzsymptomatik stationär aufgenommen. Dort wurde nach invasiver Diagnostik am 26.07.2006 ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit ausgeprägter Pleurakarzinose festgestellt (Tumorstadium T4 Nx M1). Der Versicherte wurde während seines Krankenhausaufenthalts vom 21.07. bis 02.08.2006 über den histologischen Befund eingehend informiert. Im Anschluss erfolgte eine ambulante Chemotherapie (insgesamt drei Zyklen vom 07.08.2006 bis 08.10.2006). Eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Am 10.10.2006 heirateten die Klägerin und der Versicherte. Mit Testament vom 24.10.2006 setzte der Versicherte die Klägerin als Alleinerbin ein. Wegen zunehmender Schmerzen begab sich der Versicherte am 03.11.2006 erneut in stationäre Behandlung, bei der eine Tumorprogression festgestellt wurde. Die Chemotherapie wurde sodann in veränderter Form fortgesetzt. Am 06.11.2006 beantragte der Versicherte bei der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Der Antrag wurde in einen Rentenantrag umgedeutet. Die Beklagte bewilligte sodann eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.11.2006.
Nach einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten im Januar 2007 erfolgte eine Umstellung der Therapie in eine palliative Chemotherapie. Am 22.02.2007 verstarb der Versicherte.
Unter dem 20.04.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes. Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2007 den Antrag der Klägerin ab. Es sei davon auszugehen, dass es sich um eine Versorgungsehe handele, da die tödlichen Folgen der Erkrankung des Versicherten bei der Eheschließung zu erwarten gewesen seien. Hiergegen legte die Klägerin am 19.06.2007 Widerspruch mit der Begründung ein, es habe sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt, da sie mit dem Versicherten einen volljährigen Sohn und seit über 25 Jahren in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt habe. Sie hätten vor vielen Jahren ein Wohnhaus gemeinsam erworben und schon seit längerer Zeit geplant zu heiraten. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 04.10.2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Klägerin und der Versicherte hätten vor der Hochzeit schon seit 26 Jahren wie Ehepartner zusammengelebt. Bereits kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes sei eine Hochzeit geplant gewesen. Wegen des Baus des gemeinsamen Hauses und des Baus eines weiteren Hauses in Tunesien sowie des Aufbaus des Autohauses sei die Eheschließung jedoch immer wieder aufgeschoben worden. Im Jahr 2000 seien die Heiratspläne sehr konkret geworden. Es sei ein Termin beim Standesamt vereinbart worden. Außerdem seien die erforderlichen Unterlagen (ua eine Befreiungsurkunde des OLG Stuttgart) und die finanziellen Mittel beschafft worden. Die Eheschließung sei bereits standesamtlich angemeldet, ein konkreter Termin aber noch nicht geplant gewesen. Kurz darauf sei die Klägerin erkrankt und in der Folge psychiatrisch (ua stationär) behandelt worden, weshalb die Hochzeit erneut verschoben worden sei. Die Klägerin sei dann bis 2003/2004 in Behandlung gewesen. Als der Versicherte im Juli 2006 an Krebs erkrankt sei, habe er die Art und Schwere der Krankheit seiner Ehefrau und seinen Kindern verschwiegen. Im Oktober und November 2006 sei der Versicherte wie gewohnt jeden Morgen in die Autowerkstatt gegangen. Er habe immer wieder versichert, dass seine Krankheit ausheilen werde. Erst bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus im Februar 2007 hätten die Kinder von der Diagnose erfahren. Sie hätten beschlossen, die Diagnose vor der Klägerin zu verschweigen. Auch von Dr. K. sei die Ehefrau nicht über die Schwere der Krankheit aufgeklärt worden. Bis zu seinem Tod sei die Klägerin davon ausgegangen, dass die Krankheit heilbar sei. Im September 2006 sei der Termin für die Hochzeit vereinbart worden. Der Versicherte habe aufgrund der ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse auf eine baldige Heirat gedrängt. Der Versicherte habe vermeiden wollen, dass die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus an seine anderen Kinder oder seine erste Ehefrau gehen. Schon frühzeitig sei der Steuerberater E. S. (im Folgenden: Zeuge Stb) eingebunden gewesen. Es sollten hohe Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin sowie hohe Erbschaftssteuern verhindert werden. Auch die geplante Erbschaftssteuerreform habe dabei eine Rolle gespielt. Zudem sollte es dem gemeinsamen Sohn durch die Heirat ermöglicht werden, als sodann ehelicher Sohn das Erbe des Versicherten in Tunesien anzutreten. Der Zeuge Stb habe dem Versicherten zur sofortigen Heirat geraten. Rentenansprüche oder Versorgungsleistungen seien in diesen Gesprächen nicht diskutiert worden. Die Klägerin habe an diesen Gesprächen nicht teilgenommen. Der Versicherte habe den Zeugen Stb als seinen Freund und Vertrauten ausdrücklich darum gebeten, die Klägerin nicht über die Art und Schwere seiner Erkrankung und die erörterten Fragen zu unterrichten. Der Klägerin sei es wichtig gewesen – und habe deshalb die Hochzeitspläne unterstützt – dem Versicherten zu zeigen, dass sie gerade auch in den Zeiten einer schweren Erkrankung zu ihm stehe. Dies werde auch durch die für April 2007 geplante Hochzeitsreise nach Tunesien dokumentiert. Dort hätten die Eheleute auch die Eheringe kaufen wollen. Vor diesem Hintergrund sei eine Versorgungsehe widerlegt. Letztlich sei die Klägerin ohnehin nicht auf den Erhalt einer Hinterbliebenenrente angewiesen, da sie als Inhaberin des Autohaues ausreichende Einkünfte erziele. Die Eheleute seien wirtschaftlich voneinander unabhängig gewesen und hätten Einkünfte in derselben Größenordnung erzielt.
Das SG hat Dr. K. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Er hat angegeben, dass die im Rahmen der stationären Behandlung festgestellte Pleurakarzinose der Grund gewesen sei, warum eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr möglich gewesen sei. Er habe schon zu diesem Zeitpunkt mit dem Versicherten über die Diagnose und die sehr fraglichen Heilungschancen gesprochen. Als Anhalt für den bereits zu diesem Zeitpunkt schlechten Allgemeinzustand und die gesamte gesundheitliche Problematik möge auch gelten, dass der Versicherte bereits während dieser Krankheitsphase stärkste Schmerzmittel (Morphinpräparate) erhalten habe. Im Januar 2007 habe er ein ausführliches Gespräch mit der Klägerin geführt.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2010 haben die Zeugen A, S und Stb uneidlich ausgesagt. Der Zeuge A hat ausgesagt, dass seine Eltern schon im Jahr 2000 geplant hatten, zu heiraten. Aufgrund der Erkrankung seiner Mutter habe die Hochzeit dann nicht stattgefunden. Es sei aber alles "unter Dach und Fach" gewesen. Auch danach sei das Thema nie ganz aus der Welt gewesen. Die Hochzeit im Jahr 2006 habe im kleinen Kreis stattgefunden. Ein großes Fest sollte danach stattfinden. Konkrete Pläne habe es noch nicht gegeben. Eine Hochzeitsreise sei angedacht gewesen. Er habe im Sommer 2006 erfahren, dass sein Vater an Lungenkrebs erkrankt sei. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass sein Vater daran sterben könne. Die Zeugin S hat ausgesagt, man habe in der Familie immer wieder über das Thema Hochzeit gesprochen. Im Jahr 2000 seien die Papiere da gewesen. Ein konkretes Datum habe es noch nicht gegeben. Aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter habe die Hochzeit nicht stattgefunden. Bei der Hochzeit im Jahr 2006 seien nur das Brautpaar, ihr Bruder und sie zugegegen gewesen. Trauzeugen habe es nicht gegeben. Es sollte im Jahr darauf, nach der Genesung des Versicherten, groß gefeiert werden. Sie habe gewusst, dass der Versicherte an Krebs erkrankt sei. Er habe aber immer wieder gesagt, dass er schon wieder gesund werde. Sie habe natürlich gewusst, dass es schwierig werden könne. Sie habe natürlich auch mit ihrer Mutter über die Krankheit gesprochen. Man habe im Internet über die Krankheit recherchiert. Während der Behandlungen sei es dem Versicherten immer etwas schlechter gegangen, danach aber wieder ziemlich gut. Sie habe nie gedacht, dass der Versicherte sterben könne. Der Zeuge Stb hat ausgesagt, er sei seit Beginn des Betriebs des Autohauses der Steuerberater der Familie. Er habe Mitte/Ende 2006 von der Krankheit des Versicherten erfahren und immer offen mit ihm darüber gesprochen. Er sei davon ausgegangen, dass der Versicherte jedenfalls noch zwei oder drei Jahre leben werde. Im Frühjahr 2006 sei im Rahmen der Bilanzerstellung für das Autohaus über die bevorstehende Erbschaftssteuerreform gesprochen worden. Er habe ihn auf die erbrechtlichen Folgen hingewiesen, wenn er unverheiratet bliebe. Die Klägerin oder die Zeugen S und A seien nie zugegen gewesen. Unmittelbar vor der Hochzeit sei über die erbrechtlichen Angelegenheiten nicht mehr gesprochen worden. Ungefähr 10 bis 14 Tage nach der Hochzeit sei das Testament erstellt worden. Über Rentenanwartschaften oder eine sonstige Altersvorsorge der Klägerin habe er nichts gewusst. Der Versicherte sei nicht am Autohaus beteiligt gewesen.
Mit Urteil vom 28.07.2010 (der Klägerin zugestellt am 10.11.2011) hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin mit dem Versicherten keine Versorgungsehe eingegangen sei. Hierfür spreche, dass der Versicherte bei der Eheschließung offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe. Hieran ändere der Umstand nichts, dass der Tod nicht unmittelbar bevorgestanden habe bzw die Möglichkeit bestanden habe, dass der Versicherte das erste Ehejahr überleben werde. Sie hätten mit einem tödlichen Verlauf der Krankheit rechnen müssen. Auch der Klägerin sei die Gefährlichkeit der Erkrankung bewusst gewesen. Für den Versorgungszweck der Ehe sprächen auch die Umstände der Hochzeit ohne Trauzeugen und größere Feier. Weder die langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft noch die Kontaktaufnahme mit dem Standesamt im Jahr 2000 reichten aus, um die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Zwar könne daraus der Schluss gezogen werden, dass die eheähnliche Lebensgemeinschaft mit der Eheschließung nur ihren rechtsförmlichen Vollzug erhalten habe. Die Heiratspläne vor der Erkrankung des Versicherten hätten sich jedoch nicht wesentlich konkretisiert. Zudem sei die Versorgung der Klägerin nicht gesichert, da die Höhe des Gewinns aus ihrer selbständigen Tätigkeit Schwankungen unterlägen. Zu einem anderen Ergebnis führe auch nicht der Umstand, dass mit der Hochzeit die erbrechtliche Situation geregelt werden sollte. Weder die Zeugen noch die Klägerin hätten angegeben, dass nach den Beratungen durch den Zeugen Stb im Frühjahr 2006 schon eine Hochzeit verstärkt in Betracht gezogen worden sei. Die von der Klägerin angegebenen Motive für die Hochzeit, nämlich dem Versicherten Mut zu machen, überwiegten in der Gesamtabwägung der Umstände nicht.
Am 26.01.2011 hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die vom SG vorgenommene Gesamtbetrachtung und Abwägung sei lücken- und fehlerhaft. Die Gründe für die Hochzeit überwiegten den Versorgungszweck. Jedenfalls seien die Gründe gleichwertig. Gegen eine Versorgungsehe spreche, dass das Thema einer Versorgungsrente weder vor noch nach der Hochzeit vom Versicherten angesprochen worden sei. Es sei insbesondere nicht Gegenstand der Besprechungen mit dem Zeugen Stb gewesen. Die Klägerin sei auf eine Versorgung nicht angewiesen. Der Zeuge Stb und der Versicherte seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin im Todesfall als testamentarische Alleinerbin unter Berücksichtigung ihres eigenen Vermögens, ihrer eigenen Einkünfte (auch aus Vermietung) und der Aussicht auf eine Lebensversicherung ausreichend versorgt sei. Die Familie sei zudem nicht über die Schwere der Erkrankung informiert gewesen. Es sei eine größere Hochzeit in Tunesien geplant gewesen. Gegen eine Versorgungsehe spreche weiter, dass die Klägerin und der Versicherte seit 26 Jahren wie ein Ehepaar zusammen lebten und schon im Jahr 2000 eine Heirat geplant hatten. Motiv des Versicherten sei es gewesen, die erbrechtlichen Folgen bei Nichtverheiratung zu vermeiden. Motiv der Klägerin sei es gewesen, den Versicherten nicht im Stich zu lassen und ihm Mut zu machen, zumal sie eine Hochzeit "immer wieder im Hinterkopf" gehabt hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28.07.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 23.03.2007 große Witwenrente zu gewähren, hilfsweise den Steuerberater S. dazu zu hören, dass eine Witwenrente nie Thema der Gespräche mit dem Verstorbenen gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide, ihren Vortrag beim SG sowie die Ausführungen im Urteil verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass die Berufung noch vor Zustellung des Urteils an die Klägerin eingelegt wurde. Die Zustellung kann nachgeholt werden. Ist das – wie hier – geschehen, so hat das Rechtsmittelgericht über ein Rechtsmittel, das nach der Verkündung, aber vor der ordnungsgemäßen Zustellung des Urteils eingelegt ist, sachlich zu entscheiden (BGH 15.06.1960, IV ZR 16/60, BGHZ 32, 370).
Nach § 46 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 22.02.2007 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet.
Gemäß § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 01.01.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.03.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Der Begriff der "besonderen Umstände" gemäß § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Beurteilung der richterlichen Kontrolle unterliegt (BSG 03.09.1986, 9a RV 8/84, SozR 3100 § 38 Nr 5). Was unter den "besonderen Umständen" des Falles gemäß § 46 Abs 2a SGB VI zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht näher definiert. Da die Vorschrift des § 46 Abs 2a SGB VI jedoch bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung nachgebildet ist, kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände" in diesen Bestimmungen angeknüpft werden (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, SozR 4-2600 § 46 Nr 6). Daher sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles als "besondere Umstände" im Sinne des § 46 Abs 2a SGB VI anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Maßgebend sind die Beweggründe beider Ehegatten, wobei die Annahme einer sogenannten Versorgungsehe nur dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Die Beweggründe sind in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, SozR 4-2600 § 46 Nr 6). Deshalb reicht es aus, wenn lediglich für einen Ehegatten die Versorgungsabsicht nachweislich nicht maßgebend gewesen ist. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der Ermittlung der Beweggründe für die Heirat bzw des Zweckes der Heirat darf nicht stattfinden, da dann die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme eine Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschnitten würden. Allerdings sind die von dem hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung einzustellen.
Die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erfordert gemäß § 202 SGG iVm § 292 der Zivilprozessordnung den vollen Beweis des Gegenteils (vgl BSG 03.09.1986, 9a RV 8/84, SozR 3100 § 38 Nr 5). Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist erst bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG 06.02.2003, B 7 AL 12/02 R, juris mwN; BSG 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, SozR 3-3900 § 15 Nr 3 mwN). Wenn eine solche erforderliche Überzeugung nicht vorliegt, treffen nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen denjenigen, der aus der Tatsache einen Anspruch begründen will, im vorliegenden Fall die Klägerin, da sie sich auf die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung beruft (Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, SGG, § 103 RdNr 6a und § 118 RdNr 6 mwN).
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 10.10.2006 bis 22.02.2007. Zur Überzeugung des Senats liegen auch keine besonderen Umstände im Sinne des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI vor.
Vorliegend ist als ein die Annahme einer Versorgungsehe bestätigender äußerer Umstand anzusehen, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten hat. Im Juli 2006 wurde beim Versicherten ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit ausgeprägter Pleurakarzinose im Tumorstadium T4 Nx M1 festgestellt. Die T-Kategorie, die die Ausdehnung des Primärtumors beschreibt, reicht von T1 bis T4. Die N-Kategorie betrifft den Lymphknotenbefall, wobei Nx bedeutet, dass eine Auswertung nicht möglich ist. Der Faktor M1 beschreibt eine Fernmetastase (zur TNM-Klassifikation: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage). Bei den Untersuchungen während des stationären Krankenhausaufenthalts vom 21.07. bis 02.08.2006 wurde eine ausgeprägte Pleurakarzinose mit Ergussbildung festgestellt. Dies ergibt sich aus dem Arztbrief der Fachkliniken Wangen vom 07.08.2006. Das heißt, das bestehende Bronchialkarzinom hatte bereits zu einer Beteiligung des Rippen- und Lungenfells geführt. Dies war auch der Grund, weshalb eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Dies entnimmt der Senat der schriftlichen Auskunft des behandelnden Arztes vom 04.06.2008. Damit steht zweifelsfrei fest, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Heirat an einer lebensbedrohenden Krankheit litt. Zwar ging es dem Versicherten nach den Angaben der Zeugen nicht während, aber nach den Chemotherapie-Behandlungen immer wieder besser. Er ging auch zeitweise seiner Arbeit nach. Dies widerspricht aber nicht der hier allein maßgebenden Tatsache, dass den Eheleuten die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung bei der Heirat durchaus bewusst war. Der Versicherte wurde von seinen Ärzten umfassend aufgeklärt, drängte aufgrund seiner ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse auf eine baldige Heirat und erstellte kurz nach der Hochzeit sein Testament, in dem er die Klägerin als Alleinerbin einsetzte. Dabei war auch der Klägerin die lebensbedrohliche Situation bewusst. Selbst wenn der Versicherte – wie von der Klägerin vorgetragen – nicht offen mit ihr über seine Erkrankung geredet haben sollte, war ihr jedenfalls die Diagnose bekannt. Nach Aussage der Zeugin S wurde im Internet recherchiert und in der Familie über die Krankheit gesprochen. Zudem war der Versicherte nach Aussage des Arztes Dr. K. damals schon in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Er nahm Morphinpräparate und wurde chemotherapeutisch behandelt. Schließlich musste der Klägerin auch aufgrund der offensichtlichen Eile, in der die Hochzeit durchgeführt wurde, der Ernst der Lage bewusst sein. Die Heirat wurde kurzfristig, ohne größere Planungen durchgeführt. Es wurden weder Trauzeugen hinzugezogen noch Eheringe ausgetauscht. Bei der standesamtlichen Hochzeit waren lediglich die Zeugen S und A zugegen. Die eigentliche Feier sollte zu einem späteren, noch unbestimmten Zeitpunkt nachgeholt werden. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass beiden Eheleuten der Ernst der Erkrankung bewusst war.
Im Fall einer Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI in der Regel nicht erfüllt. Gleichwohl ist dadurch der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dennoch - überwiegend oder zumindest gleichwertig - aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit dieses Umstands zum Zeitpunkt der Eheschließung steigt deshalb zugleich der Grad des Zweifels am Vorliegen solcher "besonderen Umstände", die vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisen sind (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99; BSG 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, juris).
Die Klägerin hat hinreichend gewichtige, gegen eine Versorgungsehe sprechende Umstände nicht nachgewiesen. Das langjährige Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, der gemeinsame Sohn und die gemeinsam geschaffenen Werte bilden vorliegend keine solchen gewichtigen Umstände. Der Wunsch, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben mit dem Versicherten den "offiziellen Segen" zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, ist zwar nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand anzunehmen (BSG 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, juris). Allein das Bestehen einer innigen Liebesbeziehung und die wiederholte Äußerung von Heiratsabsichten reichen für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung jedoch nicht aus (LSG Berlin-Brandenburg 08.04.1999, L 3 U 99/97, juris). Die Heirat muss sich als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellen (Urteil des Senats vom 22.06.2010, L 11 R 1116/08, mit Verweis auf: Hessischer Verwaltungsgerichtshof 16.02.2007, FamRZ 2004, 1771). Hiervon konnte sich der Senat nicht überzeugen. Zwar gab es Hochzeitspläne in der Vergangenheit. Im Jahr 2000 wurden Unterlagen beschafft und das Aufgebot bestellt. Ein Termin für die Hochzeit wurde jedoch nicht vereinbart. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss annehmen zu können (vgl LSG Baden-Württemberg 16.11.2010, L 11 R 1135/10, mwN). Aber selbst bei Annahme hinreichend konkreter Heiratsabsichten im Jahr 2000 fehlt es an einer konsequenten Verwirklichung der Absichten. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum die Hochzeit nicht nach Genesung der Klägerin im Jahr 2004 nachgeholt wurde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Pläne aufgegeben wurden oder jedenfalls in Vergessenheit gerieten. Damit aber fehlt es an einer konsequenten Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von dem lebensbedrohlichen Charakter einer Erkrankung bestehenden Heiratsentschlusses.
Nicht gegen den Versorgungszweck spricht außerdem, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin die ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse der Beweggrund des Versicherten für die Heirat waren. Die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus sollten vor Zugriffen der anderen Kinder des Versicherten und der ersten Ehefrau geschützt und hohe Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin sowie hohe Erbschaftssteuern verhindert werden. Die erb- und steuerrechtlichen Folgen, die mit jeder Eheschließung verbunden sind, sprechen für sich genommen weder für noch gegen eine Versorgungsehe. Entscheidend kommt es auch insoweit auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die angeführten tatsächlichen Verhältnisse - ua die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus - schon lange vor der Eheschließung vorgelegen hatten. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, weshalb diese Gesichtspunkte erst so spät eine maßgebliche Rolle gespielt haben sollen. Da auch solche privatrechtlichen Ansprüche die Klägerin im weitesten Sinne "versorgen", sprechen diese Überlegungen in der vorliegenden Konstellation nicht gegen die Vermutung einer Versorgungsehe. Wird die Ehe nach Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung auch aus erbrechtlichen und steuerrechtlichen Gründe eingegangen, spricht dies im Gegenteil vielmehr für eine Versorgungsehe.
Unerheblich ist, ob bei den Gesprächen des Versicherten mit dem Steuerberater S. die Witwenrente ein Thema gewesen ist. Aus diesem Grund wird der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Beweisantrag auf erneute Vernehmung des Zeugen Stb abgelehnt. Es genügt für die Annahme einer Versorgungsehe iSd § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI, wenn sich die Absicht der Versorgung des Ehegatten auch auf dessen Versorgung mit privaten Vermögenswerten bezieht und eine Versorgung mit Ansprüchen der gesetzlichen Rentenversicherung daneben nicht bedacht worden ist oder wirtschaftlich nicht ins Gewicht fällt (LSG Baden-Württemberg 12.04.2011, L 13 R 203/11, juris). Abgesehen davon, ist das finanzielle Interesse der Klägerin an der Hinterbliebenenrente trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen offenkundig. Sie mag zwar aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse und als Inhaberin des Autohauses derzeit eine gewisse finanzielle Absicherung haben. Das SG hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit erfahrungsgemäß Schwankungen unterliegen. Außerdem können Gewinne nur solange erzielt werden, wie die Klägerin Inhaberin des Autohauses ist. Dadurch wird das finanzielle Interesse an einer monatlichen Hinterbliebenenrente nicht gemindert. Ferner darf nicht übersehen werden, dass neben dem Gewinn, den die Klägerin erzielte, auch der Arbeitslohn des Versicherten, der nach dem Vortrag der Klägerin ebenso hoch ausfiel wie der Gewinn, dem "Familieneinkommen" zufloss. Nach dem Tod des Versicherten wird das durch ihn erwirtschaftete Einkommen fehlen.
Bei der gebotenen Gesamtabwägung tritt das von der Klägerin angegebene Motiv, dem Versicherten Mut zu machen und ihn nicht im Stich zu lassen, angesichts der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung im Zeitpunkt der Eheschließung zur Überzeugung des Senats nicht als zumindest gleichwertiges Motiv mindestens eines Ehegatten neben das Versorgungsmotiv. Ein Anspruch auf Witwenrente scheidet daher aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen A. T. (im Folgenden: Versicherter).
Die 1957 geborene Klägerin hatte den Versicherten nach ihren eigenen Angaben im Alter von 18 Jahren kennengelernt und lebte mit ihm seit 1980 in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Am 30.05.1981 wurde der Sohn, S. A. (im Folgenden: Zeuge A), geboren. Im gemeinsamen Haushalt lebte außerdem die Tochter der Klägerin, S. (im Folgenden: Zeugin S). Die Klägerin betreibt seit 1988 ein Autohaus.
Der 1945 in Tunesien geborene Versicherte hatte drei weitere Kinder, die bei ihren Müttern aufwuchsen. Er war im Autohaus der Klägerin beschäftigt. Wegen allgemeiner Mattigkeit und Atemnot suchte er im Juli 2006 seinen Hausarzt Dr. K. auf. Am 11.07.2006 wurde der Versicherte wegen starker Atemnot und Schmerzsymptomatik stationär aufgenommen. Dort wurde nach invasiver Diagnostik am 26.07.2006 ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit ausgeprägter Pleurakarzinose festgestellt (Tumorstadium T4 Nx M1). Der Versicherte wurde während seines Krankenhausaufenthalts vom 21.07. bis 02.08.2006 über den histologischen Befund eingehend informiert. Im Anschluss erfolgte eine ambulante Chemotherapie (insgesamt drei Zyklen vom 07.08.2006 bis 08.10.2006). Eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Am 10.10.2006 heirateten die Klägerin und der Versicherte. Mit Testament vom 24.10.2006 setzte der Versicherte die Klägerin als Alleinerbin ein. Wegen zunehmender Schmerzen begab sich der Versicherte am 03.11.2006 erneut in stationäre Behandlung, bei der eine Tumorprogression festgestellt wurde. Die Chemotherapie wurde sodann in veränderter Form fortgesetzt. Am 06.11.2006 beantragte der Versicherte bei der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Der Antrag wurde in einen Rentenantrag umgedeutet. Die Beklagte bewilligte sodann eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.11.2006.
Nach einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten im Januar 2007 erfolgte eine Umstellung der Therapie in eine palliative Chemotherapie. Am 22.02.2007 verstarb der Versicherte.
Unter dem 20.04.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes. Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2007 den Antrag der Klägerin ab. Es sei davon auszugehen, dass es sich um eine Versorgungsehe handele, da die tödlichen Folgen der Erkrankung des Versicherten bei der Eheschließung zu erwarten gewesen seien. Hiergegen legte die Klägerin am 19.06.2007 Widerspruch mit der Begründung ein, es habe sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt, da sie mit dem Versicherten einen volljährigen Sohn und seit über 25 Jahren in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt habe. Sie hätten vor vielen Jahren ein Wohnhaus gemeinsam erworben und schon seit längerer Zeit geplant zu heiraten. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 04.10.2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Klägerin und der Versicherte hätten vor der Hochzeit schon seit 26 Jahren wie Ehepartner zusammengelebt. Bereits kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes sei eine Hochzeit geplant gewesen. Wegen des Baus des gemeinsamen Hauses und des Baus eines weiteren Hauses in Tunesien sowie des Aufbaus des Autohauses sei die Eheschließung jedoch immer wieder aufgeschoben worden. Im Jahr 2000 seien die Heiratspläne sehr konkret geworden. Es sei ein Termin beim Standesamt vereinbart worden. Außerdem seien die erforderlichen Unterlagen (ua eine Befreiungsurkunde des OLG Stuttgart) und die finanziellen Mittel beschafft worden. Die Eheschließung sei bereits standesamtlich angemeldet, ein konkreter Termin aber noch nicht geplant gewesen. Kurz darauf sei die Klägerin erkrankt und in der Folge psychiatrisch (ua stationär) behandelt worden, weshalb die Hochzeit erneut verschoben worden sei. Die Klägerin sei dann bis 2003/2004 in Behandlung gewesen. Als der Versicherte im Juli 2006 an Krebs erkrankt sei, habe er die Art und Schwere der Krankheit seiner Ehefrau und seinen Kindern verschwiegen. Im Oktober und November 2006 sei der Versicherte wie gewohnt jeden Morgen in die Autowerkstatt gegangen. Er habe immer wieder versichert, dass seine Krankheit ausheilen werde. Erst bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus im Februar 2007 hätten die Kinder von der Diagnose erfahren. Sie hätten beschlossen, die Diagnose vor der Klägerin zu verschweigen. Auch von Dr. K. sei die Ehefrau nicht über die Schwere der Krankheit aufgeklärt worden. Bis zu seinem Tod sei die Klägerin davon ausgegangen, dass die Krankheit heilbar sei. Im September 2006 sei der Termin für die Hochzeit vereinbart worden. Der Versicherte habe aufgrund der ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse auf eine baldige Heirat gedrängt. Der Versicherte habe vermeiden wollen, dass die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus an seine anderen Kinder oder seine erste Ehefrau gehen. Schon frühzeitig sei der Steuerberater E. S. (im Folgenden: Zeuge Stb) eingebunden gewesen. Es sollten hohe Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin sowie hohe Erbschaftssteuern verhindert werden. Auch die geplante Erbschaftssteuerreform habe dabei eine Rolle gespielt. Zudem sollte es dem gemeinsamen Sohn durch die Heirat ermöglicht werden, als sodann ehelicher Sohn das Erbe des Versicherten in Tunesien anzutreten. Der Zeuge Stb habe dem Versicherten zur sofortigen Heirat geraten. Rentenansprüche oder Versorgungsleistungen seien in diesen Gesprächen nicht diskutiert worden. Die Klägerin habe an diesen Gesprächen nicht teilgenommen. Der Versicherte habe den Zeugen Stb als seinen Freund und Vertrauten ausdrücklich darum gebeten, die Klägerin nicht über die Art und Schwere seiner Erkrankung und die erörterten Fragen zu unterrichten. Der Klägerin sei es wichtig gewesen – und habe deshalb die Hochzeitspläne unterstützt – dem Versicherten zu zeigen, dass sie gerade auch in den Zeiten einer schweren Erkrankung zu ihm stehe. Dies werde auch durch die für April 2007 geplante Hochzeitsreise nach Tunesien dokumentiert. Dort hätten die Eheleute auch die Eheringe kaufen wollen. Vor diesem Hintergrund sei eine Versorgungsehe widerlegt. Letztlich sei die Klägerin ohnehin nicht auf den Erhalt einer Hinterbliebenenrente angewiesen, da sie als Inhaberin des Autohaues ausreichende Einkünfte erziele. Die Eheleute seien wirtschaftlich voneinander unabhängig gewesen und hätten Einkünfte in derselben Größenordnung erzielt.
Das SG hat Dr. K. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Er hat angegeben, dass die im Rahmen der stationären Behandlung festgestellte Pleurakarzinose der Grund gewesen sei, warum eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr möglich gewesen sei. Er habe schon zu diesem Zeitpunkt mit dem Versicherten über die Diagnose und die sehr fraglichen Heilungschancen gesprochen. Als Anhalt für den bereits zu diesem Zeitpunkt schlechten Allgemeinzustand und die gesamte gesundheitliche Problematik möge auch gelten, dass der Versicherte bereits während dieser Krankheitsphase stärkste Schmerzmittel (Morphinpräparate) erhalten habe. Im Januar 2007 habe er ein ausführliches Gespräch mit der Klägerin geführt.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2010 haben die Zeugen A, S und Stb uneidlich ausgesagt. Der Zeuge A hat ausgesagt, dass seine Eltern schon im Jahr 2000 geplant hatten, zu heiraten. Aufgrund der Erkrankung seiner Mutter habe die Hochzeit dann nicht stattgefunden. Es sei aber alles "unter Dach und Fach" gewesen. Auch danach sei das Thema nie ganz aus der Welt gewesen. Die Hochzeit im Jahr 2006 habe im kleinen Kreis stattgefunden. Ein großes Fest sollte danach stattfinden. Konkrete Pläne habe es noch nicht gegeben. Eine Hochzeitsreise sei angedacht gewesen. Er habe im Sommer 2006 erfahren, dass sein Vater an Lungenkrebs erkrankt sei. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass sein Vater daran sterben könne. Die Zeugin S hat ausgesagt, man habe in der Familie immer wieder über das Thema Hochzeit gesprochen. Im Jahr 2000 seien die Papiere da gewesen. Ein konkretes Datum habe es noch nicht gegeben. Aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter habe die Hochzeit nicht stattgefunden. Bei der Hochzeit im Jahr 2006 seien nur das Brautpaar, ihr Bruder und sie zugegegen gewesen. Trauzeugen habe es nicht gegeben. Es sollte im Jahr darauf, nach der Genesung des Versicherten, groß gefeiert werden. Sie habe gewusst, dass der Versicherte an Krebs erkrankt sei. Er habe aber immer wieder gesagt, dass er schon wieder gesund werde. Sie habe natürlich gewusst, dass es schwierig werden könne. Sie habe natürlich auch mit ihrer Mutter über die Krankheit gesprochen. Man habe im Internet über die Krankheit recherchiert. Während der Behandlungen sei es dem Versicherten immer etwas schlechter gegangen, danach aber wieder ziemlich gut. Sie habe nie gedacht, dass der Versicherte sterben könne. Der Zeuge Stb hat ausgesagt, er sei seit Beginn des Betriebs des Autohauses der Steuerberater der Familie. Er habe Mitte/Ende 2006 von der Krankheit des Versicherten erfahren und immer offen mit ihm darüber gesprochen. Er sei davon ausgegangen, dass der Versicherte jedenfalls noch zwei oder drei Jahre leben werde. Im Frühjahr 2006 sei im Rahmen der Bilanzerstellung für das Autohaus über die bevorstehende Erbschaftssteuerreform gesprochen worden. Er habe ihn auf die erbrechtlichen Folgen hingewiesen, wenn er unverheiratet bliebe. Die Klägerin oder die Zeugen S und A seien nie zugegen gewesen. Unmittelbar vor der Hochzeit sei über die erbrechtlichen Angelegenheiten nicht mehr gesprochen worden. Ungefähr 10 bis 14 Tage nach der Hochzeit sei das Testament erstellt worden. Über Rentenanwartschaften oder eine sonstige Altersvorsorge der Klägerin habe er nichts gewusst. Der Versicherte sei nicht am Autohaus beteiligt gewesen.
Mit Urteil vom 28.07.2010 (der Klägerin zugestellt am 10.11.2011) hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin mit dem Versicherten keine Versorgungsehe eingegangen sei. Hierfür spreche, dass der Versicherte bei der Eheschließung offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe. Hieran ändere der Umstand nichts, dass der Tod nicht unmittelbar bevorgestanden habe bzw die Möglichkeit bestanden habe, dass der Versicherte das erste Ehejahr überleben werde. Sie hätten mit einem tödlichen Verlauf der Krankheit rechnen müssen. Auch der Klägerin sei die Gefährlichkeit der Erkrankung bewusst gewesen. Für den Versorgungszweck der Ehe sprächen auch die Umstände der Hochzeit ohne Trauzeugen und größere Feier. Weder die langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft noch die Kontaktaufnahme mit dem Standesamt im Jahr 2000 reichten aus, um die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Zwar könne daraus der Schluss gezogen werden, dass die eheähnliche Lebensgemeinschaft mit der Eheschließung nur ihren rechtsförmlichen Vollzug erhalten habe. Die Heiratspläne vor der Erkrankung des Versicherten hätten sich jedoch nicht wesentlich konkretisiert. Zudem sei die Versorgung der Klägerin nicht gesichert, da die Höhe des Gewinns aus ihrer selbständigen Tätigkeit Schwankungen unterlägen. Zu einem anderen Ergebnis führe auch nicht der Umstand, dass mit der Hochzeit die erbrechtliche Situation geregelt werden sollte. Weder die Zeugen noch die Klägerin hätten angegeben, dass nach den Beratungen durch den Zeugen Stb im Frühjahr 2006 schon eine Hochzeit verstärkt in Betracht gezogen worden sei. Die von der Klägerin angegebenen Motive für die Hochzeit, nämlich dem Versicherten Mut zu machen, überwiegten in der Gesamtabwägung der Umstände nicht.
Am 26.01.2011 hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die vom SG vorgenommene Gesamtbetrachtung und Abwägung sei lücken- und fehlerhaft. Die Gründe für die Hochzeit überwiegten den Versorgungszweck. Jedenfalls seien die Gründe gleichwertig. Gegen eine Versorgungsehe spreche, dass das Thema einer Versorgungsrente weder vor noch nach der Hochzeit vom Versicherten angesprochen worden sei. Es sei insbesondere nicht Gegenstand der Besprechungen mit dem Zeugen Stb gewesen. Die Klägerin sei auf eine Versorgung nicht angewiesen. Der Zeuge Stb und der Versicherte seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin im Todesfall als testamentarische Alleinerbin unter Berücksichtigung ihres eigenen Vermögens, ihrer eigenen Einkünfte (auch aus Vermietung) und der Aussicht auf eine Lebensversicherung ausreichend versorgt sei. Die Familie sei zudem nicht über die Schwere der Erkrankung informiert gewesen. Es sei eine größere Hochzeit in Tunesien geplant gewesen. Gegen eine Versorgungsehe spreche weiter, dass die Klägerin und der Versicherte seit 26 Jahren wie ein Ehepaar zusammen lebten und schon im Jahr 2000 eine Heirat geplant hatten. Motiv des Versicherten sei es gewesen, die erbrechtlichen Folgen bei Nichtverheiratung zu vermeiden. Motiv der Klägerin sei es gewesen, den Versicherten nicht im Stich zu lassen und ihm Mut zu machen, zumal sie eine Hochzeit "immer wieder im Hinterkopf" gehabt hätten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28.07.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 23.03.2007 große Witwenrente zu gewähren, hilfsweise den Steuerberater S. dazu zu hören, dass eine Witwenrente nie Thema der Gespräche mit dem Verstorbenen gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide, ihren Vortrag beim SG sowie die Ausführungen im Urteil verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass die Berufung noch vor Zustellung des Urteils an die Klägerin eingelegt wurde. Die Zustellung kann nachgeholt werden. Ist das – wie hier – geschehen, so hat das Rechtsmittelgericht über ein Rechtsmittel, das nach der Verkündung, aber vor der ordnungsgemäßen Zustellung des Urteils eingelegt ist, sachlich zu entscheiden (BGH 15.06.1960, IV ZR 16/60, BGHZ 32, 370).
Nach § 46 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ua dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 22.02.2007 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet.
Gemäß § 46 Abs 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 01.01.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.03.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl § 242a Abs 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Der Begriff der "besonderen Umstände" gemäß § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Beurteilung der richterlichen Kontrolle unterliegt (BSG 03.09.1986, 9a RV 8/84, SozR 3100 § 38 Nr 5). Was unter den "besonderen Umständen" des Falles gemäß § 46 Abs 2a SGB VI zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht näher definiert. Da die Vorschrift des § 46 Abs 2a SGB VI jedoch bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung nachgebildet ist, kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände" in diesen Bestimmungen angeknüpft werden (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, SozR 4-2600 § 46 Nr 6). Daher sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles als "besondere Umstände" im Sinne des § 46 Abs 2a SGB VI anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Maßgebend sind die Beweggründe beider Ehegatten, wobei die Annahme einer sogenannten Versorgungsehe nur dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Die Beweggründe sind in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, SozR 4-2600 § 46 Nr 6). Deshalb reicht es aus, wenn lediglich für einen Ehegatten die Versorgungsabsicht nachweislich nicht maßgebend gewesen ist. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der Ermittlung der Beweggründe für die Heirat bzw des Zweckes der Heirat darf nicht stattfinden, da dann die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme eine Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschnitten würden. Allerdings sind die von dem hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung einzustellen.
Die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erfordert gemäß § 202 SGG iVm § 292 der Zivilprozessordnung den vollen Beweis des Gegenteils (vgl BSG 03.09.1986, 9a RV 8/84, SozR 3100 § 38 Nr 5). Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist erst bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG 06.02.2003, B 7 AL 12/02 R, juris mwN; BSG 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, SozR 3-3900 § 15 Nr 3 mwN). Wenn eine solche erforderliche Überzeugung nicht vorliegt, treffen nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen denjenigen, der aus der Tatsache einen Anspruch begründen will, im vorliegenden Fall die Klägerin, da sie sich auf die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung beruft (Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, SGG, § 103 RdNr 6a und § 118 RdNr 6 mwN).
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 10.10.2006 bis 22.02.2007. Zur Überzeugung des Senats liegen auch keine besonderen Umstände im Sinne des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI vor.
Vorliegend ist als ein die Annahme einer Versorgungsehe bestätigender äußerer Umstand anzusehen, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten hat. Im Juli 2006 wurde beim Versicherten ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit ausgeprägter Pleurakarzinose im Tumorstadium T4 Nx M1 festgestellt. Die T-Kategorie, die die Ausdehnung des Primärtumors beschreibt, reicht von T1 bis T4. Die N-Kategorie betrifft den Lymphknotenbefall, wobei Nx bedeutet, dass eine Auswertung nicht möglich ist. Der Faktor M1 beschreibt eine Fernmetastase (zur TNM-Klassifikation: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage). Bei den Untersuchungen während des stationären Krankenhausaufenthalts vom 21.07. bis 02.08.2006 wurde eine ausgeprägte Pleurakarzinose mit Ergussbildung festgestellt. Dies ergibt sich aus dem Arztbrief der Fachkliniken Wangen vom 07.08.2006. Das heißt, das bestehende Bronchialkarzinom hatte bereits zu einer Beteiligung des Rippen- und Lungenfells geführt. Dies war auch der Grund, weshalb eine operative Behandlung mit der Zielsetzung einer Heilung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Dies entnimmt der Senat der schriftlichen Auskunft des behandelnden Arztes vom 04.06.2008. Damit steht zweifelsfrei fest, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Heirat an einer lebensbedrohenden Krankheit litt. Zwar ging es dem Versicherten nach den Angaben der Zeugen nicht während, aber nach den Chemotherapie-Behandlungen immer wieder besser. Er ging auch zeitweise seiner Arbeit nach. Dies widerspricht aber nicht der hier allein maßgebenden Tatsache, dass den Eheleuten die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung bei der Heirat durchaus bewusst war. Der Versicherte wurde von seinen Ärzten umfassend aufgeklärt, drängte aufgrund seiner ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse auf eine baldige Heirat und erstellte kurz nach der Hochzeit sein Testament, in dem er die Klägerin als Alleinerbin einsetzte. Dabei war auch der Klägerin die lebensbedrohliche Situation bewusst. Selbst wenn der Versicherte – wie von der Klägerin vorgetragen – nicht offen mit ihr über seine Erkrankung geredet haben sollte, war ihr jedenfalls die Diagnose bekannt. Nach Aussage der Zeugin S wurde im Internet recherchiert und in der Familie über die Krankheit gesprochen. Zudem war der Versicherte nach Aussage des Arztes Dr. K. damals schon in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Er nahm Morphinpräparate und wurde chemotherapeutisch behandelt. Schließlich musste der Klägerin auch aufgrund der offensichtlichen Eile, in der die Hochzeit durchgeführt wurde, der Ernst der Lage bewusst sein. Die Heirat wurde kurzfristig, ohne größere Planungen durchgeführt. Es wurden weder Trauzeugen hinzugezogen noch Eheringe ausgetauscht. Bei der standesamtlichen Hochzeit waren lediglich die Zeugen S und A zugegen. Die eigentliche Feier sollte zu einem späteren, noch unbestimmten Zeitpunkt nachgeholt werden. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass beiden Eheleuten der Ernst der Erkrankung bewusst war.
Im Fall einer Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI in der Regel nicht erfüllt. Gleichwohl ist dadurch der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dennoch - überwiegend oder zumindest gleichwertig - aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit dieses Umstands zum Zeitpunkt der Eheschließung steigt deshalb zugleich der Grad des Zweifels am Vorliegen solcher "besonderen Umstände", die vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisen sind (BSG 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99; BSG 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, juris).
Die Klägerin hat hinreichend gewichtige, gegen eine Versorgungsehe sprechende Umstände nicht nachgewiesen. Das langjährige Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, der gemeinsame Sohn und die gemeinsam geschaffenen Werte bilden vorliegend keine solchen gewichtigen Umstände. Der Wunsch, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben mit dem Versicherten den "offiziellen Segen" zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, ist zwar nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand anzunehmen (BSG 06.05.2010, B 13 R 134/08 R, juris). Allein das Bestehen einer innigen Liebesbeziehung und die wiederholte Äußerung von Heiratsabsichten reichen für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung jedoch nicht aus (LSG Berlin-Brandenburg 08.04.1999, L 3 U 99/97, juris). Die Heirat muss sich als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellen (Urteil des Senats vom 22.06.2010, L 11 R 1116/08, mit Verweis auf: Hessischer Verwaltungsgerichtshof 16.02.2007, FamRZ 2004, 1771). Hiervon konnte sich der Senat nicht überzeugen. Zwar gab es Hochzeitspläne in der Vergangenheit. Im Jahr 2000 wurden Unterlagen beschafft und das Aufgebot bestellt. Ein Termin für die Hochzeit wurde jedoch nicht vereinbart. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss annehmen zu können (vgl LSG Baden-Württemberg 16.11.2010, L 11 R 1135/10, mwN). Aber selbst bei Annahme hinreichend konkreter Heiratsabsichten im Jahr 2000 fehlt es an einer konsequenten Verwirklichung der Absichten. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum die Hochzeit nicht nach Genesung der Klägerin im Jahr 2004 nachgeholt wurde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Pläne aufgegeben wurden oder jedenfalls in Vergessenheit gerieten. Damit aber fehlt es an einer konsequenten Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von dem lebensbedrohlichen Charakter einer Erkrankung bestehenden Heiratsentschlusses.
Nicht gegen den Versorgungszweck spricht außerdem, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin die ungeordneten Vermögens- und Familienverhältnisse der Beweggrund des Versicherten für die Heirat waren. Die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus sollten vor Zugriffen der anderen Kinder des Versicherten und der ersten Ehefrau geschützt und hohe Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin sowie hohe Erbschaftssteuern verhindert werden. Die erb- und steuerrechtlichen Folgen, die mit jeder Eheschließung verbunden sind, sprechen für sich genommen weder für noch gegen eine Versorgungsehe. Entscheidend kommt es auch insoweit auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die angeführten tatsächlichen Verhältnisse - ua die gemeinsam aufgebaute Werkstatt und das gemeinsame Haus - schon lange vor der Eheschließung vorgelegen hatten. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, weshalb diese Gesichtspunkte erst so spät eine maßgebliche Rolle gespielt haben sollen. Da auch solche privatrechtlichen Ansprüche die Klägerin im weitesten Sinne "versorgen", sprechen diese Überlegungen in der vorliegenden Konstellation nicht gegen die Vermutung einer Versorgungsehe. Wird die Ehe nach Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung auch aus erbrechtlichen und steuerrechtlichen Gründe eingegangen, spricht dies im Gegenteil vielmehr für eine Versorgungsehe.
Unerheblich ist, ob bei den Gesprächen des Versicherten mit dem Steuerberater S. die Witwenrente ein Thema gewesen ist. Aus diesem Grund wird der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Beweisantrag auf erneute Vernehmung des Zeugen Stb abgelehnt. Es genügt für die Annahme einer Versorgungsehe iSd § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI, wenn sich die Absicht der Versorgung des Ehegatten auch auf dessen Versorgung mit privaten Vermögenswerten bezieht und eine Versorgung mit Ansprüchen der gesetzlichen Rentenversicherung daneben nicht bedacht worden ist oder wirtschaftlich nicht ins Gewicht fällt (LSG Baden-Württemberg 12.04.2011, L 13 R 203/11, juris). Abgesehen davon, ist das finanzielle Interesse der Klägerin an der Hinterbliebenenrente trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen offenkundig. Sie mag zwar aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse und als Inhaberin des Autohauses derzeit eine gewisse finanzielle Absicherung haben. Das SG hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit erfahrungsgemäß Schwankungen unterliegen. Außerdem können Gewinne nur solange erzielt werden, wie die Klägerin Inhaberin des Autohauses ist. Dadurch wird das finanzielle Interesse an einer monatlichen Hinterbliebenenrente nicht gemindert. Ferner darf nicht übersehen werden, dass neben dem Gewinn, den die Klägerin erzielte, auch der Arbeitslohn des Versicherten, der nach dem Vortrag der Klägerin ebenso hoch ausfiel wie der Gewinn, dem "Familieneinkommen" zufloss. Nach dem Tod des Versicherten wird das durch ihn erwirtschaftete Einkommen fehlen.
Bei der gebotenen Gesamtabwägung tritt das von der Klägerin angegebene Motiv, dem Versicherten Mut zu machen und ihn nicht im Stich zu lassen, angesichts der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung im Zeitpunkt der Eheschließung zur Überzeugung des Senats nicht als zumindest gleichwertiges Motiv mindestens eines Ehegatten neben das Versorgungsmotiv. Ein Anspruch auf Witwenrente scheidet daher aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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