L 10 R 2176/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1190/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2176/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung strei-tig.

Die am 1973 geborene, aus der T. stammende Klägerin absolvierte keine Ausbildung. Zuletzt war sie bis 30.04.2006 bei der Firma K. Logistik beschäftigt. Seither war sie nicht mehr beruflich tätig.

Am 25.10.2007 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.12.2007 und Widerspruchsbescheid vom 17.03.2008 mit der Begründung ab, die Klägerin könne trotz ihrer gesundheitlichen Beein-trächtigungen (undifferenzierte Somatisierungsstörung, mittelgradige depressive Episode, Angststörung bei früheren traumatischen Ereignissen, Cervicobrachialgie bei anamnestisch bekanntem cervicalen Bandscheibenprolaps, Migräne, hyperreagibles Bronchialsystem ohne Ventilationsstörung, Reizmagen, Hepatopathie ohne Funktionsstörung) leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten und ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions- und Umstellungsvermögen zumindest sechs Stunden täglich verrichten. Grundlage der Entscheidung war das Gutachten der Internistin G. , die die Klägerin im November 2007 untersuchte und eine akutstationäre Behandlung in einer psychosomatischen Klinik für notwendig erachtete.

Am 15.04.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, berufliche Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden täglich nicht mehr ausüben zu können.

Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Jung, den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S. , den Arzt für Allgemeinmedizin und Frauenheilkunde Dr. W. und die Dipl.-Psych. A.-R. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. J. hat von Vorstellungen wegen des bekannten Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule, eines Migräneanfalls sowie eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels berichtet und die Ausübung einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes zumindest sechs Stunden täglich für möglich erachtet. Dr. S. hat über Vorstellungen wegen Halswirbelsäulen- und Schulterbeschwerden links berichtet; diese stünden einer leichten sechsstündigen beruflichen Tätigkeit nicht entgegen. Dr. W. hat von zahlreichen Konsultationen berichtet und im Wesentlichen eine schwere anhaltende Depression mit Neigung zu Somatisierung und Aggravation gesehen, die er auf den im Jahr 1992 erlittenen Verkehrsunfall, bei dem mehrere Verwandte ums Leben kamen, zurückgeführt hat. Die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit hat er bis zu drei Stunden für denkbar erachtet. Die Dipl.-Psych. A.-R. hat im Vordergrund des Beschwerdebildes eine posttraumatische Belastungsstörung gesehen und die Klägerin aktuell nicht für arbeitsfähig gehalten.

Zur Erstellung einer Leistungsbeurteilung hat die Beklagte die Durchführung eines psychosomatischen Heilverfahrens für erforderlich erachtet, weshalb die Klägerin vom 02.12.2008 bis 13.01.2009 stationär in der M.-B. -Klinik in K. behandelt wurde. Die behandelnden Ärzte sind diagnostisch von einer mittelgradigen depressiven Episode, teilweise remittiert, einem Cervicalsyndrom bei Bandscheibenschaden mit Spondylarthrosen, einer Migräne, einem Asthma bronchiale sowie einem Zustand nach Hemistrumektomie, Recurrensparese mit Restfunktion rechts und Hypothyreose ausgegangen. Das Konzentrations- und Reaktionsvermögen haben sie als eingeschränkt beurteilt, auf Grund der depressiven Symptomatik ebenso das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, weshalb die Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge nicht möglich sei. Zu vermeiden seien im Übrigen häufiges Bücken, das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufige Überkopfarbeiten sowie Zwangshaltungen der Halswirbelsäule; wegen eines Tinnitus sollte darüber hinaus Lärm vermieden werden. Bei Beachtung dieser Einschränkungen könne die Klägerin leichte berufliche Tätigkeiten sechs Stunden und mehr ausüben.

Das SG hat sodann den Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. M. , bei dem die Klägerin sich zwischen Februar und April 2009 dreimal vorgestellt hatte, schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dieser hat eine weiterhin bestehende deutliche depressive Symptomatik mit zusätzlichen Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer undifferenzierten Somatisierungsstörung beschrieben und die Klägerin wegen den damit einhergehenden ausgeprägten Schlafstörungen, anhaltenden inneren Anspannung und Flashbacks in ihrer psychischen Belastbarkeit insgesamt sowie in Konzentration, Auffassungs- und Durchhaltevermögen deutlich eingeschränkt gesehen und ihre Leistungsfähigkeit für derart gemindert erachtet, dass sie bis auf Weiteres dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Sodann hat das SG das psychiatrische Gutachten der Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R. de L. eingeholt, die die Klägerin im Juli 2009 untersucht hat. Die Sachverständige hat eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert, wodurch die Klägerin in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht leicht bis mittelgradig eingeschränkt sei. Auf Grund des weitgehend unbehandelten psychiatrischen Symptomkomplexes sei ihr derzeit eine vollschichtige Arbeitstätigkeit nicht zumutbar, jedoch könne die Klägerin mittel- bis langfristig Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten. Dringend erforderlich sei eine stationäre psychotherapeutische Behandlung mit nachfolgender medizinischer Rehabilitation und eine sich eventuell anschließende berufliche Rehabilitation.

Mit Urteil vom 25.03.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die von psychiatrischer Seite bestehenden Erkrankungen dringend einer Krankenhausbehandlung bedürften und angesichts der bestehenden Aussichten auf Wiedererlangung der vollen beruflichen Leistungsfähigkeit von einem auf Dauer eingeschränkten oder aufgehobenen Leistungsvermögen nicht auszugehen sei.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 03.05.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.05.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, sie leide nicht nur unter Beschwerden von psychiatrischer Seite, sondern auch unter neurologischen und orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Im Übrigen sei das SG unzutreffenderweise den Prognosen der befragten Ärzte gefolgt, wonach zu erwarten sei, dass sie ihre berufliche Leistungsfähigkeit wieder erlangen könne. Demgegenüber liege jedoch ein auf Dauer eingeschränktes bzw. aufgehobenes Leistungsvermögen vor. Stationäre Heilverfahren seien erfolglos geblieben und hätten insbesondere nicht zu einer Schmerzlinderung geführt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2008 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat Dr. M. ergänzend schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dieser hat von einem im Wesentlichen gleichbleibenden Gesundheitszustand seit der dem SG im April 2009 erteilten Auskunft berichtet und ausgeführt, dass sich der Ehekonflikt der Klägerin im Herbst 2009 zugespitzt habe und es zur Trennung vom Ehemann gekommen sei. Sowohl wäh-rend dieser Phase als auch danach habe sich die Klägerin nicht dazu in der Lage gesehen, sich in stationäre Behandlung zu begeben, da sie ihre beiden Kinder nicht versorgt gewusst habe.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genom-men.

II.

Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht voll erwerbsgemindert, weshalb ihr auch eine entsprechende Erwerbsminderungsrente nicht zusteht.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 des Sechsten Buches des Sozial-gesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil zu erwarten ist, dass die bei ihr be-stehenden psychischen Erkrankungen jedenfalls nach Durchführung einer stationären psychotherapeutischen Behandlung und einer anschließenden medizinischen Rehabilitation der Ausübung einer leichten beruflichen Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich nicht entgegen stehen.

Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die Klägerin durch die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen von psychiatrischer Seite (mittelgradige depressive Episode mit somati-schem Syndrom, anhaltende somatoforme Schmerzstörung) in ihrem beruflichen Leistungsver-mögen in einem rentenrelevanten Ausmaß eingeschränkt ist. Denn diese Erkrankungen sind einer Behandlung zugänglich und können bei Inanspruchnahme adäquater therapeutischer Maß-nahmen (stationäre psychotherapeutische Behandlung mit sich anschließender medizinischer Rehabilitation) innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten so weit gebessert werden, dass die Klägerin dann jedenfalls leichte berufliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumindest sechs Stunden täglich verrichten kann. Bei dieser Sachlage steht der Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht zu. Denn seelisch bedingte Störungen, die der Betroffene bei der ihm zuzumutenden Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe (BSG, Urteil vom 21.10.1969, 11 RA 219/66 in SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO) sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden kann (BSG, Urteil vom 01.07.1964, 11/1 RA 158/61 in SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO), scheiden für die Begründung einer Erwerbsminderung aus, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BSG a.a.O.).

Die von der Klägerin im Berufungsverfahren vertretene Ansicht, es sei nicht zu erwarten, dass sie ihre berufliche Leistungsfähigkeit wieder erlange, teilt der Senat nicht. Die von der Sachverständigen Dr. R. de L. bereits im Jahr 2009 für erforderlich erachteten Behandlungsmaßnahmen hat die Klägerin nämlich bis heute nicht in Anspruch genommen und solche sogar noch nicht einmal versucht. Soweit sie zur Begründung der Dauerhaftigkeit ihrer Leistungseinschränkung daher geltend macht, stationäre Heilverfahren seien erfolglos geblieben, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn wie der Auskunft des behandelnden Psychiaters der Klägerin Dr. M. , den der Senat im Berufungsverfahren unter dem 18.04.2012 ergänzend als sachverständigen Zeugen gehört hat, zu entnehmen ist, hat die Klägerin Behandlungsmaßnahmen, wie sie Dr. R. de L. für erforderlich erachtet hat (Krankenhausakutbehandlung mit anschließender stationärer Rehabilitation), gerade nicht absolviert. Seinen Ausführungen zu Folge, hat sie sich hierzu nicht in der Lage gesehen und dies damit begründet, dass sie ihre Kinder nicht versorgt wisse. Als adäquate therapeutische Maßnahme in diesem Sinn kann insbesondere nicht die im Dezember/Januar 2008/2009 in der M.-B. -Klinik durchgeführte Behandlung angesehen werden. Denn dieser Rehabilitationsmaßnahme ist gerade nicht die für notwendig erachtete stationäre Kran-kenhausbehandlung vorausgegangen. Für den Senat ergeben sich bei der bis zum heutigen Tag daher nicht adäquat behandelten Klägerin somit keine hinreichenden Anhaltspunkte für die An-nahme eines dauerhaft rentenrelevant eingeschränkten oder gar aufgehobenen Leistungsvermö-gens.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend macht, nicht nur von psychiatrischer Seite in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein, weist der Senat darauf hin, dass den von orthopädischer und neurologischer Seite bestehenden Erkrankungen im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit durch die Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen werden kann, diese damit insbesondere keine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungseinschränkung bedingen. So ist bei der Klägerin bedingt durch den Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule zwar die Belastbarkeit der Halswirbelsäule eingeschränkt, jedoch steht diese Erkrankung der Ausübung einer leichten zumindest sechsstündigen beruflichen Tätigkeit nicht entgegen, wenn Wirbelsäulenzwangshaltungen und Überkopfarbeiten vermieden werden. Auch den von neurologischer Seite beschriebenen Schwindelanfällen kann hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass mit einer Eigen- oder Fremdgefährdung oder einer Gefährdung von Sachen verbundene Tätigkeiten vermieden werden. Die darüber hinaus immer wieder auftretenden Migräneanfälle sind lediglich vorübergehender Art und können daher zwar zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit führen, bedingen jedoch keine dauerhafte Leistungsminderung.

Nach alledem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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