L 11 R 5684/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 R 1040/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5684/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.11.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1963 im Iran geborene Kläger zog im Jahr 1989 in die Bundesrepublik Deutschland. Er hat keinen Beruf erlernt und war zunächst als Packer, dann als Lagerarbeiter und zuletzt seit 1998 als Telefonist mit zeitweisen Fahrertätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 2002 war der Kläger arbeitslos. Im Jahr 2005 scheiterte der Versuch des Klägers, sich mit einem eigenen Pizza-Service selbständig zu machen. Im Anschluss übte er geringfügige Beschäftigungen als Telefonist und hin und wieder als Fahrer eines Pizza-Services aus. Im Versicherungsverlauf des Klägers sind in der Zeit vom 27.07.2002 bis 26.07.2007 mehr als drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten belegt. Insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden.

Am 26.07.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab er an, er sei seit ca März 2007 wegen Depressionen, Schmerzen im Rücken, Hals und im linken Knie nach Knorpeltransplantation im Jahr 1999 erwerbsgemindert. Die Beklagte ließ den Kläger begutachten. Im Gutachten des Chirurgen Dr. R. vom 06.09.2007 werden Wirbelsäulenbeschwerden und Knorpelschäden am linken Kniegelenk beschrieben. Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger sowohl seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit wie auch mittelschwere Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr verrichten könne. Der nervenfachärztliche Gutachter Dr. H. schätzte das Leistungsvermögen des Klägers im Gutachten vom 25.09.2007 ebenso ein. Er stellte eine somatoforme Schmerzstörung, Spannungskopfschmerzen und eine Anpassungsstörung fest. Mit Bescheid vom 27.09.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 16.10.2007 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 03.01.2008 zurück. Zur Begründung gab sie an, es liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung vor.

Am 05.02.2008 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die medizinische Leistungsbeurteilung der Beklagten sei unrichtig. Er leide seit geraumer Zeit an einer schweren Depression, außerdem unter Wirbelsäulenbeschwerden nach mehreren Bandscheibenvorfällen und degenerativen Kniegelenksveränderungen. Der Kläger hat ua ein ärztliches Attest seines Nervenarztes Dr. L. vorgelegt.

Das SG hat die Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. B., Allgemeinmediziner, teilte im März 2008 mit, wegen der von ihm festgestellten Erkrankungen (Reflux-Erkrankung, Hämorrhoiden, Analfissur, Depression, chronische Rückenschmerzen) sei die Arbeitsfähigkeit auch für leichte Tätigkeiten reduziert. Die für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit maßgeblichen Leiden lägen auf den Fachgebieten der Orthopädie und Neurologie bzw Psychiatrie. Der Orthopäde Dr. G. gab an, leichte Tätigkeiten könnten trotz der Erkrankungen auf seinem Fachgebiet vollschichtig verrichtet werden.

Das SG hat sodann Dr. P. mit der Erstattung eines nervenfachärztlichen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 15.10.2008 werden die Diagnosen Dysthymia, anhaltende mittelgradige depressive Phase mit somatoformer Schmerzstörung, degenerative Veränderungen der HWS und LWS mit Bandscheibenschädigungen ohne erhebliche neurologisch-radikuläre Ausfallerscheinungen genannt. Derzeit bestehe ein aufgehobenes Leistungsvermögen für jedwede Tätigkeit über drei Stunden. Das quantitative Leistungsvermögen sehe er derzeit bei unter drei Stunden. Grund hierfür seien die orthopädischen Beeinträchtigungen, vor allem jedoch die somatoforme Schmerzstörung und depressive Entwicklung. Dabei spielten sicherlich aggravierende Momente mit eine Rolle, ebenso wie bewußtseinsferne Somatisierungsstörungen mit narzisstischer Leidensfixierung. Aufgrund des derzeitigen Zustandes bestünden besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz. Allerdings bestünden Ansätze einer Besserung und die Möglichkeit den Kläger wieder in einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu vermitteln, und dies durchaus in absehbarer Zeit, wenn intensivere, insbesondere psychotherapeutisch-psychiatrische Behandlungsmaßnahmen einsetzten, unter Umstände auch im Rahmen eines Rehabilitationsverfahrens.

Die Beklagte hat sich daraufhin zur Durchführung einer mehrwöchigen stationären nervenfachärztlichen Rehabilitationsmaßnahme bereit erklärt. Eine stationäre Maßnahme lehnte der Kläger aus familiären Gründen ab. Er sei morgens und abends für die Betreuung seiner minderjährigen und schulpflichtigen Kinder zuständig. Seine Ehefrau sei zudem im sechsten Monat schwanger.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens. Der Gutachter Dr. D. benennt im Gutachten vom 31.05.2010 die Gesundheitsstörungen diskret bis mittelgradig vermehrte Verschleißerscheinungen in einzelnen Bewegungssegmenten der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Hinweis für sensible oder motorische Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die HWS oder LWS betreffender Rückenmarksnerven, kernspintomographisch objektivierte höhergradige Knorpelschäden in beiden Kniegelenken und diskret vermehrte Verschleißerscheinungen der Rotatorenmanschette im rechten Schultergelenk. Es sollten schwere bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung und Arbeiten mit häufigem Bücken, überwiegendes Gehen und Stehen bzw häufiges Treppensteigen oder In-die-Hocke-gehen und Überkopfarbeiten vermieden werden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei der Kläger in der Lage vorwiegend im Sitzen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden auszuüben. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Das SG hat außerdem ein weiteres nervenfachärztliches Gutachten eingeholt. Dr. Ra. stellte bei der Begutachtung am 12.04.2011 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Dysthymia fest. Der Kläger könne keine Tätigkeiten in Nachtschicht, in Hitze, Kälte, Zugluft, Nässe, mit ausschließlichem Stehen, in gleichförmiger Körperhaltung, mit besonderer Verantwortung und geistiger Beanspruchung ausüben. Er sei in der Lage leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz bestünden nicht.

Nach Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme des Nervenarztes des Klägers Dr. L., wonach dem Gutachten von Dr. P. zu folgen sei, holte das SG auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Dr. A. ein. Der Nervenarzt nannte im Gutachten vom 28.07.2011 die Diagnosen anhaltende mittelschwere depressive Störung, somatoforme Schmerzstörung und Kontrollzwänge. Mit Blick auf die Auswirkungen der psychischen Beschwerdesymptomatik auf die alltägliche Bewältigungsfähigkeit sei leicht nachvollziehbar, dass erhebliche Einschränkungen der Belastbarkeit für leichte Tätigkeiten bestünden. Die Auffassungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit, Konfliktbewältigungsfähigkeit, Konfrontationsfähigkeit, Gemeinschaftsfähigkeit und konzentrative Belastbarkeit seien beeinträchtigt. Dies sei so ausgeprägt, dass auch eine quantitative Leistungseinschränkung hieraus resultiere. Das Leistungsvermögen liege bei unter drei Stunden täglich. Die Leistungseinschränkung bestünde in etwa seit der Begutachtung durch Dr. P ... Die Abweichung von der Begutachtung durch Dr. Ra. erkläre sich dadurch, dass sich die Gutachterin primär von ihrem beobachteten klinischen Eindruck habe leiten lassen. Sie sei der Auffassung, dass der Kläger demonstrativ aggraviere. Anhand der jetzigen Untersuchungsergebnisse könne diese Auffassung nicht geteilt werden. Das Verhalten des Klägers resultiere aus seiner subjektiven Selbstwahrnehmungsweise und der Somatisierungsstörung. Im Rahmen seiner eingeschränkten innerpsychischen Erlebnis- und Bewältigungsmöglichkeiten fokussiere der Kläger körperliche Erlebnisweisen. Dies stehe möglicherweise auch in einem kulturellen Kontext, welcher sich von der mitteleuropäischen Kultur abgrenze. Genau diese Aspekte stellten ein relevantes Geschehen der Krankheitsfehlverarbeitung dar und sei daher als krankheitsbedingt einzuordnen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger von Dr. Ra. nicht eingehend psychiatrisch untersucht worden sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.11.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei weder teilweise noch voll in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Dies ergebe sich aus den Gutachten von Dr. D. und Dr. Ra ... Die Gutachten von Dr. P. und Dr. A. überzeugten demgegenüber nicht.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigen des Klägers am 29.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.12.2011 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, bereits Dr. P. habe ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich festgestellt. Seither habe sich der Gesundheitszustand des Klägers nachweislich verschlechtert. Dr. P. sei ein äußerst strenger Gutachter. Gleichwohl sei das SG dem Gutachter nicht gefolgt. Vielmehr habe es seiner Entscheidung das "unobjektive" Gutachten von Dr. Ra. zugrundegelegt. Das SG stütze das Urteil auf äußere Oberflächlichkeiten wie etwa das gepflegte Erscheinungsbild des Klägers, was mit der Depression des Klägers nichts zu tun habe. Das Gutachten von Dr. Ra. werde von dem langjährig behandelnden Arzt des Klägers Dr. L. und dem Sachverständigen Dr. A. vehement angezweifelt und inhaltlich insbesondere hinsichtlich der behaupteten Aggravation bestritten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.11.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 27.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.01.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.07.2007 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung für zutreffend.

Das LSG hat bei der Sachverständigen Dr. Ra. eine ergänzende Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen Dr. A. eingeholt. Sie hat ausgeführt, dass sie im Gegensatz zu Dr. A. eine "Konsistenzprüfung" der geklagten Beschwerden vorgenommen habe. Dabei habe sie demonstrativ aggravierendes Verhalten beim Kläger festgestellt. Eine entsprechende Prüfung habe Dr. A. nicht vorgenommen. Zudem bestünde im Gutachten von Dr. A. zwischen dem neurologischen und dem psychiatrischen Befund eine Diskrepanz, worauf der Gutachter nicht eingegangen sei. Dr. A. habe die demonstrativ wirkenden Aspekte auf die Somatisierungsstörung zurückgeführt, was bei der sehr schnell wechselhaften Demonstration des Klägers nicht logisch sei. Soweit der Gutachter den kulturellen Kontext anführe, handele es sich nicht um Krankheitsfehlverarbeitungen sondern um unbeachtliche kulturbedingte Hintergründe. Schließlich bestünde eine Diskrepanz zwischen dem vom Kläger angegebenen hohen Leidensdruck und der Behandlungsmotivation. Trotz angegebener Befundverschlechterung sei die Behandlung unverändert geblieben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.01.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Klage- und Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist, weil er noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Im Vordergrund stehen die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Der Kläger leidet an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer Dysthymia. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten der Sachverständigen Dr. Ra ... Eine schwerer wiegende Gesundheitsstörung auf nervenfachärztlichen Gebiet liegt nicht vor. Insbesondere ist der Senat nicht vom Vorliegen einer mittelschweren Depression überzeugt. Die Gutachten von Dr. P. und Dr. A. überzeugen nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgleitet und daran gemessen. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegen zu wirken. Den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Ra. können ein ausreichendes Interessenspektrum, die Fähigkeit, einen regelrecht strukturierten Tagesablauf einzuhalten, die Fähigkeit, im Haushalt mitzuhelfen, die Fähigkeit, mit dem Sohn im Kinderwagen Spaziergänge zu unternehmen, das Interesse an tagesaktuellen Nachrichten, Musik sowie die Motivation zu körperlicher Aktivität entnommen werden. Die soziale Interaktionsfähigkeit mit der Familie ist ungestört. Gegenüber Dr. P. führte der Kläger Entsprechendes aus. Er gab dort außerdem an, einem Pizza-Service für Tätigkeiten in geringfügigem Umfang auf Abruf bereitzustehen. Schwere Defizite im Alltagsverhalten des Klägers können daraus nicht abgeleitet werden. Vielmehr wird daran deutlich, dass der Kläger auch umstellungsfähig und flexibel ist. Darüber hinaus ist der Leidensdruck des Klägers gemessen an den therapeutischen Bemühungen als gering zu bewerten. Als Therapie gab er gegenüber Dr. Ra. lediglich an, einmal pro Quartal seinen Nervenarzt aufzusuchen und das Antidepressivum Venlafaxin 75mg einzunehmen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG gab der Kläger an, die Arztbesuche dauerten sieben bis acht Minuten und endeten mit der Ausstellung eines Rezepts. Eine eingehende Gesprächstherapie findet demnach nicht statt. Auch eine Psychotherapie und/oder (teil)stationäre psychiatrische Behandlung hat bislang nicht stattgefunden.

Die vom Kläger gegenüber Dr. A. geschilderten schweren Beeinträchtigungen, dass er zB den ganzen Vormittag und den Nachmittag sitzend oder liegend im Schlafzimmer verbringe, nicht mehr im Haushalt mit helfe, seine Kinder nicht mehr betreue und nicht mehr spazieren gehe, hält der Senat vor dem Hintergrund der von Dr. Ra. beobachteten Aggravation nicht für glaubhaft. Der Kläger zeigte bei der Untersuchung durch Dr. Ra. betont langsame, damit aber auch kraftaufwendigere Bewegungen. Ein organisches Korrelat für die Verlangsamung konnte die Gutachterin nicht feststellen. Eine Ursache in der psychischen Erkrankung schloss die Gutachterin aufgrund der von ihr beobachteten sehr schnell wechselnden Demonstration des Klägers aus. Während des Gesprächs mit Dr. Ra. sah der Kläger überwiegend zu Boden oder zur Wand. Im Anschluss der Begutachtung zeigte er sich dagegen sehr interessiert am Ergebnis der Begutachtung. Im interaktionellen Verhalten ging er auf alle Fragen ein. Bei der Befragung zeigte er sich schnell denkend und antwortete prompt. Die gezeigte Gangstörung war in (scheinbar) unbeobachteten Momenten nicht feststellbar. Die Gutachterin schloss daher nachvollziehbar auf Aggravation. Demgegenüber hat es Dr. A. versäumt, die Angaben des Klägers auf ihre Widerspruchsfreiheit hin zu überprüfen. Obwohl schon Dr. P. und Dr. Ra. entsprechende Beobachtungen in ihren Gutachten schilderten, sah Dr. A. keine Hinweise auf Aggravation. Die ihm gegenüber geschilderte massive Inaktivität des Klägers hätte sich aber in einer mangelhaften Bemuskelung des Körpers niederschlagen müssen. Eine entsprechende Auffälligkeit schilderte der Gutachter nicht. Auch die Diskrepanz zwischen neurologischem und psychiatrischem Befund in Bezug auf das Gangbild des Klägers löste der Gutachter nicht auf. Er stellte Unsicherheiten nur bei geschlossenen Augen des Klägers fest. Im psychischen Befund wird dagegen ein langsam hinkendes Gangbild geschildert. Die von Dr. A. angeführten kulturellen Ursachen für das Verhalten des Klägers können keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente begründen.

Auf eine Verschlechterung der Gesundheit des Klägers seit der Begutachtung durch Dr. Ra., die nur rund drei Monate vor der Begutachtung durch Dr. A. stattfand, kann ebenfalls nicht geschlossen werden. Eine Intensivierung der Behandlung des Klägers hat nicht stattgefunden. Im Gutachten von Dr. A. wird dieselbe Medikation wie zuvor benannt. Auch in der mündlichen Verhandlung beim SG bestätigte der Kläger, dass die Behandlung unverändert fortdauere. Die bislang stattgehabte Behandlung lässt jedoch nicht auf einen hohen Leidensdruck schließen.

Aufgrund der festgestellten Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet ist der Kläger nicht mehr in der Lage Tätigkeiten in Nachtschicht, in Hitze, Kälte, Zugluft, Nässe, mit ausschließlichem Stehen, in gleichförmiger Körperhaltung, mit besonderer Verantwortung und geistiger Beanspruchung auszuüben. Unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen kann der Kläger jedoch noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. Ra ... Vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde und der anamnestischen Angaben des Klägers ist die Leistungseinschätzung für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. Neben den bereits genannten anamnestischen Angaben lässt auch die Befunderhebung nicht auf ein eingeschränktes Durchhaltevermögen des Klägers schließen. Auffassung und Konzentration sind ungestört. Es zeigte sich auch kein Mangel an Anteilnahme und Initiative. Die Stimmung war zwar niedergeschlagen, die Schwingungsfähigkeit aber ausreichend erhalten. Bestätigt wird die Leistungsbeurteilung durch den Gutachter im Verwaltungsverfahren, Dr. H ... Den Gutachten von Dr. P. und Dr. A. kann aus den genannten Gründen nicht gefolgt werden. Auch den Befunderhebungen können keine derart gravierenden Störungen entnommen werden, dass auf eine quantitative Leistungseinschränkung geschlossen werden könnte. Selbst Dr. A. bezeichnete die Konzentration, Aufmerksamkeit und die Durchhaltefähigkeit des Klägers als nur "etwas" eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund konnte auch die Stellungnahme des Nervenarztes des Klägers, Dr. L., den Senat nicht überzeugen. Er sieht – anders als es die Gutachterin Dr. Ra. nachvollziehbar ausführt – kein demonstratives Verhalten des Klägers.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet der Kläger an diskret bis mittelgradig vermehrten Verschleißerscheinungen in einzelnen Bewegungssegmenten der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Hinweis für sensible oder motorische Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die HWS oder LWS betreffender Rückenmarksnerven, kernspintomographisch objektivierten höhergradigen Knorpelschäden in beiden Kniegelenken und diskret vermehrten Verschleißerscheinungen der Rotatorenmanschette im rechten Schultergelenk. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. D. Aufgrund dieser Erkrankungen sind schwere bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung und Arbeiten mit häufigem Bücken, überwiegendes Gehen und Stehen bzw häufiges Treppensteigen oder In-die-Hocke-gehen und Überkopfarbeiten zu vermeiden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen ist der Kläger aber in der Lage vorwiegend im Sitzen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden auszuüben. Dies ergibt sich aus dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten von Dr. D ... Bestätigt wird dieses Leistungsbild durch den Gutachter im Verwaltungsverfahren, Dr. R., sowie den behandelnden Orthopäden des Klägers, Dr. G.

Die weiteren Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet (Reflux-Erkrankung, Hämorrhoiden, Analfissur) bedingen keine relevanten Leistungseinschränkungen. Der Allgemeinmediziner Dr. B. gab zwar im Jahr 2008 an, aufgrund der Analfissur sei eine sitzende Tätigkeit kaum durchführbar. Zugleich erklärte er aber, dass die für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit maßgeblichen Leiden auf den Fachgebieten der Orthopädie und Neurologie bzw Psychiatrie lägen. Zudem gab der Kläger in keiner der im Rahmen der Begutachtungen erhobenen Eigenanamnesen Beschwerden im Bereich des Afters an.

Die bei dem Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass er noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus ihnen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Wegefähigkeit ist ebenfalls nicht eingeschränkt (zu den Voraussetzungen: BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 19.11.1997, 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Der Kläger ist noch in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu nutzen. Alle Gutachter kommen zu diesem Ergebnis. Vor dem Hintergrund der dokumentierten Diagnosen und Funktionsstörungen ist dies für den Senat schlüssig und nachvollziehbar.

Der Kläger ist damit nach Überzeugung des Senats in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkungen, jedenfalls leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Er hat damit keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass der Versicherte vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger am 06.08.1963 geboren wurde, scheidet ein Anspruch von vornherein aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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