L 17 U 135/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 147/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 135/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der Anerkennung einer BK 4301 bzw. 4302.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.01.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Lungenerkrankung der Klägerin als Berufskrankheit nach Nr. 4301 und/oder 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die 1949 geborene Klägerin war vom 01.10.1964 bis 28.02.1967 als Schuhbodenfacharbeiterin in dem Volkseigenen Betrieb der DDR VEB R. S. tätig. Im selben Betrieb arbeitete sie sodann als Mitarbeiterin in der Produktion im Bereich Endkontrolle/Finish im Zeitraum vom 01.03.1967 bis 31.10.1969. Sodann absolvierte sie von 1971 bis 1974 eine Ausbildung zur Wirtschaftsleiterin an der Universität M ... Von August 1974 bis Juli 1977 war sie sodann als Raumpflegerin sowie sodann ab 01.08.1977 bis 30.09.1989 als Wirtschaftsleiterin der Universitätsklinik M. (Kinderkrippe/Kindergarten) tätig. Vom 01.10.1989 bis 28.02.1990 übte sie eine Tätigkeit in der Mensa der Klinik und ab 01.03.1990 bis 09.08.1991 als Laborhilfskraft aus. Sodann war sie als Krankengymnastin bis 01.04.2008 tätig.

Mit Telefonanruf vom 07.09.2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass bei ihr der Verdacht auf das Vorliegen einer Atemwegserkrankung, zurückgeführt auf eine Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik wegen Umgang mit Klebern, Lösemittel und Gefahrstoffen, bestünde und erste Beschwerden 1974 aufgetreten seien.

Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein, zog Befundberichte der die Klägerin behandelnden Lungenfachärztin Dr. L., des HNO-Arztes Dr. C. sowie des Allgemeinarztes Dr. B. bei und holte Auskünfte der Universitätsklinik M. als früheren Arbeitgeber der Klägerin sowie des personalärztlichen Dienstes der Universitätsklinik M. ein. Sodann holte die Beklagte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD, heute Präventionsdienst) ein, die aufgrund eines Gespräches mit der Klägerin erstellt wurde.

In der Stellungnahme des TAD vom 05.12.2007 wird festgestellt, dass die Klägerin über den gesamten Beschäftigungszeitraum bei der Firma VEB S. auch im Rahmen der Ausbildung mit Reinigungsmitteln auf Lösemittelbasis und mit lösemittelhaltigen Farben und Lacken gearbeitet habe. Inwieweit die verwendeten Finish-Produkte im Rahmen von Spritzarbeiten lösemittelhaltig gewesen seien, habe nicht mehr ermittelt werden können. Der Verbrauch der Lösemittel sei als unterschiedlich bezeichnet und mit einem halben Liter täglich geschätzt worden. Die Arbeitsplätze seien nach Aussage der Klägerin stets nur natürlich, d. h. über Fenster belüftet gewesen. Absaugungen seien nicht vorhanden gewesen. Auch ein Hautkontakt zu den Lösemitteln sei gegeben gewesen. Die Höhe der Lösemittelbelastung lasse sich nicht mehr abschätzen.

Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme ihres Gefahrstoffreferenten ein, wonach die im Allergiepass der Klägerin aufgeführten Stoffe keine typischen Berufsstoffe an Arbeitsplätzen in der Schuhindustrie seien. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die Grenzwerte an den Arbeitsplätzen der Klägerin eingehalten gewesen seien. Dies sei zumindest heute an Vergleichsarbeitsplätzen gegeben. Wenn auch nichts Genaues über die Zusammensetzung der Farben bei der damaligen Verarbeitung bekannt sei, so seien die Verbrauchsmengen doch so gering gewesen, dass Anfang der 90er Jahre, als noch derartige Arbeiten mit Lösemittelfarben ohne Absaugung erledigt worden seien, dauerhaft sicher eingehaltene Luftgrenzwerte an den Vergleichsarbeitsplätzen gemessen worden seien.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 28.04.2008 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer Atemwegserkrankung (Asthma bronchiale) der Klägerin als Berufskrankheit nach Nr. 4301 und 4302 der Anlage zur BKV und Leistungen nach § 3 BKV ab. Die Ablehnung wurde u. a. damit begründet, dass eine Einwirkung von atemwegsreizenden Arbeitsstoffen im Rahmen der Tätigkeiten als Wirtschaftsleiterin in der Universitätsklinik M. sowie ab 01.09.1994 als Krankengymnastin ausgeschlossen werden könne. Im Hinblick auf die Einstellungsuntersuchung vom 25.06.1974 in der Universitätsklinik M., die keine gesundheitlichen Bedenken ergeben habe, könne ein zeitlicher Zusammenhang der Atemwegserkrankung mit der früheren beruflichen Tätigkeit in VEB Schuhfabrik R. S. nicht angenommen werden.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin u. a. damit, dass sie in früheren Jahren nie geraucht habe und erst im Alter von 40 Jahren angefangen habe, ein bis zwei Zigaretten pro Tag zu rauchen. Als sie gemerkt habe, dass sie schlechter Luft bekomme, habe sie nach kurzer Zeit sofort aufgehört zu rauchen. Die Beklagte könne nicht beurteilen, unter welchen Bedingungen sie gearbeitet habe. Es hätten nur teilweise Fenster geöffnet werden können und eine Absauganlage sei nicht vorhanden gewesen. Lösemittel und Farben hätten im Raum gestanden, ohne besonders gesichert zu sein.

Nach weiterem Schriftwechsel zwischen der Klägerin und der Beklagten ließ die Beklagte die Klägerin am 17.11.2008 durch den Internisten und Lungenfacharzt Dr. M. gutachtlich untersuchen. In seinem Gutachten vom 05.01.2009 führte dieser u. a. aus, dass es glaubhaft sei, dass in den genannten Arbeitsbereichen keinerlei Schutzmaßnahmen vorgelegen hätten und insbesondere mit Ausnahme der Lackierkabine keinerlei Absaugeinrichtungen bestanden hätten. Dr. M. diagnostizierte bei der Klägerin das Vorliegen eines chemisch irritativen Asthma mit ausgeprägter bronchialer Hyperreaktivität. Das einzige Argument gegen einen wesentlichen Ursachenzusammenhang der Erkrankung der Klägerin durch die berufliche Exposition sei der relativ lange Zeitraum nach Beendigung der Exposition und dem manifesten Auftreten von Beschwerden. Dieser Widerspruch sei unauflösbar. Das Fehlen von Symptomen einer schweren Atemwegserkrankung zwischen 1969 und 1975 spreche nicht unbedingt gegen den Ursachenzusammenhang. Ein objektiver Zwang zur Berufsaufgabe sei gegeben. Als Berufskrankheitsfolge bezeichnete Dr. M. eine deutliche Atemnot bei körperlicher Anstrengung verbunden mit Minderung der Belastbarkeit sowie eine gelegentlich auftretende Atemnot in Ruhe. Eine definitive Feststellung einer obstruktiven Atemwegserkrankung sei erst durch die Diagnose der behandelnden Lungenfachärztin Dr. L. gegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er mit 20 v.H.

Mit Schreiben vom 26.01.2009 richtete die Beklagte sodann ergänzende Fragen an
Dr. M ... In dem Schreiben führte die Beklagte aus, dass der Nachweis einer gesundheitsgefährdenden Einwirkung notwendig sei und der Beginn der Beschwerden laut Angaben der Klägerin 1974 gelegen habe, wohingegen die vermeintlich schädigende Tätigkeit schon 1969 aufgegeben worden sei. Im Gutachten seien nun Angaben gemacht worden, dass erste Symptome 1969 bemerkt worden seien und 1974/1975 massive Symptome eingetreten seien. Medizinisch seien diese Angaben nicht belegt bzw. stünden in offenem Widerspruch zu den Erstangaben der Klägerin.

Die Beklagte holte sodann eine Auskunft des personalärztlichen Dienstes des Universitätsklinikums M. (vom 03.02.2008) ein, wonach bei der Klägerin im Rahmen der Einstellungsuntersuchung vom 25.06.1974 und den Reihenuntersuchungen von 1976, 1978 und 1984 keine Lungenprobleme dokumentiert gewesen seien. Weder die Anamnese der Klägerin noch der Untersuchungsbefund hätten auf eine mögliche Lungenerkrankung hingewiesen. Lediglich die Berufsanamnese lasse eine berufliche Exposition mit pulmo- und neurotoxischen Substanzen vermuten. In den Unterlagen seien mehrere Erkältungsinfekte dokumentiert.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 04.02.2009 wies Dr. M. sodann darauf hin, dass objektive Messdaten nicht bestünden und die Klägerin angegeben habe, dass sie bereits 1969 die ersten Symptome festgestellt habe. Der hier zweifellos vorliegende Widerspruch könne von ihm nicht aufgelöst werden. Bei der Einstellungsuntersuchung sei laut Angaben der Klägerin keine Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt worden.

Nachdem die Beklagte Dr. M. in einem Schreiben vom 13.02.2009 sodann u. a. auf die zwischenzeitlich eingeholte Auskunft des personalärztlichen Dienstes der Universitätsklinik M. und darauf hingewiesen hatte, dass ein Vollbeweis einer schädigenden Einwirkung notwendig sei, holte sie eine weitere Stellungnahme des Gefahrstoffreferenten ein.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.03.2009 hielt der Lungenfacharzt Dr. M. seine Auffassung aus dem Gutachten vom 05.01.2009 nicht mehr aufrecht. In der Stellungnahme führte Dr. M. aus, dass aufgrund der Untersuchungsdaten des personalärztlichen Dienstes der Universität M. offensichtlich zum damaligen Zeitpunkt noch keine Symptome einer Atemwegserkrankung vorhanden gewesen seien und damit eine wichtige Voraussetzung für die Anerkennung der Berufserkrankung fehle, da der Zeitraum zwischen der möglichen Exposition und dem Auftreten von Symptomen eindeutig zu lang erscheine.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2009 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.

Am 22.06.2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und weiterhin die Anerkennung einer Lungenkrankheit als Berufskrankheit nach Nr. 4301 und/oder 4302 der Anlage 1 zur BKV begehrt.

Das SG hat die die Klägerin betreffende Berufskrankheitenakte der Beklagten sowie einen Befundbericht der Lungenfachärztin Dr. L. mit weiteren Arztberichten über den Behandlungszeitraum vom 15.12.2005 bis 20.11.2009 beigezogen.

Das SG hat die Klägerin sodann am 19.03.2010 durch den Internisten und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologen, Umweltmediziner und Sozialmediziner Dr. S. gerichtsärztlich untersuchen lassen. In seinem Gutachten vom 16.05.2010 kommt dieser zu dem Ergebnis, dass die Erkrankungen der Klägerin auf lungenfachärztlichem Gebiet nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik R. S. verursacht worden sind und daher eine Berufskrankheit nach Nr. 4301/4302 der Anlage zur BKV nicht vorliege.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27.01.2011 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, erweise sich jedoch als unbegründet. Zur Überzeugung des Gerichtes liege bei der Klägerin keine Berufskrankheit nach Nr. 4301 oder 4302 der Anlage 1 zu BKV vor. Es fehle insoweit schon an dem Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Welchen Einwirkungen die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik R. S. im Einzelnen hinsichtlich Art und Umfang ausgesetzt gewesen sei, sei nicht nachgewiesen. Die Klägerin habe hierzu keine genauen Angaben machen können. Der TAD der Beklagten habe insoweit bei seiner Bewertung nur die Angaben der Klägerin zugrunde legen und insoweit lediglich nur ermitteln können, dass die Klägerin mit Reinigungsmitteln auf Lösemittelbasis und mit lösemittelhaltigen Farben und Lacken Umgang gehabt habe. Insbesondere welche Inhaltsstoffe in den Lacken und Lösemitteln, die von der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik R. S. verwendet wurden, gegeben gewesen seien und in welchem Umfang die Klägerin konkret diesen Mitteln ausgesetzt gewesen sei, sei nicht ersichtlich. Auch die Stellungnahme des Gefahrstoffreferenten der Beklagten könne sich mangels Vorliegens gesicherter Daten nur auf Vermutungen stützen und komme hierbei zu dem Ergebnis, dass die verbrauchten Lösemittelmengen im Arbeitsbereich der Klägerin (Bereich Finish), den sogenannten "Einstreicharbeitsplätzen", sehr gering gewesen seien. Objektive Messergebnisse über die Exposition von Lösemitteln oder chronisch-irritativ wirkenden Stoffen bei der VEB Schuhfabrik R. S. lägen nicht vor. Die Angaben der Klägerin über eine erhebliche Belastung und eine fehlende Absaugung mögen glaubhaft sein, sie würden jedoch nicht über den fehlenden Nachweis von Expositionshöhe und insbesondere Art und Inhaltsstoffen der Arbeitsstoffe hinweghelfen. Der gerichtsärztliche Sachverständige Dr. S. weise insoweit in seinem Gutachten zutreffend darauf hin, dass ein erheblicher Mangel an objektivierbaren Tatbeständen vorliege und sich bedauerlicherweise weder im Zuge der Ermittlungen der Beklagten noch in den Aufzeichnungen der Klägerin noch in den Ausbildungsunterlagen noch durch eine Internetrecherche chemisch definierte Substanzen eruieren ließen, die in der schuhverarbeitenden Industrie der ehemaligen DDR verwendet worden seien. Der gerichtsärztliche Sachverständige habe lediglich Namen bekannter Klebstoffe aus dieser Zeit ermitteln können, über deren Zusammensetzung jedoch keinerlei Hinweis erhalten. Nach seinen Ermittlungen sei es selbst den Fachleuten in der Klebstoffindustrie nicht gelungen, die notwendigen Detailinformationen der chemischen Zusammensetzung des in der DDR bekanntesten Klebstoffes Duosan Rapid zu ermitteln. Er weise zudem darauf hin, dass insbesondere nicht nachgewiesen sei, ob der in Lacken und Klebstoffen enthaltene Lösemittelstoff Aceton, der Schleimhautreizungen der Atemwege verursachen könne, im Arbeitsbereich der Klägerin verwendet worden sei. Die Annahme Dr. M., dass insoweit aufgrund "primitiver Arbeitsbedingungen" davon auszugehen sei, dass es zu "erheblichen Konzentrationen" gekommen sei, die geeignet gewesen seien, die Erkrankung der Klägerin auszulösen, sei rein spekulativ. Insoweit sei aber nicht mit der notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik R. S. Einwirkungen der Gestalt ausgesetzt gewesen sei, dass diese nach Art/Ausmaß und/oder Umfang geeignet und ausreichend gewesen seien, um eine Erkrankung im Sinne der BK-Nr. 4301/ 4302 der Anlage 1 zur BKV wesentlich zu verursachen. Die haftungsbegründende Kausalität könne daher mangels Nachweis einer relevanten Exposition von lungenspezifischen Arbeitsstoffen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Darüber hinaus sei auch aus weiteren Gründen ein wesentlicher Ursachenzusammenhang der Lungenerkrankung der Klägerin mit der von ihr durchgeführten Tätigkeit bei der VEB Schuhfabrik R. S. im Zeitraum vom 01.10.1964 bis 31.10.1969 nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Das Gericht stütze sich insoweit auf das schlüssige Gutachten des gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. S., das dieser unter Berücksichtigung der in den Akten enthaltenen sowie der im Rahmen der gerichtsärztlichen Untersuchung erhobenen Befunde am 16.05.2010 erstattet habe. Gegen einen wesentlichen Ursachenzusammenhang der bei der Klägerin festgestellten Lungenerkrankung spreche insbesondere der zeitliche Zusammenhang zwischen Erkrankungsbeginn und etwaiger Exposition. Nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen sei das Vorliegen eines Krankheitsbildes im Sinne der BK Nr. 4301/4302 der Anlage 1 zur BKV für den Zeitraum einer etwaigen Exposition lungenspezifischer Arbeitsstoffe bei der Klägerin nicht nachgewiesen. Dr. S. weise darauf hin, dass ärztliche Untersuchungsergebnisse aus der fraglichen Zeit nicht mehr existierten würde und die Klägerin rezidivierende Atemwegsinfekte für den Zeitraum von 1964 bis 1969 angebe und das Vorliegen einer klinisch relevanten bronchialen Hyperreagibilität im damaligen Zeitraum einer etwaigen Exposition lungenspezifischer Arbeitsstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit aus dem Beschwerdebild der Klägerin am Arbeitsplatz als Schuhbodenfacharbeiterin abgeleitet werden könne. Er weise zudem darauf hin, dass für diesen Zeitraum weder Lungenfunktionsbefunde vorlägen, die eine obstruktive Atemwegserkrankung belegen würden, noch das klinische Bild der Symptome Hinweise auf eine bronchiale Hyperreagibilität, die ein Krankheitsbild im Sinne der BK Nrn. 4301/4302 darstellen könne, für den Expositionszeitraum gebe. Er weise zudem darauf hin, dass zwar die von der Klägerin beschriebenen Symptome von rezidivierend auftretenden Atemwegsinfekten mit Husten und Schleimbildung und dem Gefühl erschwerter Atmung Initialsymptome im Sinne der BK-Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV darstellen könnten, jedoch die Ausbildung einer obstruktiven Atemwegserkrankung oder einer Hyperreagibilität als komplikative Folge dieser Atemwegsentzündungen für den in Betracht kommenden Zeitraum der Exposition nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit objektiviert sei. Nach den zutreffenden Feststellungen Dr. S. seien Atembeschwerden im Zusammenhang mit körperlichen Belastungen bzw. in alltagsrelevanter Form erst in den Jahren nach der Geburt des Kindes der Klägerin ca. ab 1975 und damit 6 Jahre nach Beendigung einer etwaigen relevanten Exposition aufgetreten. Die einzige Befundunterlage aus diesem Zeitraum stelle eine unauffällige Einstellungsuntersuchung der Universität M. dar. Der gerichtsärztliche Sachverständige weise zu Recht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dies der begründeten Annahme einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung eher entgegenstehe. Laut eigenem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren hätten erstmals 1974 Symptome im Sinne von Geruchlosigkeit und Atembeschwerden vorgelegen. Objektive Befunde, die einen früheren Krankheitsbeginn insbesondere für die Zeit während der als schädigend geltend gemachte Expositionen 1964 mit 1969 belegen würden, lägen nicht vor und seien nicht erhältlich, nachdem auch der früher die Klägerin behandelnde Arzt Prof. Dr. L. gemäß Schreiben der Klägerin vom 30.06.2008 verstorben sei. Der im Verwaltungsverfahren begutachtende Lungenfacharzt Dr. M. habe zwar in der ergänzenden Stellungnahme vom 04.02.2009 ausgeführt, dass laut Angaben der Klägerin bei der Einstellungsuntersuchung keine Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt worden sei. Allerdings gehe die Beweislosigkeit der Tatsache, dass Befunde für das Vorliegen einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung zeitnah zu einer etwaigen Exposition lungenspezifischer Arbeitsstoffe im Zeitraum vom 01.10.1964 bis 31.10.1969 oder zeitnah nach dem Ende einer entsprechenden Exposition nicht dokumentiert seien, nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin. Danach trage die Beweislast derjenige, der aus einer bestimmten Tatsache Rechte herleiten wolle. Im Übrigen habe die Klägerin offensichtlich auch bei der Erstuntersuchung in der Universitätsklinik M. keine Beschwerden lungenspezifischer Art geltend gemacht, obwohl sich nach ihren Angaben die Beschwerdesymptomatik spätestens 1974 verschlechtert hätte.
Die Bewertung des gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. S., dass ferner das Zeitintervall bis zum Auftreten einer belastungsinduzierten Atemnotempfindung der Klägerin ca. 5 bis 6 Jahre nach Beendigung der etwaigen Exposition lungenspezifischer Arbeitsstoffe gegen einen wesentlichen Ursachenzusammenhang der Lungenerkrankung der Klägerin mit dieser Exposition spreche, sei schlüssig. Auch für eine wesentliche Verursachung der Lungenerkrankung der Klägerin durch allergisierende Arbeitsstoffe im Sinne der BK Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKV hätten sich nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen nicht genügend Anhaltspunkte ergeben.
Nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen hätten sich bei den allergologischen Testungen bei der Klägerin keine spezifischen Antikörper gegen in Klebstoffen verwendete Isozyanate oder gegen Phthalsäure Anhydrid und Trimellitsäure Anhydrid als Bestandteile von Epoxidharzklebern gefunden. Ebenso wenig lasse sich ein spezifischer Antikörpernachweis gegenüber Latex als stark allergisierender Bestandteil in Schuhsohlen und Klebern enthaltenen Gummis oder gegenüber Formalin feststellen wie spezifische Antikörper gegenüber dem Schimmelpilz Penicillium, der in Leder bzw. Schuhsohlen enthalten sein könne. Die Bewertung des gerichtsärztlichen Sachverständigen, dass bei der Klägerin schicksalhaft erworbene Atemwegsinfekte ggf. getriggert auf dem Boden einer konstitutionellen immunologisch bedingten Abwehrschwäche bei niedrigen Immunglobulinen G3-Werten für die Verursachung der Lungenerkrankung eher wahrscheinlich seien als die berufliche Exposition, sei daher nicht zu beanstanden.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie verweist zur Begründung darauf, dass in dem Gutachten des Dr. S. einige Tatsachen falsch erläutert worden seien. Sie habe bereits 1969 die ärztliche Empfehlung bekommen, ihre Arbeit aufzugeben, als sie schwanger geworden sei. Bereits damals habe der Arzt Probleme mit der Lunge festgestellt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.01.2011 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2009 aufzuheben und festzustellen, dass ihre Lungenerkrankung eine Berufskrankheit nach den Nrn 4301 bzw. 4302 der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung darstellt.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.01.2011 zurückzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf den Inhalt der Beklagten- sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die fristgerecht erhobene und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 bzw. 4302 der Anlage I zur BKV.
Die Klägerin hat ihr Begehren zulässigerweise mit einer Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verfolgt, die das SG mit dem angefochtenen Urteil vom 27.02.2011 indes zu Recht abgewiesen hat.
Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG aaO).
Gemessen an diesen Voraussetzungen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Lungenerkrankung als Berufkrankheit. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG vom 27.01.2011 und sieht daher von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch im Berufungsverfahren sind keine Umstände aufgetreten, die Ansatz für weitere Ermittlungen bzw. für eine andere Beurteilung des Sachverhalts sein könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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