L 11 KR 4187/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2688/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4187/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.08.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Heilbronn (SG) hat den Antrag, eingegangen beim SG am 17.08.2012, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm Krankengeld (Krg) über den 26.10.2011 hinaus zu gewähren, zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilig Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365). Der hier streitgegenständliche Anspruch auf Krg gehört nicht zu den existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies folgt schon daraus, dass nicht jeder gesetzlich Krankenversicherte einen solchen Anspruch hat (vgl § 44 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, (SGB V)). Geboten und ausreichend ist damit eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (st Rpsr des Senats, vgl Beschlüsse 20.02.2012, L 11 KR 289/12 ER-B; vom 19.08.2010, L 11 KR 3364/10 ER-B, juris; 22.12.2009, L 11 KR 5547/09 ER-B, und vom 16.10.2008, L 11 KR 4447/08 ER-B, juris).

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht erfüllt. Es fehlt an einem Anordnungsgrund, soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden; im Übrigen liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor.

Soweit der Antragsteller Krg für die Zeit vom 26.10.2011 bis 16.08.2012 begehrt, fehlt es an einem Anordnungsgrund, weil es sich um Leistungen für einen Zeitraum vor dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung, den der Antragsteller am 17.08.2012 beim SG stellte, handelt. Die Regelungsanordnung dient zur Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind. Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl Senatsbeschluss vom 20.04.2010, L 11 KR 1430/10 ER mwN; LSG Baden-Württemberg 28.03.2007, L 7 AS 1214/07 ER-B, juris). Anhaltspunkte für den genannten Ausnahmefall liegen nicht vor.

Soweit der Antragsteller Krg für die Zeit ab dem 17.08.2012 begehrt, fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestimmt allein das bei Entstehen eines Krg-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krg hat (vgl BSG 05.05. 2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V haben "Versicherte" Anspruch auf Krg, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung, die im zu entscheidenden Fall nicht vorliegt - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Das Krg wird ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen derselben Krankheit jedoch längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der AU an, gezahlt (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB V). Für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für achtundsiebzig Wochen Krg bezogen haben, besteht nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krg wegen Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krg versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen (§ 48 Abs 2 SGB V). Der Anspruch auf Krg entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Der Versicherte muss die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krg sind nicht glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung ist der Antragsteller nicht mit Anspruch auf Krg versichert. Als Rentenantragsteller ist er zwar krankenversichert (§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V), jedoch ohne Anspruch auf Krg. Denn Rentner und Rentenantragsteller sind nur dann mit Anspruch auf Krg versichert, wenn sie aus einer neben dem Rentenbezug bzw dem Rentenverfahren ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen, das der Beitragsberechnung unterliegt (BSG 26.06.2007, B 1 KR 2/07 R, juris). Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Der Antragsteller ist damit nicht mit Anspruch auf Krg versichert. Seine Mitgliedschaft als Bezieher von Arbeitslosengeld nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V wirkt nicht fort. Die Versicherung in der Krankenversicherung der Arbeitslosen ginge der subsidiären Krankenversicherung der Rentner zwar vor (§ 5 Abs 8 Satz 1 SGB V), setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass Arbeitslosengeld bezogen wird. Der Arbeitslosengeldbezug des Antragstellers endete nach Ausschöpfung des Anspruchs am Dienstag, den 25.10.2011. Die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft setzt nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V voraus, dass ein Krg-Anspruch besteht (oder Krg bezogen wird). Die am 26.10.2011 festgestellte AU durch Dr. U. hätte wegen § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V erst ab dem 27.10.2011 einen Anspruch auf Krg begründen können. An diesem Tag bezog der Antragsteller jedoch kein Arbeitslosengeld mehr und war deshalb nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Die rechtzeitige ärztliche Feststellung der AU ist eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer nicht rechtzeitigen Feststellung sind grundsätzlich von ihm zu tragen. Die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V ist strikt zu handhaben (st Rspr des BSG, zuletzt Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, juris-RdNr 19 mwN).

Ein Ausnahmefall, in dem die unterbliebene ärztliche Feststellung der AU – ausnahmsweise – rückwirkend nachgeholt werden kann (vgl dazu BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219), liegt nicht vor. Dies setzt voraus, dass der Versicherte (1.) alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, er (2.) daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde (zB durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des MDK), und er (3.) - zusätzlich - seine Rechte bei der Kasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht. Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, warum es dem Versicherten nicht spätestens am 25.10.2011 möglich war, (bei unterstellter AU) eine AU-Bescheinigung zu erlangen. Bereits seit dem 09.09.2011 befand sich der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag bei Dr. U. in Behandlung. Die bis 08.09.2011 erfolgte Rehabilitationsmaßnahme soll – so der Antragsteller – zu einer erheblichen Zustandsverschlechterung geführt haben. Dr. U. stellte aber erst am 26.10.2011 AU fest. Auch sein Orthopäde Dr. B. stellte erstmals am 10.01.2012 eine AU-Bescheinigung aus. Sollten sich beide Ärzte des Antragstellers in der Zeit vom 09.09. bis 25.10.2011 geirrt oder geweigert haben, trotz objektiv bestehender AU eine Bescheinigung auszustellen, so hatte der Antragsteller bis zum Auslaufen des Arbeitslogengeldbezugs ausreichend Zeit, sich anderweitig um die Feststellung seiner AU zu kümmern. Gegebenenfalls hätte er – trotz des bestehenden Vertrauensverhältnisses zu seinem Hausarzt – einen anderen Vertragsarzt aufsuchen oder sich an seine Krankenkasse wenden müssen. Die am 16.01.2012 von Dr. B. rückwirkend bescheinigte AU seit 05.10.2011 reicht für die Annahme, dass der Antragsteller alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare für eine rechtzeitige Feststellung der behaupteten AU getan hat, nicht aus.

Für die AU-Bescheinigungen in der Folgezeit kommt hinzu, dass AU nicht ohne zeitliche Lücken bescheinigt wurde. Bei zeitlich befristeter AU-Feststellung müssen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Krg aber für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12 mwN). Zwischen dem Ende der bescheinigten Dauer und der erneuten Feststellung liegen in mehreren Fällen teilweise mehrere Tage. Die Bescheinigung vom 26.10.2011 zB endete am 23.11.2011 (Mittwoch). Eine Folgebescheinigung wurde erst am 25.11.2011 ausgestellt. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert.

Darüber hinaus ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller nach Ausschöpfung der Höchstanspruchsdauer wieder einen neuen Anspruch auf Krg erworben hatte. Schon ab dem 11.03.2008 war er wegen der angeborenen schweren Torsionskoliose arbeitsunfähig erkrankt. Er bezog bis zur Ausschöpfung der Höchstanspruchsdauer am 02.02.2011 Krg. Um nach Ablauf der Dreijahresfrist am 11.03.2011 erneut wegen derselben Erkrankung Krg beanspruchen zu können, müsste er in der Zwischenzeit zumindest sechs Monate arbeitsfähig und erwerbstätig gewesen sein oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden haben (vgl § 48 Abs 2 SGB V). Da der Antragsteller vorliegend Arbeitsunfähigkeit wegen Wirbelsäulenbeschwerden geltend macht, hätten die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erwerb eines erneuten Krg-Anspruchs bei AU wegen derselben Krankheit glaubhaft gemacht werden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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