Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 211/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 373/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur nachträglichen Änderung von Beitragsbescheiden in der gesetzlichen Unfallversicherung.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.08.2009 und die Bescheide der Beklagten vom 10.03.2004 betreffend die Beitragsjahre 1999, 2000, 2001, 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2008 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung der Beklagten für den Zeitraum 1999 bis 2002.
Die Klägerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen, das seit 07.10.1991 in das Unternehmensverzeichnis der Beklagten eingetragen ist. Sie überlässt Strahlenschutzmitarbeiter an andere Unternehmen. Die Tätigkeit dieser Mitarbeiter besteht nach Angaben der Klägerin in der Arbeitsvorbereitung, der Dosimetrie, der Strahlenschutzschichtleitung mit Personaleinteilung, Koordination von Strahlenschutzmaßnahmen und dokumentarischer Erfassung der Messwerte und dem praktischen Strahlenschutz, d.h. der Überwachung der Einhaltung festgelegter Strahlenschutzmaßnahmen, Strahlenschutzmessungen und Dokumentation.
Mit Bescheid vom 23.03.1998 verwies die Beklagte auf die ab 01.01.1998 geltenden Gefahrtarife, die im Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung einen Tarif 48 (ab 01.01.2001 Tarif 52) vorsehen für Beschäftigte, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten ausführen und den Tarif 49 (ab 01.01.2001 Tarif 53) für die Beschäftigten, die nicht die im Gefahrtarif 48 (52) genannten Voraussetzungen erfüllen. Mit Bescheid der Beklagten vom 27.04.1999 wurden die Beschäftigten der Klägerin allesamt in den Tarif 48 eingestuft und ein Beitrag für 1998 in Höhe von 5.952,71 EUR festgesetzt. Mit Bescheiden vom 25.04.2000, 25.04.2001, 24.04.2002 und 23.04.2003 erfolgte eine entsprechende Beitragsfestsetzung für die Folgejahre 1999 bis 2002.
Anlässlich einer Betriebsprüfung im Jahre 2004 stellte die Beklagte fest, dass die Mitarbeiter der Klägerin weit überwiegend in den Gefahrtarif 49 bzw. 53 einzustufen seien und erließ am 10.03.2004 für die Beitragsjahre 1999 bis 2002 neue Beitragsbescheide, die die Beiträge für das Jahr 1999 auf 52.814,20 EUR (Nachforderung in Höhe von 49.805,87EUR), für 2000 auf 59.852,64 EUR Nachforderung 56.358,84EUR), für 2001 auf 44.094,92 EUR (Nachforderung 41.481,34EUR) und für 2002 auf 46.074,60 EUR (Nachforderung 43.512,05 EUR) festsetzten. Die Bescheide enthielten jeweils die Aussage:
"Dieser Bescheid ändert den Beitragsbescheid vom ..., der im Übrigen bestehen bleibt".
Hiergegen legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein. Die Strahlenschutzmesser seien zu Unrecht in die Gefahrenklassen 49 bzw. 53 eingestuft worden.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2008 zurück. Die Zuordnung zu der Tarifstelle 49 bzw. 53 sei zutreffend erfolgt, da die Arbeitnehmer nicht nur kaufmännisch bzw. verwaltend tätig geworden seien. Der praktische Strahlenschutz, die Durchführung von Radioaktivtransporten sowie Lungenzähler stellten Maßnahmen dar, die über rein verwaltende Tätigkeiten hinausgingen. Die Arbeitnehmer würden nicht nur Fremdmessungen auswerten, sondern eigene Messungen durchführen.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben mit der Begründung, der Katalog der Beklagten zu den Berufsbezeichnungen besitze keine Rechtsqualität und sei nicht bindend. Die Mitarbeiter seien keine Kerntechniker, sondern würden lediglich Strahlenemissionen kontrollieren, z.B. beim Verladen von Castor-Behältern. Auch würden Personenmessungen durchgeführt, entweder routinemäßig oder bei der Gefahr erhöhter Strahlenaufnahme. Dies sei verwaltende Tätigkeit.
Mit Urteil vom 05.08.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beitragsnacherhebungsbescheide beruhten auf § 168 Abs. 2 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Klägerin habe in den Lohnnachweisen die Arbeitsentgelte fälschlicherweise einer günstigeren Gefahrenklasse zugeordnet. Auf ein Verschulden komme es hierbei nicht an. Die Zuordnung zur Gefahrenklasse 48 bzw. 52 sei unzutreffend gewesen. Aus der Aufstellung der Tätigkeiten der Mitarbeiter der Klägerin ergebe sich, dass diese keine rein kaufmännische oder verwaltende Tätigkeiten ausüben würden.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Ausführung von Strahlenschutzmessungen sei eine reine Annextätigkeit zu der Dokumentation. In der Arbeitsvorbereitung werde ausschließlich geistige Tätigkeit verrichtet, insbesondere Planungen durchgeführt. Zudem sei zu Unrecht § 168 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII angewendet worden, da die Klägerin keine unrichtige Angaben gemacht habe. Die Klägerin schulde der Beklagten keine rechtliche Bewertung, sondern lediglich tatsächliche Angaben. § 168 Abs. 2 SGB VII sei nicht beachtet worden. Auch fehle es an einer hinreichenden Bestimmtheit der angefochtenen Bescheide.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.08.2009 sowie die Bescheid der Beklagten vom 10.03.2004, betreffend die Beitragsjahre 1999, 2000, 2001 und 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.08.2009 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 05.08.2009 ist auch ansonsten zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist auch begründet.
Die jeweils mit der Anfechtungsklage angegriffenen Beitragsbescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 54 SGG. Die Beklagte hat ihre Beitragsforderungen für die Jahre 1999 bis 2002 neu festgestellt, ohne zuvor ihre früheren Beitragsbescheide aufzuheben. Diese sind daher bindend geblieben, sodass die Neufeststellungen wegen eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig sind.
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der bindenden Beitragsbescheide für die Jahre 1999 bis 2002 ist § 168 Abs 2 SGB VII in der ab 1.1.1997 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch vom 7.8.1996 (BGBl I 1254), die bis zum 04.11.2008 in Kraft gewesen ist. Die Vorschrift ist mit Wirkung zum 05.11.2008 in ihrer Rechtsfolge neu gefasst worden ("ist" aufzuheben; vgl Art 1 Nr 22a Buchst a Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30.10.2008; BGBl I 2130). Maßgeblich ist aber auch insoweit die zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsakte geltende Gesetzesfassung, weil sich die isolierten Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung richten und in einem solchen Fall der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts maßgeblich ist (vgl BSG vom 22.09.2009, B 2 U 2/08 R mwN). Nach § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII aF darf ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten der Beitragspflichtigen nur dann aufgehoben werden, wenn der Lohnnachweis unrichtige Angaben enthält oder sich die Schätzung als unrichtig erweist.
Die Vorschrift ist aufgrund der Voraussetzungen "zuungunsten der Beitragspflichtigen" und "Aufheben des Beitragsbescheids" nur anwendbar, wenn (1.) eine Beitragsfestsetzung nach § 168 Abs 1 SGB VII für das jeweilige Umlagejahr bereits ergangen ist und (2.) der Beitrag darin zu Gunsten des Beitragspflichtigen der Höhe nach rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden ist (BSG, aaO, juris RdNr 28; ähnlich BSG vom 04.03.2004 - B 3 KR 15/03 R - juris RdNr 10). Der aufzuhebende Beitragsbescheid muss, damit die Aufhebung eines Verwaltungsakts zuungunsten des Beitragspflichtigen überhaupt möglich ist, einen den Beitragspflichtigen begünstigenden Verwaltungsakt verlautbart haben. Dieser besteht darin, dass die Zahlungspflicht der Höhe nach auf den festgestellten Betrag begrenzt und damit festgestellt ist, dass der Beitragsschuldner nicht mehr als diesen Betrag zahlen muss. Die begünstigende Entscheidung steht seit ihrem Erlass nicht mehr zur Disposition der Verwaltung. Der zuständige Träger ist an seine begünstigende Höchstbetragsregelung in der Beitragserstfestsetzung gebunden (BSG, aaO, juris RdNr 29, vgl. auch BSG vom 2.12.1992, 6 RKa 33/90). Das bedeutet, dass zwischen ihm und dem Beitragsschuldner kraft des Verwaltungsakts feststeht, dass er nicht mehr fordern darf.
Die Bindungswirkung der Höchstbetragsregelung besteht nach § 77 SGG nicht, soweit durch Gesetz anderes bestimmt ist, soweit es insbesondere eine Aufhebung des Verwaltungsakts erlaubt. § 168 Abs 2 SGB VII befugt zur Aufhebung von wirksamen und bindenden Höchstbetragsregelungen in Beitragsbescheiden.
§ 168 Abs 2 SGB VII ermächtigt den zuständigen Träger dazu, wirksame Beitragsfestsetzungen, soweit sie einen Höchstbetrag rechtswidrig zu niedrig feststellen, aufzuheben. Die Aufhebung der Höchstbetragsregelung kann auf verschiedene Weise erklärt werden (vgl BSG Urteil vom 22.09.2009, B 2 U 32/08 R, juris RdNr 20). Der zuständige Träger kann entweder - wie in § 168 Abs 2 SGB VII gesagt - den früheren Beitragsbescheid insgesamt aufheben und den gesamten Beitrag für ein Umlagejahr neu festsetzen oder er kann sich darauf beschränken, die Beitragshöchstfestsetzung aufzuheben. Verfährt der Träger nach der zweiten Alternative, ist und bleibt die Pflicht zur Zahlung des festgestellten Beitrags verbindlich geregelt. Er hat nur noch festzustellen, bis zu welcher neuen Höhe der Beitragspflichtige weitere Beiträge zu zahlen hat.
Die Aufhebung muss hinreichend bestimmt erklärt werden (§ 33 Abs 1 SGB X). Der Träger muss sagen, ob und in welchem Umfang er den ersten Beitragsbescheid aufhebt. Erst mit der gestaltenden Entscheidung über das Ob und Wie der Aufhebung steht fest, welcher der ergangenen Bescheide den Umfang der Beitragspflicht mit welchem Inhalt regelt. Ohne eine Aufhebung oder Teilaufhebung bleibt dagegen die Beitragserstfestsetzung wirksam und bindend. Wurde hingegen die Festsetzung einer Beitragsnachforderung ohne vorherige Aufhebung der bisherigen Beitragshöchstfestsetzung erlassen, könnten mehrere einander widersprechende Verwaltungsakte über der Beitragszahlungspflicht vorliegen, die eine rechtssichere Feststellung der Beitragsschuld und ggf deren Beitreibung nicht zulassen.
Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden vom 10.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2008 keine Aufhebung ihrer Beitragserstfestsetzungen für die fraglichen Jahre verfügt. Es fehlt an einer Regelung über die Aufhebung der Beitragserstbescheide. Die Beklagte hat in den vier angefochtenen Bescheiden vielmehr gleichlautend geregelt: "Dieser Bescheid ändert den Beitragsbescheid vom ..., der im Übrigen bestehen bleibt". Wie sich die jeweils neue Beitragsforderung zu den Beitragserstfestsetzungen für dieselben Umlagezeiträume verhält, hat sie nicht bestimmt. Dies wird insbesondere auch aus der Formulierung deutlich, dass die ursprünglichen Beitragsbescheide "im Übrigen bestehen" bleiben sollen. Es ist nicht erkennbar, welcher Teil der ursprünglichen Verfügung bestehen bleiben soll und ob dies nicht gerade die Beitragserstfestsetzung beziehungsweise die Beitragshöchstgrenze betreffen soll. Da mithin weder die Beitragserstfestsetzungen insgesamt noch die Bestimmung der Beitragshöchstgrenze erkennbar und eindeutig beseitigt worden sind, ist der Erlass neuer Verwaltungsakte zur Regelung von Beiträgen für die entsprechenden Umlagejahre rechtswidrig. Die angefochtenen Bescheide verstoßen gegen die Bindungswirkung der ersten Beitragserstfestsetzungen und verletzen dadurch die Klägerin in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung der Beklagten für den Zeitraum 1999 bis 2002.
Die Klägerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen, das seit 07.10.1991 in das Unternehmensverzeichnis der Beklagten eingetragen ist. Sie überlässt Strahlenschutzmitarbeiter an andere Unternehmen. Die Tätigkeit dieser Mitarbeiter besteht nach Angaben der Klägerin in der Arbeitsvorbereitung, der Dosimetrie, der Strahlenschutzschichtleitung mit Personaleinteilung, Koordination von Strahlenschutzmaßnahmen und dokumentarischer Erfassung der Messwerte und dem praktischen Strahlenschutz, d.h. der Überwachung der Einhaltung festgelegter Strahlenschutzmaßnahmen, Strahlenschutzmessungen und Dokumentation.
Mit Bescheid vom 23.03.1998 verwies die Beklagte auf die ab 01.01.1998 geltenden Gefahrtarife, die im Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung einen Tarif 48 (ab 01.01.2001 Tarif 52) vorsehen für Beschäftigte, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten ausführen und den Tarif 49 (ab 01.01.2001 Tarif 53) für die Beschäftigten, die nicht die im Gefahrtarif 48 (52) genannten Voraussetzungen erfüllen. Mit Bescheid der Beklagten vom 27.04.1999 wurden die Beschäftigten der Klägerin allesamt in den Tarif 48 eingestuft und ein Beitrag für 1998 in Höhe von 5.952,71 EUR festgesetzt. Mit Bescheiden vom 25.04.2000, 25.04.2001, 24.04.2002 und 23.04.2003 erfolgte eine entsprechende Beitragsfestsetzung für die Folgejahre 1999 bis 2002.
Anlässlich einer Betriebsprüfung im Jahre 2004 stellte die Beklagte fest, dass die Mitarbeiter der Klägerin weit überwiegend in den Gefahrtarif 49 bzw. 53 einzustufen seien und erließ am 10.03.2004 für die Beitragsjahre 1999 bis 2002 neue Beitragsbescheide, die die Beiträge für das Jahr 1999 auf 52.814,20 EUR (Nachforderung in Höhe von 49.805,87EUR), für 2000 auf 59.852,64 EUR Nachforderung 56.358,84EUR), für 2001 auf 44.094,92 EUR (Nachforderung 41.481,34EUR) und für 2002 auf 46.074,60 EUR (Nachforderung 43.512,05 EUR) festsetzten. Die Bescheide enthielten jeweils die Aussage:
"Dieser Bescheid ändert den Beitragsbescheid vom ..., der im Übrigen bestehen bleibt".
Hiergegen legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein. Die Strahlenschutzmesser seien zu Unrecht in die Gefahrenklassen 49 bzw. 53 eingestuft worden.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2008 zurück. Die Zuordnung zu der Tarifstelle 49 bzw. 53 sei zutreffend erfolgt, da die Arbeitnehmer nicht nur kaufmännisch bzw. verwaltend tätig geworden seien. Der praktische Strahlenschutz, die Durchführung von Radioaktivtransporten sowie Lungenzähler stellten Maßnahmen dar, die über rein verwaltende Tätigkeiten hinausgingen. Die Arbeitnehmer würden nicht nur Fremdmessungen auswerten, sondern eigene Messungen durchführen.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben mit der Begründung, der Katalog der Beklagten zu den Berufsbezeichnungen besitze keine Rechtsqualität und sei nicht bindend. Die Mitarbeiter seien keine Kerntechniker, sondern würden lediglich Strahlenemissionen kontrollieren, z.B. beim Verladen von Castor-Behältern. Auch würden Personenmessungen durchgeführt, entweder routinemäßig oder bei der Gefahr erhöhter Strahlenaufnahme. Dies sei verwaltende Tätigkeit.
Mit Urteil vom 05.08.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beitragsnacherhebungsbescheide beruhten auf § 168 Abs. 2 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Klägerin habe in den Lohnnachweisen die Arbeitsentgelte fälschlicherweise einer günstigeren Gefahrenklasse zugeordnet. Auf ein Verschulden komme es hierbei nicht an. Die Zuordnung zur Gefahrenklasse 48 bzw. 52 sei unzutreffend gewesen. Aus der Aufstellung der Tätigkeiten der Mitarbeiter der Klägerin ergebe sich, dass diese keine rein kaufmännische oder verwaltende Tätigkeiten ausüben würden.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Ausführung von Strahlenschutzmessungen sei eine reine Annextätigkeit zu der Dokumentation. In der Arbeitsvorbereitung werde ausschließlich geistige Tätigkeit verrichtet, insbesondere Planungen durchgeführt. Zudem sei zu Unrecht § 168 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII angewendet worden, da die Klägerin keine unrichtige Angaben gemacht habe. Die Klägerin schulde der Beklagten keine rechtliche Bewertung, sondern lediglich tatsächliche Angaben. § 168 Abs. 2 SGB VII sei nicht beachtet worden. Auch fehle es an einer hinreichenden Bestimmtheit der angefochtenen Bescheide.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.08.2009 sowie die Bescheid der Beklagten vom 10.03.2004, betreffend die Beitragsjahre 1999, 2000, 2001 und 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 05.08.2009 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 05.08.2009 ist auch ansonsten zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist auch begründet.
Die jeweils mit der Anfechtungsklage angegriffenen Beitragsbescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 54 SGG. Die Beklagte hat ihre Beitragsforderungen für die Jahre 1999 bis 2002 neu festgestellt, ohne zuvor ihre früheren Beitragsbescheide aufzuheben. Diese sind daher bindend geblieben, sodass die Neufeststellungen wegen eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig sind.
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der bindenden Beitragsbescheide für die Jahre 1999 bis 2002 ist § 168 Abs 2 SGB VII in der ab 1.1.1997 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch vom 7.8.1996 (BGBl I 1254), die bis zum 04.11.2008 in Kraft gewesen ist. Die Vorschrift ist mit Wirkung zum 05.11.2008 in ihrer Rechtsfolge neu gefasst worden ("ist" aufzuheben; vgl Art 1 Nr 22a Buchst a Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30.10.2008; BGBl I 2130). Maßgeblich ist aber auch insoweit die zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsakte geltende Gesetzesfassung, weil sich die isolierten Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung richten und in einem solchen Fall der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts maßgeblich ist (vgl BSG vom 22.09.2009, B 2 U 2/08 R mwN). Nach § 168 Abs 2 Nr 2 SGB VII aF darf ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten der Beitragspflichtigen nur dann aufgehoben werden, wenn der Lohnnachweis unrichtige Angaben enthält oder sich die Schätzung als unrichtig erweist.
Die Vorschrift ist aufgrund der Voraussetzungen "zuungunsten der Beitragspflichtigen" und "Aufheben des Beitragsbescheids" nur anwendbar, wenn (1.) eine Beitragsfestsetzung nach § 168 Abs 1 SGB VII für das jeweilige Umlagejahr bereits ergangen ist und (2.) der Beitrag darin zu Gunsten des Beitragspflichtigen der Höhe nach rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden ist (BSG, aaO, juris RdNr 28; ähnlich BSG vom 04.03.2004 - B 3 KR 15/03 R - juris RdNr 10). Der aufzuhebende Beitragsbescheid muss, damit die Aufhebung eines Verwaltungsakts zuungunsten des Beitragspflichtigen überhaupt möglich ist, einen den Beitragspflichtigen begünstigenden Verwaltungsakt verlautbart haben. Dieser besteht darin, dass die Zahlungspflicht der Höhe nach auf den festgestellten Betrag begrenzt und damit festgestellt ist, dass der Beitragsschuldner nicht mehr als diesen Betrag zahlen muss. Die begünstigende Entscheidung steht seit ihrem Erlass nicht mehr zur Disposition der Verwaltung. Der zuständige Träger ist an seine begünstigende Höchstbetragsregelung in der Beitragserstfestsetzung gebunden (BSG, aaO, juris RdNr 29, vgl. auch BSG vom 2.12.1992, 6 RKa 33/90). Das bedeutet, dass zwischen ihm und dem Beitragsschuldner kraft des Verwaltungsakts feststeht, dass er nicht mehr fordern darf.
Die Bindungswirkung der Höchstbetragsregelung besteht nach § 77 SGG nicht, soweit durch Gesetz anderes bestimmt ist, soweit es insbesondere eine Aufhebung des Verwaltungsakts erlaubt. § 168 Abs 2 SGB VII befugt zur Aufhebung von wirksamen und bindenden Höchstbetragsregelungen in Beitragsbescheiden.
§ 168 Abs 2 SGB VII ermächtigt den zuständigen Träger dazu, wirksame Beitragsfestsetzungen, soweit sie einen Höchstbetrag rechtswidrig zu niedrig feststellen, aufzuheben. Die Aufhebung der Höchstbetragsregelung kann auf verschiedene Weise erklärt werden (vgl BSG Urteil vom 22.09.2009, B 2 U 32/08 R, juris RdNr 20). Der zuständige Träger kann entweder - wie in § 168 Abs 2 SGB VII gesagt - den früheren Beitragsbescheid insgesamt aufheben und den gesamten Beitrag für ein Umlagejahr neu festsetzen oder er kann sich darauf beschränken, die Beitragshöchstfestsetzung aufzuheben. Verfährt der Träger nach der zweiten Alternative, ist und bleibt die Pflicht zur Zahlung des festgestellten Beitrags verbindlich geregelt. Er hat nur noch festzustellen, bis zu welcher neuen Höhe der Beitragspflichtige weitere Beiträge zu zahlen hat.
Die Aufhebung muss hinreichend bestimmt erklärt werden (§ 33 Abs 1 SGB X). Der Träger muss sagen, ob und in welchem Umfang er den ersten Beitragsbescheid aufhebt. Erst mit der gestaltenden Entscheidung über das Ob und Wie der Aufhebung steht fest, welcher der ergangenen Bescheide den Umfang der Beitragspflicht mit welchem Inhalt regelt. Ohne eine Aufhebung oder Teilaufhebung bleibt dagegen die Beitragserstfestsetzung wirksam und bindend. Wurde hingegen die Festsetzung einer Beitragsnachforderung ohne vorherige Aufhebung der bisherigen Beitragshöchstfestsetzung erlassen, könnten mehrere einander widersprechende Verwaltungsakte über der Beitragszahlungspflicht vorliegen, die eine rechtssichere Feststellung der Beitragsschuld und ggf deren Beitreibung nicht zulassen.
Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden vom 10.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2008 keine Aufhebung ihrer Beitragserstfestsetzungen für die fraglichen Jahre verfügt. Es fehlt an einer Regelung über die Aufhebung der Beitragserstbescheide. Die Beklagte hat in den vier angefochtenen Bescheiden vielmehr gleichlautend geregelt: "Dieser Bescheid ändert den Beitragsbescheid vom ..., der im Übrigen bestehen bleibt". Wie sich die jeweils neue Beitragsforderung zu den Beitragserstfestsetzungen für dieselben Umlagezeiträume verhält, hat sie nicht bestimmt. Dies wird insbesondere auch aus der Formulierung deutlich, dass die ursprünglichen Beitragsbescheide "im Übrigen bestehen" bleiben sollen. Es ist nicht erkennbar, welcher Teil der ursprünglichen Verfügung bestehen bleiben soll und ob dies nicht gerade die Beitragserstfestsetzung beziehungsweise die Beitragshöchstgrenze betreffen soll. Da mithin weder die Beitragserstfestsetzungen insgesamt noch die Bestimmung der Beitragshöchstgrenze erkennbar und eindeutig beseitigt worden sind, ist der Erlass neuer Verwaltungsakte zur Regelung von Beiträgen für die entsprechenden Umlagejahre rechtswidrig. Die angefochtenen Bescheide verstoßen gegen die Bindungswirkung der ersten Beitragserstfestsetzungen und verletzen dadurch die Klägerin in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.
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