L 3 SB 2000/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 5624/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2000/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem beklagten Land die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.

Mit Bescheid vom 31.10.1980 stellte das Versorgungsamt Rottweil bei dem am 26.01.1945 geborenen Kläger den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 30 v. H. fest. Hierbei bewertete es einen Zustand nach Bandscheibenoperation im Jahr 1978 mit einer MdE von 30 v. H. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.02.1981). Einen am 14.04.1994 gestellten Erhöhungsantrag lehnte das Versorgungsamt Rottweil mit Bescheid vom 16.09.1994 ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.1994 stellte das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg fest, es bestehe eine äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit. Im Übrigen wies es den Widerspruch zurück.

Am 23.10.2001 stellte der Kläger einen Erhöhungsantrag mit der Begründung, es bestehe auch ein Tinnitus im linken Ohr. Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen stellte das Versorgungsamt Rottweil mit Bescheid vom 15.02.2002 den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 40 seit 23.10.2001 fest. Hierbei legte es degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 30 und eine Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen linksseitig (Tinnitus) mit einem Einzel-GdB von 20 zugrunde.

Am 05.06.2003 stellte der Kläger einen weiteren Erhöhungsantrag. Der Beklagte zog daraufhin weitere medizinische Unterlagen bei, u.a. den Reha-Entlassungsbericht der Klinik B. vom 20.04.2000 über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 14.03.2000 bis 04.04.2000. Im dortigen Abschlussbefund hatte der Kläger angegeben, die Rückenschmerzen hätten sich vollständig zurückgebildet, rechtsseitige Gesäßschmerzen seien während des Heilverfahrens nicht aufgetreten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. V. teilte unter dem 25.07.2003 mit, beim Kläger bestehe ein chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom mit chronisch-rezidivierenden Lumbalgien, degenerative Veränderungen, eine Skoliose sowie ein Zustand nach Morbus Scheuermann. Es komme immer wieder zu rezidivierenden Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule, die in die Beine besonders rechts ausstrahlen könnten. Mit Bescheid vom 07.10.2003 lehnte das Versorgungsamt Freiburg, gestützt auf die gutachtliche Stellungnahme von Dr. C. vom 30.09.2003, den Antrag ab. Nachdem der Kläger hiergegen unter Vorlage eines Attestes von Dr. V. - er leide an einem subjektiv sehr belastenden Tinnitus links, der innere Unruhe und Nervosität bedinge und ihn daran hindere, öffentliche Konzerte, Veranstaltungen und Gesellschaften wahrzunehmen - Widerspruch erhoben hatte, führte Fr. K. in der ärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2004 aus (Bl. 116), die Beurteilung für das Wirbelsäulenleiden sei bereits sehr weitreichend. Auch der Teil-GdB für das Ohrleiden sei bereits im oberen Bereich angesiedelt. Die Hörminderung für sich bedinge keinen GdB von mindestens 10. Der Einzel-GdB von 20 sei allein aufgrund des linksseitigen Ohrgeräusches gerechtfertigt unter der Annahme, dass erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen vorlägen, was im Übrigen nicht dokumentiert sei. Somit sei auch dieser Einzel-GdB von 20 als durchaus weitreichend anzusehen. Hierauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2004 den Widerspruch zurück.

Seit dem 01.07.2005 bezieht der Kläger Altersrente nach Altersteilzeit mit Abschlag.

Am 01.12.2008 stellte der Kläger den Antrag auf Erhöhung des GdB. Das Versorgungsamt Freiburg zog ärztliche Befundberichte vom behandelnden HNO-Arzt Dr. H. und von Dr. V. bei, auf die Bezug genommen wird. Mit Bescheid vom 15.05.2009 lehnte es den Antrag ab. Die neu geltend gemachten Nasenpolypen bedingten keine Erhöhung des GdB.

Hiergegen hat der Kläger am 25.05.2009 Widerspruch erhoben mit der Begründung, das Tinnitus-Leiden und die Schwerhörigkeit hätten sich nach einem Knall-Trauma im November 2008 erheblich verschlimmert. Ebenso habe sich der Bandscheibenschaden seit Frühjahr 2008 verschlimmert. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009, auf den Bezug genommen wird, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 09.11.2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. F. hat unter dem 11.01.2010 mitgeteilt, beim Kläger bestünden eine mittelgradige rechts-seitige Coxarthrose, eine Lumboischialgie rechts bei lumbalem Rezidiv-Bandscheibenvorfall L 4/5, eine initiale Spinalkanalstenose L 3/4 und eine Arthrose der Wirbelgelenke L3 - S1. In die Beurteilung des Beklagten sei die Coxarthrose rechts nicht mit eingegangen. Der HNO-Arzt Dr. H. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 02.02.2010 die Diagnosen einer beidseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit und eines Tinnitus genannt. Seit einem Knalltrauma habe sich das Ohrgeräusch erheblich verstärkt, wobei sich ein subjektiv empfundenes Ohrgeräusch nicht objektivieren lasse.

Das SG hat daraufhin den Kläger auf orthopädischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet gutachterlich untersuchen lassen. Im Gutachten vom 30.06.2011 hat Dr. R., Chefarzt der Orthopädischen Chirurgie am L.-Krankenhaus E., folgende Diagnosen genannt:

- lumbale Instabilität L2/S1 bei Spondylarthrose der LWS, insbesondere L3/S1 mit deutlicher Facettengelenksarthrose und beginnender Osteochondrose, - relative Spinalkanalstenose L3/4 und Spinalkanalstenose L4/5, - neuroforaminale Enge L4/5 beidseits, - beginnende Omarthrose rechts, - beginnende Acromioclaviculargelenksarthrose rechts, - beginnende Coxarthrose rechts, - Handgelenksarthrose links.

Die Erkrankungen der Wirbelsäule bedingten einen GdB von 30, die erstmals 2009 diagnostizierte beginnende Coxarthrose rechts einen GdB von 10. Die übrigen Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet im rechten Schultergelenk und linken Handgelenk seien aufgrund der nur sehr geringen Symptomatik nicht mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Auf orthopädischem Fachgebiet betrage der GdB seit Antragstellung 30 und 40 ab dem Jahr 2010. Unter Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 20 für die Beeinträchtigungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet sei die Bewertung des Gesamt-GdB mit 40 korrekt.

Nachdem der Kläger ein Schreiben des Dr. H. vom 23.02.2010 vorgelegt hatte, worin dieser angab, der GdB nur für den Hörverlust betrage 30, zusammen mit dem Tinnitus sei ein GdB von 30 bis 40 anzusetzen, hat das SG bei Dr. B., Leitender Arzt der HNO-Klinik des Klinikums Standort L., ein HNO-ärztliches Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 08.02.2012 hat dieser die Diagnosen eines dekompensierten Tinnitus aurium linksseitig, einer symmetrischen Schwerhörigkeit vom Innenohrtyp und einer chronisch polypösen Sinusitis gestellt. Letztere sei als leicht/geringfügig einzuordnen, das Ohrgeräusch als mittelschwer, die Schwerhörigkeit als leicht. Die Hörfähigkeit sei mit einem GdB von 0, die Polyposis nasi mit weniger als 10 und das Ohrgeräusch mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, die von Dr. H. durchgeführten tonaudiometrischen Erhebungen reichten nach den üblichen gutachterlichen Kriterien nicht aus, es müsse vielmehr die komplette gutachterliche sprachaudiometrische Beurteilung, insbesondere der Gehörverlust für mehrsilbige Zahlworte und Einsilber, durchgeführt werden. Das Ohrgeräusch müsse als erheblich berücksichtigt werden, es liege jedoch noch kein Stadium vor, in dem eine antidepressive/psychotherapeutische Behandlung erforderlich sei, sodass von einem Stadium Grad II auszugehen sei. Insgesamt sei der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten.

Der Kläger hat daraufhin medizinische Befunde aus dem Jahr 1995 vorgelegt (vom SG Reutlingen im Verfahren S 9 V 2086/94 eingeholte Auskünfte der Klinik B. und des Arztes Dr. U.), auf die Bezug genommen wird.

Mit Urteil vom 11.04.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der vom Beklagten zugemessene Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers sei zu hoch. Gerechtfertigt sei lediglich ein GdB von 20, da keine schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorlägen. Eine beginnende Coxarthrose rechts sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Aus der reinen Hörsituation des Klägers resultiere noch kein GdB. Erst in Zusammenhang mit dem Tinnitus sei der von Dr. B. vorgeschlagene GdB von 20 für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet zu rechtfertigen. Insgesamt komme kein höherer GdB als 40 in Betracht.

Hiergegen hat der Kläger am 07.05.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Gesundheitszustand habe sich seit dem 15.02.2002, als ihm ein GdB von 40 zuerkannt worden sei, erheblich verschlechtert. Das Tinnitus-Leiden habe sich nach einem Knall-Trauma im November 2008 erheblich verschlimmert. Sein Geruchssinn funktioniere nicht mehr. Selbst bei leichten Tätigkeiten habe er Schmerzen im linken Handgelenk, an dem er dann immer eine Bandage tragen müsse, ebenso habe er große Probleme im rechten Schultergelenk und im rechten Hüftgelenk.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. April 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2009 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab Antragstellung festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 15.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mit einem GdB von 40 ausreichend und angemessen berücksichtigt.

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 69 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung liegt im Hinblick auf die Feststellung des GdB vor, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des festgestellten (Gesamt-) GdB um wenigstens 10 ergibt bzw. die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nicht mehr vorliegen (BSG, Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - in juris). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den GdB stellen hingegen keine wesentliche Änderung in diesem Sinne dar (BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 18/97 R - in juris). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des gegenwärtigen - d.h. den Verhältnissen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - bestehenden Zustandes mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand im Zeitpunkt des Erlasses des zuletzt bindend gewordenen Bescheides zu ermitteln. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.09.2000 - B 9 SB 3/00 R - in juris).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).

Bei der konkreten Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen sind für Zeiträume vor dem 01.01.2009 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der jeweils gültigen Fassung (zuletzt 2008) heranzuziehen. In den AHP war der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderung wiedergegeben. Die AHP ermöglichten somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat die Bedeutung der AHP betont und sie als "einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge" (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R- in juris) beschrieben. Sie waren und sind für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zwar nicht rechtsverbindlich, sie tragen als "antizipierte Sachverständigengutachten" jedoch der Notwendigkeit Rechnung, Gesundheitsstörungen gleichmäßig zu bewerten. Angesichts dieser Bedeutung wie aus Gründen der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen folgt der Senat den Bewertungsvorgaben der AHP. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil über die jeweiligen Neuauflagen der AHP die jeweils neuesten Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen eingeflossen sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - in juris). Ab dem 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP der Teil B der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine wesentliche inhaltliche Änderung ist hierdurch nicht eingetreten. Die VG haben vielmehr die AHP im Wesentlichen übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist.

Nach Teil B 18.8 VG sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grade, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein GdB von 30 ist danach erst gerechtfertigt für Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufige rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome). Eine entsprechende Bewertung enthält Teil B Nr. 26.18 AHP.

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen beim Kläger eine lumbale Instabilität L2/S1 bei Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule mit deutlicher Facettengelenksarthrose in den Segmenten L3 bis S1 und beginnender Osteochondrose sowie eine relative Spinalkanalstenose L3/4 und L4/5. Damit liegen beim Kläger Wirbelsäulenschäden lediglich in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. R. hat der Kläger angegeben, Rückenschmerzen habe er nur ab und an, diese seien erträglich. Dr. R. hat die Erkrankung der Lendenwirbelsäule auch als leicht bis mittelschwer bewertet. Dies rechtfertigt lediglich die Zuerkennung eines Einzel-GdB von 20.

Eine beginnende Coxarthrose rechts ist mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach Teil B 18.14 VG ist die Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. mit Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig mit einem GdB von 10 bis 20 und beidseitig mit einem GdB von 20 bis 30 zu bemessen. Beim Kläger besteht eine Arthrose der Hüftgelenke rechts mit Verschmälerung des Hüftgelenksspalts und vermehrter supcontraler Sklerosierung. Der Sachverständige Dr. R. hat eine minimale Einschränkung in sämtlichen Bewegungsebenen des rechten Hüftgelenks ohne wesentlichen Krankheitswert und ohne Stauchungs-, Rüttel- oder Leistendehnungsschmerz festgestellt. Der Gang zu ebener Erde ohne Schuhwerk war sicher und unauffällig ohne Schonhinken und ohne sichtbare Fehlbelastung. Der Senat erachtet deshalb die Beurteilung des Sachverständigen, die beginnende Coxarthrose rechts mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, als ausreichend.

Die weiteren, auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen, nämlich eine beginnende Omarthrose und Coxarthrose rechts sowie eine gleichfalls rechtsseitige beginnende Acromioklavikulargelenksarthrose sowie eine längsseitige Handgelenksarthrose bedingen noch keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Der Senat stützt sich hierbei auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. R ...

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem vom Kläger im Klageverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen aus dem Jahr 1995. Denn maßgeblich für die Bemessung des GdB ist der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers.

Beim Kläger besteht darüber hinaus auf HNO-ärztlichem Gebiet eine Schwerhörigkeit vom Innenohrtyp, eine chronisch poypöse Sinusitis sowie ein Tinnitus aurium linksseitig.

Beim Kläger besteht ein prozentualer Hörverlust von rechtsseitig 20 % und linksseitig 10 % nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser. Der Senat stützt sich hierbei auf die von Dr. B. bei der gutachterlichen Untersuchung des Klägers am 12.01.2012 erhobenen Befunde. Dr. B. hat gut nachvollziehbar dargelegt, dass die von dem behandelnden Arzt Dr. H. durchgeführten tonaudiometrischen Erhebungen nach den üblichen gutachterlichen Kriterien nicht ausreichend sind, um den GdB festzustellen, da dieser insbesondere nicht die Hörverluste für mehrsilbige Zahlwörter und Einsilben in seine Bewertung mit einbezogen hat. Unter Zugrundelegung der Tabellen in Teil B 5.2.4 VG bzw. Teil A 26.5 AHP 2008 bedingt der Hörverlust des Klägers keinen Einzel-GdB. Auch ist die chronisch polypöse Pansinusitis mit einem lediglich geringen Beeinträchtigungsgrad nicht mit einem Einzel-GdB zu bewerten.

Der Tinnitus aurium links ist mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Nach Teil B 5.4 VG bzw. Teil A 26.5 AHP 2008 sind Ohrgeräusche (Tinnitus) ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen mit einem GdB von 0-10, mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein GdB von 30 bis 40 kommt danach erst für Ohrgeräusche mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive Störungen) in Betracht. Nach den Feststellungen von Dr. B., die sich der Senat zu eigen macht, beeinträchtigt das Ohrgeräusch den Kläger erheblich, so dass von einem schwergradigen, nicht kompensierbaren Tinnitus auszugehen ist. Dies rechtfertigt einen GdB von 20. Wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit liegen jedoch noch nicht vor. So kann der Kläger noch einschlafen, ohne Schlafmittel zu benutzen. Auch liegen keine ausgeprägten depressiven Störungen vor, eine entsprechende Medikation oder ärztliche Behandlung erfolgt nicht. Soweit der Kläger hierzu vorgetragen hat, sein Tinnitus habe sich nach einem Knalltrauma im Jahr 2008 erheblich verschlechtert, ist diese Befundsituation bei der Erstellung des Gutachtens durch Dr. B. im Januar 2012 bereits berücksichtigt worden.

Auch für die Verschlechterung des Geruchssinns ist kein GdB festzustellen. Der Kläger hat gegenüber dem Sachverständigen Dr. R. angegeben, durch die regelmäßige Abtragung der nasalen Polypen sei sein Geruchssinn über die letzten zehn Jahre allmählich deutlich schlechter geworden, das Schmecken sei uneingeschränkt. Nach Teil B 6.3 VG ist ein völliger Verlust des Riechvermögens mit der damit verbundenen Beeinträchtigung der Geschmackswahrnehmung mit einem Einzel-GdB von 15 zu bewerten. Beim Kläger liegt jedoch weder ein völliger Verlust des Riechvermögens noch eine wesentliche Beeinträchtigung der Geschmackswahrnehmung vor. Ein Einzel-GdB ist deshalb hierfür nicht festzustellen.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3 a) der VG dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben kommt die Feststellung eines höheren GdB als 40 nicht in Betracht, und zwar selbst dann nicht, wenn für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule ein Einzel-GdB von 30 zugrunde gelegt wird.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, ein GdB von 40 sei bereits mit Bescheid vom 15.02.2012 seit dem 23.10.2011 festgestellt worden, seither sei eine wesentliche Verschlechterung in seinem Gesundheitszustand eingetreten, ist dem entgegenzuhalten, dass die damalige Bemessung sehr großzügig erfolgt war. Denn dem vom Beklagten erst aufgrund des im Jahr 2003 gestellten Erhöhungsantrags beigezogenen Entlassungsbericht der Breisgau-Klinik B. über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 14.03.2000 bis 04.04.2000 kann entnommen werden, dass sich die Rückenschmerzen des Klägers ausweislich des Abschlussbefundes vollständig zurückgebildet hatten und während des Heilverfahrens auch keine rechtsseitigen Gesäßschmerzen mehr aufgetreten waren. Dem entsprechend hat Dr. K. in der ärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2004 zutreffend ausgeführt, die Beurteilung für das Wirbelsäulenleiden sei bereits sehr weitreichend. Auch der Einzel-GdB für das Ohrenleiden sei bereits im oberen Bereich angesiedelt.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger das von ihm mit der Berufung verfolgte wirtschaftliche Ziel, eine abschlagsfreie Altersrente zu beziehen, auch dann nicht erreichen könnte, wenn der GdB aufgrund der von ihm geltend gemachten Verschlechterung im Jahr 2008 ab diesem Zeitpunkt mit 50 festgestellt würde. Eine abschlagsfreie Altersrente käme vielmehr nur in Betracht, wenn die Schwerbehinderung bereits am 16.11.2000 vorgelegen hätte (vgl. § 236 a Abs. 4 SGB VI zu den Voraussetzungen einer abschlagsfreien Altersrente für schwerbehinderte Menschen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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