S 33 AS 1310/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
33
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 1310/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 2175/12
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die Einbehaltung von Tilgungsleistungen.

Der am 18.04.1971 geborene Kläger steht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Er ist hochgradig schwerhörig und hat einen gesetzlichen Betreuer für Vermögensangelegenheiten/Vertretung bei Behörden.

Am 04.10.2011 unterzeichnete er einen Mietvertrag über die Anmietung einer Genossenschaftswohnung. Er erklärte gleichzeitig seinen Eintritt in die Genossenschaft mit der Verpflichtung, einen Genossenschaftsanteil i.H.v. 801 EUR einschließlich Eintrittsgeld in Höhe von 26 EUR zu erwerben.

Zuvor hatte der Beklagte bestätigt, dass der Umzug im Sinne des SGB II anerkannt werde und dringend erforderlich sei, weil der akute Wohnungsnotstand beseitigt werde. Der Kläger war zuvor vorübergehend in einem Männerwohnheim untergebracht.

Mit Bescheid vom 21.12.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger 801 EUR für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen bezüglich der neuen Wohnung darlehnsweise. Zugleich wurde festgelegt, dass das Darlehen nach § 42a Abs. 2 SGB II durch monatliche Aufrechnung von 10 vom 100 der für den Kläger jeweils zu zahlenden Regelleistung zu tilgen sei. Die dem Kläger zustehende Regelleistung werde ab dem 01.01.2012 in monatlichen Raten in Höhe von derzeit 36,40 EUR gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet.

Hiergegen wurde Widerspruch erhoben. Der Kläger meint, der Rückzahlungsanspruch werde erst bei Beendigung des Mietverhältnisses gegen den Vermieter fällig und nicht etwa früher. Die Tilgungsbestimmung sei nach der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (Aktenzeichen L 9 SO 121/07 ER) nicht rechtmäßig. Mietkaution und Umzugskosten seien keine Regelleistungen, die gegen die Regelleistung aufgerechnet werden könnten. Eine eventuelle Einverständniserklärung mit der ratenweisen Tilgung werde vorsorglich widerrufen.

Mit Widerspruchbescheid vom 01.03.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 22 Abs. 6 S. 3 SGB III solle eine Mietkaution als Darlehen erbracht werden. Wegen der vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den Sicherungscharakter entspreche die Mietkaution der (darlehnsweisen) Übernahme von Aufwendungen für den Erwerb von Pflichtanteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft. Für die Begründung und Rückzahlung dieses Darlehens gelte § 42a SGB II. Es handele sich um eine gebundene Verwaltungsentscheidung, so dass für Ermessenserwägungen kein Raum bestehe.

Hiergegen richtet sich die am 02.04.2012 erhobene Klage.

Der Kläger meint, Tilgungsleistungen für ein Kautionsdarlehen seien in der Regelleistung nicht vorgesehen. Es liege ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Transparenzgebot vor, denn die Regelleistung werde durch hoheitliche Intervention zu einem Zweck herangezogen, der nicht als Grundlage in die Berechnung der Leistungshöhe eingegangen sei. Eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Berechnung wäre wenig wert, wenn sie beliebigem Verwertungszwang unterworfen werden könnte. § 22 Absatz 6 S. 3 SGB II sei verfassungskonform so auszulegen, dass der Kautionsbedarf durch Zuschuss oder auf sonstige Weise, nicht aber durch ein Darlehen zu decken sei. Zudem würde eine 10 prozentige Aufrechnung erst nach mehreren Monaten oder Jahren zu einer vollständigen Tilgung des Darlehens führen. Dies habe zur Folge, dass Einsparungen zur Deckung unregelmäßig anfallender Bedarfe kaum möglich seien, was wiederum zu einer längerfristigen und damit verfassungswidrigen Unterdeckung führen würde.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 01.03.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab Januar 2012 Leistungen nach dem SGB II ohne Einbehaltung von Tilgungsbeträgen für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, die Tilgung durch monatliche Aufrechnung i.H.v.10 Prozent aus dem Regelbedarf sei zwingend vorgeschrieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, denn der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Beklagte war zur monatlichen Aufrechnung in Höhe von 10 % der Regelleistung berechtigt. Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz, S. 3 SGB II in Verbindung mit § 42 a Abs. 2 SGB II.

Gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB II kann eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung als Bedarf anerkannt werden. Nach § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II soll eine Mietkaution als Darlehen erbracht werden. Wegen der vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den Sicherungscharakter entspricht die (darlehnsweise) Übernahme von Aufwendungen für den Erwerb von Pflichtanteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft der Mietkaution (vergleiche LSG Sachsen, Beschluss vom 29.09.2008 – L 2 B 611/08 AS-ER; Piepenstock in juris PK SGB II, 3. Auflage 2012, § 42 Rn. 184; Münder SGB II § 42 Rn. 162 mit weiteren Nachweisen).

Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen, werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen nach § 42a Abs. 2 SGB II ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung i.H.v.10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getätigt. Die Aufrechnung ist gegenüber dem Darlehensnehmer schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (§ 42a Abs. 2 S. 2 SGB II). Wie zwischen den Beteiligten unstreitig und auch aus dem Bescheid vom 21. 12. 2011 ersichtlich, hat der Beklagte diese Vorschriften eingehalten.

§ 42 a SGB II wurde durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 eingefügt und trat am 01.04.2011 in Kraft. Er ist auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt anwendbar. Die Geltung für Darlehen zur Stellung einer Mietkaution ist auch gemäß § 42 a Abs. 3 SGB II nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Daraus folgert sich, dass der Gesetzgeber keinen Ausschluss anordnen wollte. Nach der Sonderregelung des § 42 a Abs. 3 S. 1 SGB II zur Fälligkeit bei Rückzahlung durch den Vermieter, in welcher von einem noch nicht getilgten Darlehensbetrag die Rede ist, wird die zwischenzeitlich teilweise Tilgung gemäß § 42 a Abs. 2 S. 1 SGB II als möglich unterstellt (vergleiche auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz § 42 a Rn. 168 mit weiteren Nachweisen)

Eine Verfassungswidrigkeit der Regelung vermag die Kammer nicht zu erkennen. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Tilgung des Darlehens i.H.v.10 Prozent des maßgeblichen Regelsatzes das soziokulturelle Existenzminimum nicht mehr gedeckt wäre. Bei der Bewertung der Frage, ob das soziokulturelle Existenzminimum unterschritten wird, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nur eine Regelung hinsichtlich der Höhe der Tilgungsrate, nicht aber hinsichtlich der Tilgungsdauer getroffen hat. Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Tilgung über einen längeren Zeitraum im Auge hatte. Dafür spricht auch die Regelung des § 42a Abs. 6 SGB II. Denn der Gesetzgeber bringt mit dieser Regelung zum Ausdruck, dass einem Hilfebedürftigen mehrere Darlehen gewährt werden können, die nacheinander und damit über einen längeren Zeitraum getilgt werden. Die Systematik des SGB II spricht eher dafür, dass erst bei einer Unterschreitung des Regelbedarfs von 30 % von der Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums auszugehen ist. Denn für diese Fälle hat der Gesetzgeber in § 31a Abs. 3 SGB II und § 43 Abs. 2 S. 3 SGB II Sonderregelungen geschaffen (vergleiche auch Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 08.12.2011, S 8 AS 349/11 ER).

Nicht geteilt wird die Auffassung des Sozialgerichts Berlin im Beschluss vom 30.09.2011, Aktenzeichen S 37 AS 24431/11 ER, wonach eine Leistungskürzung über mehrere Monate mit dem Ansparkonzept des SGB II nicht zu vereinbaren sei. Denn es handelt sich bei einer Mietkaution um einen einmaligen Bedarf und nicht, wie vom Sozialgericht Berlin vertreten, um einen dauerhaften Mehrbedarf. Denn der Bedarf "Mietkaution bzw. Genossenschaftsanteil" fällt nur einmalig an. In der Argumentation des Sozialgerichts Berlin werden die Entstehung des Bedarfes, die Bedarfsdeckung und die Tilgung vermischt. Es wird nicht hinreichend zwischen der Bedarfsdeckung einmaliger und laufender Bedarfe unterschieden (vergleiche auch Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 08.12.2011, S 8 AS 349/11 ER).

Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach der Tilgung des Darlehens der Genossenschaftsanteil allein dem Kläger zusteht. Der Kläger erwirkt durch die Tilgung einen Gegenwert, nämlich den Anspruch auf unmittelbare Auszahlung des Genossenschaftsanteils nach Beendigung des Mietvertrages an ihn selbst. Die Tilgung kommt damit dem Kläger direkt zugute und ist insofern mit einer sonstigen Ansparung vergleichbar.

Eine derartige Auslegung entspricht auch einer vernünftigen Verteilung der unterschiedlichen Interessen. Denn der Leistungsträger ist nicht Partner des Mietvertrages. Allein der Kläger hat es durch sein Verhalten im Rahmen des Mietverhältnisses in der Hand, ob und in welcher Höhe ein Rückzahlungsanspruch aus der Kaution bzw. dem Genossenschaftsanteil besteht, während der Beklagte darauf keinerlei Einfluss hat (vergleiche auch Sozialgericht Oldenburg, Urteil vom 22. 6. 2011, S 45 AS 210/09).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved