S 12 KA 967/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 967/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 62/12
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Kassenärztliche Vereinigung hat nach § 140d I 4 und 8 SGB V einen Anspruch auf Rückzahlung der für die sog. Anschubfinanzierung für Verträge zur integrierten Versorgung einbehaltenen Teile der Gesamtvergütung, wenn die Krankenkasse ihrer Verpflichtung zur
Rechnungslegung bis zum Stichtag 01.04.2009 nicht ansatzweise nachgekommen ist (Fortführung von SG Marburg, Urt. v. 03.08.2011 - S 12 KA 962/09 -, Berufung anhängig:
LSG Hessen - L 4 KA 53/11; anders SG Berlin, Urt. v. 29.08.2012 - S 36 KR 2137/10 -juris Rdnr. 108).
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.426.970,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen Verfahrenskosten

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt noch die Zahlung von Gesamtvergütungsanteilen für die Jahre 2004 bis 2008 im Umfang von insgesamt 6.426.970,45 EUR, welche die Beklagte als Abzüge von der Gesamtvergütung zur Förderung der integrierten Versorgung zunächst einbehalten hatte.

Die Klägerin hat am 23.12.2009 eine Stufenklage eingereicht mit dem Antrag auf Verurteilung der Beklagten,
1. ihr detailliert und nachvollziehbar unter Vorlage der entsprechenden Verträge gemäß §§ 140 ff. SGB V Auskunft darüber zu erteilen,
a) aufgrund welches Vertrages/welcher Verträge zur integrierten Versorgung und in welcher jeweiligen Höhe die Beklagte ab dem Jahre 2004 gemäß § 140 d Abs. 1 Satz 1 SGB V Abzüge von der an die Klägerin zu zahlenden Gesamtvergütung gemäß § 85 Abs. 2 SGB V zur Förderung der integrierten Versorgung vorgenommen hat,
b) für welchen Vertrag/welche Verträge zur Förderung der integrierten Versorgung diese Einbehalte zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang verwendet worden sind und
2. nach erteilter Auskunft ihr den Betrag, der sich nach den aus Ziffer 1. erteilten Auskünften weder als Einbehalt für Verträge der integrierten Versorgung, noch als Verwendung für Zwecke zur Förderung der integrierten Versorgung gemäß § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V darstellt, nebst Zinsen in Höhe von 1 Prozentpunkt über dem Basiszinssatz seit dem ersten Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Sie trägt vor, sie habe letztmalig die Beklagte mit Serienbrief vom 03.12.2009 aufgefordert, ihr die entsprechenden IV-Verträge vorzulegen. Die Beklagte habe dies bisher mit dem Hinweis verweigert, sie sei ihrer Meldeverpflichtungen gegenüber der Registrierungsstelle gemäß § 140d Abs. 5 SGB V voll umfänglich nachgekommen. Die Angaben gegenüber der Registrierungsstelle seien aber weder geeignet noch ausreichend, um die erforderliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des Abzugs von der Gesamtvergütung vornehmen zu können. Selbst wenn von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gegenüber der Registrierungsstelle ausgegangen wird, ist eine inhaltliche Überprüfung der Verträge nicht möglich. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 06.02.2008 - B 6 KA 27/07 - eine inhaltliche Prüfung der Verträge als notwendig angesehen. Ein Auskunftsanspruch ergebe sich schon unmittelbar aus § 4 Abs. 5 der "Vereinbarung über die Fortführung einer gemeinsamen Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung des § 140d SGB V" ("weitergehende inhaltliche Auskunftsrechte der vom Abzug betroffenen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser werden durch die Auskunftserteilung nicht eingeschränkt"). Zur Prüfung einer rechtmäßigen Mittelverwendung sei zunächst festzustellen, ob es sich bei den Verträgen dem Grunde nach um IV-Verträge handele und anschließend, ob der Abzug der Höhe nach gerechtfertigt sei. Eine Rechnungslegung sei unverzichtbar angesichts der Höhe der Beträge. Das Meldeverfahren beziehe sich nur auf § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V, betreffe also nur die in den zurückliegenden Jahren jeweils aktuell vorgenommenen Einbehalte. Zum damaligen Zeitpunkt mögen diese Meldungen durchaus einer Plausibilisierung der seinerzeitigen Kürzungen gedient haben und für diese Zwecke vielleicht auch ausreichend gewesen sein. Hier gehe es jedoch um die in § 140d Abs. 1 Satz 4 SGB V vorgesehene Rechnungslegung. Sie müsse die Rechtmäßigkeit der Abzüge (rückwirkend) überprüfen können. Eine Konkretisierung des Zahlungsanspruchs sei erst nach Auskunftserteilung möglich. Die Realität habe gezeigt, dass in einer bislang nicht bekannten Zahl von Fällen die der "Anschubfinanzierung" zugrunde liegenden Verträge nicht den Anforderungen an eine integrierte Versorgung genügt hätten. Die Verwendung der einbehaltenen Mittel könne zwangsläufig erst nach Abschluss des Jahres 2008 überprüft werden. Zu diesem Zeitpunkt sei das endgültige Honorarvolumen bekannt und müsse nicht mehr geschätzt werden. Die ihr zugänglichen BQS-Meldungen der Beklagten, die sie zur Gerichtsakte reiche, erlaubten keinerlei Aussage darüber, ob diese Verträge die vom Gesetz gewollte Leistungssektoren übergreifende oder interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung organisierten. Generell stehe einer integrierten Versorgung entgegen, dass neben den Krankenkassen jeweils nur ein einzelner Vertragspartner benannt sei. Die bezeichnenden Vertragsgegenstände wie beispielsweise "Morbus Parkinson und verwandte Krankheitsbilder" etc. ließen nur den Schluss zu, dass es sich hierbei ausschließlich um Leistungen der üblichen ambulanten oder stationären Behandlung, also der Regelversorgung handele. Die ihr zugänglichen BQS-Meldungen rechtfertigten also erhebliche Zweifel daran, dass es sich in all diesen Fällen tatsächlich um integrierte Versorgungen handele. Die Beklagte müsse zumindest dem Gericht die IV-Verträge zur Kenntnis geben. Andernfalls komme sie ihrer Beweislast nicht nach (SG München, Urteil vom 19.05.2010 - S 38 KA 1517/08 -). Die Beklagte habe in den Jahren 2004 bis 2008 an Gesamtvergütung 6.426.970,45 EUR einbehalten. Die mit Schriftsatz vom 09.08.2010 vorgelegte Schlussrechnung sei unzureichend. Die einzelnen IV-Verträge würden nicht gesondert ausgewiesen.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.12.2010 zunächst Vertragsunterlagen zu 24 Verträgen "nur für das Gericht" übersandt hatte und mit Schriftsatz vom 14.03.2011 erklärte, die Klägerin möge auch Einsicht nehmen, hat die Klägerin ferner zu den IV Verträgen Stellung genommen. Sie ist der Auffassung, alle Verträge würden nicht die Voraussetzungen für einen IV-Vertrag erfüllen. In der mündlichen Verhandlung am 26.09.2012 hat sie die Auskunftsklage für erledigt erklärt und die Klage auf eine reine Zahlungsklage umgestellt.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
an sie 6.426.970,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechthängigkeit der Klage zu zahlen, hilfsweise
die mündliche Verhandlung zu vertagen und der Klägerin Schriftsatznachlass zur Stellungnahme von einem Monat zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, soweit sich die Klage auf das Jahr 2004 beziehe, sei der Anspruch der Klägerin ohnehin verjährt. Sie berufe sich auf die Einrede der Verjährung. Sie habe die den Kürzungen zugrunde liegenden Verträge ordnungsgemäß der BQS gemeldet. Für eine Offenlegung gegenüber der Klägerin bestehe keine Rechtsgrundlage. Im auf Spitzenverbandsebene vereinbarten Meldeverfahren sei die Vorlage der Verträge nicht vorgesehen. Das Meldeverfahren sei in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung geregelt worden. Auch das LSG Sachsen habe bestätigt, dass Krankenkassen nicht verpflichtet seien, überhaupt Einsicht in Vertragsunterlagen zu gewähren. Dem klägerischen Vortrag fehle insgesamt ein entsprechender berücksichtigungsfähiger Vortrag zur Rechtswidrigkeit der Integrationsverträge. Sie halte deswegen die Klage schon für unzulässig. Ihr stünde ein Schutzrecht ihrer geschäftigen Geheimnisse zu, wozu auch die Vertragsinhalte gehörten. Diesem habe der Gesetzgeber durch § 140d Abs. 5 SGB V Rechnung getragen, indem dort die Darlegungsfrist der Krankenkassen konkretisiert werde. Die Verträge seien Wettbewerbselemente, die durch Offenbarung wertlos würden, weil deren gedankliches Gut hierdurch den Mitbewerbern zugänglich werde. Auch über den verfahrensrechtlichen Weg der Beiziehung der Verwaltungsakte könne die Klägerin wegen des Schutzbedürfnisses die Vorlage der Verträge nicht bewirken. Eine Verwaltungsakte existiere nicht, es handele sich um eine Vielzahl von Verträgen. Schriftstücke existierten übergreifend bezüglich des Meldeverfahrens bei der BQS. Diese seien jedoch für die Klägerin abrufbar. Sie habe auch die Verwendung der einbehaltenen Mittel gegenüber der Klägerin dargelegt. Sie verweise auf ihr Schreiben vom 27.03.2009. Die BQS-Daten stellten nicht eine "Endabrechnung" dar, eine solche sei auch gar nicht vorgesehen, sondern die Darlegung der Verwendung aus § 140d SGB V sog. nicht verbrauchter Mittel. Sie habe in ihrem Schreiben vom 27.03.2009 angezeigt, dass die einbehaltenen Mittel sämtlich verbraucht worden seien. Sie sei aber mit dem Vorschlag der Klägerin einverstanden, dass nur das Gericht Einsicht in die Verträge nehmen könne. Sie überreiche daher nur für das Gericht die Verträge.

Mit Schriftsatz vom 14.03.2011 hat sie sich mit einer Einsicht der Klägerin in die von ihr übersandten Unterlagen einverstanden erklärt.

Weiter trägt sie vor, sie habe folgende Abzüge von der Gesamtvergütung vorgenommen:

Jahr Betrag in EUR
2004 3. Quartal 27.906,45
2004 4. Quartal 31.385,99
2005 659.380,71
2006 1.262.904,79
2007 2.036.162,87
2008 2.415.180,58

Sie habe auch bereits mit Schriftsatz vom 09.08.2010 die Schlussrechnung vorgelegt. Die einbehaltenen Mittel habe sie vollständig zweckentsprechend ausgegeben und in den amtlich vorgegeben Kontengruppen verbucht. Die vorgelegten Verträge erfüllten die an sie zu stellenden Voraussetzungen einer integrierten Versorgung auch im Hinblick auf die Einbindung der einzelnen Leistungserbringer, was sie für dreizehn Verträge weiter konkretisiert hat. Sie mache die Einrede der Verjährung geltend. Die Klägerin habe die Zahlungsansprüche erst im Jahr 2011 beziffert. Für die Jahre 2004 bis 2006 greife die gesetzliche Ausschlussfrist nach § 140d Abs. 1 Satz 8 SGB V. Mit Schriftsatz vom 13.09.2012 hat sie monats- und vertragsbezogene Tabellen mit Abzugsquoten vorgelegt, die sie in der mündlichen Verhandlung am 26.09.2012 durch Überreichen eines Schriftsatzes vom 25.09.2012 korrigiert hat. Sie hat ferner mit dem Schriftsatz vom 13.09.2012 ein umfangreiches Unterlagenkonvolut zur Gerichtsakte gereicht, das verschiedene ergänzende Unterlagen zu den bisher eingereichten 24 IV-Verträgen enthält sowie weitere sechs IV-Verträge nebst ergänzenden Unterlagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 6.426.970,45 EUR.

Ein Anspruch der Klägerin besteht bereits aus § 140d Abs. 1 Satz 8 SGB V (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 03.08.2011 - S 12 KA 962/09 - juris Rdnr. 28, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 53/11 -), da die Beklagte offensichtlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abrechnung bis zum 31. März 2009 nicht nachgekommen ist und es von daher überhaupt an einem Nachweis fehlt, dass Mittel für den strittigen Vertrag auch aufgewandt wurden.

Nach § 140d Abs. 1 SGB V in der bis zum 31.12.2011 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung hat jede Krankenkasse zur Förderung der integrierten Versorgung in den Jahren 2004 bis 2008 jeweils Mittel bis zu 1 vom Hundert von der nach § 85 Abs. 2 an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden Gesamtvergütung sowie von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung einzubehalten, soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind (Satz 1). Sie dürfen nur für voll- oder teilstationäre und ambulante Leistungen der Krankenhäuser und für ambulante vertragsärztliche Leistungen verwendet werden; dies gilt nicht für Aufwendungen für besondere Integrationsaufgaben (Satz 2). Satz 2 gilt nicht für Verträge, die vor dem 1. April 2007 abgeschlossen worden sind (Satz 3). Die Krankenkassen müssen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern die Verwendung der einbehaltenen Mittel darlegen (Satz 4). Die nach Satz 1 einbehaltenen Mittel sind ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs. 1 Satz 1 vereinbarten Vergütungen zu verwenden (Satz 6). Sie sollen in dem Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung, an die die nach Satz 1 verringerten Gesamtvergütungen gezahlt wurden, verwendet werden (Satz 7). Werden die einbehaltenen Mittel nicht innerhalb von drei Jahren für die Zwecke nach Satz 1 verwendet, sind die nicht verwendeten Mittel spätestens zum 31. März 2009 an die Kassenärztliche Vereinigung sowie an die einzelnen Krankenhäuser, soweit die Mittel in den Jahren 2007 und 2008 einbehalten wurden, entsprechend ihrem Anteil an den jeweils einbehaltenen Beträgen auszuzahlen (Satz 8).

Aus der Kombination der Pflicht zur Rechnungslegung nach Satz 4 und der Pflicht zur Rückzahlung nicht verwendeter Mittel bis zum genannten Stichtag folgert die Kammer, dass jedenfalls immer dann, wenn nicht ansatzweise eine Rechnungslegung erfolgt ist, diese nach Ablauf des Stichtages nicht mehr nachgereicht werden kann. Soweit SG Berlin in einem obiter dictum der Auffassung ist, auf die Rechnungslegung komme es deshalb nicht an, weil das Fehlen einer (ausreichenden) fristgemäßen Abrechnung auf die Berechtigung des Einbehalts keinen Einfluss habe und nicht automatisch dazu führe, dass der Rechtsgrund für den Einbehalt entfalle und die einbehaltenen Mittel in voller Höhe zurückzuzahlen seien, da im Abrechnungsverfahren nur ein Anspruch auf Rückzahlung der nicht verwendeten Mittel bestehe und der Anspruchssteller, um diese Höhe zu ermitteln, ggf. im Wege einer Stufenklage zunächst die Erteilung einer vollständigen Abrechnung erwirken und dann (in der zweiten Stufe) auf Auszahlung der ggf. nicht verwendeten Mittel klagen könne (vgl. SG Berlin, Urt. v. 29.08.2012 - S 36 KR 2137/10 - juris Rdnr. 109), ist dem nicht zu folgen. Neben der Systematik aus § 140d Abs. 1 Satz 4 und 8 SGB V folgt der genannte Rückzahlungsanspruch auch aus der weiteren Gesetzessystematik und den Gesetzesmaterialien.

§ 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V ermöglichte es den Krankenkassen, zunächst bis zu 1 % der Gesamtvergütung ohne größere Nachweise einzubehalten. Erforderlich war letztlich nur ein Vertragsschluss, die Meldung des Vertrags an die Registrierungsstelle und die Angabe eines prognostischen Bedarfs, wobei der Finanzbedarf insbesondere davon abhing, wie viele Versicherte sich für die Teilnahme entschließen würden. An das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit konnten daher keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es reichte aus, wenn die Mittel nach den plausiblen prognostischen Berechnungen der Krankenkasse zur Umsetzung einer konkreten integrierten Versorgungsform erforderlich waren (im Einzelnen s. Baumann in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 140d SGB V, Rdnr. 26 ff.). Von daher ist die Pflicht zur Rechnungslegung und zur Rückzahlung auch als Korrelat zu der einseitigen Befugnis auf einen – zunächst nur vorläufigen – Einbehalt zu sehen.

Diese Auslegung wird auch durch die Heranziehung der Gesetzesmaterialien bestätigt.

§ 140d SGB V wurde in der hier maßgeblichen Fassung zunächst durch Art. 1 Nr. 115 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) v. 14.11.2003, BGBl I 2003, 2190, 2225 eingefügt. Bereits diese Fassung sah in Satz eine Rückzahlungsverpflichtung innerhalb von drei Jahren vor ("Werden die einbehaltenen Mittel nicht innerhalb von drei Jahren für die Zwecke nach Satz 1 verwendet, sind die nicht verwendeten Mittel an die Kassenärztliche Vereinigung sowie an die einzelnen Krankenhäuser entsprechend ihrem Anteil an den jeweils einbehaltenen Beträgen auszuzahlen."). In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BT-Drs. 15/1525, S. 131):

Satz 5 bestimmt, dass diejenigen Mittel, die nicht innerhalb von drei Jahren für den vorgegebenen Zweck verwendet wurden, entsprechend dem jeweiligen Anteil der Gesamtmittel an die Kassenärztliche Vereinigung und die einzelnen Krankenhäuser auszuzahlen sind. Eine Abrechnung erfolgt damit nicht jährlich, sondern am Ende des Dreijahreszeitraums. Mit der Verpflichtung, nicht aufgebrauchte Mittel wieder auszubezahlen, wird der Anreiz zum Abschluss von Integrationsverträgen verstärkt. Zudem wird damit ausgeschlossen, dass die Krankenkasse die Mittel ohne "Gegenleistung" einbehalten kann.

Durch Art. 1 Ziffer 14 a) des Gesetzes zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG) v. 22.12.2006, BGBl I 2006, 3439 verlängerte die Anlaufphase für die integrierte Versorgung: Sie lief nicht schon am 31.12.2006, sondern erst am 31.12.2008 aus. Ferner wurde in Satz 5 nach den Wörtern "verwendeten Mittel" die Wörter "spätestens zum 31. März 2009" eingefügt, was dann weiterhin bis Ende 2011 unverändert galt. Im Bericht des Gesundheitsausschusses heißt es hierzu (BT-Drs. 16/3157, S. 17):

Mittel der Anschubfinanzierung sind spätestens drei Jahre nach Einbehaltung zu verwenden, nicht verwendete Mittel zurückzuzahlen. Die Regelung stellt klar, dass nicht verwendete Mittel der Anschubfinanzierung nach Ablauf des Zeitraums der Anschubfinanzierung, also spätestens zu Beginn des Jahres 2009, zurückzuzahlen sind. Damit wird gewährleistet, dass die zum 1. Januar 2009 erfolgte Neuordnung in der Vergütungsstruktur in der ambulanten Versorgung nicht durch Verrechnungen, die aus der bisherigen Vergütung resultieren, belastet werden.

Art. 1 Nr. 121 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz = GKV-WSG) v. 26.03.2007, BGBl I 2007, 378 beschränkte die Verwendung der Mittel der Anschubfinanzierung künftig nur für Leistungen der ambulanten oder stationären Versorgung und führte erstmals ausdrücklich die Pflicht zur Rechnungslegung als Satz 4 ein. Diese Fassung blieb dann bis Ende 2011 in Kraft, bis der Gesetzgeber nach Auslaufen der sog. Anschubfinanzierung § 140d SGB V erneut umgestaltete. Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus (BT-Drs. 16/3100, S. 153):

Die Krankenkassen sind verpflichtet, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern auf Verlangen die Verwendung der einbehaltenen Mittel plausibel darzulegen. Es muss nachvollziehbar sein, zu welchem Zweck die Mittel verwendet werden. Der Umfang der Nachweispflicht entspricht dem Umfang der Nachweispflicht gegenüber der Registrierungsstelle in § 140d Abs. 5 (vgl. unten zu Buchstabe c).

Und zu Buchstabe c, der die Meldung an die Registrierungsstelle nach § 140d Abs. 5 SGB V betrifft:

Absatz 5 dient der Erhöhung der Transparenz. Verträge zur integrierten Versorgung berühren durch die Regelung zur Anschubfinanzierung die finanziellen Interessen der Vertragsärzte und Krankenhäuser. Es ist daher sachgerecht, dass die betroffenen Leistungserbringer Informationen über die Verträge erhalten, damit sie überprüfen können, ob die Vergütungsabzüge sachgerecht erfolgt sind. Es muss nachvollziehbar sein, zu welchem Zweck die Mittel verwendet werden. In der Regel wird dabei auf den einzelnen Vertrag Bezug zu nehmen sein. Zu melden sind insbesondere das geschätzte Vergütungsvolumen, die Kürzungsquoten, die für den jeweiligen Vertrag einbehaltenen aber nicht ausgegebene Mittel. Satz 2 dient dazu, mehr Transparenz zur Entwicklung der integrierten Versorgung und zum Versorgungsgeschehen zu erreichen. Die Registrierungsstelle hat dabei – zumindest in genereller Form – über die Entwicklung und Inhalte der Verträge zur integrierten Versorgung zu berichten

Mit § 140d Abs. 1 Satz 4 und 8 SGB V hat sich der Gesetzgeber damit nicht auf eine Rückzahlung allein der "nicht verwendeten Mittel" beschränkt, sondern verlangt nunmehr eine Abrechnung mit den tatsächlichen Werten gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen (und Krankenhausträgern) in einer Genauigkeit, wie sie auch gegenüber der Registrierungsstelle zu erfolgen hat.

Die Kammer folgert hieraus, dass bis zum genannten Stichtag damit eine Abrechnung vorliegen musste, die das geschätzte Vergütungsvolumen, die Kürzungsquoten und die für den jeweiligen Vertrag einbehaltenen aber nicht ausgegebene Mittel beinhaltete. Allenfalls soweit darüber hinaus Streit über die Nachvollziehbarkeit der Abrechnung besteht, ist eine Kassenärztliche Vereinigung auf den Weg der Stufenklage auf Auskunft und ggf. Zahlung zu verweisen.

Diesen Mindestanforderungen ist die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht nachgekommen.

Das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 27.03.2009 beinhaltet lediglich eine einseitige Aufstellung über die jahresbezogene Gesamtsaldierung der Einnahmen und Ausgaben mit den Spalten "Einnahmen Anschubfinanzierung Kassenärztliche Vereinigungen", "Einnahmen Anschubfinanzierung Krankenhäuser", "Einnahmen Anschubfinanzierung gesamt", "Anrechenbare Ausgaben i.S.v. § 140d Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V" und ""Saldo (Negativsalden = 0". Damit fehlt es bereits an jeder Vertragsbezogenheit und ist weder der Beklagten noch dem Gericht eine auch nur überschlägige Überprüfung möglich.

Die Beklagte hat zum Stichtag 31. März 2009 damit nicht ansatzweise die erforderliche Rechnungslegung geleistet und ist daher grundsätzlich zur Rückzahlung aller gegenüber der Beklagten einbehaltenen Mittel verpflichtet.

Im Übrigen hat die Beklagte auch in der Folgezeit keine nachvollziehbare Rechnung abgegeben. Erstmals mit Schriftsatz vom 13.09.2012 hat sie monats- und vertragsbezogene Tabellen mit Abzugsquoten vorgelegt, die sie in der mündlichen Verhandlung am 26.09.2012 durch Überreichen eines Schriftsatzes vom 25.09.2012 korrigiert hat. Diese Tabellen waren für die Kammer, die mit einem Vertreter der Krankenkassen besetzt ist, der insofern als Vorstandsmitglied auch mit solchen Abrechnungsvorgängen befasst ist, auch mit Hilfe der Sitzungsvertreter der Beklagten nicht nachvollziehbar. Den Aufstellungen konnten weder die Aufwendungen für die einzelnen Verträge entnommen werden noch konnten diese anhand der Daten errechnet werden. Hinzu kommt, dass sich die Beklagte mit den Tabellen offensichtlich nunmehr auf weitere Verträge beruft, als bisher angegeben. So konnte auch in der mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden, dass nach den Tabellen im Jahr 2008 dreiunddreißig Verträge vorhanden waren bzw. die Beklagte sich offensichtlich auf die genannte Zahl von Verträgen in Jahr 2008 beruft, die Beklagte aber zunächst 24 (nicht wie noch in der mündlichen Verhandlung vom Gericht irrtümlich angegeben bloß 15) Verträge in einem Ordner vorgelegt und später nochmals sechs Verträge vorgelegt hat. Dem brauchte die Kammer aber letztlich nicht weiter nachzugehen, da bereits bis zum genannten Stichtag eine auch nur ansatzweise ausreichende Rechnungslegung nicht erfolgt ist.

Unerheblich ist, dass die von der Klägerin geltend gemachten Beträge für die Jahre 2004 und 2005 von den Angaben der Beklagten abweichen, da die Klägerin insoweit weniger verlangt als die Beklagte angibt, einbehalten zu haben. Im Übrigen sind die Beträge unstrittig.

Die Beklagte kann die Einrede der Verjährung mangels Nachweises nicht erheben.

Die Kammer hat bereits in der Verfügung vom 18.09.2012 darauf hingewiesen, dass Verjährung allenfalls für die Rückzahlungsforderung gegenüber dem Einbehalt für das Quartal III/04 in Betracht kommt. Für den Fristlauf ist § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB analog anzuwenden ist. Danach beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Die Fälligkeit folgt aus dem Gesamtvertrag zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Ersatzkassen. Nach § 12 Abs. 2 des Gesamtvertrags haben die Ersatzkassen die Mitgliederzahlen für das Abrechnungsquartal spätestens bis zum Ablauf des zweiten Monats nach Ende des betreffenden Abrechnungsquartals an die Beklagte zu melden. Unmittelbar danach hat die Beklagte die Gesamtvergütung und die Restzahlung festzustellen. Damit tritt Fälligkeit ein. Soweit der erste Einbehalt für das Quartal III/04 erfolgt ist, kann Fälligkeit frühestens im November/Dezember 2004 eingetreten sein. Damit kommt eine Verjährung allenfalls für die Rückzahlungsforderung gegenüber dem Einbehalt für das Quartal III/04 in Betracht. Die Beteiligten haben sich zu den Zahlungsvorgängen aber nicht geäußert und keine Nachweise vorgelegt. Von daher muss es bei der Beweislastregel verbleiben, dass der Beklagte den Eintritt der Verjährung nachweisen muss. Dies wäre ihr auch ohne weiteres durch ihre eigenen Unterlagen möglich. Hieran fehlt es aber.

Im Übrigen wird die Verjährung gehemmt durch die Erhebung der Klage auf Leistung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dies gilt auch für die zunächst erhobene Stufenklage. Wenn auch eine teilweise schleppende Prozessführung seitens der Klägerin vorliegt, so ist das Verfahren zu keiner Zeit dadurch i. S. d. § 204 Abs. 2 BGB in Stillstand geraten, dass die Parteien es nicht betrieben hätten. Von daher kann auch dahinstehen, ob diese Vorschrift in Prozessen, in denen wie hier der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, analog angewandt werden kann.

Gleichfalls scheidet eine von der Beklagten geltend gemachte Verwirkung aus. Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert, dass die Klägerin bereits unter Datum vom 03.12.2009 auf die Pflicht zu Rechnungslegung und auf fehlende Nachvollziehbarkeit und/oder Unvollständigkeit der vorgelegten "Verwendungsnachweise" hingewiesen hat, was im Übrigen das gesamte Klagevorbringen durchzieht. Soweit die Beklagte ferner auf SG Chemnitz, Urt. v. 29.06.2012 – S 9 KR 619/09 verweist, ist dessen Auffassung schon deshalb nicht zu folgen, weil das Gericht wesentlich auf die besonderen Abrechnungsstrukturen im Bereich der Krankenhausvergütung – hierauf allein bezieht sich auch der von der Beklagten weiter vorgelegte Beschluss des BSG v. 08.09.2009 - B 1 KR 11/09 R – juris – abstellen. Ferner wird gerade der Aspekt der Rechnungslegung im Urteil des SG Chemnitz nicht dargelegt.

Im Übrigen hat die Kammer erhebliche Zweifel, ob die vorgelegten Verträge die Anforderungen an IV-Verträge i. S. d. §§ 140a ff. SGB V erfüllen und die Beklagte überhaupt berechtigt war, den strittigen Betrag auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V in der jeweils gültigen Fassung des Gesetzes von der an die Klägerin gemäß § 85 Abs. 1 SGB V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten.

Nach § 140d Abs. 1 Satz 3 SGB V dürfen die nach Satz 1 einbehaltenen Mittel ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs. 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Nach dieser Vorschrift legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung der in diesem Rahmen erbrachten Leistungen fest. Integrationsverträge i. S. des § 140a Abs. 1 Satz 1 SGB V können nur über eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung geschlossen werden.

Eine leistungssektorenübergreifende Versorgung ist eine Versorgung, die ambulante und stationäre Behandlungen oder die innerhalb des ambulanten oder des stationären Hauptsektors weiter zu unterscheidende Leistungssektoren umfasst, so etwa die Verzahnung von ambulanten Operationen und anschließender Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Funktionell geht es um Überwindung von Schnittstellenproblemen, so u. a.die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von Wartezeiten, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können (vgl. BSG, Urt. v. 06.02.2008 - B 6 KA 27/07 R - BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr. 1 = GesR 2008, 260 = ZMGR 2008, 208 = USK 2008-21 = KRS 08.020, juris Rdnr. 17 f.). Neben dem Erfordernis der leistungssektorenübergreifenden Versorgung müssen die Verträge Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzen (vgl. BSG, Urt. v. 06.02.2008 - B 6 KA 27/07 R - a.a.O., Rdnr. 20).

Eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung setzt eine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen die Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem im ambulanten Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw. im stationären Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt bzw. der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem Anästhesisten bzw. seinem Fachgebiet, wie sie traditionellerweise ohnehin in jeder Einrichtung stattfindet. Erforderlich ist vielmehr ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen von Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete, wobei die Anforderungen im Einzelnen keiner Entscheidung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bedürfen (vgl. BSG, Urt. v. 06.02.2008 - B 6 KA 5/07 R - SozR 4-2500 § 140a Nr. 2 = KHR 2008, 103 = GesR 2008, 493 = USK 2008-22 = MedR 2009, 110 = KRS 08.019, juris Rdnr. 17).

Auf der Grundlage des § 140d Abs. 1 Satz 1 SGB V sind die Krankenkassen nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar, wenn Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile einbehielten und allenfalls später (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (vgl. BSG, Urt. v. 06.02.2008 - B 6 KA 27/07 R - a.a.O., Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 06.02.2008 - B 6 KA 5/07 R – a.a.O., Rdnr. 15).

Das Bundessozialgericht hat weiter dargelegt, dass § 145d Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich verlange, dass es sich um bereits abgeschlossene Verträge handele, nicht um Verträge, die sich erst noch im Planungs- oder Verhandlungsstadium befänden. Von daher scheide eine rückwirkende Inkraftsetzung eines Vertrages aus. Es müssten auch unterschriebene Verträge vorgelegt werden. Die Verträge müssten auch vollständig vorliegen, im konkreten Fall ist erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Dokumentationskonzept abgeschlossen worden. Eine rückwirkende Inkraftsetzung eines Vertrages sei, so das BSG weiter, rechtlich nicht zulässig. Es müsse auf einer vertraglichen Grundlage sichergestellt werden, dass die Vertragspartner eine integrierte Versorgung auch rechtlich leisten könnten. Solle – wie im konkreten Fall des BSG – die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten mit einem Krankenhaus stattfinden, so liege ein Vertrag erst dann vor, wenn tatsächlich auch die als potentielle Vertragsteilnehmer angesprochenen Vertragsärzte vertraglich einbezogen worden seien. Daran fehle es, wenn die Einbeziehungsvereinbarung mit Vertragsärzten nicht vorliege, nicht einmal in Form eines – hierfür aber auch nicht ausreichenden – Musters. Unzureichend sei auch ein Vertragstext, der sich einer vertraglichen Einbeziehung von konkreten Vertragsärzten, die von dieser ihnen eingeräumten Option auch Gebrauch machten, enthalte (vgl. BSG, Urt. v. 02.11.2010 - B 1 KR 11/10 R - GesR 2011, 104 = USK 2010-64, hier zitiert nach juris, Rdnr. 22 ff.; s. a. BSG, Urt. v. 25.11.2010 - B 3 KR 6/10 R - juris Rdnr. 15 ff.).

Ausgehend von diesen Maßstäben bestehen erhebliche Zweifel, ob die strittigen Verträge den Anforderungen an einen Vertrag zur integrierten Versorgung genügen.

Die Kammer hat bereits im Urt. v. 03.08.2011, a.a.O., Rdnr. 27 dargelegt, dass Managementgesellschaften Koordinations- und Überwachungsaufgaben zukommen können, sie es aber im Sinne der §§ 140a ff. SGB V für unzulässig hält, dass diesbezüglich keine klaren vertraglichen Absprachen und Regelungen im Vertrag gegenüber der letztlich verantwortlichen Krankenkasse getroffen werden. Insofern fehle es aus Sicht der Kammer gerade an der vertraglichen Einbindung der einzelnen Leistungserbringer und habe die Kammer weiter davon absehen können, dass die Beklagte bisher nicht in der Lage gewesen sei, darzulegen, welche Leistungserbringer für welche Leistungen hätten in Anspruch genommen werden können und wann sie zu dem Vertrag beigetreten seien. Auch aus den vorgelegten Beitrittserklärungen eines Krankenhauses und einer Arztpraxis mit mehreren Behandlern könne die Kammer nicht entnehmen, zu welchen Leistungen diese Leistungserbringer verpflichtet seien. Die Koordinationsaufgabe der Managementgesellschaft werde zwar grundsätzlich für zulässig angesehen, aufgrund des Erfordernisses der vertraglichen Einbindung aller Leistungserbringer sei aber notwendig, dass im Vertrag selbst die Art und Weise der Koordination und die Verpflichtungen vertraglich geregelt werde. So könne die Kammer dem Vertrag keine Behandlungspflicht entnehmen, so z. B. nicht für die beitretenden Krankenhäuser oder die anderen Leistungserbringer im beispielsweise Hilfsmittel- oder Heilmittelbereich. Offensichtlich erfolge deren Einbindung über Absprache mit der Managementgesellschaft, eine klare rechtlich verbindliche Verpflichtung zur Leistungserbringung, gerade auch gegenüber der Krankenkasse, habe die Kammer dem Vertrag jedoch nicht entnehmen können. Von daher sei es für die Kammer auch nicht darauf angekommen, ob die Beklagte überhaupt in der Lage gewesen sei, die weiteren Beitrittserklärungen vorzulegen.

Daran hält die Kammer grundsätzlich fest. Alle vorgelegten Verträge betreffen Verträge mit nur einem Vertragspartner. Soweit es sich bei diesem nicht bereits um eine Managementgesellschaft handelt, übernimmt der Vertragspartner und Leistungserbringer die erforderlichen Koordinationsaufgaben. Insofern fehlt es aber in allen Verträgen an der erforderlichen vertraglichen Einbindung der übrigen Leistungserbringer. Soweit abweichend hiervon im Vertrag mit der WE. GmbH eine leistungssektorenübergreifende Behandlung von Morbus Parkinson-Patienten erfolgen soll, so lässt der Vertrag nicht erkennen, welche konkreten Leistungen in der integrierten stationären Versorgung, welche sowohl eine Krankenhausbehandlung als auch eine krankheitsspezifische stationäre Rehabilitationsbehandlung beinhalteten (§ 2 Abs. 2 des Vertrages), erbracht werden und wie oder wodurch die Verzahnung von Krankenhaus- und Rehabilitationsbehandlung erfolgen soll. Insofern war auch nicht der Entscheidung des SG Frankfurt a. M., Urt. v. 06.01.2012 - S 18 KR 737/08 – zu folgen.

Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 291 BGB. Da die vorliegend streitige Gesamtvergütung auf einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis beruht und weder die §§ 53 bis 60 SGB X noch die sonstigen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs eine ausdrückliche Regelung über Prozesszinsen enthalten (§ 61 Satz 1 SGB X), greift gemäß § 61 Satz 2 SGB X die ergänzende Verweisung auf die Bestimmungen des BGB ein (vgl. BSG, Urt. v. 28.09.2005 - B 6 KA 71/04 R - SozR 4-2500 § 83 Nr. 2 = BSGE 95, 141 = GesR 2006, 168 = MedR 2006, 226 = NZS 2006, 385 = Breith 2006, 542 = USK 2005-127).

Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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