L 9 U 513/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 6816/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 513/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1961 geborene Kläger absolvierte zwischen 1976 und 1979 eine Lehre als Maurer und Betonbauer. Im Ausbildungsbetrieb war er danach und bis 1988 als Geselle im Hoch- und Brückenbau beschäftigt gewesen (unterbrochen durch den Grundwehrdienst, den er in der Zeit vom 01.01.1981 bis zu seiner Ausmusterung am 04.02.1981 ableistete). Von Mai 1988 bis Januar 1993 war er dann bei verschiedenen Bauunternehmungen als Vorarbeiter im Wesentlichen im Wohnungsbau und der Bausanierung tätig. Von Februar 1993 bis 29.02.2004 (unterbrochen wiederum durch eine Tätigkeit als Vorarbeiter eines Bauunternehmens zwischen dem 12.07.1993 und 14.09.1994) war er dann als Montageleiter bei der Firma K. GmbH beschäftigt, wo er zusammen mit ihm unterstellten Mitarbeitern (2) aus vorgefertigten Stahlbetonelementen Industriebauten zu erstellen hatte.

Der Kläger beantragte am 15.10.2004 die Anerkennung von Bandscheibenvorfällen als Berufskrankheit. Hierzu hat er Angaben zum Verlauf seiner Erkrankung und zu seinem schulischen und beruflichen Werdegang gemacht. Außerdem hat er den Bericht der Orthopädischen Klinik der Klinik am E. G. vom 16.01.2002 vorgelegt, in der die Diagnosen einer Lumboischialgie links mit radikulärer Symptomatik bei sequestrierendem Bandscheibenvorfall L5/S1 links, kleiner, mediolateral betonter Bandscheibenvorfall L4/5 links, chronisches HWS-Syndrom mit Bandscheibenschaden HKW 3/4, diskrete Retrospondylose und Pelottierung des Duralsacks und rezidivierende Pankreatitis angegeben waren. Außerdem liegt der Bericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 22.03.1997 vor, der über eine Behandlung des Klägers am 21.03.1997 wegen Rückenproblemen und auch über seit 6 Wochen bestehende deutliche Schmerzen im LWS-Bereich, welche in die Oberschenkelvorderseite ausstrahlten, berichtete. Außerdem liegt der Bericht des Orthopäden Dr. M. vom 24.09.2002 vor, der eine Lumboischialgie bei Osteochondrose und eine Hypermobilität L5/S1 beschrieb. Die Beklagte hat darüber hinaus eine Arbeitsplatzbeschreibung der Firma K. GmbH beigezogen und den technischen Aufsichtsbeamten Dipl.-Ing. B. gehört. Er führte nach persönlicher Anhörung des Klägers aus, der Kläger habe während der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse Tätigkeiten ausgeübt, wie sie in der Dokumentation für den typischen ?Maurer im Hochbau? bzw. den typischen ?Beton- und Stahlbetonbauer? beschrieben seien. Die Beklagte zog Vorerkrankungsverzeichnisse bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Esslingen und der Innungskrankenkasse Rems-Murr sowie Arztberichte der Klinik am E. G. (unter anderem Bericht über die MRT der HWS und LWS vom 17.12.2001) sowie Röntgen- CT-/MRT-Aufnahmen der HWS und LWS bei. Der von der Beklagten gehörte Beratungsfacharzt Dr. K. führte unter dem 15.06.2005 aus, es läge ein monosegmentaler Schaden L5/S1 ohne vorauseilende degenerative Veränderungen der LWS vor. Es bestünde kein belastungskonformes Schadensbild.

Mit Bescheid vom 07.07.2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Hals- und Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit ab. Die monosegmentale Schädigung im Bereich der LWS spräche gegen eine durch die berufliche Tätigkeit verursachte Erkrankung, weil die Relation zwischen Belastung und Schaden fehle, wenn isoliert nur ein Segment im Bereich des Lendenwirbelsäulenabschnittes verändert sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 28.10.2005 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben.

Die Beklagte hat während des Klageverfahrens eine Belastungsbeurteilung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) des Dipl.-Ing. V. und des Dipl.-Ing. A. vom 25.08.2006 vorgelegt. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum vom 01.08.1976 bis 29.02.2004 eine berufliche Gesamtdosis in Höhe von 31,4 x 106 Nh vorgelegen habe und dieser Wert über dem Richtwert von 25 x 106 Nh für Männer liege (wegen der Einzelheiten der Belastungsdokumentation wird auf Blatt 35-79 der Akten des Sozialgerichts verwiesen).

Das SG hat daraufhin Beweis erhoben durch das Einholen eines orthopädischen Fachgutachtens bei Dr. N., Klinik am E., G ... Dr. N. kam im seinem Gutachten vom 22.01.2007 unter Berücksichtigung des Röntgengutachtens von Prof. Dr. D. und Dr. B. vom 19.01.2007 zu dem Ergebnis, dass im Bereich der Wirbelsäule eine Lumbalgie bei bestehendem Bandscheibenvorfall an den Etagen L4/L5/S1 mit Wurzelreizsymptomatik, beginnender Spondylose sowie einer Fehlstellung des Kreuzbeines, ein Halswirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Symptomatik, ein Brustwirbelsäulensyndrom bei bestehender rechtskonvexer Skoliose bestünden. Im Bereich der Halswirbelsäule zeigten die Röntgenbilder einen regelrechten Befund, die kernspintomographische Untersuchung vom 17.12.2001 habe eine diskrete rechtsbetonte Retrospondylose an der Etage C3/C4 gezeigt. Es handele sich um ein Halswirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Symptomatik, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule liege nicht vor. Im Bereich der LWS bestünden radiologisch kleine ventrale knöcherne Ausziehungen an den Wirbelkörpern L4 und L5 sowie eine deutliche Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes an der Etage L5/S1 sowie degenerative Veränderungen der kleinen Gelenke im unteren Abschnitt der Lendenwirbelsäule. Darüber hinaus fänden sich bei der kernspintomographischen Untersuchung vom 17.12.2001 ein Bandscheibenvorfall an der Etage L5/S1 mit Einengung des linken Neuroforamens und ein ebenso links betonter Bandscheibenvorfall an der Etage L4/L5 mit diskreter Einengung des Rezessus. Nach den Konsensempfehlungen 2005 seien für einen 40-jährigen zum Zeitpunkt der kernspintomographischen Untersuchung derartige Veränderungen altersuntypisch. Typisch für die Anerkennung als Berufskrankheit sei dagegen der Befall der zwei untersten Segmenten (L4/L5 und L5/S1). Darüber hinaus habe keine andere Erkrankung, auch aus dem rheumatischen Kreis, festgestellt werden können. Die bestehenden Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule seien von Dauercharakter und ließen sich nicht mehr rückgängig machen. Schwere körperliche Arbeiten, Tätigkeiten die dauernd im Stehen, Gehen oder Sitzen verrichtet werden müssten sowie eine gleichförmige, eintönige Körperhaltung oder Bücken erforderten und insgesamt jegliche Tätigkeiten, welche die Lendenwirbelsäule verstärkt beanspruchen könnten, müssten als Gefährdung der Gesundheit betrachtet werden.

Hierauf hat die Beklagte eine beratungsfachärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 21.03.2007 vorgelegt. Er hat die Auffassung vertreten, dass aufgrund der zeitlichen Gegebenheiten es auszuschließen sei, dass die Bandscheibenschäden am unteren Ende der Lendenwirbelsäule durch Arbeitsbelastung entstanden seien. Hauptursache im rechtlichen Sinne sei eine angeborene Anomalie der Lendenwirbelsäule im Sinne einer lumbosakralen Assimilationsstörung. Für die Ursache der Bandscheibenschäden am Segment L4/5 und L5/S1 lasse sich aus dem Schadensbild nichts ableiten. Übersehen worden sei, dass eine angeborene Anomalie der Lendenwirbelsäule vorliege. Argumentativ unberücksichtigt geblieben seien auch die an Hals- und Brustwirbelsäule festgestellten Bandscheibenschäden. Es sei darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass im Vorerkrankungsverzeichnis erstmals schon 1979 Arbeitsunfähigkeit wegen einer Lumboischialgie ausgewiesen gewesen sei. Hierauf hat Dr. N. auf Veranlassung des SG ergänzend Stellung genommen. Er ging davon aus, dass beim Kläger asymmetrische Wirbelkörper an der Lendenwirbelsäule nie diagnostiziert worden seien. Die Veränderungen an der HWS habe er berücksichtigt, aber für nicht relevant gehalten, ebenso wie die Veränderungen an der Brustwirbelsäule.

Hierauf hat die Beklagte eine weitere beratungsfachärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 04.07.2007 vorgelegt. Er hielt die Einwände in seinem Gutachten durch die Stellungnahme von Dr. N. nicht für entkräftet. Ein Teil der Einwände sei akzeptiert worden, zwei seien unkommentiert geblieben.

Mit Urteil vom 19.12.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen der Auffassung von Prof. Dr. W. angeschlossen, wonach schon 1979 und in den folgenden Jahren Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumboischialgie, Lumbago und Lumbalgien aufgetreten seien. Auch wenn es sich dabei teilweise nur um Arbeitsunfähigkeitszeiten von wenigen Tagen gehandelt habe, bedeute dies, dass Symptome einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS erstmals 2 Jahre nach Beginn der besonderen, wirbelsäulenbelastenden Beanspruchung durch die Berufstätigkeit aufgetreten seien. Damit sei die vom Verordnungsgeber geforderte Langjährigkeit, die das Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) jetzt noch mit mindestens 7 Jahren annehme, nicht erfüllt. Darüber hinaus sei die lumbosakrale Assimilationsstörung von Dr. N. bei dessen Kausalitätsbeurteilung fälschlicherweise unberücksichtigt geblieben. Die Kammer habe sich nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit davon überzeugen können, dass die beruflichen Belastungen die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS verursacht oder wesentlich verschlimmert haben könnten, zumal auch im Bereich der BWS und HWS unstreitig Veränderungen festgestellt worden seien.

Gegen das ihm am 09.01.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.01.2008 Berufung eingelegt.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages hält der Kläger daran fest, dass seine Erkrankung an der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Ziffer 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen sei. Es sei zwar richtig, dass er beginnend mit dem 01.02.1979 immer wieder einmal wenige Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und auch die Diagnose Lumboischialgie oder Lumbalgie oder Scheuermann oder Ischialgie oder auch LWS-Syndrom gestellt worden seien. Aus diesen gelegentlichen Erkrankungen die Schlussfolgerung zu ziehen, als Hauptursache für die Gesundheitsstörung an der LWS sei eine angeborene Anomalie der Lendenwirbelsäule im Sinne einer lumbosakralen Assimilationsstörung anzunehmen, sei aber fehlerhaft. Darüber hinaus handele es sich bei diesen Diagnosen um solche, die keinen genaueren Rückschluss auf die Erkrankung zuließen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Beiziehung sachverständiger Zeugenaussagen bei Dr. H., Dr. S., Dr. S., Dr. F., Dr. F. und Dr. L ... Wegen der gemachten Aussagen wird auf Blatt 43 bis 62 nebst vorgelegter Befundberichte (Bl. 63 bis 96) der Senatsakten verwiesen. Der Senat hat darüber hinaus Beweis erhoben durch das Beiziehen von Befundberichten beim Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr. Auf die insoweit vorgelegten Unterlagen (Blatt 119 bis 136 der Senatsakten) wird ebenfalls verwiesen.

Der Senat hat darüber hinaus Prof. Dr. C., S., mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt. Prof. Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 10.10.2011 im Bereich der Halswirbelsäule nach klinischem Befund eine leichtgradig eingeschränkte Beweglichkeit hinsichtlich der Drehung nach links bei freier Beweglichkeit in den übrigen Bewegungsebenen festgestellt, ohne Hinweis auf eine Reizung der von der Halswirbelsäule ausgehenden Nervenwurzeln (weder in Form von Gefühlsstörungen, noch in Form von motorischer Schwäche im Bereich der oberen Extremitäten). Röntgenologisch habe sich ein altersentsprechender Normalbefund ohne vorauseilende degenerative Veränderungen und ohne Hinweis für eine bandscheibenbedingte Erkrankung ergeben. Im Bereich der Brustwirbelsäule bestehe nach klinischem Befund eine Klopfschmerzangabe im mittleren Brustwirbelsäulenbereich ohne Bewegungseinschränkung der Vorneigung nach vorne und ohne Hinweis auf eine Reizung der von der Brustwirbelsäule ausgehenden Nervenwurzeln. Röntgenologisch zeige sich eine rechtskonvexe Verkrümmung mit einem Verkrümmungswinkel von 27o. Im Bereich der Lendenwirbelsäule finde sich nach dem klinischem Befund eine Einschränkung der Beweglichkeit hinsichtlich der Vor- und Rückneigung bei freier Beweglichkeit in den übrigen Bewegungsebenen, ohne Hinweis auf eine Reizung der von der Lendenwirbelsäule ausgehenden Nervenwurzeln (weder in Form von Gefühlsstörung, noch in Form von motorischen Schwächen im Bereich der unteren Extremitäten). Diesem klinischen Befund entspreche der radiologische Befund einer lotrecht aufgebauten 6-teiligen Lendenwirbelsäule, wobei das unterste Bandscheibenfach zwischen dem 6. Lendenwirbel und dem Kreuzbein verschmälert sei. Wesentliche die altersgemäße Norm überschreitende knöcherne Randwülste an den Grund- und Deckplatten (Begleitspondylose) hätten sich nicht erkennen lassen. Kernspintomographisch habe sich auf den Aufnahmen von 17.12.2001 eine leichte Signalminderung (Black disc) der Bandscheibe zwischen dem 5. und 6. Lendenwirbel sowie ein linksseitiger Bandscheibenvorfall mit bedrängender Nervenwurzel zwischen dem 6. Lendenwirbel und dem Kreuzbein gezeigt. Dieser Vorfall sei kernspintomographisch auch auf den Aufnahmen vom 31.03.2000 nachgewiesen. Berücksichtige man das Arbeitsunfähigkeitsverzeichnis, dann finde sich dort die erstmalige Erwähnung einer Lumboischialgie für die Zeit vom 01. bis 03.02.1979 und eine weitere Arbeitsunfähigkeit wegen einer Ischialgie für den 17.05. bis 21.05.1983. Danach bis 1997, also insgesamt 14 Jahre lang, seien keine weiteren diesbezüglichen Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr verzeichnet. Der Begriff Lumboischialgie werde für Schmerzen, die von der Lendenwirbelsäule ausgehend in das Bein ausstrahlten, verwendet. Diese Schmerzen würden in der Regel durch einen Bandscheibenvorfall, der auf die entsprechende Nervenwurzel drücke, verursacht. Abzugrenzen sei der Begriff Lumboischialgie von den Begriffen Lumbalgien, Lumbago und LWS-Syndrom. Diese bezeichneten sämtlich unspezifische Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule ohne Ausstrahlung in die Beine. Diese rein auf die Lendenwirbelsäule beschränkten Schmerzen könnten unterschiedliche Ursachen haben. Sie seien also in der Regel nicht zwangsläufig als Hinweis auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung zu sehen. Die Computertomographie vom 28.02.1997 beschreibe eine Vorwölbung der Bandscheibe, die eben den Duralsack tangiere. Eine Bandscheibenvorwölbung sei nun aber abzugrenzen von einem Bandscheibenvorfall. Bei einer Vorwölbung würde sich der äußere Faserring unter dem Druck des Gallertkernes vorwölben, während bei einem Bandscheibenvorfall der Gallertkern durch den gerissenen Faserring nach außen trete. Die erstmalige nachvollziehbare Befundung eines Bandscheibenvorfalles finde sich auf den Kernspintomographieaufnahmen vom 17.12.2001. Es seien daher zumindest Zweifel angebracht, dass die Diagnosen 1979 und 1983 tatsächlich die ersten Hinweise auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule gewesen seien. Darüber hinaus sei die von Prof. Dr. W. angenommene schwergradige Spondylarthrose in den Kernspintomographieaufnahmen vom 17.12.2001 nicht dokumentiert. Dort seien lediglich ?mäßige Facettengelenkshypertrophien beidseits? beschrieben. Die Seitverkrümmung der Brustwirbelsäule und auch die 6-teilig aufgebaute Lendenwirbelsäule seien nicht als konkurrierende Faktoren zu werten. Es liege damit eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Auch die Exposition sei ausreichend und auch eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung bestehe. Im Hinblick auf die Konsensempfehlungen sei damit eine mit dem Buchstaben B beginnende Konstellation zu diskutieren. Die Voraussetzungen der insoweit heranzuziehenden Konstellation B2 lägen aber schon deshalb nicht vor, weil bei Ersetzung des Begriffes L5/S1 durch den Begriff L6/S1 ausweislich der Kernspintomographieaufnahmen vom 17.12.2001 nur eine beginnende Black Disc im Segment L5/L6 nachgewiesen sei und sich eine besonders intensive Belastung (Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) der Belastungsbeurteilung der Beklagten nicht entnehmen lasse, und auch kein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen vorgelegen habe. Da keines der geforderten Kriterien erfüllt sei, müsse die Konstellation B3 diskutiert werden. Bei dieser Konstellation habe jedoch in der durch den HVBG eingerichteten Arbeitsgruppe kein Konsens bestanden. Versuche man durch zusätzliche Kriterien einen kausalen Zusammenhang zu begründen, so wäre beispielsweise eine dem Alter vorauseilende Entwicklung ein Argument, um an eine beruflich bedingte Verursachung denken zu können. Setze man jedoch den Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung auf das Jahr 2001, so sei der Kläger zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt gewesen. Eine dem Alter vorauseilende Entwicklung lasse sich hieraus nicht ableiten. Zudem spreche aus seiner Sicht nach Abwägung aller Argumente mehr dagegen als dafür, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule durch die berufliche Belastung hervorgerufen sei.

Hierzu haben die Beteiligten Stellung genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Dezember 2007 sowie den Bescheid vom 07. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, eine Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.

Die Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die mit der Berufung auf die Anerkennung einer BK 2108 der Anl. 1 zur BKV beschränkte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. § 54 Abs. 1 S. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Eine BK 2108 liegt nicht vor.

Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte bei einer der in den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wobei sie auch bestimmen kann, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber mit Erlass der Anl. 1 zur BKV, die eine Liste der Berufskrankheiten enthält, Gebrauch gemacht.

Unter Berücksichtigung dessen ergeben sich bei einer in der Anl. 1 zur BKV aufgeführten Erkrankung (Listen-BK) in der Regel folgende tatbestandliche Voraussetzungen, die ggf. bei einzelnen Listen-BK einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung, Einwirkungen und Krankheit müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für den nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhang genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges (vgl. BSG, Urteile vom 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, und vom 27.6.2006, B 2 U 20/04 R, in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 m.w.N.). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O.).

Bei der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKV handelt es sich um bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Tatbestandliche Voraussetzung der BK 2108 ist daher zunächst, dass der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein bzw. bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ferner ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Ferner muss der Versicherte gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und zu unterlassen; als Folge dieses Zwanges muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Bei Fehlen einer dieser Voraussetzungen liegt eine BK 2108 (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R, und 18.11.2008, B 2 U 14/07 R, sowie B 2 U 14/08 R, jeweils in Juris) nicht vor.

Zur Ermittlung, ob die bei der beruflichen Tätigkeit aufgetretenen Belastungen geeignet sind, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 hervorzurufen, wurde das MDD erarbeitet, das auch nach der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/08 R, in Juris) weiterhin eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen darstellt. Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2108 sind danach zwar erfüllt, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht und überschritten werden, doch schließt ein Unterschreiten dieser Richtwerte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus (BSG, Urteil vom 31.10.2007, B 2 U 4/06 R, in Juris). Das BSG hat unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der "Deutschen Wirbelsäulenstudie" (DWS) das MDD weiterentwickelt und entschieden, dass die dem MDD zugrundeliegenden Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern mit dem Wert 2700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen und auf eine Mindesttagesdosis zu verzichten ist, alle Hebe- und Tragebelastungen, die die Mindestbelastung um 2700 N bei Männern erreichen, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren sind und der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen ist, auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes von 25 MNh, als auf 12,5 MNh, herabzusetzen ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/08 R, m.w.N. in Juris).

Unstreitig erfüllt der Kläger mit den im Bericht von Dipl.-Ing. V. und Dipl.-Ing. A. errechneten 31,4 MNh die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d.h. die im Sinne der BK 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung. Denn damit ist selbst der im MDD vorgeschlagene Richtwert von 25 MNh überschritten. Angesichts dessen ist auch unerheblich, dass bei der Ermittlung der Gesamtbelastungsdosis noch nicht die Vorgaben des BSG im o.g. Urteil vom 18.11.2008 berücksichtigt wurden bzw. werden konnten.

Dem Feststellungsbegehren war jedoch nicht zu entsprechen, weil es an den medizinischen Voraussetzungen einer Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheit fehlt. Zwar liegt, was sowohl von Dr. N. als auch von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. C. bestätigt wird, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Der Senat folgt den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C., dass diese Erkrankung in Form eines linksseitigen Bandscheibenvorfalles mit Bedrängung der Nervenwurzel zwischen dem 6. Lendenwirbelkörper und dem Kreuzbein erstmals mit der kernspintomographischen Untersuchung vom 31.03.2000 nachgewiesen wurde. Darüber hinaus ist durch die kernspintomographischen Aufnahmen vom 17.12.2001 eine leichte Signalminderung (Black disc) der Bandscheibe zwischen dem 5. und 6. Lendenwirbel nachgewiesen. Aus den vorliegenden Vorerkrankungsverzeichnissen und Befundberichten kann jedoch entgegen Prof Dr. W. nicht mit der hierfür erforderlichen Sicherheit auf das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung bereits 1979 und in den Jahren danach geschlossen werden. Prof. Dr. C. weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgie lediglich für 3 Tage vom 01. bis 03.02.1979 bescheinigt ist, eine weitere, dann wegen ?Ischialgie?, nur für 5 Tage vom 17.05. bis 21.05.1983. Bis 1997, und damit 14 Jahre lang, sind keine entsprechenden Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr dokumentiert. Dies ist, bei Unterstellung einer tatsächlich vorliegenden bandscheibenbedingten Erkrankung und einer fortgesetzten unverminderten beruflichen Belastung, nicht nur ein ungewöhnlich langer Zeitraum einer Symptomfreiheit, sondern es wäre auch zu erwarten gewesen, dass eine spätestens 1983 vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung in den folgenden Jahren voranschreitet. Tatsächlich zeigen aber selbst die Bilder vom 12.07.2002 eher eine diskrete Höhenminderung des Bandscheibenfachs L6/S1 und keine Begleitspondylose. Darüber hinaus liegt aufgrund des Fehlens bildgebender Dokumente aus dieser Zeit ein konkreter Nachweis des Vorliegens einer bandscheibenbedingten Erkrankung nicht vor.

Der Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit steht jedoch entgegen, dass trotz Nachweises einer langjährigen und auch geeigneten schädigenden Einwirkung eine Verursachung nicht wahrscheinlich gemacht werden kann. Das Schadensbild der BK 2108 entspricht den Volkskrankheiten durch chronisch-degenerative Veränderungen der Bandscheiben. Es gibt kein hiervon eindeutig abgrenzbares belastungstypisches Krankheitsbild, sondern nur ein belastungskonformes Wirbelsäulen-Schadensbild der BK. Das belastungskonforme Schadensbild wird beschrieben durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien ? Lebensalter beim Auftreten der Schädigung ? Ausprägungsgrad in einem bestimmten Alter ? Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS ? Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanischer hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulen-Abschnitten der gleichen Personen ? Entwicklung einer Begleitspondylose (vgl. Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe in Trauma und Berufskrankheit 2005, 211, 212, 214).

Diesen Kriterien tragen die bereits erwähnten Konsensempfehlungen Rechnung, welche Prof. Dr. C. seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. Zu Recht ist er dabei von einer mit dem Buchstaben B beginnenden Konstellation ausgegangen. Für sämtliche B-Konstellationen wird nach den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. C. liegt eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich L6/S1 (der Kläger verfügt über eine 6-gliedrige Lendenwirbelsäule) ohne Chondrose, aber mit einem Bandscheibenvorfall vor, ohne dass hierfür konkurrierende Ursachenfaktoren (weder die Seitverkrümmung der Brustwirbelsäule noch die sechsteilig aufgebaute Lendenwirbelsäule vermögen einen solchen zu begründen) ersichtlich sind. Eine wesentliche, die altersgemäße Norm überschreitende Begleitspondylose (also knöcherne Randwülste an den Grund- und Deckplatten) liegt nach den Ausführungen des Sachverständigen hingegen nicht vor. Eine solche wurde von Prof Dr. W. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 21.03.2007 ebenfalls verneint. Dr. N. hat eine abweichende Auffassung weder in seinem Gutachten noch in seiner ergänzenden Stellungnahme vertreten. Damit ist eine Konstellation B1, die das Vorliegen einer Begleitspondylose voraussetzt, nicht gegeben.

Die hier zu berücksichtigende Bandscheibenerkrankung erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation B2. Bei dieser Konstellation fehlt die für die Konstellation B1 erforderliche Begleitspondylose. Der ursächliche Zusammenhang wird dann als wahrscheinlich angesehen, wenn mindestens eines der in der betreffenden Konstellation genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Das Zusatzkriterium ?Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben ? bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 ?black disc? im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten? ist nicht erfüllt, da sich nach dem Kernspintomogramm vom 17.12.2001 nur eine beginnende Black disc im Segment L5/L6 findet, während das Segment L 4/5 völlig unauffällig ist. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass mit ?mehreren? Bandscheiben im Rahmen der Konstellation B2 mindestens drei gemeint sind. Für diese Auslegung spricht schon die Systematik der in den Konsensempfehlungen definierten Fallkonstellationen. Alle B-Konstellationen gehen schon von einer Lokalisation der bandscheibenbedingten Erkrankung bei L5/S1 und/oder L4/L5 aus, also an einer oder zwei Bandscheiben. In der B1 Konstellation muss sodann die Begleitspondylose als Positivkriterium hinzukommen, um einen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen. In der B2-Konstellation wird das Fehlen der Begleitspondylose durch die dort genannten Zusatzkriterien ersetzt, so dass mit ?mehreren? Bandscheiben über die in den B-Konstellationen grundsätzlich vorausgesetzten Veränderungen hinausgehend mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 18.08.2009 ? L 3 U 202/04, Urt. v. 27.03.2012 - L 3 U 81/11 - beide in Juris). Im MRT der LWS vom 17.12.2001 werden die Bandscheiben der weiteren Abschnitte der LWS aber als nicht signifikant dehydriert und ohne Hinweis auf einen Bandscheibenschaden sowie - MRT-morphologisch - ohne Entzündungszeichen beschrieben, sodass schon deshalb dieses Zusatzkriterium als nicht erfüllt angesehen werden kann.

Die Zusatzkriterien ?besonders intensive Belastung? und ?besonderes Gefährdungspotential? liegen hier nicht vor. Der Senat stützt sich für diese Feststellung auf die insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. Soweit der Kläger hiergegen einwendet, dem Sachverständigen sei zu widersprechen, dass keine besonders intensive Beeinträchtigung vorgelegen habe, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Der Kläger legt zur Begründung seiner Auffassung Einwirkungen vom 01.02.1994 bis 29.02.2004 zugrunde und berücksichtigt nicht, dass er schon im Zeitraum vom 01.08.1976 bis 31.01.1993 eine Gesamtbelastungsdosis von 16,06 MNh erreicht hatte, wie dem Bericht des Technischen Aufsichtsdienst entnommen werden kann (Gesamtdosis 31,375 abzüglich Belastungsdosis Profil 5 für den Zeitraum 15.09.1994 bis 29.02.2004: 15,313). Ein vorzeitiges Erreichen des Richtwertes der Lebensdosis in weniger als 10 Jahren, welches Prof. Dr. C. als Indiz für eine besonders intensive Belastung angegeben hatte, kann mit einem Zeitraum, der lange nach Aufnahme der schädigenden Tätigkeit beginnen soll (von 15.09.1994 bis 29.02.2004) nicht begründet werden. Darüber hinaus dürften die hierfür vom Kläger angesetzten 15,313 MNh auch nicht zutreffend sein, weil das Krankheitsbild bereits mit dem Kernspintomogramm vom 31.03.2000 nachgewiesen wurde, und dabei nur der Zeitraum der Einwirkung bis zum Nachweis der bandscheibenbedingten Erkrankung Berücksichtigung finden dürfte. Für den Zeitraum vom 15.09.1994 bis 29.02.2004 (Belastungsprofil Nr. 5, vgl. Bl. 37 der Senatsakte) weist der Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes eine Gesamtbelastungsdosis von 1,618 pro Jahr auf. Legt man hier überschlägig 6 Jahre (und damit bis September 2000) zugrunde, errechnet sich hieraus eine Belastung von 9,71 MNh. Damit ist auch der Orientierungswert von 12,5 MNh nicht erreicht. Darüber hinaus finden sich in der Belastungsbeurteilung des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten keine Belastungsspitzen im Sinne des 3. Spiegelstrichs der Konstellation B2 von 6 kN und mehr. Solche werden vom Kläger auch nicht substantiiert geltend gemacht.

Sind damit aber die Voraussetzungen der Konstellation B2 nicht erfüllt, kann eine Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung durch die nachgewiesene schädigende Einwirkung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Denn soweit die Konstellation B3 in Betracht gezogen werden muss, in der lediglich ein mono- oder bisegmentaler Schaden an den beiden untersten LWS-Segmenten vorliegt und weder eine Begleitspondylose noch ein Zusatzkriterium festzustellen sind, besteht bei deren Beurteilung des Zusammenhangs kein Konsens unter den Teilnehmern der Arbeitsgruppe.

Der Senat hält bei dieser Konstellation grundsätzlich den Zusammenhang nicht für wahrscheinlich. Streitpunkt ist die Frage, ob eine Begleitspondylose im Sinne einer belastungsadaptiven Reaktion in den von der Fallgruppe B3 erfassten Fällen zwingend zu fordern ist. Wie sich dem Anhang 1 ?Zur Konstellation B3? der Konsensempfehlungen entnehmen lässt, weisen Grosser/Schröter auf Studien hin, nach denen deutliche Höhenminderungen von Bandscheiben in allen Segmenten der LWS bei Schwerarbeitern deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung seien. Auch die Häufigkeit von Spondylosen sei in der belasteten Gruppe in allen Segmenten der LWS deutlich erhöht. Die Konstellation B3, bei der lediglich ein mono- oder bisegmentaler Befall der beiden unteren LWS-Segmente vorliege, sei indessen die häufigste Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen innerer Ursache an der LWS. Es existierten keinerlei epidemiologische Arbeiten, welche nachwiesen, dass bei Schadensbildern, die der Konstellation B3 entsprechen, bei beruflich Exponierten im Vergleich zur Normalbevölkerung statistisch eine relevante Risikoerhöhung bestehe (Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 219 ff.). Demgegenüber vertreten S. und B. die Auffassung, der hohe Stellenwert einer Begleitspondylose für die Beurteilung des Vorliegens einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wissenschaftlich nicht begründbar. Sie räumen aber ein, dass Patienten mit Chondrose und Spondylose ein höheres berufliches Erkrankungsrisiko aufwiesen als Patienten mit Chondrose ohne zusätzliche Spondylose (Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 221 f.). Unabhängig davon, ob mit letzterer Auffassung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges allein aufgrund des Vorliegens eines mono- und/oder bisegmentalen Schadens überhaupt begründet werden könnte, fehlt es bereits an der vom BSG (Urt. v. 27.06.2006, - B 2 U 5/05 R - in Juris) geforderten großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler, die über diese Frage im Konsens stehen, was den aktuellen Erkenntnisstand kennzeichnen würde. Gibt es aber keinen gesicherten aktuellen Erkenntnisstand zu dieser Frage, so kann der Senat keine abweichende Beurteilung vornehmen. Vielmehr ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Begleitspondylose in der Fallgruppe B 3 in der medizinischen Wissenschaft trotz vorhandener Studien und ausführlicher Diskussion (die der Abfassung der Konsensempfehlungen vorausging) ungeklärt (so bereits LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 24.04.2008, - L 10 U 5885/04 - in Juris).

Schließlich weist Prof. Dr. C. darauf hin, dass er auch sonst keine weiteren Argumente - wie etwa eine dem Alter vorauseilende Entwicklung - anführen kann, die eine berufliche Verursachung wahrscheinlich machen könnten.

Ein deutliches Überwiegen der Kriterien, die für einen (wesentlichen) Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und den Bandscheibenschäden sprechen und diesen somit wahrscheinlich machen, lässt sich damit nicht feststellen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2108 sind nicht erfüllt.

Die Klage ist daher zu Recht abgewiesen worden.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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