L 8 U 784/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 2183/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 784/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger weitere Gesundheitsstörungen als Folgen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 17.09.2008 festzustellen sind.

Der 1950 geborene Kläger war 2008 als Wachmann einer Sicherheitsfirma beschäftigt. Am Unfalltag kontrollierte er einen Bauzaun aus Metallteilen. Dabei zog er an einem Zaunteil. Dadurch stürzte eigenen Angaben zufolge der Bauzaun auf den Kläger und er fiel zu Boden. Der Kläger war danach über die von der Beklagten anerkannte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit (bis 12.11.2008) hinaus arbeitsunfähig (Schreiben der Beklagten an Dr. M. vom 20.10.2009). Der Kläger korrigierte seine Erstangabe dahingehend, dass der Unfall nicht am 19.09.2008, sondern am 17.09.2008 stattgefunden habe und ihm innerhalb der Probezeit das Beschäftigungsverhältnis zum 28.10.2008 gekündigt worden sei (Telefonvermerk der Beklagten vom 04.11.2008).

Am Freitag, den 19.09.2008, suchte der Kläger das M.hospital in S. auf, wo er angab, ihm sei ein Zaun auf den Rücken gefallen. Er sei kurzzeitig benommen gewesen, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel oder Amnesie hätten nicht vorgelegen. Diagnostiziert wurde eine Prellung der Lumbalsakralgegend und des Beckens, oberflächliche Verletzung des nicht näher zu bezeichnenden Kopfteiles, Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule (HWS), Prellung eines oder mehrerer Finger ohne Schädigung des Nagels und Prellung des Knies. Der Kläger erhielt Salbenverbände mit Voltaren an beiden Kniegelenken und beiden Händen und eine Ruhigstellung durch eine Zervikalstütze für 2-3 Tage (Durchgangsarztbericht des M.hospitals, Fax vom 24.09.2008, Bericht von Prof. Dr. D. vom 27.10.2008).

Am 22.09.2008 wurde der Kläger von Dr. M. untersucht, der eine 4/5 Bewegungseinschränkung der HWS unter stärksten Schmerzangaben, keine Neurologie, 4/5 Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule ohne periphere Neurologie, eine kleine oberflächliche Prellmarke an der Patella-Außenseite, beide Kniegelenke schlank bei Angaben von Kribbelparästhesien im Bereich der unteren Extremitäten ohne motorische Ausfälle und ohne Kompartmentsyndrom bei kräftigen Fußpulsen als Befund erhob. Er diagnostizierte einen Zustand nach umfangreicher HWS- und LWS-Prellung sowie Knieprellung beidseits bei Angabe von Kribbelparästhesien (H-Arztbericht von Dr. M. vom 22.09.2008). Die von ihm veranlasste Magnetresonanztomographie am 23.09.2008 erbrachte keinen Frakturnachweis für die HWS bei Skoliosehaltung nach rechts und diskreter Protrusion bei C4/5 und C5/6. An der Lendenwirbelsäule (LWS) fand sich bei Lendenwirbelkörper 1 eine alte ventrale Kompressionsfraktur und eine geringe Knochenmarkreizung um einen Schmorlschen Knoten an der Deckplatte. Die ventrale Kompression wurde als alt, die andere Veränderung dagegen als frischer erscheinend beurteilt (Befundbericht des Radiologen Dr. S. vom 23.09.2008). Dr. M. beurteilte die Unfallverletzung als solche als nicht geeignet, einen Schmerzzustand, wie den derzeit vom Kläger geklagten zu erzeugen (Zwischenbericht von Dr. M. vom 31.10.2008).

Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peroneus beidseits, EEG, Duplexsonographie und Neurographie des Musculus tibialis anterior rechts und Musculus extensor digitii links ergaben Normalbefunde. Der Neurologe S. sah keine spezifischen neurologischen Komplikationen. Die vom Kläger geklagten Kribbelparästhesien der Unterschenkel mit Fluktuation der Lokalisation und ohne dermatomspezifische Zuordnung erweckten den Eindruck der Aggravation, zumal die Beschwerden im Widerspruch zu der beobachteten Spontanmotorik stünden (Arztbrief vom 08.10.2008).

Im Bericht der HNO-Klinik des M.hospitals S. vom 07.11.2008 ist aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 05.11.2008 die Diagnose einer Hörminderung und Tinnitus links bei Zustand nach Schädeltrauma angegeben. Der Verdacht auf Aggravation bei Rentenbegehren könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Vorstellung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) am 24.11.2008 führte zu der Diagnose einer persistierenden Bewegungseinschränkung und Bewegungsschmerzen der HWS sowie Bewegungsschmerzen am Knie rechts nach Prellung der HWS und LWS mit psychopathologischem Verarbeitungsmuster und Tinnitus rechts seit September 2008. Es wurde eine neurologisch-psychiatrische Zusammenhangsbegutachtung mit HNO-ärztlicher Zusatzbegutachtung empfohlen (Zwischenbericht von Prof. Dr. W. vom 01.12.2008).

In dem von der Beklagten veranlassten nervenärztlichen Gutachten von Dr. J. vom 01.03.2009 diagnostizierte die Gutachterin beim Kläger eine somatoforme Schmerzstörung nach Unfall am 19.09.2009 und eine Reizung des Nervus peroneus im Bereich des Fibularisköpfchens. Die beim Kläger bestehenden Schmerzen resultierten nicht aus körperlichen Beschwerden. Es sei ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Schmerzentwicklung nachweisbar. Möglicherweise habe ein früheres Schleudertrauma und eine derzeit nicht zu bestimmende psychische Vorerkrankung mitgewirkt. Ob das Unfallereignis die wesentliche Ursache für die somatoforme Schmerzstörung sei, könne beim derzeitigen Ermittlungsstand nicht eindeutig geklärt werden.

In seinem im Auftrag der Beklagten erstatteten HNO-ärztlichen Gutachten vom 21.08.2009 beurteilte Professor Dr. Dr. S. unter der von ihm gestellten Diagnose einer Hörminderung des Klägers beidseits mit Tinnitus links die anteilige Hörminderung links im Tief- und Mitteltonbereich und den Tinnitus als Unfallfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 5 v.H ...

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 23.03.2009 wies Privatdozent (PD) Dr. R. darauf hin, dass der Kläger nach dem Unfall vielfach unfallchirurgisch, orthopädisch und nervenärztlich untersucht worden sei und außer einer Wirbelsäulenprellung sich keine Unfallfolgen fanden. Bei der ersten nervenärztlichen Untersuchung am 02.10.2008 seien keine spezifischen neurologischen Komplikationen nachzuweisen gewesen und der Eindruck einer Aggravation entstanden. Der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung von Dr. J. könne er sich anschließen. Ein ursächlicher Zusammenhang sei aus dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall nicht zwingend abzuleiten. In dem Bedingungsgefüge mit sozialen Belastungsfaktoren wie die Kündigung des Arbeitsplatzes dominierten vor allem unverkennbar Persönlichkeitsauffälligkeiten, wobei auf die verschiedentlich beobachtenden Aggravationtendenzen hinzuweisen sei. Der Unfall sei Anlass, jedoch nicht rechtlich wesentliche Bedingung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung.

Mit Bescheid vom 02.12.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen des geltend gemachten Versicherungsfalles am 17.09.2008 ab. Als Unfallfolgen anerkannt wurden eine Hörminderung links im Tief- und Mitteltonbereich, Tinnitus links, ohne wesentliche Folgen verheilte Hals- und Lendenwirbelsäulenprellung sowie Knieprellung beidseits. Nicht als Unfallfolge anerkannt wurde eine somatoforme Schmerzstörung. Der hiergegen eingelegte und nicht begründete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2010 zurückgewiesen.

Der Kläger erhob am 09.04.2010 beim Sozialgericht Stuttgart Klage mit dem Begehren, eine chronifizierte Schmerzstörung in Form von Dysästhesien an beiden Beinen, Schmerzen im Bereich der HWS und im Bereich der paravertebralen Muskulatur sowie eine depressiv eingefärbte, anhaltende Belastungsreaktion als Unfallfolgen anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Vorgelegt wurden das ärztliche Attest des Allgemeinmediziners Dr. T. vom 21.03.2010 (derzeitige Beschwerden seien vor allem Dysästhesien an beiden Beinen, Schmerzen im Bereich der HWS und ein ausgeprägter Tinnitus, die zunehmend chronifizierten Beschwerden entzögen sich weitgehend objektiver Bewertung) und die gutachterliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. L. vom 16.03.2010 (der Kläger habe durch den Unfall eine stark depressiv eingefärbte anhaltende Belastungsreaktion bei ausgesprochener sozialer Zurückgezogenheit erfahren).

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht das nervenärztliche Gutachten von Dr. K. vom 15.06.2011 ein, in welchem die Sachverständige eine schwere depressive Episode mit somatischen Symptomen im Rahmen einer anhaltenden Belastungsreaktion als unfallbedingt beurteilte. Der Kläger habe bei dem Unfall nicht nur ein Schädel-Hirn-Trauma sondern auch einen seelischen Schock erlitten. Durch die von den Prellungen verursachten Schmerzen und die dann eingetretene Hörminderung und den inzwischen dekompensierten Tinnitus habe sich die depressive Symptomatik verselbstständigt und chronifiziert. Die MdE betrage mindestens 30 v.H.

Mit Urteil vom 17.11.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte sich das Sozialgericht auf die Äußerung von Dr. J. und die Stellungnahme von PD Dr. R ... Letzterer habe unter Berücksichtigung des anerkannten Stands der Medizin sowie des Maßstabs der rechtlichen Wesentlichkeit aufgezeigt, dass die gestellten Diagnosen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit im Rechtssinne auf das Unfallereignis zurückzuführen seien.

Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 24.01.2012 zugestellte Urteil hat er am 22.02.2012 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, er habe sich vor 25 Jahren tatsächlich einer Behandlung wegen psychischer Probleme unterziehen müssen, aber die sei infolge des Todes seiner Mutter gewesen. Außerdem stehe der Versicherte in dem Gesundheitszustand, in dem er sich bei Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit befinde, unter Versicherungsschutz. Sowohl Dr. T., Dr. L. wie auch Dr. K. führten seine psychische Beeinträchtigung auf den Arbeitsunfall zurück. Das Sozialgericht hätte sich ohne weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht über das Gutachten von Dr. K. hinwegsetzen dürfen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.11.2011 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2010 abzuändern sowie die Beklagte zu verpflichten, als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.09.2008 eine chronifizierte Schmerzstörung in Form von Dysästhesien an beiden Beinen, Schmerzen im Bereich der HWS und im Bereich der paravertebralen Muskulatur sowie eine depressiv eingefärbte, anhaltende Belastungsreaktion anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass bei der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abzustellen sei, aber nicht so, wie er es subjektiv bewerte, sondern wie es objektiv gewesen sei. Die Ursachenbeurteilung habe daher anhand des konkreten individuellen Versicherten unter der Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. Hiervon ausgehend handele es sich bei dem Unfallereignis um kein so schwerwiegendes, dass es die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet begründen könnte. Dem Gutachten von Dr. K. könne daher nicht gefolgt werden. Weitere Ermittlungen von Amts wegen seien aus ihrer Sicht nicht erforderlich.

Mit richterlicher Verfügung vom 01.10.2012 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung des Senats durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

II.

Der Senat kann über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind auf diese beabsichtigte Vorgehensweise mit richterlicher Verfügung vom 01.10.2012 hingewiesen worden. Innerhalb der ihnen gesetzten Äußerungsfrist wurden von den Beteiligten gegen diese Verfahrensweise keine Einwände erhoben.

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2010 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die für die Entscheidung des Rechtsstreites maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze für die Feststellung von Unfallfolgen vollständig und zutreffend dargestellt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung seiner eigenen Entscheidung insoweit auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG, Urteil S. 7-11).

Die Berufung ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die Verpflichtungsklage zur Feststellung weiterer Unfallfolgen durch die Beklagte unzulässig ist. Es ist dem Kläger unbenommen, entweder die Feststellung durch das Gericht oder im Rahmen einer Verpflichtungsklage einen feststellenden Verwaltungsakt der Beklagten zu begehren. Die Voraussetzungen einer Verpflichtungsklage mit anfechtbarem Verwaltungsakt und durchgeführtem Widerspruchsverfahren liegen vor, denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Verwaltungsakt auch Unfallfolgen festgestellt, wenn auch nur im Rahmen der Begründung zur Ablehnung von Verletztenrente, und hierbei ausdrücklich die Feststellung einer somatoformen Schmerzstörung als Unfallfolge verneint. Das Feststellungsbegehren des Klägers ist auch hinreichend konkret, wobei der Senat davon ausgeht, dass eine chronifizierte Schmerzstörung und eine in deren Folge aufgetretene schwere depressive Episode als Unfallfolge geltend gemacht werden, was noch Gegenstand der angefochtenen Verwaltungsentscheidung ist.

Hiervon ausgehend ist der unfallbedingte Zusammenhang einer Schmerzstörung nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Senat stützt sich für diese Beurteilung ebenso wie das Sozialgericht auf die überzeugende Beurteilung von PD Dr. R ... Dieser hat überzeugend dargelegt, dass der Unfall zwar Anlass, jedoch nicht rechtlich wesentliche Ursache der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung des Klägers ist. Er sah in dem zur Schmerzstörung führenden Bedingungsgefüge neben den sozialen Belastungsfaktoren wie die Kündigung des Arbeitsplatzes vor allem die unverkennbare Persönlichkeitsauffälligkeit des Klägers als entscheidende wesentliche Ursache an.

Diese Beurteilung überzeugt den Senat, denn bei der Untersuchung des Klägers am 19.09.2008 durch den Durchgangsarzt Prof. Dr. D. waren außer oberflächlichen Schürfwunden an der linken Hand und am Kopf keine weiteren äußeren Verletzungen zu erheben. Die Röntgenaufnahme der HWS und LWS und der beiden Kniegelenke gab keinen Anhalt für frische knöcherne Verletzungen, es fanden sich lediglich degenerative Veränderungen der LWS mit fraglichen älteren Sinterungen. Hämatome, Schwellungen insbesondere intraartikuläre Flüssigkeitsan-sammlungen der Kniegelenke oder sonstige klinische Befunde waren neben schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen nicht zu erheben. Von gravierenden Verletzungen war daher nicht auszugehen. Prof. Dr. D. bescheinigte in seinem Durchgangsarztbericht daher eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 24.09.2008. Auch bei der Untersuchung durch Dr. M. am 22.09.2008 waren unter stärkster Schmerzangabe Bewegungseinschränkungen an der HWS und der Gesamtwirbelsäule um 4/5 zu diagnostizieren, wobei neurologische oder motorische Ausfälle nicht zu erheben waren. Er beurteilte trotz der Schmerzangaben des Klägers den Heilungsverlauf ebenso als günstig und ging von dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 27.09.2008 aus (H-Arzt-Bericht von Dr. M. vom 22.09.2008). Auch die nachfolgenden Untersuchungen erbrachten keinen Nachweis über weitere und bisher nicht erkannte stärkere Verletzungsfolgen. Die Magnetresonanztomographie (MRT) vom 23.09.2008 zeigte degenerative Veränderungen der HWS und LWS und eine nicht auf den Unfall bezogene alte Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers (Bericht von Dr. S. vom 23.09.2008). Die Untersuchung des Klägers durch den Neurologen S. am 02.10.2008 ergab neurologische Normalbefunde (Befundbericht vom 08.10.2008), das Schädel-Computertomogramm vom 28.10.2008 war ebenfalls ohne Befund (Befundbericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis K./Dr. K. vom 28.10.2008).

Aus dem Durchgangsarztbericht ergibt sich, dass der Kläger bei der Untersuchung am 19.09.2008 unmittelbar vom Unfallort mit Rettungswagen in das M.hospital gebracht wurde (Unfallzeitpunkt 19.09.2008, 21:00 Uhr, eingetroffen am 19.09.2008, 22:34 Uhr). Aus Sicht des Senats ist es unwahrscheinlich, dass der Kläger bei dem von ihm später angegebenen Unfalldatum 17.09.2008 erst nach 2 Tagen erstmals einen Arzt aufgesucht hat, was von vornherein gegen das Ausmaß der von ihm geltend gemachten Unfallverletzungen sprechen würde. Das Unfalldatum selbst ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Doch ergibt sich aus den ärztlich zuerst dokumentierten Beschwerdeangaben bereits ein Missverhältnis zwischen den Schmerzangaben des Klägers zu den bildtechnisch und durch körperliche Untersuchung erhobenen organischen Befunden, was zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht auf eine Chronifizierung und Verselbstständigung der bei einer Prellung üblicherweise verursachten Schmerzen zurückgeführt werden kann. Die Einschätzung von Dr. M. in seinem Zwischenbericht vom 31.10.2008, dass die Unfallverletzung als solche nicht in der Lage war, einen Schmerzzustand wie den vom Kläger derzeit gezeigten zu erzeugen, ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Die geringe Knochenmarkreizung an der alten Wirbelkörperfraktur am 1. Lendenwirbelkörper, die möglicherweise frisch und auf den Unfall bezogen werden könnte, erklärt nach der Äußerung von Dr. M. die Schmerzsymptomatik nicht, insbesondere nicht die an der HWS und den Knien. Der Kläger hat vom 1. Tag an nach dem Unfallgeschehen übersteigerte Schmerzangaben gemacht, was nach den plausiblen Ausführungen von PD Dr. R. und insbesondere von Dr. M. nicht auf das Unfallgeschehen selbst oder auf den unfallbedingten Beschwerdeverlauf und die erforderliche Behandlungsmaßnahmen als psychisch wirksame Bedingungen zurückzuführen ist.

Die Beurteilung von PD Dr. R., dass das erhöhte Schmerzempfinden - sofern dies als tatsächlich nachgewiesen und nicht als simuliert angesehen wird - auf der Persönlichkeitsauffälligkeit des Klägers beruht, ist für den Senat daher überzeugend. Es steht im Einklang mit den Hinweisen auf Aggravationsverhalten des Klägers und mit seinem erkennbaren gesteigerten Vorbringen zum Unfallgeschehen. Die bei der Untersuchung durch den Neurologen S. geklagten Kribbelparästhesien waren keinem spezifischen Ausbreitungsgebiet eines Nervengeflechts zuzuordnen und die an unterschiedlichen Orten beschriebenen Schmerzen hatten kein organisches Korrelat und waren nicht mit der zu beobachtenden Spontanmotorik des Klägers in Einklang zu bringen, weshalb das Beschwerdevorbringen für den Arzt S. den Eindruck der Aggravation erweckte (Bericht vom 08.10.2008). Einen Aggravationsverdacht bei Rentenbegehren äußerte auch die HNO-Klinik des M.hospitals noch im Bericht vom 07.11.2008.

Zu diesen Verhaltensauffälligkeiten passt, dass der Kläger im Laufe des Verfahrens das Unfallgeschehen zunehmend dramatisierte. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. D. am 19.09.2008 hatte der Kläger noch angegeben, nicht bewusstlos gewesen zu sein. Symptome einer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) oder Schädel-Hirn-Prellung (contusio cerebri) hatte Prof. Dr. D. nicht erhoben. Eine solche Diagnose war weder von ihm noch von Dr. M. gestellt worden. Im Unfallfragebogen der Beklagten und in der von ihm selbst ausgefüllten Unfallanzeige des Arbeitgebers gab der Kläger im Widerspruch hierzu an, einige Zeit bewusstlos gewesen zu sein, die er einmal mit 5 Minuten (Zwischenbericht der BG Klinik vom 01.12.2008) und zuletzt mit 15 Minuten Dauer (Gutachten von Dr. K. vom 15.06.2011) beschrieb. Er habe sich unter dem Zaun liegend noch selbst ?mühsam? befreien können (Befundbericht des Neurologen S. vom 08.10.2008) und ein andermal nicht, sondern habe durch Passanten befreit werden müssen (Zwischenbericht der BG-Klinik vom 01.12.2008 bzw. Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. vom 21.08.2009).

Hinweise dafür, dass jedenfalls im weiteren Beschwerdeverlauf durch unfallbedingte Umstände eine Entwicklung zu einer somatoformen Schmerzstörung eingetreten ist, hat der Senat nicht.

Entgegen der Einschätzung der Sachverständigen Dr. K. sind für die Unterhaltung der Schmerzen und die hiervon ausgehende depressive Reaktion unfallbedingte Umstände nicht wesentlich ursächlich. Den von ihr bejahten unfallbedingten Zusammenhang hat die Sachverständige auf nicht zutreffende Tatsachengrundlagen gestützt, worauf das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend hingewiesen hat. Entgegen der Annahme der Sachverständigen war das Unfallgeschehen nicht mit gravierenden Verletzungen, insbesondere nicht mit einem wie von ihr angenommen Schädel-Hirn-Trauma verbunden. Die Verletzungen waren auch nicht geeignet, anhaltende Schmerzen zu verursachen, was für den Senat Dr. M. überzeugend ausgeführt hat. Die Veränderung der Lebenssituation durch Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht wesentlich durch den Unfall bedingt, was PD Dr. R. zutreffend unterstellt hat. Abgesehen davon, dass die Kündigung in der Probezeit angeblich wegen der langen Arbeitsunfähigkeitszeiten nur eine bislang nicht bewiesene Behauptung des Klägers ist, war die vom Orthopäden Dr. M. über den 27.09.2008 hinaus bescheinigte Arbeitsunfähigkeit auf die geklagten Schmerzen des Klägers und der hierauf erforderlichen Diagnosesicherung bzw. Prüfung des Unfallzusammenhangs zurückzuführen. Die bestandskräftige Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit durch die Beklagte bis 12.11.2008 ist diesem Umstand geschuldet, nicht aber einem Unfallzusammenhang der geklagten Schmerzen. Der unterstellte Kündigungsgrund einer langen Arbeitsunfähigkeit resultiert daher faktisch entweder aus den nicht unfallbedingten Schmerzen oder aus aggravierten oder simulierten Gesundheitsstörungen, die keine Arbeitsunfähigkeit begründet hätten. In beiden Fällen besteht kein Unfallzusammenhang der Kündigung und hieraus geänderter Lebensumstände des Klägers.

Soweit nach Dr. K. die Hörminderung mit Tinnitus die depressive Belastungsreaktion wesentlich mitverursacht haben soll, ist für den Senat bereits nicht erkennbar, dass dies neben den allein unfallfremden Mitursachen überhaupt ins Gewicht fällt. Zwar hat die Beklagte die Hörminderung links mit Tinnitus als Unfallfolge anerkannt, wobei der Senat Zweifel an der unfallursächlichen Entstehung dieser Gesundheitsstörung hat, weil Prof. Dr. Dr. S. in seiner gutachterlichen Schlussfolgerung fälschlich von einem relevanten Schädeltrauma und einer seit dem Sturz vorliegenden Hörminderung ausgeht - entgegen dem Befundbericht von HNO-Arzt Dr. H. vom 04.12.2008, wonach erst seit 20.10.2008 eine Hörminderung und ein beidseitiger Tinnitus bemerkt worden sein sollen -, jedoch sind die belastenden Auswirkungen auf den Kläger nicht hinreichend glaubhaft. Die Hörminderung selbst steht nach eigenen Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. S. nicht so sehr im Vordergrund, was der von Prof. Dr. Dr. S. in seinem Gutachten wiedergegebenen Diagnose einer annähert geringgradigen Schwerhörigkeit links mit einer MdE um 0 v.H. entspricht. Die belastenden Auswirkungen des nur links zu verifizierenden Tinnitus, bei Angaben des Klägers eines beidseitigen Ohrgeräusches, sind nicht glaubhaft. Bei der Untersuchung durch Dr. J. hatte der Kläger zwar ein beidseitiges Pfeifen als Ohrgeräusch in seiner Beschwerdeschilderung angegeben, Auswirkungen auf den Nachtschlaf hat er hiermit nicht in Verbindung gebracht. Vielmehr hat er in diesem Zusammenhang nur angegeben, dass der Schlaf schmerzbedingt gestört sei. Ein- und Durchschlafstörungen wegen eines Tinnitus, der zunächst auch nur auf dem linken Ohr angegeben wurde, sind auch bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. S. im November 2008 nicht beklagt worden (Bericht vom 07.11.2008). Eine solche Beschwerdeschilderung findet sich erstmals in dessen Gutachten vom 21.08.2009. Die Ausgestaltung der auf HNO-ärztlichem Gebiet zu beurteilenden Beschwerden zeigt sich auch in den vom Kläger zuletzt geltend gemachten Schwindelerscheinungen. Beschwerden durch Schwindel wurden im Bericht von Dr. H. vom 04.12.2008 noch ausdrücklich verneint. Die später geklagten Schwindelbeschwerden im Umfang von täglich 20-30 Minuten waren bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. S. nicht zu verifizieren, denn die Vestibularisprüfung mit Provokationsmaßnahmen blieb ohne Befund, wie sich auch im Unterberger-Tretversuch ein normales Schrittbild ohne Gangabweichung zeigte.

Eine posttraumatische Belastungsstörung hatten weder Dr. J. noch Dr. K. diagnostiziert. Ob die Diagnose einer depressiven Belastungsreaktion eine nach herrschender wissenschaftlicher Lehrmeinung hinreichende Krankheitsentenität nach einem der üblichen Diagnosemanuals umschreibt, lässt der Senat dahinstehen. Ebenso sieht sich der Senat nicht veranlasst, etwaigen Zweifeln am Ausmaß der vom Kläger geschilderten depressiven Beeinträchtigung nachzugehen, denn der Kläger hat zwar eine zurückgezogene Lebenssituation geschildert, aber immerhin besucht er regelmäßig Gottesdienste und hört sogar gerne, d.h. mit Freuden und nicht etwa nur gezwungenermaßen, Musik und unternimmt im Sommer und zu Weihnachten Reisen nach Kroatien, um seine Verwandten zu besuchen. Nach den obigen Ausführungen ist die depressive Belastungsreaktion auf die unfallunabhängigen Umstände, wie vor allem der auch von Dr. K. geschilderten Persönlichkeitsstruktur des Klägers, zurückzuführen. Der Unfall ist somit nur der Anlass, auf den der Kläger subjektiv seine Beschwerden stützt, deren Entstehung und Fortdauer aber auf den von PD Dr. R. genannten unfallunabhängigen Gründen wesentlich beruht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved