L 9 R 3118/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 3246/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3118/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer höheren Altersrente im Zugunstenwege.

Die 1934 geborene Klägerin kam am 09.07.1996 aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland. Seit 01.12.1989 hatte sie dort eine Rente bezogen und neben der Rente vom 01.03.1990 bis zu ihrer Aussiedelung gearbeitet. Sie ist als Spätaussiedlerin gem. § 4 Bundesvertriebenengesetz anerkannt.

Auf ihren Rentenantrag vom 21.08.1996 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 05.11.1997 Altersrente für Frauen ab 01.08.1996 in Höhe von DM 1.166,75. Im Versicherungsverlauf der Klägerin vom 08.09.1997 sind ab 1948 Zeiten wegen Internierung/Verschleppung, Schulausbildung und Fachschulausbildung/Hochschulausbildung und Schwangerschaft sowie ab 01.09.1953 Pflichtbeiträge nach dem Fremdrentengesetz (FRG) festgestellt. Die Beklagte hat 27,1805 Entgeltpunkte (EP) für Beitragszeiten (25,9004 EP, 1,2801 zusätzliche EP) und 5,5731 EP für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten (5,3440 EP für beitragsfreie Zeiten, 0,2291 EP zusätzliche EP für beitragsgeminderte Zeiten), d. h. insgesamt 32,7536 EP (Anlage 6 zum Bescheid vom 05.11.1997), errechnet. Dabei waren die nach dem FRG anerkannten Zeiten lediglich zu 60 % der maßgebenden EP berücksichtigt, d. h. mit dem Faktor 0,6 multipliziert worden, mit Ausnahme der Ausbildungs-, Kindererziehungs- und Wehrdienstzeiten. Die EP von 32,7536 begrenzte die Beklagte auf 25 EP und legte diese der Rentenberechnung zu Grunde.

Mit zwei Schreiben vom 05.04.2002, eingegangen bei der Beklagten am 08.04.2002, beantragte die Klägerin zum einen die Berücksichtigung der Zeit vom 29.12.1948 bis 30.06.1996 zu 6/6 und zum anderen unter Hinweis auf die Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.12.1999 die Neuberechnung ihrer Rente ohne Kürzung der EP um 40 %.

Bezüglich der Neuberechnung der Rente wegen der Absenkung um 40 % vereinbarten die Beteiligten, dass hierüber erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden werde.

Mit Bescheid vom 16.01.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es bei der Absenkung verbleiben müsse. Mit Beschluss vom 13.06.2009 habe das BVerfG ? 1 BvL 9/00 u. a. - entschieden, dass die Absenkung der EP für Zeiten nach dem FRG auf 60 % nach § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) grundsätzlich mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Lediglich für Berechtigte, die vor dem 01.01.1991 nach Deutschland gekommen seien und deren Rente nach dem 30.09.1996 beginne, habe es noch eine zusätzliche Übergangsregelung gefordert. Diese liege mit Art. 6 § 4 c Abs. 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) nunmehr vor. Da die Klägerin erst am 09.07.1996 und damit nach dem Stichtag 31.12.1990 zugezogen sei, erweise sich die bisherige gesetzliche Regelung in ihrem Fall als verfassungsgemäß. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2008 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.04.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben, mit der sie die Neuberechnung ihrer Rente ohne Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG und ohne Begrenzung der EP auf 25 EP gem. § 22 b FRG begehrt hat. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Fall sei durch den Beschluss des BVerfG vom 13.06.2006 nicht erfasst, da sie als Spätaussiedlerin daran gehindert gewesen sei, rechtzeitig nach Deutschland einzureisen. Die an einen ausländischen Träger einer Sozialversicherung geleisteten Beiträge seien Beitrags- und Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet gleichgestellt worden. Eine Kürzung um 40 % verstoße gegen Art. 14 GG und gegen Art. 3 GG. Auch die Kürzung der Rente auf 25 EP sei verfassungswidrig.

Mit Rentenbescheid vom 27.07.2009 hat die Beklagte die Rente ab 01.08.1996 unter Änderung der Beitragszeiten vom 15.08.1963 bis 10.03.1979 und 02.04.1979 bis 16.01.1995 neu festgestellt. Bei der Rentenberechnung wurden die aus nach dem FRG anerkannten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ermittelten EP zu 60 % berücksichtigt (29,5068 EP für Beitragszeiten, 5,5760 EP für beitragsfreie Zeiten und zusätzliche 0,3695 EP für beitragsgeminderte Zeiten, insgesamt 35,4523 EP). Diese errechneten EP wurden auf 25 EP begrenzt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der Klage begehre die Klägerin die Gewährung einer höheren Rente ohne Begrenzung der EP für FRG-Zeiten auf 0,6 und auf insgesamt 25 EP unter Anwendung von § 22 Abs. 4 und § 22 b FRG. Zwar habe die Klägerin die Begrenzung auf 25 EP zunächst nicht beanstandet, dies begrenze den Prüfungsumfang der behördlichen und gerichtlichen Entscheidung bei einem Höhenstreit nicht. Etwas anderes gelte jedoch hinsichtlich des Bescheides vom 27.07.2009. Dieser betreffe nicht die Höhe der gewährten Rente und sei nicht gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. Die Klage sei jedoch unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 05.11.1997 und auf Neuberechnung ihrer Rente ohne Anwendung der Kürzung des § 22 Abs. 4 FRG auf 60 % und ohne Anwendung der Begrenzung der EP für FRG-Zeiten auf 25 EP gem. § 22 b FRG. Die Regelung des § 22 b FRG verstoße nicht gegen das GG. Eine Verletzung von Art. 14 und Art. 3 Abs. 3 und Abs. 1 GG liege nicht vor. Gegen die Stichtagsregelung des Art. 6 § 4 b FANG (in der Fassung vom 25.09.1996) zum 07.05.1996 bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Da die Klägerin am 09.07.1996, dem Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses, zugezogen sei, sei aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine Übergangsregelung nicht erforderlich gewesen. Im Hinblick darauf, dass bereits die Kürzungsvorschrift des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG bei der Berechnung der Rentenhöhe Anwendung gefunden und zu einer Begrenzung der EP für die Rente mit anrechenbaren Zeiten nach dem FRG geführt habe, wirke sich die Kürzungsvorschrift des § 22 Abs. 4 FRG, die eine Multiplikation der EP mit dem Faktor 0,6 vorsehe, nicht mehr aus. Selbst wenn es auf diese Regelung ankommen würde, stünden verfassungsrechtliche Bedenken der Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG nicht entgegen. Das SG schließe sich den Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 u. a.) an. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 05.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.07.2011 Berufung eingelegt, auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen und ergänzend vorgetragen, sie sei Internierte und Verschleppte und habe ein besonderes Kriegsfolgenschicksal erlitten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG verlange die Wertordnung des Grundgesetzes im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip, dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mittrage, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksaal entstanden seien und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis getroffen hätten. Die Fremdrente und die Regelungen des § 250 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien Teil des großen Komplexes der Kriegs- und Kriegsfolgenschäden. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, früher in die Bundesrepublik zu kommen. Die Vernichtung 40 % ihrer erbrachten Leistungen, die sie als Sonderopfer erbracht habe, verstoße gegen Art. 3 und Art. 14 des GG sowie gegen das Sozialstaatsprinzip und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Die Klägerin beantragt, zum Teil sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 5. November 1997, geändert durch den Bescheid vom 27. Juli 2009, zu verurteilen, ihr eine höhere Rente ohne Kürzung um 40 % zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Entscheidung des SG sei weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht zu beanstanden. Die Berufungsbegründung enthalte keine wesentlichen neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die geeignet wären, eine abweichende Entscheidung herbeizuführen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente im Zugunstenwege hat.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 16.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.3.2008. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte ausschließlich darüber entschieden, ob der Monatsbetrag der Altersrente der Klägerin in dem bindend gewordenen Bescheid vom 05.11.1997, inzwischen ersetzt durch den Bescheid vom 27.07.2009, zu Recht unter Absenkung der EP um 40 % nach § 22 Abs. 4 FRG für die in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ermittelt worden ist. Denn mit dem ? hier maßgeblichen ? Schreiben vom 05.04.2002 hat die Klägerin unter Hinweis auf die Vorlagebeschlüsse des BSG vom 16.12.1999 die Neuberechnung ihrer Rente ohne Kürzung der EP um 40 % beantragt. Lediglich hierüber hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 16.01.2008 entschieden, indem sie ausgeführt hat, entsprechend ihrer Überprüfungszusage habe sie den Bescheid vom 05.11.1997 bezüglich der Absenkung der FRG-Werte überprüft und festgestellt, dass es bei der Absenkung verbleiben müsse. Dabei hat sie auf den Beschluss des BVerfG vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 u.a.) zu § 22 Abs. 4 FRG und die Übergangsregelung des Art. 6 § 4 Abs. 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neureglungsgesetz (FANG) Bezug genommen. Gegen diesen Bescheid vom 16.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2008 hat sich die Klägerin gewandt und dessen Aufhebung sowie eine Neuberechnung ihrer Altersrente begehrt.

Soweit die Klägerin in der Klagebegründung vom 21.10.2008 ? neben der Verfassungswidrigkeit der Absenkung der FRG-Zeiten um 40 % in ihrem Fall ? auch die Verfassungswidrigkeit von § 22 b FRG geltend macht und die Gewährung von Altersrente ohne Begrenzung auf 25 EP begehrt, ist die Klage ? mangels einer Entscheidung der Beklagten hierüber in den angefochtenen Bescheiden ? unzulässig. Ein Antrag auf Neuberechnung ihrer Altersrente im Zugunstenwege ohne Begrenzung auf 25 EP lässt sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 05.04.2002, in dem sie sich ausdrücklich auf die Vorlagebeschlüsse des BSG vom 16.12.1999 bezieht, nicht entnehmen. In dem Vorlagebeschluss des BSG vom 16.12.1999 ? B 4 RA 49/98 R ? ging es einzig und allein um die Verfassungsmäßigkeit von § 22 Abs. 4 FRG in der seit 07.05.1996 geltenden Fassung, und nicht um die Verfassungsmäßigkeit von § 22 b FRG.

Im Bescheid vom 05.11.1997, inzwischen ersetzt durch den Bescheid vom 27.07.2009, in dem die Absenkung um 40 % für die FRG-Zeiten unverändert beibehalten geblieben ist, hat die Beklagte nicht zu Unrecht § 22 Abs. 4 FRG in der ab 07.05.1996 geltenden Fassung angewandt. Danach sind die nach § 22 Abs. 1 und 3 FRG maßgeblichen EP mit dem Faktor 0,6 zu vervielfältigen. Diese Vorschrift ist in dieser Fassung auf die Klägerin anzuwenden, da diese erst nach Inkrafttreten dieser gesetzlichen Regelung am 6.7.1996 aus der ehemaligen Sowjetunion zugezogen ist und seit 1.8.1996 eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erhält.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 Abs. 4 FRG hat der Senat nicht. Mit Beschluss vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 u.a. in Juris) hat das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung festgestellt. Unerheblich ist, dass die Klägerin Spätaussiedlerin ist. Die Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG ist für diesen Personenkreis ? auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ? nicht ausgeschlossen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf einen Zuschlag an EP gemäß Art. 6 § 4 c Abs. 2 FANG. Dieser scheitert daran, dass die Klägerin nicht schon vor dem 01.01.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen hat.

Unabhängig davon, dass die Beklagte zu Recht § 22 Abs. 4 FRG angewandt hat, würde die Rente der Klägerin auch ohne Anwendung dieser Vorschrift nicht höher ausfallen, da sie aufgrund von § 22 b FRG auf 25 EP begrenzt ist.

Auch wenn die Beklagte über die Begrenzung auf 25 EP gemäß § 22 b FRG im Rahmen des Überprüfungsantrages nicht entschieden hat und auch nicht zu entscheiden hatte, weist der Senat zur Vermeidung weiteren Streits darauf hin, dass der Bescheid vom 05.11.1997, ersetzt durch den Bescheid vom 27.07.2009, auch insoweit nicht rechtswidrig ist, als eine Begrenzung der EP gemäß § 22b FRG auf 25 EP erfolgt ist. Denn die Übergangsregelung des Art. 6 § 4 b FANG ist auf die Klägerin nicht anwendbar, weil sie nicht vor dem 07.05.1996 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen hat, sondern erst danach am 09.07.1996. Der Senat vermag auch keinen Verstoß gegen das Grundgesetz festzustellen. Er verweist insofern auf die Ausführungen des BVerfG in den Entscheidungen vom 21.07.2010 (1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05) sowie die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG.

Nach alledem ist der angefochtene Gerichtsbescheid des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved