L 10 R 1381/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2871/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1381/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. September 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1960 geborene Kläger erlernte in der Zeit vom 18. Juli 1977 bis 31. Juli 1980 den Beruf des Polsterers. Anschließend übte er verschiedene Tätigkeiten, u. a. als Fahrer, Maler und Fabrikarbeiter aus. Zuletzt war er in der Zeit vom 8. Juli 1991 bis 18. November 1992 als Dachdeckerhelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Seither hat der Kläger nach Aktenlage keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeübt. Der Kläger hatte bereits am 19. April 1995, am 2. September 1999, am 22. Oktober 2001 und am 4. September 2006 erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bzw. zuletzt wegen Erwerbsminderung beantragt. Das letztgenannte Rentenverfahren war durch einen zur Erledigung des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Az. L 10 R 1381/08) in der mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 2008 geschlossenen gerichtlichen Vergleich, mit dem sich die Beklagte zur Gewährung einer stationären medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation verpflichtet und der Kläger die Berufung zurückgenommen hatte, beendet worden.

Bereits am 20. Februar 2009 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts zog die Beklagte den Reha-Entlassungsbericht der Rh.-Klinik in D. vom 2. März 2009 bei. Der Kläger hatte in dieser Klinik ein von der Beklagten in Ausführung des gerichtlichen Vergleichs vom 23. Oktober 2008 bewilligtes Heilverfahren absolviert (22. Januar bis 19. Februar 2009). Im Entlassungsbericht wurden folgende Diagnosen genannt: (1.) Chronische Alkoholabhängigkeit; (2.) Cannabis, schädlicher Gebrauch; (3.) leichte alkoholtoxische Polyneuropathie, in Rückbildung begriffen; (4.) Asthma bronchiale, derzeit beschwerdefrei; (5.) Nikotinabhängigkeit. Die den Kläger während des Heilverfahrens behandelnden Ärzte MR Dr. Mü., Ku. und Dr. Te. vertraten im Bericht vom 2. März 2009 die Auffassung, beim Kläger bestünden keine schwerwiegenden Leistungseinschränkungen. Mittelschwere Arbeiten ohne häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne ständiges Bücken, ohne erhöhte Anforderungen an Stand- oder Gehvermögen sowie ohne häufiges Besteigen von Leitern und Gerüsten könnten dem Kläger noch vollschichtig zugemutet werden. Dieser sei aus dem Heilverfahren arbeitsfähig entlassen worden. Mit Bescheid vom 5. März 2009 lehnte die Beklagte auch diesen Rentenantrag ab. Den hiergegen seitens des Klägers am 7. April 2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme von MD Le. vom 7. April 2010 (Bl. 1229 der Verwaltungsakte der Beklagten) mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2010 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei, wie sich insbesondere aus dem Entlassungsbericht vom 2. März 2009 ergebe, noch in der Lage, mittelschwere Arbeiten unter Beachtung einiger qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Damit sei er weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.

Mit der am 16. Juli 2008 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Wegen seiner Depressionen sei er auf starke Medikamente angewiesen. Die Einschränkungen seien derart stark, dass aktuell keine Arbeitsfähigkeit mehr bestehe; seine Leistungsfähigkeit liege unter drei Stunden täglich. Die Beklagte ist der Klage unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von Fachärztin für Innere Medizin Dr. Pf. vom 8. März 2011 (Bl. 35/36 der SG-Akte) entgegengetreten. Das SG hat zunächst schriftliche sachverständige Zeugenaussagen des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Na. und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Schu. eingeholt. Dr. Na. hat in seiner Aussage vom 16. September 2010 mitgeteilt, er habe den Kläger zuletzt am 6. Juli 2010 behandelt. Seit April 2010 habe eine depressive Episode bestanden; seit Juni 2010 habe der Kläger über einen seit Wochen anhaltenden Alkoholrückfall berichtet. Bis April 2010 sei der Kläger noch in der Lage gewesen, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Seit diesem Zeitpunkt sei das Leistungsvermögen aber auf unter drei Stunden abgesunken. Dr. Schu. hat demgegenüber keine Angaben zum beruflichen Leistungsvermögen gemacht (Aussage vom 31. Januar 2011). Das SG hat daraufhin den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Die. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. Die. hat in seinem Gutachten vom 11. Mai 2011 ausgeführt, der Kläger leide an einem Zustand nach langjährigem Alkoholabusus, an einer dependenten Persönlichkeitsstörung, an einer leichtgradigen alkoholtoxischen Polyneuropathie und an einer leichtgradigen cerebellaren Ataxie. Der Kläger sei jedoch trotz dieser Erkrankungen noch in der Lage, Tätigkeiten ohne Kontakt mit Alkoholika, ohne das Erfordernis einer intakten Gang- und Standsicherheit und ohne besondere psychische Anforderungen (z. B. durch Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit; durch Arbeiten unter Zeitdruck oder mit stark erhöhter Eigenverantwortung) vollschichtig auszuüben. Gestützt auf diese Beurteilung hat das SG die Klage mit Urteil vom 15. September 2011 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger zumindest leichte Arbeiten noch in einem zeitlichen Umfang von wenigstens sechs Stunden täglich verrichten könne. Dies ergebe sich zur Überzeugung des Gerichts insbesondere aus dem Gutachten von Dr. Die.

Gegen dieses ihm gemäß Empfangsbekenntnis am 27. September 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Oktober 2011 schriftlich beim LSG Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, er halte sich wegen einer Depression und eines Burn-Out-Syndroms nicht mehr für fähig, selbst körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten auszuüben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 2010 zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (XXX), die Vor- und Klageakten des SG (S 13 R 1004/07 und S 13 R 2871/10), die Vorakten des LSG (L 10 R 1074/05, L 10 R 558/06 und L 10 R 1381/08) sowie die Berufungsakte des Senats (L 13 R 4612/11) Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Anhörung der Beteiligten hat keine Gesichtspunkte ergeben, die Anlass geben könnten, von dieser Verfahrensform abzuweichen.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Rentenantrag des Klägers vom 22. Februar 2009 ablehnende Bescheid vom 5. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 2010. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in subjektiven Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Durch das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827 ff.) hat der Gesetzgeber das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundlegend neu geordnet. Kernstück der auch im vorliegenden Fall anwendbaren Neuregelung ist die Abschaffung der bisherigen Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte und die Einführung einer zweistufigen Erwerbsminderungsrente mit einer vollen Erwerbsminderungsrente bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von drei bis sechs Stunden.

Gemäß § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB V) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Der Kläger ist noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Er ist damit weder erwerbsgemindert, noch berufsunfähig und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Dass beim Kläger eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß nicht gegeben ist, hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise zutreffend insbesondere aus dem im Verlauf des Klageverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. Die. geschlussfolgert. Der Senat schließt sich deshalb zunächst den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 15. September 2011, insbesondere der dort vorgenommene Beweiswürdigung an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht insoweit von einer (weiteren) Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers zur Begründung der Berufung rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Soweit der Kläger vorträgt, er leide unter Depressionen und einem Burn-Out-Syndrom, handelt es sich um Krankheitsbilder, die dem nervenärztlichen Fachgebiet zuzuordnen sind. Gerade wegen der Erkrankungen auf diesem Fachgebiet hat das SG einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie zum Sachverständigen ernannt. Hinweise darauf, dass Dr. Die. die das berufliche Leistungsvermögen limitierenden Erkrankungen des Klägers nicht vollständig erfasst hätte, sind ebenso wenig ersichtlich, wie Anhaltspunkte dafür, dass nach der Begutachtung durch Dr. Die. eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers eingetreten wäre. Nachdem der Kläger zudem keine substantiierten Einwände gegen die sozialmedizinische Beurteilung des vom SG beauftragten Sachverständigen erhoben hat, bestand für den Senat auch keine Veranlassung zur Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen.

Auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen beim Kläger nicht vor. In qualitativer Hinsicht muss dieser, wie Dr. Die. in seinem Gutachten vom 11. Mai 2011 ? auch insoweit überzeugend ? ausgeführt hat, Kontakt mit Alkoholika, Arbeiten mit dem Erfordernis einer intakten Gang- und Standsicherheit sowie Tätigkeiten mit besonderen psychische Anforderungen (z. B. durch Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit; durch Arbeiten unter Zeitdruck oder mit stark erhöhter Eigenverantwortung) vermeiden. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichts der Rh.-Klinik in D. vom 2. März 2009 können dem Kläger darüber hinaus körperlich schwere Arbeiten, Tätigkeiten mit häufigen Wirbelsäulenzwangshaltungen, ständiges Bücken und häufiges Besteigen von Leitern und Gerüsten nicht mehr abverlangt werden. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; der Kläger ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entwickelten Rechtsprechung des BSG der ?bisherige Beruf?, den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Eine (höherwertige) Beschäftigung oder Tätigkeit ist jedoch dann nicht mehr maßgebend, wenn sich der Versicherte von dieser gelöst und eine andere (geringwertigere) Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI, Rdnr. 21 m.w.N.). Eine solche Lösung vom früheren Beruf liegt jedoch nur dann vor, wenn der neue Beruf versicherungsrechtlich relevant ist, wenn er also die Voraussetzungen erfüllt, die unabhängig von der früheren Berufsentwicklung zum Erwerb eines versicherungsrechtlich geschützten Berufs führen. Das ist dann der Fall, wenn der Beruf mit dem Ziel aufgenommen und ausgeübt wird, ihn weiterhin bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zur Erreichung der Altersgrenze - also auf Dauer - auszuüben (BSG, Urteil vom 4. November 1998 - B 13 RJ 95/97 - veröffentlicht in Juris). Deshalb ist die nur vorübergehende Aufnahme einer anderen Tätigkeit unschädlich; sie führt nicht zum Erwerb eines neuen Dauerberufs und damit nicht zum Verlust des alten Berufs (BSG SozR 2200 § 1264 Nr. 158 m.w.N.) Weitere Voraussetzung für eine im Sinne des Rentenrechts relevante Lösung vom bisherigen Beruf ist die Freiwilligkeit des Berufswechsels. Deshalb liegt eine Lösung grundsätzlich nicht vor, wenn die Berufsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. In diesem Fall bleibt der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl. BSGE 2, 182 187). Dabei ist nicht erforderlich, dass die gesundheitlichen Gründe allein ursächlich waren; ausreichend ist, dass die gesundheitlichen Umstände den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (BSG SozR 2600 § 45 Nr. 6).

Kann der Versicherte diesen ?bisherigen Beruf? aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der ?oberen Angelernten? (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und ?unteren Angelernten? (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema ist der Kläger allenfalls der Gruppe der unteren Angelernten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von höchstens zwölf Monaten zugeordnet. Den erlernten Beruf als Polsterer hat der Kläger aufgegeben, ohne dass gesundheitliche Gründe ursächlich hierfür gewesen sind. Damit liegt eine ?Lösung? vom bisherigen Beruf im Sinne der oben dargestellten Grundsätze vor; maßgeblich für die Beurteilung des Berufsschutzes ist dementsprechend die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Dachdeckergehilfe, für die eine Ausbildungs- oder Anlernzeit von mehr als zwölf Monaten nicht erforderlich gewesen ist. Der Kläger kann dementsprechend auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf. Da er jedenfalls noch im Stande ist, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten unter Beachtung der genannten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich auszuüben, kann der Senat offen lassen, ob und ggf. inwieweit gesundheitsbedingte Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens einer Wiederaufnahme der zuletzt verrichteten Tätigkeit entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Berufungsverfahren, über den zusammen mit der Hauptsache entschieden werden konnte (vgl. dazu Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. September 2012 ? 4 F 1443/12), war aus den oben dargelegten Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung in der Hauptsache (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 der ZPO) abzulehnen. Der Kläger hat im Übrigen weder einen Rechtsanwalt benannt, der im Rahmen der PKH beigeordnet werden soll, noch hat er gemäß § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG beantragt, dass der Senat den beizuordnenden Rechtsanwalt auswählt.
Rechtskraft
Aus
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