L 11 KR 4617/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 3272/12 ER-B
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4617/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.09.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Die 1944 geborene Antragstellerin erlitt im November 2005 einen ersten Schlaganfall. Nach der stationären Akutbehandlung befand sie sich bis Januar 2006 zur Frührehabilitation Stufe B im Klinikum K.-L. und anschließend zur Frührehabilitation Stufe C in der Fachklinik W ... Seit März 2006 waren die Voraussetzungen der Pflegestufe 1 anerkannt. Vom 14.03.2011 bis 04.04.2011 fand eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik W. statt.

Im Juli 2011 erlitt die Antragstellerin einen weiteren Schlaganfall. Nach der akutstationären Behandlung befand sich die Antragstellerin vom 03.08.2011 bis 25.08.2011 erneut in stationärer Rehabilitationsbehandlung in der Fachklinik W ... Mit Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 02.09.2011 (S 5 KR 3642/11 ER) wurde die Antragsgegnerin zur Verlängerung dieser Maßnahme um 21 Tage verpflichtet. Die Rehabilitationsmaßnahme wurde sodann vom 06.09.2011 bis 13.10.2011 fortgesetzt. Im Entlassungsbericht vom 17.10.2011 führte Dr. O. zu Therapie und Verlauf der Maßnahme aus, es sei eher zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation gekommen mit inzwischen eingeschränkter Mobilität, Stuhlinkontinenz und unveränderter Schluckstörung. Seit Oktober 2011 sind bei der Antragstellerin die Voraussetzungen der Pflegestufe 2 anerkannt.

Am 16.05.2012 verordnete die Hausärztin der Antragstellerin, Dr. L., Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Ziel einer solchen Maßnahme sei die Verbesserung der Sprache und Beweglichkeit. Die Antragstellerin sei derzeit in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Bei einer Besserung wollten ihre Angehörigen die Pflege im häuslichen Umfeld übernehmen. In den letzten 12 Monaten seien Massagen, Krankengymnastik, Logo- und Ergotherapie als ambulante Krankenbehandlungen durchgeführt worden (laut Selbstauskunft der Antragstellerin jeweils zweimal pro Woche), die als aussichtsreich einzuschätzen seien. Die Rehabilitationsleistung sei vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist von vier Jahren dringend medizinisch notwendig, um weitere Verschlechterungen des allgemeinen Zustandes und eine totale Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Die Rehabilitationsprognose werde als positiv eingeschätzt. Dr. L. empfahl stationäre Sprach- und Bewegungstherapien in der Rehabilitationsklinik W ...

Unter Vorlage dieser Verordnung beantragte der Betreuer der Antragstellerin am 18.05.2012 bei der Antragsgegnerin die Gewährung der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Nach Einreichung eines Befundberichts des Neurologen Dr. H. und eines Berichts des Logopäden der Antragstellerin nahm der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Stellung und führte aus, die Voraussetzungen für die beantragte Leistung seien nicht erfüllt. Prognostisch sei ein positives Rehabilitationsziel durch eine erneute, vorzeitige Maßnahme nicht zu erwarten. Eine Dringlichkeit der Maßnahme sei nicht erkennbar. Mit Bescheid vom 07.08.2012 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf stationäre neurologische Rehabilitation ab. Am 06.09.2012 legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hiergegen Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden worden ist.

Am 11.09.2012 hat die Antragstellerin beim SG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr ? wie am 18.05.2012 beantragt ? eine neurologische Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren. Zur Begründung hat sie vortragen lassen, die beantragte Leistung sei erforderlich, um die bestehende Behinderung zu beseitigen oder jedenfalls ihre Folgen zu mindern. Eine vorzeitige Leistung sei dringend erforderlich. Beides ergebe sich aus der Verordnung von Dr. L. und dem Arztbericht des Dr. H. vom 31.07.2012. Aufgrund der besonderen Dringlichkeit sei auch ein Anordnungsgrund gegeben. Es bestehe die Gefahr, dass sich die bei der Antragstellerin bestehenden Zustände und körperlichen Beeinträchtigungen mittel- oder langfristig verfestigen könnten.

Mit Beschluss vom 27.09.2012 (dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 01.10.2012 zugestellt) hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme besser als ambulante Maßnahmen geeignet sei, die Rehabilitationsziele zu erreichen. Im Rahmen der letzten Rehabilitationsmaßnahme hätten keinerlei Fortschritte in Bezug auf die Ziele, das Sprachvermögen und die Beweglichkeit zu verbessern, erreicht werden können. Es sei vielmehr eine Verschlechterung eingetreten. Vor diesem Hintergrund erscheine es schon sehr fragwürdig, ob die von Dr. L. formulierten Rehabilitationsziele erreicht werden könnten. Jedenfalls biete eine stationäre Rehabilitation keine Vorzüge gegenüber ambulanten Maßnahmen.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 31.10.2012 beim Landessozialgericht (LSG) Beschwerde erhoben und zur Begründung die bisherigen Ausführungen wiederholt. Ergänzend hat sie vortragen lassen, seit der letzten Rehabilitationsmaßnahme sei durchaus eine Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten. Dies ergebe sich aus einer Aktennotiz des Ehemanns der Antragstellerin sowie aus dem Befundbericht des Neurologen Dr. H ... Im Übrigen werde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die letzte Rehabilitationsmaßnahme auf Grund der gegebenen Umstände nicht zum Erfolg habe führen können. Nachdem die Antragsgegnerin eine Verlängerung zunächst abgelehnt hatte, sei es zu einer Unterbrechung und zu einem Wechsel des Therapiepersonals gekommen. Außerdem sei der Stationsarzt urlaubsbedingt abwesend gewesen. Unter Heranziehung der Verordnung von Dr. L. und des Befundberichts von Dr. H. seien daher ein Anordnungsanspruch und -grund gegeben. Jedenfalls ergebe eine Abwägung, dass die Interessen der Antragsgegnerin gegenüber den grundrechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin sowie der aus Art 2 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) folgenden Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen, zurückzutreten hätten. Nach ärztlicher Einschätzung erscheine es mehr als möglich, dass die Störungen durch die rehabilitative Maßnahme substantiell zurückgingen. Dies setze allerdings voraus, dass die Maßnahme zeitnah beginne. Eine Maßnahme erst nach Abschluss des Hauptsachverfahrens habe für die Antragstellerin keinerlei Nutzen mehr. Demgegenüber bestehe für die Antragsgegnerin nur die Gefahr, die vorläufig gewährte Leistung nicht zurückzuerhalten, sollte sich die Antragstellerin in beengten finanziellen Verhältnissen befinden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.09.2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr gemäß dem Antrag vom 18.05.2012 eine stationäre neurologische Rehabilitation zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin eine stationäre neurologische Rehabilitation zu gewähren, zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilig Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung genügt allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht den grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers. Die Gerichte haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236). Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf sich das Gericht nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist in einem solchen Fall anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG 12.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Zu solchen existenziellen Leistungen gehört die hier begehrte stationäre Rehabilitationsmaßnahme nicht. Die Antragstellerin kann bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar auf ambulante Leistungen verwiesen werden. Aus dem Vortrag der Antragstellerin und den aktenkundigen medizinischen Unterlagen ergibt sich nicht, dass zur Abwendung einer schweren und unzumutbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung die Erbringung von Sprach- und Bewegungstherapien gerade in Form einer stationären Leistung erforderlich ist. Die mit der stationären Rehabilitation bezweckten Sprach- und Bewegungstherapien werden zudem von der Antragsgegnerin bereits als ambulante Krankenbehandlungen im Sinne von § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erbracht. Nach den Angaben von Dr. L. im Verordnungsvordruck zur Beantragung der Rehabilitationsmaßnahme ist diese Krankenbehandlung auch aussichtsreich.

Nach der somit ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der begehrten einstweiligen Anordnung nicht vor. Es fehlt bereits ein Anordnungsanspruch.

Nach § 40 Abs 2 SGB V kann die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen, sofern eine Leistung nach Abs 1 nicht ausreicht. Wie sich aus diesem Verweis auf § 40 Abs 1 SGB V sowie der dortigen Bezugnahme auf § 11 Abs 2 SGB V ergibt, setzt der geltend gemacht Anspruch tatbestandlich ua voraus, dass die begehrte Maßnahme aus medizinischen Gründen erforderlich ist, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Ferner ist notwendig, dass die vorgenannten Ziele nicht bereits durch eine ambulante Rehabilitation erreicht werden können, die ihrerseits nur dann erbracht werden darf, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht.

Die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme ergibt sich nach derzeitigem Sachstand nicht. Den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen kann nicht entnommen werden, dass ambulante Maßnahmen zur Sprach- und Bewegungstherapie nicht ausreichen und gerade die stationäre Erbringung erforderlich ist. Weder Dr. O. noch Dr. H. halten eine stationäre Maßnahme zwingend für notwendig. Im Entlassungsbericht der letzten stationären Rehabilitationsmaßnahme vom 17.10.2011 hatte Dr. O. zwar ausgeführt, dass eine logopädische Weiterbehandlung unbedingt hochfrequent mit Sprach- und Schlucktherapie erfolgen solle. Die Notwendigkeit diese Behandlungen unter stationären Bedingungen zu erbringen, sah der Mediziner jedoch nicht. Auch Dr. H. benennt die Erbringung in stationärem Rahmen lediglich als Option, wie dem Befundbericht vom 31.07.2012 zu entnehmen ist (?zB?). Allein Dr. L. empfiehlt im Verordnungsvordruck die Durchführung einer stationären Maßnahme. Einen Grund hierfür gibt sie nicht an. Die Frage, ob im Fall einer ambulanten Rehabilitation die häusliche Versorgung gesichert sei, wird dagegen bejaht.

Aus demselben Grund ist für den Senat nicht schlüssig und nachvollziehbar, dass eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme noch vor Ablauf der vierjährigen Wartefrist des § 40 Abs 3 Satz 4 SGB V ?dringend erforderlich? ist. Dass nur ein Jahr nach der letzten stationären Rehabilitation eine erneute Maßnahme in dieser Form erforderlich ist, geht aus den medizinischen Unterlagen nicht hervor.

Darüber hinaus bestehen auf Grundlage des Entlassungsberichts der letzten stationären Rehabilitationsmaßnahme Zweifel, ob hinreichende Erfolgsaussichten in Bezug auf die Rehabilitationsziele bestehen. Im Entlassungsbericht vom 17.10.2011 berichtete Dr. O., dass es zwar anfänglich zu einer leichten Verbesserung der Schluckfähigkeit gekommen sei. Das Esstraining habe aber wegen Komplikationen abgebrochen werden müssen und habe bis zur Entlassung nicht mehr aufgenommen werden können. Aus pflegerischer Sicht sei es zudem zu einer Verschlechterung der Mobilität gekommen. Die Antragstellerin sei zuletzt nicht mehr gehfähig gewesen. Dass (alleinige) Ursache dieser Verschlechterungen ? wie von der Antragstellerin vorgetragen ? die Unterbrechung der Maßnahme und die damit verbundenen Gegebenheiten waren, geht aus dem Bericht nicht hervor. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme erfolgversprechend ist. Der Senat will jedoch nicht ausschließen, dass sich die Prognose hinsichtlich der Besserungsaussichten auch wieder zugunsten der Antragstellerin ändern kann. Aus den derzeit vorliegenden medizinischen Befundunterlagen kann eine positive Prognose jedoch nicht abgeleitet werden. Allein die Beobachtungen des Ehemanns der Antragstellerin genügen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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